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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Erbin. Ihr Oheim Tumayaua war nur interimistisches Oberhaupt, er hätte mir,
wenn ich dem sehr ernst gemeinten Vorschlag Paleko's gefolgt wäre und seine
Nichte geheiratet hätte, die Regierung abtreten müssen. Ich kann mir noch
heute nicht verhehlen, dass, um von der ausgezeichneten Partie, mit der keine
höheren Ansprüche an Toilettenaufwand als eine Schnur Glasperlen und ein Stück
Rindenbast von der Grösse eines kleinen Menschenohres verbunden waren, ganz
abzusehen, eine bessere Gelegenheit, die Ethnologie des Kulisehu kennen zu lernen,
kaum zu erdenken war. Von den übrigen Frauen bekam ich wenig zu sehen, mit
Ausnahme etwa der "Egypterin", die auch vom zweiten Dorf herüberkam, eine
lange habgierige Person mit egyptischem Profil und mandelförmigen Augen (Tafel 5
die zweite von rechts).

Ich hielt mich die beiden ersten Tage bescheidentlich zurück, um die Leutchen
nicht zu ängstigen, ich merkte auch, dass einer der Männer fast immer zum
Ehrendienst bei mir abkommandirt und so eine Art Dujour eingerichtet war;
als ich in der ersten Nacht nach der Verabschiedung noch bei Licht einige Zeit
aufbleiben und mein Tagebuch führen wollte, erschien der alte Paleko an der
Thüre und bat mich ebenso höflich wie dringend, zu schlafen und die Kerze aus-
zublasen. Meine Diskretion trug gute Früchte, bald holte man mich in die beiden
grossen Häuser: in dem einen waren Paleko und die Zukünftige, in dem andern
Tumayaua und Tochter die Hauptbewohner. Man nahm mich mit hinaus zum
Fischen, zum Stapellauf des neuen Kanus u. dergl., und Alles hätte nicht besser
sein können, wenn ich nicht bei der gastfreundlichen, aber für mich durchaus
unzulänglichen Bewirtung an chronischem Hunger gelitten hätte. Ich musste mir
durch starkes Rauchen zu helfen suchen und leistete darin das Menschenmögliche,
während die Indianer sich diesem Genuss fast nur in unserm allabendlichen Tabak-
kollegium auf dem Platz draussen, den vergnügtesten Stunden des Tages, dann
aber auch in corpore und mit grossem Eifer hingaben.

Mein Häuschen hatte zur Zeit der Feste als Tanzhaus gedient, "kkhato-eti"
oder "Flötenhaus". Zwei Rohrflöten in einem Futteral aus Buriti-Palmstroh an der
Wand hängend, waren die einzigen Reste der vergangenen herrlichkeit. Doch
war es für mich besser so; denn die Frauen, die in dieser Ruine frei aus- und
eingingen, dürfen das Flötenhaus der Männer niemals betreten. Es war 7 Schritt
breit, 91/2 lang, die 21/2 Schritt auseinander stehenden Hauptpfosten inmitten,
die das Dach stützten, waren 41/2 m hoch. Oben blieb in dem Strohdach eine
1 m breite und 33/4 m lange Luke frei. Ein paar Fischreusen standen in einer
Ecke, sonst gab es nichts als die zwei Pfosten, von deren einem ich die Hänge-
matte zur Wand hinübergespannt hatte. Ausser meiner Ehrenwache hatte ich
noch die Gesellschaft eines Japu (Cassicus), der mir wie ein grüner tropischer
Hans Huckebein vorkam; er durfte nur oben in den Sparren der Rauchluke
sitzen und wurde, wenn er plötzlich herunterschoss und wie ein wildes Tier
zwischen uns umherjagte, schleunigst wieder auf seinen Beobachtungsposten ver-
scheucht, wo er, den Kopf neugierig geneigt und den Schnabel offen, herabschaute.

Erbin. Ihr Oheim Tumayaua war nur interimistisches Oberhaupt, er hätte mir,
wenn ich dem sehr ernst gemeinten Vorschlag Paleko’s gefolgt wäre und seine
Nichte geheiratet hätte, die Regierung abtreten müssen. Ich kann mir noch
heute nicht verhehlen, dass, um von der ausgezeichneten Partie, mit der keine
höheren Ansprüche an Toilettenaufwand als eine Schnur Glasperlen und ein Stück
Rindenbast von der Grösse eines kleinen Menschenohres verbunden waren, ganz
abzusehen, eine bessere Gelegenheit, die Ethnologie des Kulisehu kennen zu lernen,
kaum zu erdenken war. Von den übrigen Frauen bekam ich wenig zu sehen, mit
Ausnahme etwa der »Egypterin«, die auch vom zweiten Dorf herüberkam, eine
lange habgierige Person mit egyptischem Profil und mandelförmigen Augen (Tafel 5
die zweite von rechts).

Ich hielt mich die beiden ersten Tage bescheidentlich zurück, um die Leutchen
nicht zu ängstigen, ich merkte auch, dass einer der Männer fast immer zum
Ehrendienst bei mir abkommandirt und so eine Art Dujour eingerichtet war;
als ich in der ersten Nacht nach der Verabschiedung noch bei Licht einige Zeit
aufbleiben und mein Tagebuch führen wollte, erschien der alte Paleko an der
Thüre und bat mich ebenso höflich wie dringend, zu schlafen und die Kerze aus-
zublasen. Meine Diskretion trug gute Früchte, bald holte man mich in die beiden
grossen Häuser: in dem einen waren Paleko und die Zukünftige, in dem andern
Tumayaua und Tochter die Hauptbewohner. Man nahm mich mit hinaus zum
Fischen, zum Stapellauf des neuen Kanus u. dergl., und Alles hätte nicht besser
sein können, wenn ich nicht bei der gastfreundlichen, aber für mich durchaus
unzulänglichen Bewirtung an chronischem Hunger gelitten hätte. Ich musste mir
durch starkes Rauchen zu helfen suchen und leistete darin das Menschenmögliche,
während die Indianer sich diesem Genuss fast nur in unserm allabendlichen Tabak-
kollegium auf dem Platz draussen, den vergnügtesten Stunden des Tages, dann
aber auch in corpore und mit grossem Eifer hingaben.

Mein Häuschen hatte zur Zeit der Feste als Tanzhaus gedient, »kχato-éti«
oder »Flötenhaus«. Zwei Rohrflöten in einem Futteral aus Burití-Palmstroh an der
Wand hängend, waren die einzigen Reste der vergangenen herrlichkeit. Doch
war es für mich besser so; denn die Frauen, die in dieser Ruine frei aus- und
eingingen, dürfen das Flötenhaus der Männer niemals betreten. Es war 7 Schritt
breit, 9½ lang, die 2½ Schritt auseinander stehenden Hauptpfosten inmitten,
die das Dach stützten, waren 4½ m hoch. Oben blieb in dem Strohdach eine
1 m breite und 3¾ m lange Luke frei. Ein paar Fischreusen standen in einer
Ecke, sonst gab es nichts als die zwei Pfosten, von deren einem ich die Hänge-
matte zur Wand hinübergespannt hatte. Ausser meiner Ehrenwache hatte ich
noch die Gesellschaft eines Japú (Cassicus), der mir wie ein grüner tropischer
Hans Huckebein vorkam; er durfte nur oben in den Sparren der Rauchluke
sitzen und wurde, wenn er plötzlich herunterschoss und wie ein wildes Tier
zwischen uns umherjagte, schleunigst wieder auf seinen Beobachtungsposten ver-
scheucht, wo er, den Kopf neugierig geneigt und den Schnabel offen, herabschaute.

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[59/0087] Erbin. Ihr Oheim Tumayaua war nur interimistisches Oberhaupt, er hätte mir, wenn ich dem sehr ernst gemeinten Vorschlag Paleko’s gefolgt wäre und seine Nichte geheiratet hätte, die Regierung abtreten müssen. Ich kann mir noch heute nicht verhehlen, dass, um von der ausgezeichneten Partie, mit der keine höheren Ansprüche an Toilettenaufwand als eine Schnur Glasperlen und ein Stück Rindenbast von der Grösse eines kleinen Menschenohres verbunden waren, ganz abzusehen, eine bessere Gelegenheit, die Ethnologie des Kulisehu kennen zu lernen, kaum zu erdenken war. Von den übrigen Frauen bekam ich wenig zu sehen, mit Ausnahme etwa der »Egypterin«, die auch vom zweiten Dorf herüberkam, eine lange habgierige Person mit egyptischem Profil und mandelförmigen Augen (Tafel 5 die zweite von rechts). Ich hielt mich die beiden ersten Tage bescheidentlich zurück, um die Leutchen nicht zu ängstigen, ich merkte auch, dass einer der Männer fast immer zum Ehrendienst bei mir abkommandirt und so eine Art Dujour eingerichtet war; als ich in der ersten Nacht nach der Verabschiedung noch bei Licht einige Zeit aufbleiben und mein Tagebuch führen wollte, erschien der alte Paleko an der Thüre und bat mich ebenso höflich wie dringend, zu schlafen und die Kerze aus- zublasen. Meine Diskretion trug gute Früchte, bald holte man mich in die beiden grossen Häuser: in dem einen waren Paleko und die Zukünftige, in dem andern Tumayaua und Tochter die Hauptbewohner. Man nahm mich mit hinaus zum Fischen, zum Stapellauf des neuen Kanus u. dergl., und Alles hätte nicht besser sein können, wenn ich nicht bei der gastfreundlichen, aber für mich durchaus unzulänglichen Bewirtung an chronischem Hunger gelitten hätte. Ich musste mir durch starkes Rauchen zu helfen suchen und leistete darin das Menschenmögliche, während die Indianer sich diesem Genuss fast nur in unserm allabendlichen Tabak- kollegium auf dem Platz draussen, den vergnügtesten Stunden des Tages, dann aber auch in corpore und mit grossem Eifer hingaben. Mein Häuschen hatte zur Zeit der Feste als Tanzhaus gedient, »kχato-éti« oder »Flötenhaus«. Zwei Rohrflöten in einem Futteral aus Burití-Palmstroh an der Wand hängend, waren die einzigen Reste der vergangenen herrlichkeit. Doch war es für mich besser so; denn die Frauen, die in dieser Ruine frei aus- und eingingen, dürfen das Flötenhaus der Männer niemals betreten. Es war 7 Schritt breit, 9½ lang, die 2½ Schritt auseinander stehenden Hauptpfosten inmitten, die das Dach stützten, waren 4½ m hoch. Oben blieb in dem Strohdach eine 1 m breite und 3¾ m lange Luke frei. Ein paar Fischreusen standen in einer Ecke, sonst gab es nichts als die zwei Pfosten, von deren einem ich die Hänge- matte zur Wand hinübergespannt hatte. Ausser meiner Ehrenwache hatte ich noch die Gesellschaft eines Japú (Cassicus), der mir wie ein grüner tropischer Hans Huckebein vorkam; er durfte nur oben in den Sparren der Rauchluke sitzen und wurde, wenn er plötzlich herunterschoss und wie ein wildes Tier zwischen uns umherjagte, schleunigst wieder auf seinen Beobachtungsposten ver- scheucht, wo er, den Kopf neugierig geneigt und den Schnabel offen, herabschaute.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/87>, abgerufen am 25.11.2024.