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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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Alpen handthieren und neuen Inventionen obliegen. Ich für meinen Theil, meine wähnen zu dürfen, daß den grünen Alpen nichts besser steht, als die Gothik des deutschen Mittelalters. Es ragt nichts schöner auf dem Felsenschopfe, es lockt nichts heimlicher im engen Thal, als die spitzbogigen, spitzthurmigen Kirchlein, die unsre Väter auferbaut. Bis einmal der Genius neue Bahnen gebrochen hat, möchte es drum viel gerathener seyn, dieses Alte bescheiden nachzuahmen, als erbärmliche Originale zu geben.

Vulpmes ist das größte Dorf in Stubei und das Herz des Thales. Hier sind nämlich die weltberühmten Eisenschmieden, und die ganze Ortschaft hat ein vulcanisches Gepräge. Ueber diese Industrie der Stubeier hat sich ein Aufsatz im ersten Band der Zeitschrift für Tirol und Vorarlberg sehr belehrend verbreitet. Wir entnehmen daraus vorerst, daß es nicht mehr auszumachen, in welchem Jahrhunderte zu Vulpmes jenes Gewerbe angefangen. Gewiß gaben die Eisengruben, die in der Nähe betrieben wurden, die erste Veranlassung dazu. Jetzt sind diese längst eingegangen, und nur mehr Spuren alter Betriebsgebäude vorhanden, nebst vielen verschollenen Erzanbrüchen in dem Gebirge und etlichen Urkunden aus dem fünfzehnten Jahrhundert, die sogar von Goldbergwerken in der Vulpmer Alpe sprechen. Aber die hephästische Kunst hat sich bei den Vulpmern erhalten, obgleich sie nunmehr ihr Eisen weit herauf aus Kärnthen und Steiermark beziehen müssen, da das tirolische für sie theils zu theuer, theils zu schlecht ist. Die Handelschaft der Stubeier nahm übrigens ganz denselben Verlauf, wie die der Grödner. Allererst trugen etliche Schmiede, die in der Nähe keinen Absatz fanden, ihr Geschmeide auf dem Rücken von Ort zu Ort in den heimathlichen Bergen und in der benachbarten Fremde. Dieses hausirende Geschlecht ist nach der Volkssage von fabelhafter Leibesstärke gewesen. Am Ende des siebenzehnten Jahrhunderts leuchteten darunter besonders drei Brüder, Thomas, Martin und Georg, die Tanzer von Neustift hervor. Georg Tanzer soll einmal vor dem Mauthhause zu Schaffhausen mit acht Centnern Eisen angekommen seyn, die

Alpen handthieren und neuen Inventionen obliegen. Ich für meinen Theil, meine wähnen zu dürfen, daß den grünen Alpen nichts besser steht, als die Gothik des deutschen Mittelalters. Es ragt nichts schöner auf dem Felsenschopfe, es lockt nichts heimlicher im engen Thal, als die spitzbogigen, spitzthurmigen Kirchlein, die unsre Väter auferbaut. Bis einmal der Genius neue Bahnen gebrochen hat, möchte es drum viel gerathener seyn, dieses Alte bescheiden nachzuahmen, als erbärmliche Originale zu geben.

Vulpmes ist das größte Dorf in Stubei und das Herz des Thales. Hier sind nämlich die weltberühmten Eisenschmieden, und die ganze Ortschaft hat ein vulcanisches Gepräge. Ueber diese Industrie der Stubeier hat sich ein Aufsatz im ersten Band der Zeitschrift für Tirol und Vorarlberg sehr belehrend verbreitet. Wir entnehmen daraus vorerst, daß es nicht mehr auszumachen, in welchem Jahrhunderte zu Vulpmes jenes Gewerbe angefangen. Gewiß gaben die Eisengruben, die in der Nähe betrieben wurden, die erste Veranlassung dazu. Jetzt sind diese längst eingegangen, und nur mehr Spuren alter Betriebsgebäude vorhanden, nebst vielen verschollenen Erzanbrüchen in dem Gebirge und etlichen Urkunden aus dem fünfzehnten Jahrhundert, die sogar von Goldbergwerken in der Vulpmer Alpe sprechen. Aber die hephästische Kunst hat sich bei den Vulpmern erhalten, obgleich sie nunmehr ihr Eisen weit herauf aus Kärnthen und Steiermark beziehen müssen, da das tirolische für sie theils zu theuer, theils zu schlecht ist. Die Handelschaft der Stubeier nahm übrigens ganz denselben Verlauf, wie die der Grödner. Allererst trugen etliche Schmiede, die in der Nähe keinen Absatz fanden, ihr Geschmeide auf dem Rücken von Ort zu Ort in den heimathlichen Bergen und in der benachbarten Fremde. Dieses hausirende Geschlecht ist nach der Volkssage von fabelhafter Leibesstärke gewesen. Am Ende des siebenzehnten Jahrhunderts leuchteten darunter besonders drei Brüder, Thomas, Martin und Georg, die Tanzer von Neustift hervor. Georg Tanzer soll einmal vor dem Mauthhause zu Schaffhausen mit acht Centnern Eisen angekommen seyn, die

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Alpen handthieren und neuen Inventionen obliegen. Ich für meinen Theil, meine wähnen zu dürfen, daß den grünen Alpen nichts besser steht, als die Gothik des deutschen Mittelalters. Es ragt nichts schöner auf dem Felsenschopfe, es lockt nichts heimlicher im engen Thal, als die spitzbogigen, spitzthurmigen Kirchlein, die unsre Väter auferbaut. Bis einmal der Genius neue Bahnen gebrochen hat, möchte es drum viel gerathener seyn, dieses Alte bescheiden nachzuahmen, als erbärmliche Originale zu geben.</p>
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[490/0494] Alpen handthieren und neuen Inventionen obliegen. Ich für meinen Theil, meine wähnen zu dürfen, daß den grünen Alpen nichts besser steht, als die Gothik des deutschen Mittelalters. Es ragt nichts schöner auf dem Felsenschopfe, es lockt nichts heimlicher im engen Thal, als die spitzbogigen, spitzthurmigen Kirchlein, die unsre Väter auferbaut. Bis einmal der Genius neue Bahnen gebrochen hat, möchte es drum viel gerathener seyn, dieses Alte bescheiden nachzuahmen, als erbärmliche Originale zu geben. Vulpmes ist das größte Dorf in Stubei und das Herz des Thales. Hier sind nämlich die weltberühmten Eisenschmieden, und die ganze Ortschaft hat ein vulcanisches Gepräge. Ueber diese Industrie der Stubeier hat sich ein Aufsatz im ersten Band der Zeitschrift für Tirol und Vorarlberg sehr belehrend verbreitet. Wir entnehmen daraus vorerst, daß es nicht mehr auszumachen, in welchem Jahrhunderte zu Vulpmes jenes Gewerbe angefangen. Gewiß gaben die Eisengruben, die in der Nähe betrieben wurden, die erste Veranlassung dazu. Jetzt sind diese längst eingegangen, und nur mehr Spuren alter Betriebsgebäude vorhanden, nebst vielen verschollenen Erzanbrüchen in dem Gebirge und etlichen Urkunden aus dem fünfzehnten Jahrhundert, die sogar von Goldbergwerken in der Vulpmer Alpe sprechen. Aber die hephästische Kunst hat sich bei den Vulpmern erhalten, obgleich sie nunmehr ihr Eisen weit herauf aus Kärnthen und Steiermark beziehen müssen, da das tirolische für sie theils zu theuer, theils zu schlecht ist. Die Handelschaft der Stubeier nahm übrigens ganz denselben Verlauf, wie die der Grödner. Allererst trugen etliche Schmiede, die in der Nähe keinen Absatz fanden, ihr Geschmeide auf dem Rücken von Ort zu Ort in den heimathlichen Bergen und in der benachbarten Fremde. Dieses hausirende Geschlecht ist nach der Volkssage von fabelhafter Leibesstärke gewesen. Am Ende des siebenzehnten Jahrhunderts leuchteten darunter besonders drei Brüder, Thomas, Martin und Georg, die Tanzer von Neustift hervor. Georg Tanzer soll einmal vor dem Mauthhause zu Schaffhausen mit acht Centnern Eisen angekommen seyn, die

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/494>, abgerufen am 23.11.2024.