Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.auch wohl in Fassa von weiblicher Schönheit sieht. Wie einerseits vom deutschen, so unterscheidet sich dieser Habitus andrerseits von dem mehr oder minder reinen italienischen, wie er auf dem Nonsberge, in der Lombardei und weiter hinab erscheint. Darum möchte vielleicht in diesen Körperformen eher als romanisch-deutsche Mischung eine Hinterlassenschaft der Urbewohner, der alten Rhätier, gefunden werden dürfen. Wir wollen uns indessen auf einem so unsichern Boden nicht lange aufhalten, sehen aber eine Entschuldigung für diese physiognomische Hypothese darin, daß man in neuern Schriften sogar schon versucht hat, in Tirol nicht allein die drei Elemente, die wir annehmen, das rhätische, romanische und deutsche, sondern auch ein viertes, das keltische, nach der Körpergestalt der Bewohner auszuscheiden. - - Als nun des Bauern Söhnlein mit dem Proviante aus dem Dorfe zurückgekommen war, zogen wir ungesäumt unsers Wegs. Der Pfad führt aufwärts, zum Theil erträglich, zum Theil steigt er über Wurzelknorren und Felstrümmer jäh und beschwerlich in die Höhe. Die Ill tost neben dem Wege und macht manchen schönen Fall. Die Landschaft ist eng und bietet nichts Anziehendes, als eine etwas einförmige Wildheit. Weiter oben geht man über ein ausgetrocknetes Seebett, das jetzt eine Alm geworden, durch welche die Ill ganz harmlos dahinfließt. Drüben stand eine Sennhütte mit leuchtenden Fenstern - wir gingen vorüber. Wir brauchten gute drei Stunden bis zur Galthütte auf der Bieler Höhe, die ungefähr auf der Gränze steht zwischen Vorarlberg und Tirol. An der Galthütte war auch so ziemlich Alles zu sehen, was Vermunt aufzuweisen hat. Es lag da ein weite Runde von beschneiten Bergkuppen herum, die jedoch keinen großartigen Eindruck machten. Es scheint nicht an Gletschern zu fehlen, aber sie gehen nicht ins Thal herunter und verlaufen an den Höhen hin unmalerisch ineinander. Auch waren sie nicht ausgeabert und die Schneedecke gestattete keine nähere Würdigung ihrer Schönheiten. Wer nicht der feierlichen Oede wegen hierher zieht, wird sich nicht besonders freuen können. auch wohl in Fassa von weiblicher Schönheit sieht. Wie einerseits vom deutschen, so unterscheidet sich dieser Habitus andrerseits von dem mehr oder minder reinen italienischen, wie er auf dem Nonsberge, in der Lombardei und weiter hinab erscheint. Darum möchte vielleicht in diesen Körperformen eher als romanisch-deutsche Mischung eine Hinterlassenschaft der Urbewohner, der alten Rhätier, gefunden werden dürfen. Wir wollen uns indessen auf einem so unsichern Boden nicht lange aufhalten, sehen aber eine Entschuldigung für diese physiognomische Hypothese darin, daß man in neuern Schriften sogar schon versucht hat, in Tirol nicht allein die drei Elemente, die wir annehmen, das rhätische, romanische und deutsche, sondern auch ein viertes, das keltische, nach der Körpergestalt der Bewohner auszuscheiden. – – Als nun des Bauern Söhnlein mit dem Proviante aus dem Dorfe zurückgekommen war, zogen wir ungesäumt unsers Wegs. Der Pfad führt aufwärts, zum Theil erträglich, zum Theil steigt er über Wurzelknorren und Felstrümmer jäh und beschwerlich in die Höhe. Die Ill tost neben dem Wege und macht manchen schönen Fall. Die Landschaft ist eng und bietet nichts Anziehendes, als eine etwas einförmige Wildheit. Weiter oben geht man über ein ausgetrocknetes Seebett, das jetzt eine Alm geworden, durch welche die Ill ganz harmlos dahinfließt. Drüben stand eine Sennhütte mit leuchtenden Fenstern – wir gingen vorüber. Wir brauchten gute drei Stunden bis zur Galthütte auf der Bieler Höhe, die ungefähr auf der Gränze steht zwischen Vorarlberg und Tirol. An der Galthütte war auch so ziemlich Alles zu sehen, was Vermunt aufzuweisen hat. Es lag da ein weite Runde von beschneiten Bergkuppen herum, die jedoch keinen großartigen Eindruck machten. Es scheint nicht an Gletschern zu fehlen, aber sie gehen nicht ins Thal herunter und verlaufen an den Höhen hin unmalerisch ineinander. Auch waren sie nicht ausgeabert und die Schneedecke gestattete keine nähere Würdigung ihrer Schönheiten. Wer nicht der feierlichen Oede wegen hierher zieht, wird sich nicht besonders freuen können. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0132" n="127"/> auch wohl in Fassa von weiblicher Schönheit sieht. Wie einerseits vom deutschen, so unterscheidet sich dieser Habitus andrerseits von dem mehr oder minder reinen italienischen, wie er auf dem Nonsberge, in der Lombardei und weiter hinab erscheint. Darum möchte vielleicht in diesen Körperformen eher als romanisch-deutsche Mischung eine Hinterlassenschaft der Urbewohner, der alten Rhätier, gefunden werden dürfen. Wir wollen uns indessen auf einem so unsichern Boden nicht lange aufhalten, sehen aber eine Entschuldigung für diese physiognomische Hypothese darin, daß man in neuern Schriften sogar schon versucht hat, in Tirol nicht allein die drei Elemente, die wir annehmen, das rhätische, romanische und deutsche, sondern auch ein viertes, das keltische, nach der Körpergestalt der Bewohner auszuscheiden. – –</p> <p>Als nun des Bauern Söhnlein mit dem Proviante aus dem Dorfe zurückgekommen war, zogen wir ungesäumt unsers Wegs. Der Pfad führt aufwärts, zum Theil erträglich, zum Theil steigt er über Wurzelknorren und Felstrümmer jäh und beschwerlich in die Höhe. Die Ill tost neben dem Wege und macht manchen schönen Fall. Die Landschaft ist eng und bietet nichts Anziehendes, als eine etwas einförmige Wildheit. Weiter oben geht man über ein ausgetrocknetes Seebett, das jetzt eine Alm geworden, durch welche die Ill ganz harmlos dahinfließt. Drüben stand eine Sennhütte mit leuchtenden Fenstern – wir gingen vorüber.</p> <p>Wir brauchten gute drei Stunden bis zur Galthütte auf der Bieler Höhe, die ungefähr auf der Gränze steht zwischen Vorarlberg und Tirol. An der Galthütte war auch so ziemlich Alles zu sehen, was Vermunt aufzuweisen hat. Es lag da ein weite Runde von beschneiten Bergkuppen herum, die jedoch keinen großartigen Eindruck machten. Es scheint nicht an Gletschern zu fehlen, aber sie gehen nicht ins Thal herunter und verlaufen an den Höhen hin unmalerisch ineinander. Auch waren sie nicht ausgeabert und die Schneedecke gestattete keine nähere Würdigung ihrer Schönheiten. Wer nicht der feierlichen Oede wegen hierher zieht, wird sich nicht besonders freuen können.</p> </div> </body> </text> </TEI> [127/0132]
auch wohl in Fassa von weiblicher Schönheit sieht. Wie einerseits vom deutschen, so unterscheidet sich dieser Habitus andrerseits von dem mehr oder minder reinen italienischen, wie er auf dem Nonsberge, in der Lombardei und weiter hinab erscheint. Darum möchte vielleicht in diesen Körperformen eher als romanisch-deutsche Mischung eine Hinterlassenschaft der Urbewohner, der alten Rhätier, gefunden werden dürfen. Wir wollen uns indessen auf einem so unsichern Boden nicht lange aufhalten, sehen aber eine Entschuldigung für diese physiognomische Hypothese darin, daß man in neuern Schriften sogar schon versucht hat, in Tirol nicht allein die drei Elemente, die wir annehmen, das rhätische, romanische und deutsche, sondern auch ein viertes, das keltische, nach der Körpergestalt der Bewohner auszuscheiden. – –
Als nun des Bauern Söhnlein mit dem Proviante aus dem Dorfe zurückgekommen war, zogen wir ungesäumt unsers Wegs. Der Pfad führt aufwärts, zum Theil erträglich, zum Theil steigt er über Wurzelknorren und Felstrümmer jäh und beschwerlich in die Höhe. Die Ill tost neben dem Wege und macht manchen schönen Fall. Die Landschaft ist eng und bietet nichts Anziehendes, als eine etwas einförmige Wildheit. Weiter oben geht man über ein ausgetrocknetes Seebett, das jetzt eine Alm geworden, durch welche die Ill ganz harmlos dahinfließt. Drüben stand eine Sennhütte mit leuchtenden Fenstern – wir gingen vorüber.
Wir brauchten gute drei Stunden bis zur Galthütte auf der Bieler Höhe, die ungefähr auf der Gränze steht zwischen Vorarlberg und Tirol. An der Galthütte war auch so ziemlich Alles zu sehen, was Vermunt aufzuweisen hat. Es lag da ein weite Runde von beschneiten Bergkuppen herum, die jedoch keinen großartigen Eindruck machten. Es scheint nicht an Gletschern zu fehlen, aber sie gehen nicht ins Thal herunter und verlaufen an den Höhen hin unmalerisch ineinander. Auch waren sie nicht ausgeabert und die Schneedecke gestattete keine nähere Würdigung ihrer Schönheiten. Wer nicht der feierlichen Oede wegen hierher zieht, wird sich nicht besonders freuen können.
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