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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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bliebenen jedenfalls Nichts vorenthalten, mehr darf er nun aber auch nicht be-
anspruchen, er braucht den Weg nicht zurückzufinden und mag sich mit seinem
Araraleben begnügen. Die roten Araras sind Bororo, ja, die Bororo gehen
weiter, wie ich schon Seite 353 erwähnt habe, und sagen "wir sind Araras".
Dies ist entweder eine spätere Uebertreibung, die nur in auffälligster Weise
zeigt, wie grenzenlos gleichgültig den Indianern die Skrupel unserer Zoologen
sind, oder der Seelen-Vogel wird als Arara gedacht. Sie essen Araras niemals,
sie töten zahme niemals, sie wehklagen, wenn einer stirbt, nur wilde werden
um des Federschmucks willen getötet und um dessentwillen müssen sich auch
die zahmen Brüder ein systematisches Ausrupfen gefallen lassen.

Die Verstorbenen anderer Stämme werden andere Vögel. Die
Neger werden schwarze Urubus. Die Wahl ist nicht unglücklich; Farbe, Aus-
dünstung und Possirlichkeit können sie bei einem Böswilligen leicht anregen, und die
Bororo liebten die Neger nicht. Ich fragte Maria, was ich nach meinem Tode
würde, und erhielt die schmeichelhafte, durchaus im Ernst gegebene Antwort
"ein weisser Reiher". Die Seele ist ja bereits während des Lebens ein Vogel
und dies erscheint nicht weiter merkwürdig, da sie im Traum an ferne Orte
mit grosser Geschwindigkeit gelangt und eine Person, die das kann, für den
Jäger eben ein Vogel ist; es ist eine sekundäre Frage, welche Art Vögel dem
einen und welche dem andern Stamm zukommen. Dass sich ein Stamm für
sich selbst den schönsten Ziervogel aussucht, der nebenbei auch spricht, dessen
Gefieder dem Lebenden und dem Toten prächtigen Schmuck liefert, bietet dem
Verständnis keine Schwierigkeit. Allein die Bororo sind nicht blaue Araras,
sondern rote Araras, wie die Neger schwarze und die Weissen weisse Vögel
sind oder werden.

Nun werden aber die Medizinmänner in nicht minder leicht verständ-
licher Erweiterung nach ihrem Tode auch andere Tiere als Vögel, und zwar
Fische, Wels, Jahu und besonders Dourado, Fische, die sämtlich gross und
wohlschmeckend sind. Der Bari muss deshalb dabei sein, wenn sie getötet
werden, und muss sie einsegnen, vgl. Seite 492. Eine besondere Stellung
kommt noch dem Reh zu. "Ich weiss nicht", meinte Clemente, "welche Sym-
pathie sie für das Reh haben; Einige essen es zwar, wenn es eingesegnet ist.
Auch der Aroetaurari kann es nur essen, wenn es eingesegnet ist, Andere
würden davon sterben; sie töten es sehr selten, auch wenn es ganz nahe
kommt. Ich weiss nicht, ob es ein Heiliger von ihnen ist (nao sei, se e santo
d'elles
)."

Nicht einmal ein Bororo, ein Hund nur tötete eines Tages ein Reh; Einer
kostete von dem Fleisch, wurde an demselben Tage krank und starb nach
einiger Zeit. Von einem andern Fall wusste Clemente zu erzählen, dass Einer
einen grossen breiten Dourado getötet hatte und bald darauf starb. "Seht Ihr",
sagten die Bororo, als sie den Knochenkorb hergerichtet hatten, "der Dourado
war ein Medizinmann und hat ihn auch getötet."


bliebenen jedenfalls Nichts vorenthalten, mehr darf er nun aber auch nicht be-
anspruchen, er braucht den Weg nicht zurückzufinden und mag sich mit seinem
Araraleben begnügen. Die roten Araras sind Bororó, ja, die Bororó gehen
weiter, wie ich schon Seite 353 erwähnt habe, und sagen »wir sind Araras«.
Dies ist entweder eine spätere Uebertreibung, die nur in auffälligster Weise
zeigt, wie grenzenlos gleichgültig den Indianern die Skrupel unserer Zoologen
sind, oder der Seelen-Vogel wird als Arara gedacht. Sie essen Araras niemals,
sie töten zahme niemals, sie wehklagen, wenn einer stirbt, nur wilde werden
um des Federschmucks willen getötet und um dessentwillen müssen sich auch
die zahmen Brüder ein systematisches Ausrupfen gefallen lassen.

Die Verstorbenen anderer Stämme werden andere Vögel. Die
Neger werden schwarze Urubús. Die Wahl ist nicht unglücklich; Farbe, Aus-
dünstung und Possirlichkeit können sie bei einem Böswilligen leicht anregen, und die
Bororó liebten die Neger nicht. Ich fragte Maria, was ich nach meinem Tode
würde, und erhielt die schmeichelhafte, durchaus im Ernst gegebene Antwort
»ein weisser Reiher«. Die Seele ist ja bereits während des Lebens ein Vogel
und dies erscheint nicht weiter merkwürdig, da sie im Traum an ferne Orte
mit grosser Geschwindigkeit gelangt und eine Person, die das kann, für den
Jäger eben ein Vogel ist; es ist eine sekundäre Frage, welche Art Vögel dem
einen und welche dem andern Stamm zukommen. Dass sich ein Stamm für
sich selbst den schönsten Ziervogel aussucht, der nebenbei auch spricht, dessen
Gefieder dem Lebenden und dem Toten prächtigen Schmuck liefert, bietet dem
Verständnis keine Schwierigkeit. Allein die Bororó sind nicht blaue Araras,
sondern rote Araras, wie die Neger schwarze und die Weissen weisse Vögel
sind oder werden.

Nun werden aber die Medizinmänner in nicht minder leicht verständ-
licher Erweiterung nach ihrem Tode auch andere Tiere als Vögel, und zwar
Fische, Wels, Jahú und besonders Dourado, Fische, die sämtlich gross und
wohlschmeckend sind. Der Bari muss deshalb dabei sein, wenn sie getötet
werden, und muss sie einsegnen, vgl. Seite 492. Eine besondere Stellung
kommt noch dem Reh zu. »Ich weiss nicht«, meinte Clemente, »welche Sym-
pathie sie für das Reh haben; Einige essen es zwar, wenn es eingesegnet ist.
Auch der Aroetaurari kann es nur essen, wenn es eingesegnet ist, Andere
würden davon sterben; sie töten es sehr selten, auch wenn es ganz nahe
kommt. Ich weiss nicht, ob es ein Heiliger von ihnen ist (não sei, se é santo
d’elles
).«

Nicht einmal ein Bororó, ein Hund nur tötete eines Tages ein Reh; Einer
kostete von dem Fleisch, wurde an demselben Tage krank und starb nach
einiger Zeit. Von einem andern Fall wusste Clemente zu erzählen, dass Einer
einen grossen breiten Dourado getötet hatte und bald darauf starb. »Seht Ihr«,
sagten die Bororó, als sie den Knochenkorb hergerichtet hatten, »der Dourado
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[512/0586] bliebenen jedenfalls Nichts vorenthalten, mehr darf er nun aber auch nicht be- anspruchen, er braucht den Weg nicht zurückzufinden und mag sich mit seinem Araraleben begnügen. Die roten Araras sind Bororó, ja, die Bororó gehen weiter, wie ich schon Seite 353 erwähnt habe, und sagen »wir sind Araras«. Dies ist entweder eine spätere Uebertreibung, die nur in auffälligster Weise zeigt, wie grenzenlos gleichgültig den Indianern die Skrupel unserer Zoologen sind, oder der Seelen-Vogel wird als Arara gedacht. Sie essen Araras niemals, sie töten zahme niemals, sie wehklagen, wenn einer stirbt, nur wilde werden um des Federschmucks willen getötet und um dessentwillen müssen sich auch die zahmen Brüder ein systematisches Ausrupfen gefallen lassen. Die Verstorbenen anderer Stämme werden andere Vögel. Die Neger werden schwarze Urubús. Die Wahl ist nicht unglücklich; Farbe, Aus- dünstung und Possirlichkeit können sie bei einem Böswilligen leicht anregen, und die Bororó liebten die Neger nicht. Ich fragte Maria, was ich nach meinem Tode würde, und erhielt die schmeichelhafte, durchaus im Ernst gegebene Antwort »ein weisser Reiher«. Die Seele ist ja bereits während des Lebens ein Vogel und dies erscheint nicht weiter merkwürdig, da sie im Traum an ferne Orte mit grosser Geschwindigkeit gelangt und eine Person, die das kann, für den Jäger eben ein Vogel ist; es ist eine sekundäre Frage, welche Art Vögel dem einen und welche dem andern Stamm zukommen. Dass sich ein Stamm für sich selbst den schönsten Ziervogel aussucht, der nebenbei auch spricht, dessen Gefieder dem Lebenden und dem Toten prächtigen Schmuck liefert, bietet dem Verständnis keine Schwierigkeit. Allein die Bororó sind nicht blaue Araras, sondern rote Araras, wie die Neger schwarze und die Weissen weisse Vögel sind oder werden. Nun werden aber die Medizinmänner in nicht minder leicht verständ- licher Erweiterung nach ihrem Tode auch andere Tiere als Vögel, und zwar Fische, Wels, Jahú und besonders Dourado, Fische, die sämtlich gross und wohlschmeckend sind. Der Bari muss deshalb dabei sein, wenn sie getötet werden, und muss sie einsegnen, vgl. Seite 492. Eine besondere Stellung kommt noch dem Reh zu. »Ich weiss nicht«, meinte Clemente, »welche Sym- pathie sie für das Reh haben; Einige essen es zwar, wenn es eingesegnet ist. Auch der Aroetaurari kann es nur essen, wenn es eingesegnet ist, Andere würden davon sterben; sie töten es sehr selten, auch wenn es ganz nahe kommt. Ich weiss nicht, ob es ein Heiliger von ihnen ist (não sei, se é santo d’elles).« Nicht einmal ein Bororó, ein Hund nur tötete eines Tages ein Reh; Einer kostete von dem Fleisch, wurde an demselben Tage krank und starb nach einiger Zeit. Von einem andern Fall wusste Clemente zu erzählen, dass Einer einen grossen breiten Dourado getötet hatte und bald darauf starb. »Seht Ihr«, sagten die Bororó, als sie den Knochenkorb hergerichtet hatten, »der Dourado war ein Medizinmann und hat ihn auch getötet.«

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/586>, abgerufen am 22.11.2024.