dorf eine Tagereise, von dem zweiten zum dritten zwei u. s. w. -- nein, so raste man nicht weiter in der guten alten Zeit, die ich hier erlebte. Zuerst setzt man sich in das Kanu, "pepi", und rudert, rudert "pepi, pepi, pepi" -- man rudert mit Paddelrudern, links, rechts eintauchend, und man kommt an eine Strom- schnelle, bububu ... Wie hoch sie herabstürzt: die Hand geht mit jedem bu, bu von oben eine Treppenstufe nach abwärts, und wie die Frauen sich fürchten und weinen: "pekoto äh, äh, äh . . . .!" Da muss das pepi -- ein kräftiger Fusstritt nach dem Boden hin -- durch die Felsen, mit welchem Aechzen, vor- geschoben werden, und die "mayaku", die Tragkörbe, mühsam -- 1, 2, 3 mal an die linke Schulter geklopft -- über Land getragen werden. Aber man steigt wieder ein und rudert, pepi, pepi, pepi. Weit, weit -- die Stimme schwebt ih . . . . . . ., so weit ih . . . . . . ., und der schnauzenförmig zugespitzte Mund, während der Kopf krampfhaft in den Nacken zurückgebogen wird, zeigt, in welcher Himmelsrichtung ih . . . . . . . Darüber sinkt die Sonne bis: die Hand, soweit sie sich auszustrecken vermag, reicht einen Bogen beschreibend nach Westen hinüber und zielt auf den Punkt am Himmel, wo die Sonne steht, wenn man -- lah . . . . . . a -- im Hafen eintrifft. Da sind wir bei den: "Bakairi, Bakairi, Bakairi!" "Kura, kura!" und hier werden wir gut aufgenommen. Vielleicht hat man auch noch eine Stelle mit gutem Fischfang passiert, wo "Matrinchams" oder "Piranyas" zu schiessen sind: während die Wörter sonst den Ton auf der vor- letzten Silbe haben, noroku, pone, wird er jetzt -- wie wir "Jahre" sagen -- auf die letzte verlegt "noroku", "pone", und der Pfeil schnellt, tsök, tsök, vom Bogen.
Hinter den Nahuqua freilich, wo die Kenntnis der Einzelheiten unbestimmt wird, werden nur die Tagereisen selbst angegeben. Die rechte Hand beschreibt langsam steigend in gleichmässigem Zuge einen Bogen von Osten nach Westen, kommt dort unten an und legt sich plötzlich an die ihr entgegenkommende Wange, verweilt hier, während die Augen müde geschlossen sind, und greift dann nach dem Kleinfinger der linken Hand: einmal geschlafen. Dann wieder dieselbe Figur, doch wird mit dem Kleinfinger noch der Ringfinger ergriffen, und beide werden nach der Seite gezogen: zweimal geschlafen u. s. w. Sei auf- merksam, edler Zuhörer, denn wehe Dir, wenn Du fragst -- es kann Dir nicht anders geholfen werden, als indem man wieder von vorn anfängt.
Aber Rache ist süss. Die Reihe kam auch an mich, denn man wollte wissen, wie weit Cuyaba sei, mein Ausgangspunkt. Die Gesichter waren köstlich, wenn ich erst die linke, dann die rechte Hand abfingerte, dann genau nach ihrer Zählweise, die Zehen des linken und die des rechten Fusses abgriff, zwischen je zwei Fingern und je zwei Zehen vorschriftsmässig am Himmel wanderte und schlief, und zum Schluss in meine Haare greifen musste, um sie auseinander ziehend zu bekunden, dass die Zahl der Tage noch nicht reichte und mehr sei als 20! Da murmelten sie denn ihr "kou, kou" des Erstaunens oder "oka, oko, he oko" immer ungeduldiger, redeten alle durcheinander und vereinigten sich schliesslich in einem fröhlichen Gelächter baaren Unglaubens.
dorf eine Tagereise, von dem zweiten zum dritten zwei u. s. w. — nein, so raste man nicht weiter in der guten alten Zeit, die ich hier erlebte. Zuerst setzt man sich in das Kanu, »pépi«, und rudert, rudert »pépi, pépi, pépi« — man rudert mit Paddelrudern, links, rechts eintauchend, und man kommt an eine Strom- schnelle, bububu … Wie hoch sie herabstürzt: die Hand geht mit jedem bu, bu von oben eine Treppenstufe nach abwärts, und wie die Frauen sich fürchten und weinen: »pekóto äh, äh, äh . . . .!« Da muss das pépi — ein kräftiger Fusstritt nach dem Boden hin — durch die Felsen, mit welchem Aechzen, vor- geschoben werden, und die »mayáku«, die Tragkörbe, mühsam — 1, 2, 3 mal an die linke Schulter geklopft — über Land getragen werden. Aber man steigt wieder ein und rudert, pépi, pépi, pépi. Weit, weit — die Stimme schwebt ih . . . . . . ., so weit ih . . . . . . ., und der schnauzenförmig zugespitzte Mund, während der Kopf krampfhaft in den Nacken zurückgebogen wird, zeigt, in welcher Himmelsrichtung ih . . . . . . . Darüber sinkt die Sonne bis: die Hand, soweit sie sich auszustrecken vermag, reicht einen Bogen beschreibend nach Westen hinüber und zielt auf den Punkt am Himmel, wo die Sonne steht, wenn man — lah . . . . . . á — im Hafen eintrifft. Da sind wir bei den: »Bakaïrí, Bakaïrí, Bakaïrí!« »Kúra, kúra!« und hier werden wir gut aufgenommen. Vielleicht hat man auch noch eine Stelle mit gutem Fischfang passiert, wo »Matrinchams« oder »Piranyas« zu schiessen sind: während die Wörter sonst den Ton auf der vor- letzten Silbe haben, noróku, póne, wird er jetzt — wie wir »Jahré« sagen — auf die letzte verlegt »norokú«, »poné«, und der Pfeil schnellt, tsök, tsök, vom Bogen.
Hinter den Nahuquá freilich, wo die Kenntnis der Einzelheiten unbestimmt wird, werden nur die Tagereisen selbst angegeben. Die rechte Hand beschreibt langsam steigend in gleichmässigem Zuge einen Bogen von Osten nach Westen, kommt dort unten an und legt sich plötzlich an die ihr entgegenkommende Wange, verweilt hier, während die Augen müde geschlossen sind, und greift dann nach dem Kleinfinger der linken Hand: einmal geschlafen. Dann wieder dieselbe Figur, doch wird mit dem Kleinfinger noch der Ringfinger ergriffen, und beide werden nach der Seite gezogen: zweimal geschlafen u. s. w. Sei auf- merksam, edler Zuhörer, denn wehe Dir, wenn Du fragst — es kann Dir nicht anders geholfen werden, als indem man wieder von vorn anfängt.
Aber Rache ist süss. Die Reihe kam auch an mich, denn man wollte wissen, wie weit Cuyabá sei, mein Ausgangspunkt. Die Gesichter waren köstlich, wenn ich erst die linke, dann die rechte Hand abfingerte, dann genau nach ihrer Zählweise, die Zehen des linken und die des rechten Fusses abgriff, zwischen je zwei Fingern und je zwei Zehen vorschriftsmässig am Himmel wanderte und schlief, und zum Schluss in meine Haare greifen musste, um sie auseinander ziehend zu bekunden, dass die Zahl der Tage noch nicht reichte und mehr sei als 20! Da murmelten sie denn ihr »kóu, kóu« des Erstaunens oder »óka, óko, he okó« immer ungeduldiger, redeten alle durcheinander und vereinigten sich schliesslich in einem fröhlichen Gelächter baaren Unglaubens.
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man nicht weiter in der guten alten Zeit, die ich hier erlebte. Zuerst setzt man
sich in das Kanu, »pépi«, und rudert, rudert »pépi, pépi, pépi« — man rudert
mit Paddelrudern, links, rechts eintauchend, und man kommt an eine Strom-
schnelle, bububu … Wie hoch sie herabstürzt: die Hand geht mit jedem bu,
bu von oben eine Treppenstufe nach abwärts, und wie die Frauen sich fürchten
und weinen: »pekóto äh, äh, äh . . . .!« Da muss das pépi — ein kräftiger
Fusstritt nach dem Boden hin — durch die Felsen, mit welchem Aechzen, vor-
geschoben werden, und die »mayáku«, die Tragkörbe, mühsam — 1, 2, 3 mal
an die linke Schulter geklopft — über Land getragen werden. Aber man steigt
wieder ein und rudert, pépi, pépi, pépi. Weit, weit — die Stimme schwebt
ih . . . . . . ., so weit ih . . . . . . ., und der schnauzenförmig zugespitzte Mund,
während der Kopf krampfhaft in den Nacken zurückgebogen wird, zeigt, in
welcher Himmelsrichtung ih . . . . . . . Darüber sinkt die Sonne bis: die Hand,
soweit sie sich auszustrecken vermag, reicht einen Bogen beschreibend nach Westen
hinüber und zielt auf den Punkt am Himmel, wo die Sonne steht, wenn man —
lah . . . . . . á — im Hafen eintrifft. Da sind wir bei den: »Bakaïrí, Bakaïrí,
Bakaïrí!« »Kúra, kúra!« und hier werden wir gut aufgenommen. Vielleicht hat
man auch noch eine Stelle mit gutem Fischfang passiert, wo »Matrinchams« oder
»Piranyas« zu schiessen sind: während die Wörter sonst den Ton auf der vor-
letzten Silbe haben, noróku, póne, wird er jetzt — wie wir »Jahré« sagen — auf
die letzte verlegt »norokú«, »poné«, und der Pfeil schnellt, tsök, tsök, vom Bogen.
Hinter den Nahuquá freilich, wo die Kenntnis der Einzelheiten unbestimmt
wird, werden nur die Tagereisen selbst angegeben. Die rechte Hand beschreibt
langsam steigend in gleichmässigem Zuge einen Bogen von Osten nach Westen,
kommt dort unten an und legt sich plötzlich an die ihr entgegenkommende
Wange, verweilt hier, während die Augen müde geschlossen sind, und greift
dann nach dem Kleinfinger der linken Hand: einmal geschlafen. Dann wieder
dieselbe Figur, doch wird mit dem Kleinfinger noch der Ringfinger ergriffen, und
beide werden nach der Seite gezogen: zweimal geschlafen u. s. w. Sei auf-
merksam, edler Zuhörer, denn wehe Dir, wenn Du fragst — es kann Dir nicht
anders geholfen werden, als indem man wieder von vorn anfängt.
Aber Rache ist süss. Die Reihe kam auch an mich, denn man wollte
wissen, wie weit Cuyabá sei, mein Ausgangspunkt. Die Gesichter waren köstlich,
wenn ich erst die linke, dann die rechte Hand abfingerte, dann genau nach ihrer
Zählweise, die Zehen des linken und die des rechten Fusses abgriff, zwischen je
zwei Fingern und je zwei Zehen vorschriftsmässig am Himmel wanderte und
schlief, und zum Schluss in meine Haare greifen musste, um sie auseinander
ziehend zu bekunden, dass die Zahl der Tage noch nicht reichte und mehr sei
als 20! Da murmelten sie denn ihr »kóu, kóu« des Erstaunens oder »óka, óko,
he okó« immer ungeduldiger, redeten alle durcheinander und vereinigten sich
schliesslich in einem fröhlichen Gelächter baaren Unglaubens.
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/98>, abgerufen am 23.11.2024.
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