Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.Die Holzgauer gelten für noch wohlhabender als die Elbigenalper. Vor fünf Jahren starb der reichste von ihnen, Georg Huber, dessen Vermögen mir zwar nicht genau geschätzt werden konnte, das aber nach einstimmiger Aussage mehrerer Wirthshausgäste so groß war, daß jetzt kein ähnliches mehr unter einem Haupte beisammen. Aus dem Fenster zeigte man ein schönes, etwas angewittertes Haus, das der Jungfrau Elisabeth Maldoner gehört, welche jetzt als die vermöglichste Person in Holzgau angesehen wird und mehrere hunderttausend Gulden besitzen soll. Von Holzgau bis Steg, dem letzten Dorfe in der Ebene des Lechthales, führt der Weg durch schroffe Wände hin, die das brauchbare Erdreich sehr beengen. Schön ist der Fall des tosenden Schreiterbaches, der an einer zur Linken gelegenen steilen Halde herunterstürzt. Zu Steg nahm ich damals von Elbigenalp kommend meine Nachtherberge in einem sehr guten Wirthshause. Man tischte mir Forellen auf, vortreffliche Forellen aus dem Lech, der vor den Fenstern brauste. Diese zarten Fischchen finden sich fast in allen tirolischen Alpenbächen, die besten aber sollen in der Talfer gefangen werden, die das Sarnthal bei Bozen durchströmt. Sie sind eine höchst dankenswerthe Gottesgabe in den unbesuchten Bergthälern, denn wenn aller Fleischvorrath aufgegangen oder wegen Mangel an Abnahme verdorben ist, so findet der müde Wanderer in der schlichtesten Herberge noch frische wohlschmeckende Forellen und genießt dabei obendrein den Vortheil, sie nicht als Leckerbissen, sondern nur als Hausmannskost bezahlen zu müssen. Von den Lechthalern im Allgemeinen zu sprechen, so sind dieselben schwäbischer Abkunft und reden daher auch einen schwabischen Dialekt, der indessen dem bayerischen schon viel näher liegt als der allgäuische. Im Vergleich zu dem schwäbischen am Lechrain und bei Kempten klingt er ziemlich rauh und hart. Es fehlt ihm nicht an Eigenthümlichkeiten, sowohl grammatikalischen als lexikalischen. Für Vater und Mutter z. B. wird wie im Bregenzerwalde Atte und Omme gebraucht, und für gegangen, geschossen, gesessen sagt man mit unerlaubter Analogie: Die Holzgauer gelten für noch wohlhabender als die Elbigenalper. Vor fünf Jahren starb der reichste von ihnen, Georg Huber, dessen Vermögen mir zwar nicht genau geschätzt werden konnte, das aber nach einstimmiger Aussage mehrerer Wirthshausgäste so groß war, daß jetzt kein ähnliches mehr unter einem Haupte beisammen. Aus dem Fenster zeigte man ein schönes, etwas angewittertes Haus, das der Jungfrau Elisabeth Maldoner gehört, welche jetzt als die vermöglichste Person in Holzgau angesehen wird und mehrere hunderttausend Gulden besitzen soll. Von Holzgau bis Steg, dem letzten Dorfe in der Ebene des Lechthales, führt der Weg durch schroffe Wände hin, die das brauchbare Erdreich sehr beengen. Schön ist der Fall des tosenden Schreiterbaches, der an einer zur Linken gelegenen steilen Halde herunterstürzt. Zu Steg nahm ich damals von Elbigenalp kommend meine Nachtherberge in einem sehr guten Wirthshause. Man tischte mir Forellen auf, vortreffliche Forellen aus dem Lech, der vor den Fenstern brauste. Diese zarten Fischchen finden sich fast in allen tirolischen Alpenbächen, die besten aber sollen in der Talfer gefangen werden, die das Sarnthal bei Bozen durchströmt. Sie sind eine höchst dankenswerthe Gottesgabe in den unbesuchten Bergthälern, denn wenn aller Fleischvorrath aufgegangen oder wegen Mangel an Abnahme verdorben ist, so findet der müde Wanderer in der schlichtesten Herberge noch frische wohlschmeckende Forellen und genießt dabei obendrein den Vortheil, sie nicht als Leckerbissen, sondern nur als Hausmannskost bezahlen zu müssen. Von den Lechthalern im Allgemeinen zu sprechen, so sind dieselben schwäbischer Abkunft und reden daher auch einen schwabischen Dialekt, der indessen dem bayerischen schon viel näher liegt als der allgäuische. Im Vergleich zu dem schwäbischen am Lechrain und bei Kempten klingt er ziemlich rauh und hart. Es fehlt ihm nicht an Eigenthümlichkeiten, sowohl grammatikalischen als lexikalischen. Für Vater und Mutter z. B. wird wie im Bregenzerwalde Atte und Omme gebraucht, und für gegangen, geschossen, gesessen sagt man mit unerlaubter Analogie: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0031" n="26"/> <p>Die Holzgauer gelten für noch wohlhabender als die Elbigenalper. Vor fünf Jahren starb der reichste von ihnen, Georg Huber, dessen Vermögen mir zwar nicht genau geschätzt werden konnte, das aber nach einstimmiger Aussage mehrerer Wirthshausgäste so groß war, daß jetzt kein ähnliches mehr unter einem Haupte beisammen. Aus dem Fenster zeigte man ein schönes, etwas angewittertes Haus, das der Jungfrau Elisabeth Maldoner gehört, welche jetzt als die vermöglichste Person in Holzgau angesehen wird und mehrere hunderttausend Gulden besitzen soll.</p> <p>Von Holzgau bis Steg, dem letzten Dorfe in der Ebene des Lechthales, führt der Weg durch schroffe Wände hin, die das brauchbare Erdreich sehr beengen. Schön ist der Fall des tosenden Schreiterbaches, der an einer zur Linken gelegenen steilen Halde herunterstürzt.</p> <p>Zu Steg nahm ich damals von Elbigenalp kommend meine Nachtherberge in einem sehr guten Wirthshause. Man tischte mir Forellen auf, vortreffliche Forellen aus dem Lech, der vor den Fenstern brauste. Diese zarten Fischchen finden sich fast in allen tirolischen Alpenbächen, die besten aber sollen in der Talfer gefangen werden, die das Sarnthal bei Bozen durchströmt. Sie sind eine höchst dankenswerthe Gottesgabe in den unbesuchten Bergthälern, denn wenn aller Fleischvorrath aufgegangen oder wegen Mangel an Abnahme verdorben ist, so findet der müde Wanderer in der schlichtesten Herberge noch frische wohlschmeckende Forellen und genießt dabei obendrein den Vortheil, sie nicht als Leckerbissen, sondern nur als Hausmannskost bezahlen zu müssen.</p> <p>Von den Lechthalern im Allgemeinen zu sprechen, so sind dieselben schwäbischer Abkunft und reden daher auch einen schwabischen Dialekt, der indessen dem bayerischen schon viel näher liegt als der allgäuische. Im Vergleich zu dem schwäbischen am Lechrain und bei Kempten klingt er ziemlich rauh und hart. Es fehlt ihm nicht an Eigenthümlichkeiten, sowohl grammatikalischen als lexikalischen. Für Vater und Mutter z. B. wird wie im Bregenzerwalde Atte und Omme gebraucht, und für gegangen, geschossen, gesessen sagt man mit unerlaubter Analogie: </p> </div> </body> </text> </TEI> [26/0031]
Die Holzgauer gelten für noch wohlhabender als die Elbigenalper. Vor fünf Jahren starb der reichste von ihnen, Georg Huber, dessen Vermögen mir zwar nicht genau geschätzt werden konnte, das aber nach einstimmiger Aussage mehrerer Wirthshausgäste so groß war, daß jetzt kein ähnliches mehr unter einem Haupte beisammen. Aus dem Fenster zeigte man ein schönes, etwas angewittertes Haus, das der Jungfrau Elisabeth Maldoner gehört, welche jetzt als die vermöglichste Person in Holzgau angesehen wird und mehrere hunderttausend Gulden besitzen soll.
Von Holzgau bis Steg, dem letzten Dorfe in der Ebene des Lechthales, führt der Weg durch schroffe Wände hin, die das brauchbare Erdreich sehr beengen. Schön ist der Fall des tosenden Schreiterbaches, der an einer zur Linken gelegenen steilen Halde herunterstürzt.
Zu Steg nahm ich damals von Elbigenalp kommend meine Nachtherberge in einem sehr guten Wirthshause. Man tischte mir Forellen auf, vortreffliche Forellen aus dem Lech, der vor den Fenstern brauste. Diese zarten Fischchen finden sich fast in allen tirolischen Alpenbächen, die besten aber sollen in der Talfer gefangen werden, die das Sarnthal bei Bozen durchströmt. Sie sind eine höchst dankenswerthe Gottesgabe in den unbesuchten Bergthälern, denn wenn aller Fleischvorrath aufgegangen oder wegen Mangel an Abnahme verdorben ist, so findet der müde Wanderer in der schlichtesten Herberge noch frische wohlschmeckende Forellen und genießt dabei obendrein den Vortheil, sie nicht als Leckerbissen, sondern nur als Hausmannskost bezahlen zu müssen.
Von den Lechthalern im Allgemeinen zu sprechen, so sind dieselben schwäbischer Abkunft und reden daher auch einen schwabischen Dialekt, der indessen dem bayerischen schon viel näher liegt als der allgäuische. Im Vergleich zu dem schwäbischen am Lechrain und bei Kempten klingt er ziemlich rauh und hart. Es fehlt ihm nicht an Eigenthümlichkeiten, sowohl grammatikalischen als lexikalischen. Für Vater und Mutter z. B. wird wie im Bregenzerwalde Atte und Omme gebraucht, und für gegangen, geschossen, gesessen sagt man mit unerlaubter Analogie:
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