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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Um 51/4 Uhr war man fertig; man sang noch eine kleine Weile, allein es
war in der letzten Stunde unheimlich leer geworden und ohne jeden feierlichen
Abschluss ging die Handlung zu Ende: man hörte einfach auf. Moguyokuri
bat sich meine Pfeife aus und schwatzte behaglich. Die Zeremonie war schon
vergessen. Ein altes Weib nahm den Knochenkorb auf den Rücken, ein junger
Bursche schritt ihr voraus, die grosse Totenflöte melancholisch blasend. Niemand
beachtete sie. So gingen die beiden dahin in der beginnenden Dämmerung,
die Jugend und das Alter -- ein stimmungsvolles Abendbildchen wie aus einem
Zaubermärchen. Sie gaben mit ein paar klagenden Lauten den Korb bei Co-
queiro ab, der in seiner ausgeräumten Hütte sass, und kehrten eiligst zu den
Uebrigen zurück. Und zwei Stunden später an diesem Ostersonntag brach der
Kayapolärm los.

Coqueiro hatte Nichts behalten. Seine Freunde machten Bogen und Pfeile
und schenkten sie ihm. Am dritten Morgen nach der Feier brachte er den
Knochenkorb fort und eine Frau mit gleicher Bürde beladen, schritt hinter ihm.
Denn es ist Sitte, dass ein Toter auf den nächsten wartet und die beiden zu-
sammen das Dorf verlassen. Wieder schien sich Niemand um sie zu kümmern,
und man hätte glauben können, es würden zwei Körbe mit Mandioka weg-
getragen. Doch kamen bald vier junge Leute ziemlich eilig daher und folgten
jenen in den Wald, der erste schwang ein Schwirrholz, der zweite und dritte
stiessen laute Schreckenstöne aus, der vierte schleifte hinter sich eine breite
Strasse mit einem Palmblatt, um die Fussspuren zu verwischen und den Toten
den Rückzug zu erschweren. Keine Frau liess sich sehen. Einer trug auch
eine Hacke. Die Körbe wurden beerdigt; man glaubte, auf einer kleinen fluss-
aufwärts gelegenen Insel.

Seele und Fortdauer nach dem Tode. Bei dem Wachenden giebt
es eine Wirkung in die Ferne, die an unserm Glauben vom Ohrenklingen
erinnert. Am Kulisehu sagte mir Tumayaua, als ich einmal nieste, meine
Frau rufe mich, die traurig sei, weil ich noch nicht zurückkehre. Bei gleicher
Gelegenheit wurde von den Bororo genau dasselbe behauptet; ein andermal,
da ich neben einer Indianerin stand und nieste, stellte sie sofort Fragen nach
den Namen meiner Verwandten: "Wie heisst Deine Mutter? Dein Bruder?
Dein Schwager?"

Die "Seele" heisst bupe. Im Traum verlässt sie den Körper. Die Furcht,
Schlafende zu wecken, war deutlich ausgesprochen. Auch Clemente glaubte,
dass es sehr schädlich sei. Doch hat es auch sein Nützliches, wie wir einst
im Ranchao sahen. Wilhelm wollte einen Schlafenden abzeichnen. Nun schien
dies das grössere Uebel zu sein, offenbar, weil man mit dem Bild Hexenkünste
treiben könnte; die Bororo sträubten sich meist gegen die Bemühungen Wilhelm's
und andrerseits freuten sie sich später, wenn er ihnen heimlich gemachte Porträts
[v]orzeigte. Das Abzeichnen jenes Schlafenden jedenfalls erschien ihnen bedenklich.
Sie wollten ihn wecken und, als ich sie daran verhinderte und sie tadelte,

Um 5¼ Uhr war man fertig; man sang noch eine kleine Weile, allein es
war in der letzten Stunde unheimlich leer geworden und ohne jeden feierlichen
Abschluss ging die Handlung zu Ende: man hörte einfach auf. Moguyokuri
bat sich meine Pfeife aus und schwatzte behaglich. Die Zeremonie war schon
vergessen. Ein altes Weib nahm den Knochenkorb auf den Rücken, ein junger
Bursche schritt ihr voraus, die grosse Totenflöte melancholisch blasend. Niemand
beachtete sie. So gingen die beiden dahin in der beginnenden Dämmerung,
die Jugend und das Alter — ein stimmungsvolles Abendbildchen wie aus einem
Zaubermärchen. Sie gaben mit ein paar klagenden Lauten den Korb bei Co-
queiro ab, der in seiner ausgeräumten Hütte sass, und kehrten eiligst zu den
Uebrigen zurück. Und zwei Stunden später an diesem Ostersonntag brach der
Kayapólärm los.

Coqueiro hatte Nichts behalten. Seine Freunde machten Bogen und Pfeile
und schenkten sie ihm. Am dritten Morgen nach der Feier brachte er den
Knochenkorb fort und eine Frau mit gleicher Bürde beladen, schritt hinter ihm.
Denn es ist Sitte, dass ein Toter auf den nächsten wartet und die beiden zu-
sammen das Dorf verlassen. Wieder schien sich Niemand um sie zu kümmern,
und man hätte glauben können, es würden zwei Körbe mit Mandioka weg-
getragen. Doch kamen bald vier junge Leute ziemlich eilig daher und folgten
jenen in den Wald, der erste schwang ein Schwirrholz, der zweite und dritte
stiessen laute Schreckenstöne aus, der vierte schleifte hinter sich eine breite
Strasse mit einem Palmblatt, um die Fussspuren zu verwischen und den Toten
den Rückzug zu erschweren. Keine Frau liess sich sehen. Einer trug auch
eine Hacke. Die Körbe wurden beerdigt; man glaubte, auf einer kleinen fluss-
aufwärts gelegenen Insel.

Seele und Fortdauer nach dem Tode. Bei dem Wachenden giebt
es eine Wirkung in die Ferne, die an unserm Glauben vom Ohrenklingen
erinnert. Am Kulisehu sagte mir Tumayaua, als ich einmal nieste, meine
Frau rufe mich, die traurig sei, weil ich noch nicht zurückkehre. Bei gleicher
Gelegenheit wurde von den Bororó genau dasselbe behauptet; ein andermal,
da ich neben einer Indianerin stand und nieste, stellte sie sofort Fragen nach
den Namen meiner Verwandten: »Wie heisst Deine Mutter? Dein Bruder?
Dein Schwager?«

Die »Seele« heisst búpe. Im Traum verlässt sie den Körper. Die Furcht,
Schlafende zu wecken, war deutlich ausgesprochen. Auch Clemente glaubte,
dass es sehr schädlich sei. Doch hat es auch sein Nützliches, wie wir einst
im Ranchão sahen. Wilhelm wollte einen Schlafenden abzeichnen. Nun schien
dies das grössere Uebel zu sein, offenbar, weil man mit dem Bild Hexenkünste
treiben könnte; die Bororó sträubten sich meist gegen die Bemühungen Wilhelm’s
und andrerseits freuten sie sich später, wenn er ihnen heimlich gemachte Porträts
[v]orzeigte. Das Abzeichnen jenes Schlafenden jedenfalls erschien ihnen bedenklich.
Sie wollten ihn wecken und, als ich sie daran verhinderte und sie tadelte,

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[510/0584] Um 5¼ Uhr war man fertig; man sang noch eine kleine Weile, allein es war in der letzten Stunde unheimlich leer geworden und ohne jeden feierlichen Abschluss ging die Handlung zu Ende: man hörte einfach auf. Moguyokuri bat sich meine Pfeife aus und schwatzte behaglich. Die Zeremonie war schon vergessen. Ein altes Weib nahm den Knochenkorb auf den Rücken, ein junger Bursche schritt ihr voraus, die grosse Totenflöte melancholisch blasend. Niemand beachtete sie. So gingen die beiden dahin in der beginnenden Dämmerung, die Jugend und das Alter — ein stimmungsvolles Abendbildchen wie aus einem Zaubermärchen. Sie gaben mit ein paar klagenden Lauten den Korb bei Co- queiro ab, der in seiner ausgeräumten Hütte sass, und kehrten eiligst zu den Uebrigen zurück. Und zwei Stunden später an diesem Ostersonntag brach der Kayapólärm los. Coqueiro hatte Nichts behalten. Seine Freunde machten Bogen und Pfeile und schenkten sie ihm. Am dritten Morgen nach der Feier brachte er den Knochenkorb fort und eine Frau mit gleicher Bürde beladen, schritt hinter ihm. Denn es ist Sitte, dass ein Toter auf den nächsten wartet und die beiden zu- sammen das Dorf verlassen. Wieder schien sich Niemand um sie zu kümmern, und man hätte glauben können, es würden zwei Körbe mit Mandioka weg- getragen. Doch kamen bald vier junge Leute ziemlich eilig daher und folgten jenen in den Wald, der erste schwang ein Schwirrholz, der zweite und dritte stiessen laute Schreckenstöne aus, der vierte schleifte hinter sich eine breite Strasse mit einem Palmblatt, um die Fussspuren zu verwischen und den Toten den Rückzug zu erschweren. Keine Frau liess sich sehen. Einer trug auch eine Hacke. Die Körbe wurden beerdigt; man glaubte, auf einer kleinen fluss- aufwärts gelegenen Insel. Seele und Fortdauer nach dem Tode. Bei dem Wachenden giebt es eine Wirkung in die Ferne, die an unserm Glauben vom Ohrenklingen erinnert. Am Kulisehu sagte mir Tumayaua, als ich einmal nieste, meine Frau rufe mich, die traurig sei, weil ich noch nicht zurückkehre. Bei gleicher Gelegenheit wurde von den Bororó genau dasselbe behauptet; ein andermal, da ich neben einer Indianerin stand und nieste, stellte sie sofort Fragen nach den Namen meiner Verwandten: »Wie heisst Deine Mutter? Dein Bruder? Dein Schwager?« Die »Seele« heisst búpe. Im Traum verlässt sie den Körper. Die Furcht, Schlafende zu wecken, war deutlich ausgesprochen. Auch Clemente glaubte, dass es sehr schädlich sei. Doch hat es auch sein Nützliches, wie wir einst im Ranchão sahen. Wilhelm wollte einen Schlafenden abzeichnen. Nun schien dies das grössere Uebel zu sein, offenbar, weil man mit dem Bild Hexenkünste treiben könnte; die Bororó sträubten sich meist gegen die Bemühungen Wilhelm’s und andrerseits freuten sie sich später, wenn er ihnen heimlich gemachte Porträts vorzeigte. Das Abzeichnen jenes Schlafenden jedenfalls erschien ihnen bedenklich. Sie wollten ihn wecken und, als ich sie daran verhinderte und sie tadelte,

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 510. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/584>, abgerufen am 22.11.2024.