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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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Die vornehmste Merkwürdigkeit ist ein auf schwarzem Sammet ausgelegtes Crucifix, welches Peter Miller, ein Missionär, auf seinen Fahrten in Amerika gebraucht und in manchen Gefahren als Talisman befunden hat. Namentlich, führt der beigeschriebene Zettel an, sey er einmal im Jahre 1783 von den Wilden eingefangen und sein Tod auf den nächsten Morgen festgesetzt worden. Da habe er nun am Abende noch seine Andacht bei dem Kreuze verrichtet, Gott sein Leben anheimgestellt und nur für den Fall, daß er noch ferners in Ausbreitung seines Wortes thätig seyn könnte, um Erhaltung desselben gebeten, worauf er eingeschlafen und am andern Morgen jenseits des Meeres fern von seinen Widersachern erwacht sey.

Unten am Wege in der Tiefe des Thales erscheint der kleine Tempel als das letzte Heiligthum, von dem ein Glöcklein tönt und zur Messe ladet; weiter drinnen ist nur mehr eine stille Capelle.

Im innersten Winkel des Thalgeländes stehen noch drei steinerne Weiler, von denen der letzte Kasern heißt, zum Andenken, daß hier ursprünglich nur Sennhütten standen. Jetzt waren die Häuser zumeist geschlossen und die Einwohner standen an den Abhängen herum bei der Ernte.

Hinter dem Dorfe springt ein Wasserfall vom Felsen in beträchtlichem Wurfe in die Luft hinaus - eine Erscheinung, die von vielen sehr hoch gehalten wird. Der Weg aufs Joch zieht an zwei Feldkreuzen vorüber, dem Bache entlang, anscheinend auf einen Schneeberg zu, der das Thal in großem rundem Buckel schließt. Bald darauf ändert er aber seine Richtung und kriecht in vielen Windungen einen steilen Abhang hinauf, zur Rechten eines baumlosen Tobels, wo ein Alpenwasser an langer Felswand herabglitscht. Er ist sehr betreten und kaum zu verfehlen. Seine Anmuth auf dieser Seite ist unbedeutend; man sah als Staffage nur etliche von jenen bienenkorbförmigen Heuschobern, die den Sommer über oft auf den gefährlichsten Klippen errichtet und im Winter nach Hause gebracht werden. Höher oben erspähte man an dem steilen Gebirge, das die andre Thalseite bildet, etliche Rinderheerden auf Weiden,

Die vornehmste Merkwürdigkeit ist ein auf schwarzem Sammet ausgelegtes Crucifix, welches Peter Miller, ein Missionär, auf seinen Fahrten in Amerika gebraucht und in manchen Gefahren als Talisman befunden hat. Namentlich, führt der beigeschriebene Zettel an, sey er einmal im Jahre 1783 von den Wilden eingefangen und sein Tod auf den nächsten Morgen festgesetzt worden. Da habe er nun am Abende noch seine Andacht bei dem Kreuze verrichtet, Gott sein Leben anheimgestellt und nur für den Fall, daß er noch ferners in Ausbreitung seines Wortes thätig seyn könnte, um Erhaltung desselben gebeten, worauf er eingeschlafen und am andern Morgen jenseits des Meeres fern von seinen Widersachern erwacht sey.

Unten am Wege in der Tiefe des Thales erscheint der kleine Tempel als das letzte Heiligthum, von dem ein Glöcklein tönt und zur Messe ladet; weiter drinnen ist nur mehr eine stille Capelle.

Im innersten Winkel des Thalgeländes stehen noch drei steinerne Weiler, von denen der letzte Kasern heißt, zum Andenken, daß hier ursprünglich nur Sennhütten standen. Jetzt waren die Häuser zumeist geschlossen und die Einwohner standen an den Abhängen herum bei der Ernte.

Hinter dem Dorfe springt ein Wasserfall vom Felsen in beträchtlichem Wurfe in die Luft hinaus – eine Erscheinung, die von vielen sehr hoch gehalten wird. Der Weg aufs Joch zieht an zwei Feldkreuzen vorüber, dem Bache entlang, anscheinend auf einen Schneeberg zu, der das Thal in großem rundem Buckel schließt. Bald darauf ändert er aber seine Richtung und kriecht in vielen Windungen einen steilen Abhang hinauf, zur Rechten eines baumlosen Tobels, wo ein Alpenwasser an langer Felswand herabglitscht. Er ist sehr betreten und kaum zu verfehlen. Seine Anmuth auf dieser Seite ist unbedeutend; man sah als Staffage nur etliche von jenen bienenkorbförmigen Heuschobern, die den Sommer über oft auf den gefährlichsten Klippen errichtet und im Winter nach Hause gebracht werden. Höher oben erspähte man an dem steilen Gebirge, das die andre Thalseite bildet, etliche Rinderheerden auf Weiden,

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[503/0507] Die vornehmste Merkwürdigkeit ist ein auf schwarzem Sammet ausgelegtes Crucifix, welches Peter Miller, ein Missionär, auf seinen Fahrten in Amerika gebraucht und in manchen Gefahren als Talisman befunden hat. Namentlich, führt der beigeschriebene Zettel an, sey er einmal im Jahre 1783 von den Wilden eingefangen und sein Tod auf den nächsten Morgen festgesetzt worden. Da habe er nun am Abende noch seine Andacht bei dem Kreuze verrichtet, Gott sein Leben anheimgestellt und nur für den Fall, daß er noch ferners in Ausbreitung seines Wortes thätig seyn könnte, um Erhaltung desselben gebeten, worauf er eingeschlafen und am andern Morgen jenseits des Meeres fern von seinen Widersachern erwacht sey. Unten am Wege in der Tiefe des Thales erscheint der kleine Tempel als das letzte Heiligthum, von dem ein Glöcklein tönt und zur Messe ladet; weiter drinnen ist nur mehr eine stille Capelle. Im innersten Winkel des Thalgeländes stehen noch drei steinerne Weiler, von denen der letzte Kasern heißt, zum Andenken, daß hier ursprünglich nur Sennhütten standen. Jetzt waren die Häuser zumeist geschlossen und die Einwohner standen an den Abhängen herum bei der Ernte. Hinter dem Dorfe springt ein Wasserfall vom Felsen in beträchtlichem Wurfe in die Luft hinaus – eine Erscheinung, die von vielen sehr hoch gehalten wird. Der Weg aufs Joch zieht an zwei Feldkreuzen vorüber, dem Bache entlang, anscheinend auf einen Schneeberg zu, der das Thal in großem rundem Buckel schließt. Bald darauf ändert er aber seine Richtung und kriecht in vielen Windungen einen steilen Abhang hinauf, zur Rechten eines baumlosen Tobels, wo ein Alpenwasser an langer Felswand herabglitscht. Er ist sehr betreten und kaum zu verfehlen. Seine Anmuth auf dieser Seite ist unbedeutend; man sah als Staffage nur etliche von jenen bienenkorbförmigen Heuschobern, die den Sommer über oft auf den gefährlichsten Klippen errichtet und im Winter nach Hause gebracht werden. Höher oben erspähte man an dem steilen Gebirge, das die andre Thalseite bildet, etliche Rinderheerden auf Weiden,

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/507>, abgerufen am 01.07.2024.