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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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Mannheit im Ländler gedreht, schien gut genug für die ernstlichen Verhandlungen über Streit und Span. "Ein öffentlicher Tanzstadel gehörte so wesentlich zum Gemeingute der Ortschaft, wie jetzt Kirche und Schulgebäude." Mit älplerischer Einfachheit war er jeder andern Dreschtenne ähnlich; in der Mitte stand eine runde Säule, welche bis ans Dach reichte. Nicht nur bei Hochzeiten sondern an allen Sonn- und Feiertagen, die im Kalender stehen, zog das Volk dem Tanzboden zu, um selbst sich zu schwingen oder dem muntern Reigen zuzusehen. Unverwüstliche Alpennatur, die den armen Ladinern, welche an der Unfruchtbarkeit ihres Bodens, an Steuern, Abgaben und Frohnen fast erlagen, noch so viele Lebenslust übrig ließ, um am Sonntage sich zu freuen und der Kümmernisse der Werktage zu vergessen! Es galt als ein Ehrenvorzug, bei solchen Tänzen den ersten Reigen zu eröffnen. Ein Mann des Vertrauens, welcher der Platzmeister hieß, war der Unterhaltung vorgesetzt. Seines Amtes war, die Spielleute zu bestellen, das Volk geziemend zum Tanze zu laden und über Ordnung und Anstand zu wachen. Ein großer Hut mit ungeheuern Flügeln und winzig kleinem Kopfe, reichlich bebändert und mit Troddeln geziert, war das Zeichen seiner Würde.

"Diese Volksbelustigung, sagt unser Gewährsmann ferner, scheint sich bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts erhalten zu haben. Alte Männer einer jüngst vergangenen Zeit erinnerten sich noch der letzten Platzmeister. Mißbräuche und die Einwirkung geistlicher Behörden mögen zu ihrer Abstellung Grund und Veranlassung gegeben haben. Die Tanzstädel machten allmählich nützlicheren Gebäuden, Schulen und Wohnhäusern Platz und von der alten Sitte blieb endlich nichts mehr, als das Andenken und die Vorliebe für diese Unterhaltung übrig."

Ein Nachklang der alten lärmenden Tanzlust hat sich noch bei den Hochzeiten erhalten. Verwandte und Nachbarn werden dazu in großer Anzahl geladen und es wäre sehr feindselig die Ladung auszuschlagen. Auch Seelsorger und Richter dürfen nicht fehlen, und an sie ergeht ein feierliches

Mannheit im Ländler gedreht, schien gut genug für die ernstlichen Verhandlungen über Streit und Span. „Ein öffentlicher Tanzstadel gehörte so wesentlich zum Gemeingute der Ortschaft, wie jetzt Kirche und Schulgebäude.“ Mit älplerischer Einfachheit war er jeder andern Dreschtenne ähnlich; in der Mitte stand eine runde Säule, welche bis ans Dach reichte. Nicht nur bei Hochzeiten sondern an allen Sonn- und Feiertagen, die im Kalender stehen, zog das Volk dem Tanzboden zu, um selbst sich zu schwingen oder dem muntern Reigen zuzusehen. Unverwüstliche Alpennatur, die den armen Ladinern, welche an der Unfruchtbarkeit ihres Bodens, an Steuern, Abgaben und Frohnen fast erlagen, noch so viele Lebenslust übrig ließ, um am Sonntage sich zu freuen und der Kümmernisse der Werktage zu vergessen! Es galt als ein Ehrenvorzug, bei solchen Tänzen den ersten Reigen zu eröffnen. Ein Mann des Vertrauens, welcher der Platzmeister hieß, war der Unterhaltung vorgesetzt. Seines Amtes war, die Spielleute zu bestellen, das Volk geziemend zum Tanze zu laden und über Ordnung und Anstand zu wachen. Ein großer Hut mit ungeheuern Flügeln und winzig kleinem Kopfe, reichlich bebändert und mit Troddeln geziert, war das Zeichen seiner Würde.

„Diese Volksbelustigung, sagt unser Gewährsmann ferner, scheint sich bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts erhalten zu haben. Alte Männer einer jüngst vergangenen Zeit erinnerten sich noch der letzten Platzmeister. Mißbräuche und die Einwirkung geistlicher Behörden mögen zu ihrer Abstellung Grund und Veranlassung gegeben haben. Die Tanzstädel machten allmählich nützlicheren Gebäuden, Schulen und Wohnhäusern Platz und von der alten Sitte blieb endlich nichts mehr, als das Andenken und die Vorliebe für diese Unterhaltung übrig.“

Ein Nachklang der alten lärmenden Tanzlust hat sich noch bei den Hochzeiten erhalten. Verwandte und Nachbarn werden dazu in großer Anzahl geladen und es wäre sehr feindselig die Ladung auszuschlagen. Auch Seelsorger und Richter dürfen nicht fehlen, und an sie ergeht ein feierliches

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[468/0472] Mannheit im Ländler gedreht, schien gut genug für die ernstlichen Verhandlungen über Streit und Span. „Ein öffentlicher Tanzstadel gehörte so wesentlich zum Gemeingute der Ortschaft, wie jetzt Kirche und Schulgebäude.“ Mit älplerischer Einfachheit war er jeder andern Dreschtenne ähnlich; in der Mitte stand eine runde Säule, welche bis ans Dach reichte. Nicht nur bei Hochzeiten sondern an allen Sonn- und Feiertagen, die im Kalender stehen, zog das Volk dem Tanzboden zu, um selbst sich zu schwingen oder dem muntern Reigen zuzusehen. Unverwüstliche Alpennatur, die den armen Ladinern, welche an der Unfruchtbarkeit ihres Bodens, an Steuern, Abgaben und Frohnen fast erlagen, noch so viele Lebenslust übrig ließ, um am Sonntage sich zu freuen und der Kümmernisse der Werktage zu vergessen! Es galt als ein Ehrenvorzug, bei solchen Tänzen den ersten Reigen zu eröffnen. Ein Mann des Vertrauens, welcher der Platzmeister hieß, war der Unterhaltung vorgesetzt. Seines Amtes war, die Spielleute zu bestellen, das Volk geziemend zum Tanze zu laden und über Ordnung und Anstand zu wachen. Ein großer Hut mit ungeheuern Flügeln und winzig kleinem Kopfe, reichlich bebändert und mit Troddeln geziert, war das Zeichen seiner Würde. „Diese Volksbelustigung, sagt unser Gewährsmann ferner, scheint sich bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts erhalten zu haben. Alte Männer einer jüngst vergangenen Zeit erinnerten sich noch der letzten Platzmeister. Mißbräuche und die Einwirkung geistlicher Behörden mögen zu ihrer Abstellung Grund und Veranlassung gegeben haben. Die Tanzstädel machten allmählich nützlicheren Gebäuden, Schulen und Wohnhäusern Platz und von der alten Sitte blieb endlich nichts mehr, als das Andenken und die Vorliebe für diese Unterhaltung übrig.“ Ein Nachklang der alten lärmenden Tanzlust hat sich noch bei den Hochzeiten erhalten. Verwandte und Nachbarn werden dazu in großer Anzahl geladen und es wäre sehr feindselig die Ladung auszuschlagen. Auch Seelsorger und Richter dürfen nicht fehlen, und an sie ergeht ein feierliches

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/472>, abgerufen am 23.11.2024.