Einen lehrreichen und vergnügten Monat verbrachten mein Vetter und ich noch in der Provinz Rio Grande do Sul, wo uns das Herz aufging, als wir von einer "Schneiz" zur andern "Schneiz" reitend die fleissig schaffenden Lands- leute besuchten und den Segen ihrer Arbeit und die Fülle des Kindersegens ge- wahrten. Mit Trauer gedenke ich des Angesehensten unter ihnen, den inzwischen ein vorzeitiger Tod ereilt hat, ihres Führers Karl von Koseritz; er besass einen Schatz von indianischen Altertümern und war unermüdlich bestrebt, was der Kolonist von Scherben und Steingerät zu Tage förderte, vor dem Untergang zu retten. Eine kleine, aber auserlesene Sammlung lernten wir bei den Jesuiten von S. Leopoldo kennen, und ich möchte wohl wünschen, dass sie mit derselben verständnisvollen Liebe fortgesetzt und vermehrt werde, mit der sie angelegt worden war.
Im Juli kamen wir nach Rio de Janeiro. Ich erstattete Bericht in der Geographischen Gesellschaft und empfahl mit dringenden Worten Ihrer Kaiser- lichen Hoheit, der anwesenden Prinzess-Regentin, das Schicksal ihrer neuen Unterthanen. Sie hatte wenige Wochen vorher das Dekret der Sklavenbefreiung unterzeichnet, und die Gesellschaft fiel mit begeistertem Zuruf ein, als ich die naheliegende Nutzanwendung für die armen Teufel zog, die einst die Herren des Landes waren. Noch sehe ich sie lachen, als ich erzählte, dass die Bakairi, wenn sie mit ihrem Häuptling unzufrieden sind, das Dorf verlassen und ihn bitten, doch allein zu regieren; keiner der kleinen Scherze, die der Bericht über die Sitten der Ureinwohner enthalten musste, fand lebhafteren Anklang bei der Ver- sammlung.
Und noch eine Wendung in jenem Vortrag erscheint mir heute in be- sonderm Lichte. Wenn Keri, der "Imperador" in Rio de Janeiro stirbt, sagten die zahmen Bakairi, so sterben alle Bakairi. Jenseit des Meeres, ein Vertriebener, ist Keri gestorben. Keri ist tot und wird tot bleiben, weil für ihn kein Platz mehr ist in der neuen Welt. Die Bakairi aber werden bald da anlangen, wo sie ihrer Schöpfungssage gemäss beim Beginn der Dinge waren -- "Bakairi hat es immer gegeben, im Anfang aber waren es nur sehr wenige" -- und ihr Ende wird in der That dem Keri's nur mit einer Verspätung von wenigen Generationen folgen. Ihr erster Geschichtsschreiber Karilose ist wohl ihr letzter gewesen.
itahe-ura "ich gehe".
Einen lehrreichen und vergnügten Monat verbrachten mein Vetter und ich noch in der Provinz Rio Grande do Sul, wo uns das Herz aufging, als wir von einer »Schneiz« zur andern »Schneiz« reitend die fleissig schaffenden Lands- leute besuchten und den Segen ihrer Arbeit und die Fülle des Kindersegens ge- wahrten. Mit Trauer gedenke ich des Angesehensten unter ihnen, den inzwischen ein vorzeitiger Tod ereilt hat, ihres Führers Karl von Koseritz; er besass einen Schatz von indianischen Altertümern und war unermüdlich bestrebt, was der Kolonist von Scherben und Steingerät zu Tage förderte, vor dem Untergang zu retten. Eine kleine, aber auserlesene Sammlung lernten wir bei den Jesuiten von S. Leopoldo kennen, und ich möchte wohl wünschen, dass sie mit derselben verständnisvollen Liebe fortgesetzt und vermehrt werde, mit der sie angelegt worden war.
Im Juli kamen wir nach Rio de Janeiro. Ich erstattete Bericht in der Geographischen Gesellschaft und empfahl mit dringenden Worten Ihrer Kaiser- lichen Hoheit, der anwesenden Prinzess-Regentin, das Schicksal ihrer neuen Unterthanen. Sie hatte wenige Wochen vorher das Dekret der Sklavenbefreiung unterzeichnet, und die Gesellschaft fiel mit begeistertem Zuruf ein, als ich die naheliegende Nutzanwendung für die armen Teufel zog, die einst die Herren des Landes waren. Noch sehe ich sie lachen, als ich erzählte, dass die Bakaïrí, wenn sie mit ihrem Häuptling unzufrieden sind, das Dorf verlassen und ihn bitten, doch allein zu regieren; keiner der kleinen Scherze, die der Bericht über die Sitten der Ureinwohner enthalten musste, fand lebhafteren Anklang bei der Ver- sammlung.
Und noch eine Wendung in jenem Vortrag erscheint mir heute in be- sonderm Lichte. Wenn Keri, der »Imperador« in Rio de Janeiro stirbt, sagten die zahmen Bakaïrí, so sterben alle Bakaïrí. Jenseit des Meeres, ein Vertriebener, ist Keri gestorben. Keri ist tot und wird tot bleiben, weil für ihn kein Platz mehr ist in der neuen Welt. Die Bakaïrí aber werden bald da anlangen, wo sie ihrer Schöpfungssage gemäss beim Beginn der Dinge waren — »Bakaïrí hat es immer gegeben, im Anfang aber waren es nur sehr wenige« — und ihr Ende wird in der That dem Keri’s nur mit einer Verspätung von wenigen Generationen folgen. Ihr erster Geschichtsschreiber Karilose ist wohl ihr letzter gewesen.
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Einen lehrreichen und vergnügten Monat verbrachten mein Vetter und ich
noch in der Provinz Rio Grande do Sul, wo uns das Herz aufging, als wir
von einer »Schneiz« zur andern »Schneiz« reitend die fleissig schaffenden Lands-
leute besuchten und den Segen ihrer Arbeit und die Fülle des Kindersegens ge-
wahrten. Mit Trauer gedenke ich des Angesehensten unter ihnen, den inzwischen
ein vorzeitiger Tod ereilt hat, ihres Führers Karl von Koseritz; er besass
einen Schatz von indianischen Altertümern und war unermüdlich bestrebt, was
der Kolonist von Scherben und Steingerät zu Tage förderte, vor dem Untergang zu
retten. Eine kleine, aber auserlesene Sammlung lernten wir bei den Jesuiten
von S. Leopoldo kennen, und ich möchte wohl wünschen, dass sie mit derselben
verständnisvollen Liebe fortgesetzt und vermehrt werde, mit der sie angelegt
worden war.
Im Juli kamen wir nach Rio de Janeiro. Ich erstattete Bericht in der
Geographischen Gesellschaft und empfahl mit dringenden Worten Ihrer Kaiser-
lichen Hoheit, der anwesenden Prinzess-Regentin, das Schicksal ihrer neuen
Unterthanen. Sie hatte wenige Wochen vorher das Dekret der Sklavenbefreiung
unterzeichnet, und die Gesellschaft fiel mit begeistertem Zuruf ein, als ich die
naheliegende Nutzanwendung für die armen Teufel zog, die einst die Herren
des Landes waren. Noch sehe ich sie lachen, als ich erzählte, dass die Bakaïrí,
wenn sie mit ihrem Häuptling unzufrieden sind, das Dorf verlassen und ihn bitten,
doch allein zu regieren; keiner der kleinen Scherze, die der Bericht über die
Sitten der Ureinwohner enthalten musste, fand lebhafteren Anklang bei der Ver-
sammlung.
Und noch eine Wendung in jenem Vortrag erscheint mir heute in be-
sonderm Lichte. Wenn Keri, der »Imperador« in Rio de Janeiro stirbt, sagten
die zahmen Bakaïrí, so sterben alle Bakaïrí. Jenseit des Meeres, ein Vertriebener,
ist Keri gestorben. Keri ist tot und wird tot bleiben, weil für ihn kein Platz
mehr ist in der neuen Welt. Die Bakaïrí aber werden bald da anlangen, wo
sie ihrer Schöpfungssage gemäss beim Beginn der Dinge waren — »Bakaïrí hat
es immer gegeben, im Anfang aber waren es nur sehr wenige« — und ihr Ende
wird in der That dem Keri’s nur mit einer Verspätung von wenigen Generationen
folgen. Ihr erster Geschichtsschreiber Karilose ist wohl ihr letzter gewesen.
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 521. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/597>, abgerufen am 22.11.2024.
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