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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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In Zwieselstein gehen drei Wege auseinander. Einer von diesen Steigen führt der Oetz, oder wie sie von jetzt an heißt dem Venderbache, entlang in den hintersten Ort des Thales, nach Vend. Links von diesem geht einem andern Bache nach ein anderer Weg ins Gurgelnthal. Dieser wird in neuern Zeiten von kecken Reisenden viel begangen. Wenn den Beschreibungen zu trauen, so ist schon der Pfad bis zu dem Gurgler Dörfchen einer von den schauerlichsten, und jenseits des anmuthigen Grundes von Gurgeln geht's dann über den großen Oetzthaler Ferner ins Pfosenthal hinab, das ins Schnalserthal mündet. Der Gang über den Gletscher beträgt da ein paar Stunden und gewährt die interessantesten Schrecknisse. Noch weiter zur Linken zieht ein Bergsteig auf den Timbels, von welchem man ins Passeyer hinuntersteigt, von allen dreien der betretenste, als der kürzeste Weg aus dem Oetzthale nach Meran, der auch während des Sommers fast immer "aber" d. h. frei ist von Schnee und Eis. Ein guter Fußgänger kann von Zwieselstein in einem Tage nach Meran gelangen. Die Oetzthaler machen übrigens in derselben Zeit auch den Weg von Lengenfeld aus.

Wir wählten uns den Weg nach Vend, der alsbald über einen Steg in die Schlucht hineinführt, aus welcher der Oetzbach hervorstürmt. Der Pfad ist schmal und unbequem und macht auf etwas Klettern und Springen Anspruch. Eine schöne Bergpyramide, die im Hintergrunde des Thales aufsteigt, bleibt immer als Wegweiser vor Augen und soll deßwegen Thalleite heißen. Nichtsdestoweniger geriethen wir einmal in schwere Zweifel ob wir nicht den Weg verfehlt hätten; denn als wir einige Zeit durch thauigen Wald gegangen waren und endlich wieder im Freien das enge Thal betrachteten, den Bach, der zwar noch sehr jung, doch schon mächtig schrie, und die langen Berghänge die oben in Schneefeldern und Fernern ausgingen, als wir dieß so betrachteten und mit den Augen in der Höhe allerlei Schönheiten zusammensuchten, gewahrten wir auch plötzlich hoch über unsern Häuptern auf senkrecht abgeschnittenem Felsenrand eine Capelle und etliche Häuser. Auf den hellgrünen Wiesensaum, der in Adlershöhe über dem Abgrund schwebte,

In Zwieselstein gehen drei Wege auseinander. Einer von diesen Steigen führt der Oetz, oder wie sie von jetzt an heißt dem Venderbache, entlang in den hintersten Ort des Thales, nach Vend. Links von diesem geht einem andern Bache nach ein anderer Weg ins Gurgelnthal. Dieser wird in neuern Zeiten von kecken Reisenden viel begangen. Wenn den Beschreibungen zu trauen, so ist schon der Pfad bis zu dem Gurgler Dörfchen einer von den schauerlichsten, und jenseits des anmuthigen Grundes von Gurgeln geht’s dann über den großen Oetzthaler Ferner ins Pfosenthal hinab, das ins Schnalserthal mündet. Der Gang über den Gletscher beträgt da ein paar Stunden und gewährt die interessantesten Schrecknisse. Noch weiter zur Linken zieht ein Bergsteig auf den Timbels, von welchem man ins Passeyer hinuntersteigt, von allen dreien der betretenste, als der kürzeste Weg aus dem Oetzthale nach Meran, der auch während des Sommers fast immer „aber“ d. h. frei ist von Schnee und Eis. Ein guter Fußgänger kann von Zwieselstein in einem Tage nach Meran gelangen. Die Oetzthaler machen übrigens in derselben Zeit auch den Weg von Lengenfeld aus.

Wir wählten uns den Weg nach Vend, der alsbald über einen Steg in die Schlucht hineinführt, aus welcher der Oetzbach hervorstürmt. Der Pfad ist schmal und unbequem und macht auf etwas Klettern und Springen Anspruch. Eine schöne Bergpyramide, die im Hintergrunde des Thales aufsteigt, bleibt immer als Wegweiser vor Augen und soll deßwegen Thalleite heißen. Nichtsdestoweniger geriethen wir einmal in schwere Zweifel ob wir nicht den Weg verfehlt hätten; denn als wir einige Zeit durch thauigen Wald gegangen waren und endlich wieder im Freien das enge Thal betrachteten, den Bach, der zwar noch sehr jung, doch schon mächtig schrie, und die langen Berghänge die oben in Schneefeldern und Fernern ausgingen, als wir dieß so betrachteten und mit den Augen in der Höhe allerlei Schönheiten zusammensuchten, gewahrten wir auch plötzlich hoch über unsern Häuptern auf senkrecht abgeschnittenem Felsenrand eine Capelle und etliche Häuser. Auf den hellgrünen Wiesensaum, der in Adlershöhe über dem Abgrund schwebte,

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[223/0227] In Zwieselstein gehen drei Wege auseinander. Einer von diesen Steigen führt der Oetz, oder wie sie von jetzt an heißt dem Venderbache, entlang in den hintersten Ort des Thales, nach Vend. Links von diesem geht einem andern Bache nach ein anderer Weg ins Gurgelnthal. Dieser wird in neuern Zeiten von kecken Reisenden viel begangen. Wenn den Beschreibungen zu trauen, so ist schon der Pfad bis zu dem Gurgler Dörfchen einer von den schauerlichsten, und jenseits des anmuthigen Grundes von Gurgeln geht’s dann über den großen Oetzthaler Ferner ins Pfosenthal hinab, das ins Schnalserthal mündet. Der Gang über den Gletscher beträgt da ein paar Stunden und gewährt die interessantesten Schrecknisse. Noch weiter zur Linken zieht ein Bergsteig auf den Timbels, von welchem man ins Passeyer hinuntersteigt, von allen dreien der betretenste, als der kürzeste Weg aus dem Oetzthale nach Meran, der auch während des Sommers fast immer „aber“ d. h. frei ist von Schnee und Eis. Ein guter Fußgänger kann von Zwieselstein in einem Tage nach Meran gelangen. Die Oetzthaler machen übrigens in derselben Zeit auch den Weg von Lengenfeld aus. Wir wählten uns den Weg nach Vend, der alsbald über einen Steg in die Schlucht hineinführt, aus welcher der Oetzbach hervorstürmt. Der Pfad ist schmal und unbequem und macht auf etwas Klettern und Springen Anspruch. Eine schöne Bergpyramide, die im Hintergrunde des Thales aufsteigt, bleibt immer als Wegweiser vor Augen und soll deßwegen Thalleite heißen. Nichtsdestoweniger geriethen wir einmal in schwere Zweifel ob wir nicht den Weg verfehlt hätten; denn als wir einige Zeit durch thauigen Wald gegangen waren und endlich wieder im Freien das enge Thal betrachteten, den Bach, der zwar noch sehr jung, doch schon mächtig schrie, und die langen Berghänge die oben in Schneefeldern und Fernern ausgingen, als wir dieß so betrachteten und mit den Augen in der Höhe allerlei Schönheiten zusammensuchten, gewahrten wir auch plötzlich hoch über unsern Häuptern auf senkrecht abgeschnittenem Felsenrand eine Capelle und etliche Häuser. Auf den hellgrünen Wiesensaum, der in Adlershöhe über dem Abgrund schwebte,

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/227>, abgerufen am 23.11.2024.