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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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sie neunmal als Wiese und neunmal als Wald gesehen. Eine alte Nennung des Norken findet sich in Hans Vintlers, des Tirolers, Blume der Tugend, gedichtet im Jahre 1411. *) Auch selige Fräulein ließen sich früher sehen, ja eines und zwar ein recht schönes und freundliches sahen die Schulkinder noch vor wenigen Jahren in den Weingärten unterhalb der Burg Rubein. In Ulten hatte ein solches einen Bauern geheirathet und ihm dreizehn Kinder geboren, verschwand aber mit diesen als ihr Ehewirth das Geheimniß auf dem Kirchweg einem Nachbarn anvertraut. In den Bergforsten gibt es übrigens wilde Männer, die den seligen Fräulein nachstellen. Diesen zu gefallen hauen die Holzarbeiter in jeden Baumstamm der beim Holzfällen stehen bleibt, drei Kreuze; denn wenn die verfolgten Fräulein auf einen solchen Stock springen, so können ihnen die wilden Männer nichts mehr anhaben.

Weniger zu rühmen als Gestalt, Kleidung, Art und Wesen der Meraner Landleute sind ihre Wohnungen, welche zumeist von außen ein verfallenes, von innen ein schlecht gesäubertes schmutziges Ansehen haben. Die vorarlbergischen Bauernhäuser, die hölzernen Villen im Bregenzerwald, die sich mit ihren hellen Fenstern, den schöngebohnten Wänden und den reinlichen Böden so angenehm darstellen, sie sind hier nicht mehr zu finden, dagegen zerbrochene Scheiben, bröckelnde Mauern, zerrissenes Holzwerk an allen Enden und Orten. In der Sorge für häuslichen Anstand und wohnlichen Comfort steht der Bojoare überhaupt hinter dem Alemanen zurück; dazu mag im Etschlande noch die Milde des Klima's, das Beispiel der wälschen Nachbarn und vielleicht mehr noch als beides ein dritter Umstand nachtheilig auf die Sauberkeit der Wohnungen einwirken. Der hierländische Bauer lebt nämlich, sey's als Baumann, Pächter oder Eigenthümer, fast der Mehrzahl nach in Wohnungen, die nicht für ihn erbaut sind und diese, wie sie oft an Räumlichkeit weit über sein Bedürfniß steigen, würden

*) So sagt manger er hab den orken gar eben gesehen. Grimms deutsche Mythologie, 1 ste Ausgabe. Im Anhang I.III.

sie neunmal als Wiese und neunmal als Wald gesehen. Eine alte Nennung des Norken findet sich in Hans Vintlers, des Tirolers, Blume der Tugend, gedichtet im Jahre 1411. *) Auch selige Fräulein ließen sich früher sehen, ja eines und zwar ein recht schönes und freundliches sahen die Schulkinder noch vor wenigen Jahren in den Weingärten unterhalb der Burg Rubein. In Ulten hatte ein solches einen Bauern geheirathet und ihm dreizehn Kinder geboren, verschwand aber mit diesen als ihr Ehewirth das Geheimniß auf dem Kirchweg einem Nachbarn anvertraut. In den Bergforsten gibt es übrigens wilde Männer, die den seligen Fräulein nachstellen. Diesen zu gefallen hauen die Holzarbeiter in jeden Baumstamm der beim Holzfällen stehen bleibt, drei Kreuze; denn wenn die verfolgten Fräulein auf einen solchen Stock springen, so können ihnen die wilden Männer nichts mehr anhaben.

Weniger zu rühmen als Gestalt, Kleidung, Art und Wesen der Meraner Landleute sind ihre Wohnungen, welche zumeist von außen ein verfallenes, von innen ein schlecht gesäubertes schmutziges Ansehen haben. Die vorarlbergischen Bauernhäuser, die hölzernen Villen im Bregenzerwald, die sich mit ihren hellen Fenstern, den schöngebohnten Wänden und den reinlichen Böden so angenehm darstellen, sie sind hier nicht mehr zu finden, dagegen zerbrochene Scheiben, bröckelnde Mauern, zerrissenes Holzwerk an allen Enden und Orten. In der Sorge für häuslichen Anstand und wohnlichen Comfort steht der Bojoare überhaupt hinter dem Alemanen zurück; dazu mag im Etschlande noch die Milde des Klima’s, das Beispiel der wälschen Nachbarn und vielleicht mehr noch als beides ein dritter Umstand nachtheilig auf die Sauberkeit der Wohnungen einwirken. Der hierländische Bauer lebt nämlich, sey’s als Baumann, Pächter oder Eigenthümer, fast der Mehrzahl nach in Wohnungen, die nicht für ihn erbaut sind und diese, wie sie oft an Räumlichkeit weit über sein Bedürfniß steigen, würden

*) So sagt manger er hab den orken gar eben gesehen. Grimms deutsche Mythologie, 1 ste Ausgabe. Im Anhang I.III.
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[319/0323] sie neunmal als Wiese und neunmal als Wald gesehen. Eine alte Nennung des Norken findet sich in Hans Vintlers, des Tirolers, Blume der Tugend, gedichtet im Jahre 1411. *) Auch selige Fräulein ließen sich früher sehen, ja eines und zwar ein recht schönes und freundliches sahen die Schulkinder noch vor wenigen Jahren in den Weingärten unterhalb der Burg Rubein. In Ulten hatte ein solches einen Bauern geheirathet und ihm dreizehn Kinder geboren, verschwand aber mit diesen als ihr Ehewirth das Geheimniß auf dem Kirchweg einem Nachbarn anvertraut. In den Bergforsten gibt es übrigens wilde Männer, die den seligen Fräulein nachstellen. Diesen zu gefallen hauen die Holzarbeiter in jeden Baumstamm der beim Holzfällen stehen bleibt, drei Kreuze; denn wenn die verfolgten Fräulein auf einen solchen Stock springen, so können ihnen die wilden Männer nichts mehr anhaben. Weniger zu rühmen als Gestalt, Kleidung, Art und Wesen der Meraner Landleute sind ihre Wohnungen, welche zumeist von außen ein verfallenes, von innen ein schlecht gesäubertes schmutziges Ansehen haben. Die vorarlbergischen Bauernhäuser, die hölzernen Villen im Bregenzerwald, die sich mit ihren hellen Fenstern, den schöngebohnten Wänden und den reinlichen Böden so angenehm darstellen, sie sind hier nicht mehr zu finden, dagegen zerbrochene Scheiben, bröckelnde Mauern, zerrissenes Holzwerk an allen Enden und Orten. In der Sorge für häuslichen Anstand und wohnlichen Comfort steht der Bojoare überhaupt hinter dem Alemanen zurück; dazu mag im Etschlande noch die Milde des Klima’s, das Beispiel der wälschen Nachbarn und vielleicht mehr noch als beides ein dritter Umstand nachtheilig auf die Sauberkeit der Wohnungen einwirken. Der hierländische Bauer lebt nämlich, sey’s als Baumann, Pächter oder Eigenthümer, fast der Mehrzahl nach in Wohnungen, die nicht für ihn erbaut sind und diese, wie sie oft an Räumlichkeit weit über sein Bedürfniß steigen, würden *) So sagt manger er hab den orken gar eben gesehen. Grimms deutsche Mythologie, 1 ste Ausgabe. Im Anhang I.III.

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/323>, abgerufen am 23.11.2024.