Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.sich während unsers Aufsteigens mehr und mehr gesammelt hatten und eine Zeit lang schwer und ruhig auf die Gletscher drückten, hoben jetzt, da etwas Wind hineinzublasen begann, ein lustiges Gejaid an, zogen abwärts, zogen aufwärts, huschten wie Phantome an den Fernern hin, schlangen wilde Reigen, drehten sich wirbelnd durcheinander, und zuweilen entstanden weite Risse, durch welche die Sonnenstrahlen verklärend brachen. Einem solchen Augenblick verdankten wir einmal eine prächtige Aussicht links hinein in einen langen, langen Corridor von weißleuchtenden Fernern, Schalf, Muttmal und Fanat, zwischen denen eine breite silberne Straße glänzend dahinzog, wie eine Avenue zum Palaste des Alpenkönigs oder zu einem Bergschloß der saligen Fräulein. Von jetzt an wurden wir allmählich des großen Schneefeldes gewahr, das den Niederjochferner deckt. Nachdem wir noch ein paarmale aushülfsweise den Gletscher betreten hatten, weil der Weg zur Seite ungangbar geworden, nachdem wir auch aus derselben Ursache ein paar kleine Schneefelder durchwatet hatten, fanden wir uns auf der Stelle wo der Pfad an den Schrofen hin ganz aufhört und der Gang über den Gletscher eigentlich seinen Anfang nimmt. Hier war zwischen die Steine ein hölzernes Windfähnchen eingeklemmt. Jetzt geht's über den Ferner, sagte Nicodemus mit einem feierlichen Ernste, gleichsam als wollte er in seinen Anbefohlenen die Betrachtung erwecken daß sie an einem großen Wagnisse stehen. Die Luft war feucht, aber nicht kalt. Ermüdung oder anderes Ungemach spürten wir nicht. Wir ließen in der kleinen Runde noch einmal die Flasche mit dem Vintschger kreisen, und traten dann den Weg an. Nicodemus hatte zwar Stricke mitgenommen, um uns alle drei nach Vorschrift der Sachverständigen an einander zu binden, aber nach einiger Besprechung hielten wir's doch nicht vonnöthen, auch nicht als uns der Bauer von Rofen erzählt hatte, wie kurz vorher ein ungebundener reisender Herr in den Gletscher gesunken und wie er dann, nach mühsamer Rettung von ungeheurem Ekel an dem ganzen Wesen erfaßt, Hut und Stock von sich geworfen und in Einem Rennen, als wären ihm alle Ferner des sich während unsers Aufsteigens mehr und mehr gesammelt hatten und eine Zeit lang schwer und ruhig auf die Gletscher drückten, hoben jetzt, da etwas Wind hineinzublasen begann, ein lustiges Gejaid an, zogen abwärts, zogen aufwärts, huschten wie Phantome an den Fernern hin, schlangen wilde Reigen, drehten sich wirbelnd durcheinander, und zuweilen entstanden weite Risse, durch welche die Sonnenstrahlen verklärend brachen. Einem solchen Augenblick verdankten wir einmal eine prächtige Aussicht links hinein in einen langen, langen Corridor von weißleuchtenden Fernern, Schalf, Muttmal und Fanat, zwischen denen eine breite silberne Straße glänzend dahinzog, wie eine Avenue zum Palaste des Alpenkönigs oder zu einem Bergschloß der saligen Fräulein. Von jetzt an wurden wir allmählich des großen Schneefeldes gewahr, das den Niederjochferner deckt. Nachdem wir noch ein paarmale aushülfsweise den Gletscher betreten hatten, weil der Weg zur Seite ungangbar geworden, nachdem wir auch aus derselben Ursache ein paar kleine Schneefelder durchwatet hatten, fanden wir uns auf der Stelle wo der Pfad an den Schrofen hin ganz aufhört und der Gang über den Gletscher eigentlich seinen Anfang nimmt. Hier war zwischen die Steine ein hölzernes Windfähnchen eingeklemmt. Jetzt geht’s über den Ferner, sagte Nicodemus mit einem feierlichen Ernste, gleichsam als wollte er in seinen Anbefohlenen die Betrachtung erwecken daß sie an einem großen Wagnisse stehen. Die Luft war feucht, aber nicht kalt. Ermüdung oder anderes Ungemach spürten wir nicht. Wir ließen in der kleinen Runde noch einmal die Flasche mit dem Vintschger kreisen, und traten dann den Weg an. Nicodemus hatte zwar Stricke mitgenommen, um uns alle drei nach Vorschrift der Sachverständigen an einander zu binden, aber nach einiger Besprechung hielten wir’s doch nicht vonnöthen, auch nicht als uns der Bauer von Rofen erzählt hatte, wie kurz vorher ein ungebundener reisender Herr in den Gletscher gesunken und wie er dann, nach mühsamer Rettung von ungeheurem Ekel an dem ganzen Wesen erfaßt, Hut und Stock von sich geworfen und in Einem Rennen, als wären ihm alle Ferner des <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0243" n="239"/> sich während unsers Aufsteigens mehr und mehr gesammelt hatten und eine Zeit lang schwer und ruhig auf die Gletscher drückten, hoben jetzt, da etwas Wind hineinzublasen begann, ein lustiges Gejaid an, zogen abwärts, zogen aufwärts, huschten wie Phantome an den Fernern hin, schlangen wilde Reigen, drehten sich wirbelnd durcheinander, und zuweilen entstanden weite Risse, durch welche die Sonnenstrahlen verklärend brachen. Einem solchen Augenblick verdankten wir einmal eine prächtige Aussicht links hinein in einen langen, langen Corridor von weißleuchtenden Fernern, Schalf, Muttmal und Fanat, zwischen denen eine breite silberne Straße glänzend dahinzog, wie eine Avenue zum Palaste des Alpenkönigs oder zu einem Bergschloß der saligen Fräulein.</p> <p>Von jetzt an wurden wir allmählich des großen Schneefeldes gewahr, das den Niederjochferner deckt. Nachdem wir noch ein paarmale aushülfsweise den Gletscher betreten hatten, weil der Weg zur Seite ungangbar geworden, nachdem wir auch aus derselben Ursache ein paar kleine Schneefelder durchwatet hatten, fanden wir uns auf der Stelle wo der Pfad an den Schrofen hin ganz aufhört und der Gang über den Gletscher eigentlich seinen Anfang nimmt. Hier war zwischen die Steine ein hölzernes Windfähnchen eingeklemmt.</p> <p>Jetzt geht’s über den Ferner, sagte Nicodemus mit einem feierlichen Ernste, gleichsam als wollte er in seinen Anbefohlenen die Betrachtung erwecken daß sie an einem großen Wagnisse stehen. Die Luft war feucht, aber nicht kalt. Ermüdung oder anderes Ungemach spürten wir nicht. Wir ließen in der kleinen Runde noch einmal die Flasche mit dem Vintschger kreisen, und traten dann den Weg an. Nicodemus hatte zwar Stricke mitgenommen, um uns alle drei nach Vorschrift der Sachverständigen an einander zu binden, aber nach einiger Besprechung hielten wir’s doch nicht vonnöthen, auch nicht als uns der Bauer von Rofen erzählt hatte, wie kurz vorher ein ungebundener reisender Herr in den Gletscher gesunken und wie er dann, nach mühsamer Rettung von ungeheurem Ekel an dem ganzen Wesen erfaßt, Hut und Stock von sich geworfen und in Einem Rennen, als wären ihm alle Ferner des </p> </div> </body> </text> </TEI> [239/0243]
sich während unsers Aufsteigens mehr und mehr gesammelt hatten und eine Zeit lang schwer und ruhig auf die Gletscher drückten, hoben jetzt, da etwas Wind hineinzublasen begann, ein lustiges Gejaid an, zogen abwärts, zogen aufwärts, huschten wie Phantome an den Fernern hin, schlangen wilde Reigen, drehten sich wirbelnd durcheinander, und zuweilen entstanden weite Risse, durch welche die Sonnenstrahlen verklärend brachen. Einem solchen Augenblick verdankten wir einmal eine prächtige Aussicht links hinein in einen langen, langen Corridor von weißleuchtenden Fernern, Schalf, Muttmal und Fanat, zwischen denen eine breite silberne Straße glänzend dahinzog, wie eine Avenue zum Palaste des Alpenkönigs oder zu einem Bergschloß der saligen Fräulein.
Von jetzt an wurden wir allmählich des großen Schneefeldes gewahr, das den Niederjochferner deckt. Nachdem wir noch ein paarmale aushülfsweise den Gletscher betreten hatten, weil der Weg zur Seite ungangbar geworden, nachdem wir auch aus derselben Ursache ein paar kleine Schneefelder durchwatet hatten, fanden wir uns auf der Stelle wo der Pfad an den Schrofen hin ganz aufhört und der Gang über den Gletscher eigentlich seinen Anfang nimmt. Hier war zwischen die Steine ein hölzernes Windfähnchen eingeklemmt.
Jetzt geht’s über den Ferner, sagte Nicodemus mit einem feierlichen Ernste, gleichsam als wollte er in seinen Anbefohlenen die Betrachtung erwecken daß sie an einem großen Wagnisse stehen. Die Luft war feucht, aber nicht kalt. Ermüdung oder anderes Ungemach spürten wir nicht. Wir ließen in der kleinen Runde noch einmal die Flasche mit dem Vintschger kreisen, und traten dann den Weg an. Nicodemus hatte zwar Stricke mitgenommen, um uns alle drei nach Vorschrift der Sachverständigen an einander zu binden, aber nach einiger Besprechung hielten wir’s doch nicht vonnöthen, auch nicht als uns der Bauer von Rofen erzählt hatte, wie kurz vorher ein ungebundener reisender Herr in den Gletscher gesunken und wie er dann, nach mühsamer Rettung von ungeheurem Ekel an dem ganzen Wesen erfaßt, Hut und Stock von sich geworfen und in Einem Rennen, als wären ihm alle Ferner des
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-11-05T13:27:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-11-05T13:27:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-11-05T13:27:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |