Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.nämlich diese Inschrift nach der damals gebräuchlichen Art boustrophedon geschrieben sey. Ferner waren auf dem Steine ein Anker, mehrere Pfeile, eine Geißel und Lilien eingehauen. Don Francesco erhielt nach manchen Schwierigkeiten die sehnlichst gewünschten Gebeine und begab sich damit nach Neapel. Dort wurde das Gerippe mit einer aus gepreßtem Papier gebildeten weiblichen Gestalt überkleidet und letztere wieder in ein weißes jungfräuliches Gewand gelegt und ein purpurner Mantel unterbreitet. Jener sinnenfreundliche Gebrauch Italiens, die modernden Reste Dahingegangener in die blühende Form leiblicher Jugend zu hüllen, scheint uns der ernsten deutschen Art, welche die nackten Knochen zur Verehrung ausstellt, bei weitem vorzuziehen und erhielt auch unverzüglich Filumenens volle Billigung. Sie bediente sich nämlich gleich von Anfang an des Lärvchens, das sie ihr zu Neapel umgelegt, als ihres eigenen Gesichts, indem sie mit lieblichem Fürwitz die Augen aufschlug, bald das eine, bald das andere, bald alle beide, bald erröthete, bald lächelte oder die Stirne in düstre Falten zog. Sofort wurde die Heilige mit großer Feierlichkeit nach Mugnano gebracht und am 10 August 1805 daselbst unter Glas und Rahmen aufgestellt. Alsbald ereigneten sich auch viele Wunder und der Ruhm der "neuen Heiligen" - unter dieser Bezeichnung gilt sie auch jetzt noch - verbreitete sich über weite Nachbarschaft. Noch geraume Zeit wußte man indessen zum allgemeinen Bedauerniß nichts von ihr, als ihren durch den gelehrten Partenius festgestellten Namen, bis sie endlich selbst der frommen Wißbegierde entgegenkam. Sie eröffnete während des Jahres 1832 in erwünschter Ausführlichkeit einer frommen Nonne zu Neapel das Wissenswürdigste aus ihrem irdischen Leben. Nach dieser Offenbarung ist ihr Name Fi-lumina, was auf lateinisch Tochter des Lichts bedeute - weßwegen es ganz irrig wäre mit griechischer Sinneinlegung Philumena zu schreiben - und sie war die Tochter eines Königs in Griechenland, der sich einst, weil ihn der römische Kaiser Diocletian mit Krieg bedrohte, nach Rom begeben hat, um den übermächtigen Gegner zu versöhnen. Diocletian versprach Frieden zu halten, wenn ihm der König nämlich diese Inschrift nach der damals gebräuchlichen Art βουστροφηδόν geschrieben sey. Ferner waren auf dem Steine ein Anker, mehrere Pfeile, eine Geißel und Lilien eingehauen. Don Francesco erhielt nach manchen Schwierigkeiten die sehnlichst gewünschten Gebeine und begab sich damit nach Neapel. Dort wurde das Gerippe mit einer aus gepreßtem Papier gebildeten weiblichen Gestalt überkleidet und letztere wieder in ein weißes jungfräuliches Gewand gelegt und ein purpurner Mantel unterbreitet. Jener sinnenfreundliche Gebrauch Italiens, die modernden Reste Dahingegangener in die blühende Form leiblicher Jugend zu hüllen, scheint uns der ernsten deutschen Art, welche die nackten Knochen zur Verehrung ausstellt, bei weitem vorzuziehen und erhielt auch unverzüglich Filumenens volle Billigung. Sie bediente sich nämlich gleich von Anfang an des Lärvchens, das sie ihr zu Neapel umgelegt, als ihres eigenen Gesichts, indem sie mit lieblichem Fürwitz die Augen aufschlug, bald das eine, bald das andere, bald alle beide, bald erröthete, bald lächelte oder die Stirne in düstre Falten zog. Sofort wurde die Heilige mit großer Feierlichkeit nach Mugnano gebracht und am 10 August 1805 daselbst unter Glas und Rahmen aufgestellt. Alsbald ereigneten sich auch viele Wunder und der Ruhm der „neuen Heiligen“ – unter dieser Bezeichnung gilt sie auch jetzt noch – verbreitete sich über weite Nachbarschaft. Noch geraume Zeit wußte man indessen zum allgemeinen Bedauerniß nichts von ihr, als ihren durch den gelehrten Partenius festgestellten Namen, bis sie endlich selbst der frommen Wißbegierde entgegenkam. Sie eröffnete während des Jahres 1832 in erwünschter Ausführlichkeit einer frommen Nonne zu Neapel das Wissenswürdigste aus ihrem irdischen Leben. Nach dieser Offenbarung ist ihr Name Fi-lumina, was auf lateinisch Tochter des Lichts bedeute – weßwegen es ganz irrig wäre mit griechischer Sinneinlegung Philumena zu schreiben – und sie war die Tochter eines Königs in Griechenland, der sich einst, weil ihn der römische Kaiser Diocletian mit Krieg bedrohte, nach Rom begeben hat, um den übermächtigen Gegner zu versöhnen. Diocletian versprach Frieden zu halten, wenn ihm der König <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0144" n="139"/> nämlich diese Inschrift nach der damals gebräuchlichen Art <hi rendition="#aq">βουστροφηδόν</hi> geschrieben sey. Ferner waren auf dem Steine ein Anker, mehrere Pfeile, eine Geißel und Lilien eingehauen. Don Francesco erhielt nach manchen Schwierigkeiten die sehnlichst gewünschten Gebeine und begab sich damit nach Neapel. Dort wurde das Gerippe mit einer aus gepreßtem Papier gebildeten weiblichen Gestalt überkleidet und letztere wieder in ein weißes jungfräuliches Gewand gelegt und ein purpurner Mantel unterbreitet. Jener sinnenfreundliche Gebrauch Italiens, die modernden Reste Dahingegangener in die blühende Form leiblicher Jugend zu hüllen, scheint uns der ernsten deutschen Art, welche die nackten Knochen zur Verehrung ausstellt, bei weitem vorzuziehen und erhielt auch unverzüglich Filumenens volle Billigung. Sie bediente sich nämlich gleich von Anfang an des Lärvchens, das sie ihr zu Neapel umgelegt, als ihres eigenen Gesichts, indem sie mit lieblichem Fürwitz die Augen aufschlug, bald das eine, bald das andere, bald alle beide, bald erröthete, bald lächelte oder die Stirne in düstre Falten zog. Sofort wurde die Heilige mit großer Feierlichkeit nach Mugnano gebracht und am 10 August 1805 daselbst unter Glas und Rahmen aufgestellt. Alsbald ereigneten sich auch viele Wunder und der Ruhm der „neuen Heiligen“ – unter dieser Bezeichnung gilt sie auch jetzt noch – verbreitete sich über weite Nachbarschaft. Noch geraume Zeit wußte man indessen zum allgemeinen Bedauerniß nichts von ihr, als ihren durch den gelehrten Partenius festgestellten Namen, bis sie endlich selbst der frommen Wißbegierde entgegenkam. Sie eröffnete während des Jahres 1832 in erwünschter Ausführlichkeit einer frommen Nonne zu Neapel das Wissenswürdigste aus ihrem irdischen Leben. Nach dieser Offenbarung ist ihr Name <hi rendition="#aq">Fi-lumina</hi>, was auf lateinisch Tochter des Lichts bedeute – weßwegen es ganz irrig wäre mit griechischer Sinneinlegung Philumena zu schreiben – und sie war die Tochter eines Königs in Griechenland, der sich einst, weil ihn der römische Kaiser Diocletian mit Krieg bedrohte, nach Rom begeben hat, um den übermächtigen Gegner zu versöhnen. Diocletian versprach Frieden zu halten, wenn ihm der König </p> </div> </body> </text> </TEI> [139/0144]
nämlich diese Inschrift nach der damals gebräuchlichen Art βουστροφηδόν geschrieben sey. Ferner waren auf dem Steine ein Anker, mehrere Pfeile, eine Geißel und Lilien eingehauen. Don Francesco erhielt nach manchen Schwierigkeiten die sehnlichst gewünschten Gebeine und begab sich damit nach Neapel. Dort wurde das Gerippe mit einer aus gepreßtem Papier gebildeten weiblichen Gestalt überkleidet und letztere wieder in ein weißes jungfräuliches Gewand gelegt und ein purpurner Mantel unterbreitet. Jener sinnenfreundliche Gebrauch Italiens, die modernden Reste Dahingegangener in die blühende Form leiblicher Jugend zu hüllen, scheint uns der ernsten deutschen Art, welche die nackten Knochen zur Verehrung ausstellt, bei weitem vorzuziehen und erhielt auch unverzüglich Filumenens volle Billigung. Sie bediente sich nämlich gleich von Anfang an des Lärvchens, das sie ihr zu Neapel umgelegt, als ihres eigenen Gesichts, indem sie mit lieblichem Fürwitz die Augen aufschlug, bald das eine, bald das andere, bald alle beide, bald erröthete, bald lächelte oder die Stirne in düstre Falten zog. Sofort wurde die Heilige mit großer Feierlichkeit nach Mugnano gebracht und am 10 August 1805 daselbst unter Glas und Rahmen aufgestellt. Alsbald ereigneten sich auch viele Wunder und der Ruhm der „neuen Heiligen“ – unter dieser Bezeichnung gilt sie auch jetzt noch – verbreitete sich über weite Nachbarschaft. Noch geraume Zeit wußte man indessen zum allgemeinen Bedauerniß nichts von ihr, als ihren durch den gelehrten Partenius festgestellten Namen, bis sie endlich selbst der frommen Wißbegierde entgegenkam. Sie eröffnete während des Jahres 1832 in erwünschter Ausführlichkeit einer frommen Nonne zu Neapel das Wissenswürdigste aus ihrem irdischen Leben. Nach dieser Offenbarung ist ihr Name Fi-lumina, was auf lateinisch Tochter des Lichts bedeute – weßwegen es ganz irrig wäre mit griechischer Sinneinlegung Philumena zu schreiben – und sie war die Tochter eines Königs in Griechenland, der sich einst, weil ihn der römische Kaiser Diocletian mit Krieg bedrohte, nach Rom begeben hat, um den übermächtigen Gegner zu versöhnen. Diocletian versprach Frieden zu halten, wenn ihm der König
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-11-05T13:27:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-11-05T13:27:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-11-05T13:27:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |