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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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in dem Dorfe gewesen seyn und an manchen Tagen zogen über 3000 Gäste durch das enge Zimmer der Kranken; ja, wie wir schon gesagt, manche Gemeinden kamen in Processionen mit ihren Priestern mit Kreuz und Fahnen. Zu damaliger Zeit trat auch eine geistliche Untersuchung ihres Zustandes und ein strenges Verhör aller nahestehenden Personen ein. Der Fürstbischof Luschin von Trient, ein geistreicher und aufgeklärter Mann, war selbst gekommen, um diesen Augenschein einzunehmen. Er soll nach reiflicher Prüfung seine Meinung dahin abgegeben haben: Ihre Krankheit ist kein Wunder, aber ihre Frömmigkeit ist keine Krankheit.

Im folgenden Jahre erschienen auch jene Blutmale an den Händen, an den Füßen und an der Seite, welche man die Stigmata nennt; seit dieser Zeit aber dauert ihr Zustand, getheilt zwischen Ecstase und Wachen, ohne neue Phänomene fort.

Seit längern Jahren ist der freie Besuch nicht ohne Schmerz der Kälterer aufgehoben und der Zutritt findet nur mit großer Beschränkung statt. Nachdem die Erlaubniß erwirkt war, fand ich mich - im Mai 1844 - mit einem Bozner Freunde und einem Franciscaner-Pater vor den Pforten des Nonnenklosters, welches sich Fräulein Maria seit mehreren Jahren zum Aufenthalte ausersehen. Beim Eingange wurde uns bemerkt, daß der kleine Anbau, den wir betraten, von der Kranken auf eigene Kosten zu ihrer Wohnung aufgeführt worden sey. An der Pforte hatte sich auch eine reisende Französin zu uns gesellt, eine ältliche Dame, die so eben einschicht von Rom und Loreto kam, in einer Kreuzfahrt auf Mirakel begriffen, wie sie denn auch von Kaltern gleich wieder nach Capriana zog, um die dortige noch merkwürdigere Heilige zu besehen. Wir standen also an der Thüre, die in ein halbdunkles Zimmer führte, aus dem uns Pater Capistran, der Beichtvater, einzutreten winkte. Die Französin hatte als Dame den Vortritt, lehnte ihn aber ab, weil sie sich auf ihre Nerven nicht verlassen könne. Ging also unser einer zuerst hinein und fand sich in einem kleinen schlichten Gemach, in das durch zugezogene Jalousien nur dämmerndes

in dem Dorfe gewesen seyn und an manchen Tagen zogen über 3000 Gäste durch das enge Zimmer der Kranken; ja, wie wir schon gesagt, manche Gemeinden kamen in Processionen mit ihren Priestern mit Kreuz und Fahnen. Zu damaliger Zeit trat auch eine geistliche Untersuchung ihres Zustandes und ein strenges Verhör aller nahestehenden Personen ein. Der Fürstbischof Luschin von Trient, ein geistreicher und aufgeklärter Mann, war selbst gekommen, um diesen Augenschein einzunehmen. Er soll nach reiflicher Prüfung seine Meinung dahin abgegeben haben: Ihre Krankheit ist kein Wunder, aber ihre Frömmigkeit ist keine Krankheit.

Im folgenden Jahre erschienen auch jene Blutmale an den Händen, an den Füßen und an der Seite, welche man die Stigmata nennt; seit dieser Zeit aber dauert ihr Zustand, getheilt zwischen Ecstase und Wachen, ohne neue Phänomene fort.

Seit längern Jahren ist der freie Besuch nicht ohne Schmerz der Kälterer aufgehoben und der Zutritt findet nur mit großer Beschränkung statt. Nachdem die Erlaubniß erwirkt war, fand ich mich – im Mai 1844 – mit einem Bozner Freunde und einem Franciscaner-Pater vor den Pforten des Nonnenklosters, welches sich Fräulein Maria seit mehreren Jahren zum Aufenthalte ausersehen. Beim Eingange wurde uns bemerkt, daß der kleine Anbau, den wir betraten, von der Kranken auf eigene Kosten zu ihrer Wohnung aufgeführt worden sey. An der Pforte hatte sich auch eine reisende Französin zu uns gesellt, eine ältliche Dame, die so eben einschicht von Rom und Loreto kam, in einer Kreuzfahrt auf Mirakel begriffen, wie sie denn auch von Kaltern gleich wieder nach Capriana zog, um die dortige noch merkwürdigere Heilige zu besehen. Wir standen also an der Thüre, die in ein halbdunkles Zimmer führte, aus dem uns Pater Capistran, der Beichtvater, einzutreten winkte. Die Französin hatte als Dame den Vortritt, lehnte ihn aber ab, weil sie sich auf ihre Nerven nicht verlassen könne. Ging also unser einer zuerst hinein und fand sich in einem kleinen schlichten Gemach, in das durch zugezogene Jalousien nur dämmerndes

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[391/0395] in dem Dorfe gewesen seyn und an manchen Tagen zogen über 3000 Gäste durch das enge Zimmer der Kranken; ja, wie wir schon gesagt, manche Gemeinden kamen in Processionen mit ihren Priestern mit Kreuz und Fahnen. Zu damaliger Zeit trat auch eine geistliche Untersuchung ihres Zustandes und ein strenges Verhör aller nahestehenden Personen ein. Der Fürstbischof Luschin von Trient, ein geistreicher und aufgeklärter Mann, war selbst gekommen, um diesen Augenschein einzunehmen. Er soll nach reiflicher Prüfung seine Meinung dahin abgegeben haben: Ihre Krankheit ist kein Wunder, aber ihre Frömmigkeit ist keine Krankheit. Im folgenden Jahre erschienen auch jene Blutmale an den Händen, an den Füßen und an der Seite, welche man die Stigmata nennt; seit dieser Zeit aber dauert ihr Zustand, getheilt zwischen Ecstase und Wachen, ohne neue Phänomene fort. Seit längern Jahren ist der freie Besuch nicht ohne Schmerz der Kälterer aufgehoben und der Zutritt findet nur mit großer Beschränkung statt. Nachdem die Erlaubniß erwirkt war, fand ich mich – im Mai 1844 – mit einem Bozner Freunde und einem Franciscaner-Pater vor den Pforten des Nonnenklosters, welches sich Fräulein Maria seit mehreren Jahren zum Aufenthalte ausersehen. Beim Eingange wurde uns bemerkt, daß der kleine Anbau, den wir betraten, von der Kranken auf eigene Kosten zu ihrer Wohnung aufgeführt worden sey. An der Pforte hatte sich auch eine reisende Französin zu uns gesellt, eine ältliche Dame, die so eben einschicht von Rom und Loreto kam, in einer Kreuzfahrt auf Mirakel begriffen, wie sie denn auch von Kaltern gleich wieder nach Capriana zog, um die dortige noch merkwürdigere Heilige zu besehen. Wir standen also an der Thüre, die in ein halbdunkles Zimmer führte, aus dem uns Pater Capistran, der Beichtvater, einzutreten winkte. Die Französin hatte als Dame den Vortritt, lehnte ihn aber ab, weil sie sich auf ihre Nerven nicht verlassen könne. Ging also unser einer zuerst hinein und fand sich in einem kleinen schlichten Gemach, in das durch zugezogene Jalousien nur dämmerndes

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/395>, abgerufen am 23.11.2024.