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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Lagerplatz oder gar nach dem Dorfe gebracht worden. Die Narben des Strauch-
werks sollten aber einen Monat alt sein. Wir machten hier unsere Mittagspause,
brieten den Mutung nebst dem von dem Otter apportierten Fisch, würzten das
Frühstück mit hoffnungsvollen Konjekturen und stiessen, nachdem ich Carlos zum
Nachtisch noch die Freude gegönnt hatte, mir einen dicken Sandfloh auszuschälen,
in froher Stimmung ab. Borrachudos, die kleinen Stechfliegen, begleiteten uns
in einer dichten Wolke; wegen des infernalischen Juckens musste ich die nackten
Füsse mit einem Taschentuch umwickeln. Es war schwül und regnerisch. Bald
brach auch ein heftiges Gewitter los und nötigte uns, an steilem, schlüpfrigem
Uferhang, wo einige Steinhaufen vorgelagert waren, für eine gute Stunde Schutz
zu suchen. Dann aber wurde es mild und sonnig, und unsere Wollenwäsche war
rasch getrocknet. Schön oder gesellschaftsmässig war sie ja nicht, meine Jäger'sche
Bekleidung, doch fand ich sie leicht und praktisch, und die Indianer hatten kein
Recht mich zu tadeln, wenn ich nur in Hemd und Unterhose reiste.

Die Nähe der "Compadres" oder Gevattern wurde immer augenfälliger.
Denn als wir um 5 Uhr nach einem Lagerplatz Umschau hielten, kamen wir --
gerade zur rechten Stunde -- an eine Bachmündung, die am linken Flussufer
lag, zu unserer Freude klares, kühles Wasser führte und eine zwar kunstlose,
aber von Menschenhand herrührende Versperrung durch Astwerk zeigte: eine
"Chiqueira". So nennen die Brasilier eine der einfachsten und von der Natur
selbst in häufigen zufälligen Vorkommnissen vorgebildeten Fischfallen an der
Mündung eines Baches oder dem Ausfluss eines Lagunenarmes; die Fische
treten bei hohem Wasserstand ungehindert ein und können bei niederem nicht
mehr zurück. Wir kletterten die steile Böschung hinauf und fanden oben einen
ausgezeichneten Platz für das Nachtquartier, frei von Untergestrüpp und mit
mittelstarken Bäumen in gehörigem Abstand. Nur jammerten unsere Leute, als
sie das Kanu in den Chiqueirabach hinaufgeschoben hatten, dass sie in dem
Uferlehm "frieiras" bekommen hätten, schmerzhafte Anschwellungen, wie sie ent-
ständen, wenn man in Kapivaralosung, Maultierjauche und dergleichen schöne
Sachen trete. Sie trampelten ein Weilchen vor Schmerz mit den Füssen und
rieben sie mit Salz ein.

Es war ein herrlicher Abend. Möge mir der Leser verzeihen, wenn ich ihn
trotz seines rein subjektiven Inhalts noch einmal heraufbeschwöre. In der Hänge-
matte sitzend, gönnte ich mir zum ersten Mal seit Cuyaba den Luxus, bei einem
Kerzenstumpf zu schreiben; in dem dichteren Walde nebenan musizierten die
Grillen, unten murmelte das Bächlein, und, höherer Aufmerksamkeit wert, brodelten
über dem Feuer dort im Kessel widerspenstig -- Landgraf Ludwig, werde hart,
werde hart! -- die braunen Bohnen.

Es dauerte nicht lange, so lag das Tagebuch verloren in einem Winkel der
Hängematte. Ich lachte selbst ein wenig darüber, aber ich betrachtete mein
Ereignis, den Kerzenstumpf, mit wahrer Zärtlichkeit und schaukelte mich, in die
Flammen starrend, behaglich rauchend und den Körper wie die Seele in sanften

v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 4

Lagerplatz oder gar nach dem Dorfe gebracht worden. Die Narben des Strauch-
werks sollten aber einen Monat alt sein. Wir machten hier unsere Mittagspause,
brieten den Mutung nebst dem von dem Otter apportierten Fisch, würzten das
Frühstück mit hoffnungsvollen Konjekturen und stiessen, nachdem ich Carlos zum
Nachtisch noch die Freude gegönnt hatte, mir einen dicken Sandfloh auszuschälen,
in froher Stimmung ab. Borrachudos, die kleinen Stechfliegen, begleiteten uns
in einer dichten Wolke; wegen des infernalischen Juckens musste ich die nackten
Füsse mit einem Taschentuch umwickeln. Es war schwül und regnerisch. Bald
brach auch ein heftiges Gewitter los und nötigte uns, an steilem, schlüpfrigem
Uferhang, wo einige Steinhaufen vorgelagert waren, für eine gute Stunde Schutz
zu suchen. Dann aber wurde es mild und sonnig, und unsere Wollenwäsche war
rasch getrocknet. Schön oder gesellschaftsmässig war sie ja nicht, meine Jäger’sche
Bekleidung, doch fand ich sie leicht und praktisch, und die Indianer hatten kein
Recht mich zu tadeln, wenn ich nur in Hemd und Unterhose reiste.

Die Nähe der »Compadres« oder Gevattern wurde immer augenfälliger.
Denn als wir um 5 Uhr nach einem Lagerplatz Umschau hielten, kamen wir —
gerade zur rechten Stunde — an eine Bachmündung, die am linken Flussufer
lag, zu unserer Freude klares, kühles Wasser führte und eine zwar kunstlose,
aber von Menschenhand herrührende Versperrung durch Astwerk zeigte: eine
»Chiqueira«. So nennen die Brasilier eine der einfachsten und von der Natur
selbst in häufigen zufälligen Vorkommnissen vorgebildeten Fischfallen an der
Mündung eines Baches oder dem Ausfluss eines Lagunenarmes; die Fische
treten bei hohem Wasserstand ungehindert ein und können bei niederem nicht
mehr zurück. Wir kletterten die steile Böschung hinauf und fanden oben einen
ausgezeichneten Platz für das Nachtquartier, frei von Untergestrüpp und mit
mittelstarken Bäumen in gehörigem Abstand. Nur jammerten unsere Leute, als
sie das Kanu in den Chiqueirabach hinaufgeschoben hatten, dass sie in dem
Uferlehm »frieiras« bekommen hätten, schmerzhafte Anschwellungen, wie sie ent-
ständen, wenn man in Kapivaralosung, Maultierjauche und dergleichen schöne
Sachen trete. Sie trampelten ein Weilchen vor Schmerz mit den Füssen und
rieben sie mit Salz ein.

Es war ein herrlicher Abend. Möge mir der Leser verzeihen, wenn ich ihn
trotz seines rein subjektiven Inhalts noch einmal heraufbeschwöre. In der Hänge-
matte sitzend, gönnte ich mir zum ersten Mal seit Cuyabá den Luxus, bei einem
Kerzenstumpf zu schreiben; in dem dichteren Walde nebenan musizierten die
Grillen, unten murmelte das Bächlein, und, höherer Aufmerksamkeit wert, brodelten
über dem Feuer dort im Kessel widerspenstig — Landgraf Ludwig, werde hart,
werde hart! — die braunen Bohnen.

Es dauerte nicht lange, so lag das Tagebuch verloren in einem Winkel der
Hängematte. Ich lachte selbst ein wenig darüber, aber ich betrachtete mein
Ereignis, den Kerzenstumpf, mit wahrer Zärtlichkeit und schaukelte mich, in die
Flammen starrend, behaglich rauchend und den Körper wie die Seele in sanften

v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 4
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[49/0077] Lagerplatz oder gar nach dem Dorfe gebracht worden. Die Narben des Strauch- werks sollten aber einen Monat alt sein. Wir machten hier unsere Mittagspause, brieten den Mutung nebst dem von dem Otter apportierten Fisch, würzten das Frühstück mit hoffnungsvollen Konjekturen und stiessen, nachdem ich Carlos zum Nachtisch noch die Freude gegönnt hatte, mir einen dicken Sandfloh auszuschälen, in froher Stimmung ab. Borrachudos, die kleinen Stechfliegen, begleiteten uns in einer dichten Wolke; wegen des infernalischen Juckens musste ich die nackten Füsse mit einem Taschentuch umwickeln. Es war schwül und regnerisch. Bald brach auch ein heftiges Gewitter los und nötigte uns, an steilem, schlüpfrigem Uferhang, wo einige Steinhaufen vorgelagert waren, für eine gute Stunde Schutz zu suchen. Dann aber wurde es mild und sonnig, und unsere Wollenwäsche war rasch getrocknet. Schön oder gesellschaftsmässig war sie ja nicht, meine Jäger’sche Bekleidung, doch fand ich sie leicht und praktisch, und die Indianer hatten kein Recht mich zu tadeln, wenn ich nur in Hemd und Unterhose reiste. Die Nähe der »Compadres« oder Gevattern wurde immer augenfälliger. Denn als wir um 5 Uhr nach einem Lagerplatz Umschau hielten, kamen wir — gerade zur rechten Stunde — an eine Bachmündung, die am linken Flussufer lag, zu unserer Freude klares, kühles Wasser führte und eine zwar kunstlose, aber von Menschenhand herrührende Versperrung durch Astwerk zeigte: eine »Chiqueira«. So nennen die Brasilier eine der einfachsten und von der Natur selbst in häufigen zufälligen Vorkommnissen vorgebildeten Fischfallen an der Mündung eines Baches oder dem Ausfluss eines Lagunenarmes; die Fische treten bei hohem Wasserstand ungehindert ein und können bei niederem nicht mehr zurück. Wir kletterten die steile Böschung hinauf und fanden oben einen ausgezeichneten Platz für das Nachtquartier, frei von Untergestrüpp und mit mittelstarken Bäumen in gehörigem Abstand. Nur jammerten unsere Leute, als sie das Kanu in den Chiqueirabach hinaufgeschoben hatten, dass sie in dem Uferlehm »frieiras« bekommen hätten, schmerzhafte Anschwellungen, wie sie ent- ständen, wenn man in Kapivaralosung, Maultierjauche und dergleichen schöne Sachen trete. Sie trampelten ein Weilchen vor Schmerz mit den Füssen und rieben sie mit Salz ein. Es war ein herrlicher Abend. Möge mir der Leser verzeihen, wenn ich ihn trotz seines rein subjektiven Inhalts noch einmal heraufbeschwöre. In der Hänge- matte sitzend, gönnte ich mir zum ersten Mal seit Cuyabá den Luxus, bei einem Kerzenstumpf zu schreiben; in dem dichteren Walde nebenan musizierten die Grillen, unten murmelte das Bächlein, und, höherer Aufmerksamkeit wert, brodelten über dem Feuer dort im Kessel widerspenstig — Landgraf Ludwig, werde hart, werde hart! — die braunen Bohnen. Es dauerte nicht lange, so lag das Tagebuch verloren in einem Winkel der Hängematte. Ich lachte selbst ein wenig darüber, aber ich betrachtete mein Ereignis, den Kerzenstumpf, mit wahrer Zärtlichkeit und schaukelte mich, in die Flammen starrend, behaglich rauchend und den Körper wie die Seele in sanften v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 4

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/77>, abgerufen am 25.11.2024.