Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

des Tanzes. "Der Tanz, der darin bestand, dass sie die Gebräuche ihrer Vor-
fahren nachahmten (?), war ein wenig schwerfällig und begleitet von Gesängen
in einer von der heutigen unterschiedenen Sprache. Der melancholischste und
traurigste Tanz war dem Andenken ihrer Verstorbenen gewidmet; sie
stellten darin diese als anwesend dar, unterhielten sich mit ihnen und
erwiesen ihnen Liebkosungen aller Art
."

Den Tanz zur Ermutigung im Kampf gegen die feindlichen Kayapo, an
dem wir theilnehmen mussten, habe ich Seite 459 geschildert. Einzelheiten
über den Tanz und Gesang bei der Totenfeier werden sich bei dem besonderen
Bericht über die Bestattung von Coqueiro's Gattin ergeben, und dort werde ich
auch den Tanz am Vorabend beschreiben, bei dem die Hinterlassenschaft
der Toten verbrannt wurde.

Einen komischen Tanz sahen wir am 8. April, den "Pare"-tanz. Vier
junge Männer im Parikoschmuck erschienen hinter dem Ranchao, von Domingo
geführt, der in jeder Hand einen Rasselkürbis schwang. Sie machten taktmässig
kleine Sprünge mit gleichen Füssen und tanzten so im Kreis herum, ihre Front
in plötzlichem Wechsel bald nach innen bald nach aussen kehrend. Dann
kamen drei junge Mädchen, jede tanzte zaghaft hinter einem der Jünglinge, ihn
an den Hüften anfassend. Die Zuschauer freuten sich, doch steigerte sich ihre
Heiterkeit bedeutend, als nun eine vierte keckere Person mit Rindengürtel und
Bastbinde in den Kreis sprang, die trotz eines das Gesicht verhüllenden Kopf-
tuchs leicht als Mann zu erkennen war. Er trug Perlenschnüre um den Hals
und in der Hand eine kleine Matte, mit der er im Takt dem Boden zu fächelte.
Das Vergnügen dauerte etwa eine Viertelstunde, die Frauen, die unechte zuerst,
traten aus, die Männer tanzten noch einmal in beschleunigtem Tempo herum
und gingen baden.

Ringkämpfe, friedliche, fanden nach folgenden Regeln statt. Wer Je-
manden herausfordern will, fasst ihn an sein rechtes Handgelenk. Die Beiden
treten einander gegenüber, und Jeder legt seine Hände unter den Schultern
oder im Kreuz des Andern zusammen; in dieser Umarmung stehen beide mit
fast wagerechten Leibern, ihre Füsse haben einen möglichst grossen Abstand
und der Eine blickt auf den Rücken des Andern. Lächelnd verweilen sie so
eine Zeitlang in aller Ruhe, dann aber wird es ihnen plötzlich sehr ernst; die
Aufgabe ist die, dass man dem Andern ein Bein stellt und ihn so zu Fall bringt.
Einer eröffnet den Angriff, indem er seine Ferse in eine Kniekehle des Andern
zu bringen und sie zu beugen sucht, dieser aber stellt das stramm durch-
gedrückte Bein so weit zurück, dass Jener keine Kraft auszuüben vermag.
Aeusserst rasch folgen sich die Vers[ - 7 Zeichen fehlen]ald von beiden Seiten, bis einer fällt.
Revanche steht ihm immer zu Diensten. Vorzügliches leistete im Ranchao
bei dieser Unterhaltung, indem er hintereinander drei oder vier der längsten
Stammesgenossen warf, ein kleiner, gewandter, aber hässlicher und einäugiger
Mensch, den wir den Clown nannten, der jedoch mit seinem cuyabaner Tauf-

des Tanzes. »Der Tanz, der darin bestand, dass sie die Gebräuche ihrer Vor-
fahren nachahmten (?), war ein wenig schwerfällig und begleitet von Gesängen
in einer von der heutigen unterschiedenen Sprache. Der melancholischste und
traurigste Tanz war dem Andenken ihrer Verstorbenen gewidmet; sie
stellten darin diese als anwesend dar, unterhielten sich mit ihnen und
erwiesen ihnen Liebkosungen aller Art

Den Tanz zur Ermutigung im Kampf gegen die feindlichen Kayapó, an
dem wir theilnehmen mussten, habe ich Seite 459 geschildert. Einzelheiten
über den Tanz und Gesang bei der Totenfeier werden sich bei dem besonderen
Bericht über die Bestattung von Coqueiro’s Gattin ergeben, und dort werde ich
auch den Tanz am Vorabend beschreiben, bei dem die Hinterlassenschaft
der Toten verbrannt wurde.

Einen komischen Tanz sahen wir am 8. April, den »Pare«-tanz. Vier
junge Männer im Paríkoschmuck erschienen hinter dem Ranchão, von Domingo
geführt, der in jeder Hand einen Rasselkürbis schwang. Sie machten taktmässig
kleine Sprünge mit gleichen Füssen und tanzten so im Kreis herum, ihre Front
in plötzlichem Wechsel bald nach innen bald nach aussen kehrend. Dann
kamen drei junge Mädchen, jede tanzte zaghaft hinter einem der Jünglinge, ihn
an den Hüften anfassend. Die Zuschauer freuten sich, doch steigerte sich ihre
Heiterkeit bedeutend, als nun eine vierte keckere Person mit Rindengürtel und
Bastbinde in den Kreis sprang, die trotz eines das Gesicht verhüllenden Kopf-
tuchs leicht als Mann zu erkennen war. Er trug Perlenschnüre um den Hals
und in der Hand eine kleine Matte, mit der er im Takt dem Boden zu fächelte.
Das Vergnügen dauerte etwa eine Viertelstunde, die Frauen, die unechte zuerst,
traten aus, die Männer tanzten noch einmal in beschleunigtem Tempo herum
und gingen baden.

Ringkämpfe, friedliche, fanden nach folgenden Regeln statt. Wer Je-
manden herausfordern will, fasst ihn an sein rechtes Handgelenk. Die Beiden
treten einander gegenüber, und Jeder legt seine Hände unter den Schultern
oder im Kreuz des Andern zusammen; in dieser Umarmung stehen beide mit
fast wagerechten Leibern, ihre Füsse haben einen möglichst grossen Abstand
und der Eine blickt auf den Rücken des Andern. Lächelnd verweilen sie so
eine Zeitlang in aller Ruhe, dann aber wird es ihnen plötzlich sehr ernst; die
Aufgabe ist die, dass man dem Andern ein Bein stellt und ihn so zu Fall bringt.
Einer eröffnet den Angriff, indem er seine Ferse in eine Kniekehle des Andern
zu bringen und sie zu beugen sucht, dieser aber stellt das stramm durch-
gedrückte Bein so weit zurück, dass Jener keine Kraft auszuüben vermag.
Aeusserst rasch folgen sich die Vers[ – 7 Zeichen fehlen]ald von beiden Seiten, bis einer fällt.
Revanche steht ihm immer zu Diensten. Vorzügliches leistete im Ranchão
bei dieser Unterhaltung, indem er hintereinander drei oder vier der längsten
Stammesgenossen warf, ein kleiner, gewandter, aber hässlicher und einäugiger
Mensch, den wir den Clown nannten, der jedoch mit seinem cuyabaner Tauf-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0567" n="495"/>
des Tanzes. »Der Tanz, der darin bestand, dass sie die Gebräuche ihrer Vor-<lb/>
fahren nachahmten (?), war ein wenig schwerfällig und begleitet von Gesängen<lb/>
in einer von der heutigen unterschiedenen Sprache. Der melancholischste und<lb/>
traurigste Tanz war dem <hi rendition="#g">Andenken ihrer Verstorbenen</hi> gewidmet; sie<lb/>
stellten darin diese als <hi rendition="#g">anwesend</hi> dar, <hi rendition="#g">unterhielten sich mit ihnen und<lb/>
erwiesen ihnen Liebkosungen aller Art</hi></p><lb/>
          <p>Den Tanz zur Ermutigung im <hi rendition="#g">Kampf</hi> gegen die feindlichen Kayapó, an<lb/>
dem wir theilnehmen mussten, habe ich Seite 459 geschildert. Einzelheiten<lb/>
über den Tanz und Gesang bei der <hi rendition="#g">Totenfeier</hi> werden sich bei dem besonderen<lb/>
Bericht über die Bestattung von Coqueiro&#x2019;s Gattin ergeben, und dort werde ich<lb/>
auch den Tanz am Vorabend beschreiben, bei dem die <hi rendition="#g">Hinterlassenschaft</hi><lb/>
der Toten verbrannt wurde.</p><lb/>
          <p>Einen komischen Tanz sahen wir am 8. April, den »<hi rendition="#g">Pare</hi>«-tanz. Vier<lb/>
junge Männer im Paríkoschmuck erschienen hinter dem Ranchão, von Domingo<lb/>
geführt, der in jeder Hand einen Rasselkürbis schwang. Sie machten taktmässig<lb/>
kleine Sprünge mit gleichen Füssen und tanzten so im Kreis herum, ihre Front<lb/>
in plötzlichem Wechsel bald nach innen bald nach aussen kehrend. Dann<lb/>
kamen drei junge Mädchen, jede tanzte zaghaft hinter einem der Jünglinge, ihn<lb/>
an den Hüften anfassend. Die Zuschauer freuten sich, doch steigerte sich ihre<lb/>
Heiterkeit bedeutend, als nun eine vierte keckere Person mit Rindengürtel und<lb/>
Bastbinde in den Kreis sprang, die trotz eines das Gesicht verhüllenden Kopf-<lb/>
tuchs leicht als Mann zu erkennen war. Er trug Perlenschnüre um den Hals<lb/>
und in der Hand eine kleine Matte, mit der er im Takt dem Boden zu fächelte.<lb/>
Das Vergnügen dauerte etwa eine Viertelstunde, die Frauen, die unechte zuerst,<lb/>
traten aus, die Männer tanzten noch einmal in beschleunigtem Tempo herum<lb/>
und gingen baden.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Ringkämpfe</hi>, friedliche, fanden nach folgenden Regeln statt. Wer Je-<lb/>
manden herausfordern will, fasst ihn an sein rechtes Handgelenk. Die Beiden<lb/>
treten einander gegenüber, und Jeder legt seine Hände unter den Schultern<lb/>
oder im Kreuz des Andern zusammen; in dieser Umarmung stehen beide mit<lb/>
fast wagerechten Leibern, ihre Füsse haben einen möglichst grossen Abstand<lb/>
und der Eine blickt auf den Rücken des Andern. Lächelnd verweilen sie so<lb/>
eine Zeitlang in aller Ruhe, dann aber wird es ihnen plötzlich sehr ernst; die<lb/>
Aufgabe ist die, dass man dem Andern ein Bein stellt und ihn so zu Fall bringt.<lb/>
Einer eröffnet den Angriff, indem er seine Ferse in eine Kniekehle des Andern<lb/>
zu bringen und sie zu beugen sucht, dieser aber stellt das stramm durch-<lb/>
gedrückte Bein so weit zurück, dass Jener keine Kraft auszuüben vermag.<lb/>
Aeusserst rasch folgen sich die Vers<gap unit="chars" quantity="7"/>ald von beiden Seiten, bis einer fällt.<lb/>
Revanche steht ihm immer zu Diensten. Vorzügliches leistete im Ranchão<lb/>
bei dieser Unterhaltung, indem er hintereinander drei oder vier der längsten<lb/>
Stammesgenossen warf, ein kleiner, gewandter, aber hässlicher und einäugiger<lb/>
Mensch, den wir den Clown nannten, der jedoch mit seinem cuyabaner Tauf-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[495/0567] des Tanzes. »Der Tanz, der darin bestand, dass sie die Gebräuche ihrer Vor- fahren nachahmten (?), war ein wenig schwerfällig und begleitet von Gesängen in einer von der heutigen unterschiedenen Sprache. Der melancholischste und traurigste Tanz war dem Andenken ihrer Verstorbenen gewidmet; sie stellten darin diese als anwesend dar, unterhielten sich mit ihnen und erwiesen ihnen Liebkosungen aller Art.« Den Tanz zur Ermutigung im Kampf gegen die feindlichen Kayapó, an dem wir theilnehmen mussten, habe ich Seite 459 geschildert. Einzelheiten über den Tanz und Gesang bei der Totenfeier werden sich bei dem besonderen Bericht über die Bestattung von Coqueiro’s Gattin ergeben, und dort werde ich auch den Tanz am Vorabend beschreiben, bei dem die Hinterlassenschaft der Toten verbrannt wurde. Einen komischen Tanz sahen wir am 8. April, den »Pare«-tanz. Vier junge Männer im Paríkoschmuck erschienen hinter dem Ranchão, von Domingo geführt, der in jeder Hand einen Rasselkürbis schwang. Sie machten taktmässig kleine Sprünge mit gleichen Füssen und tanzten so im Kreis herum, ihre Front in plötzlichem Wechsel bald nach innen bald nach aussen kehrend. Dann kamen drei junge Mädchen, jede tanzte zaghaft hinter einem der Jünglinge, ihn an den Hüften anfassend. Die Zuschauer freuten sich, doch steigerte sich ihre Heiterkeit bedeutend, als nun eine vierte keckere Person mit Rindengürtel und Bastbinde in den Kreis sprang, die trotz eines das Gesicht verhüllenden Kopf- tuchs leicht als Mann zu erkennen war. Er trug Perlenschnüre um den Hals und in der Hand eine kleine Matte, mit der er im Takt dem Boden zu fächelte. Das Vergnügen dauerte etwa eine Viertelstunde, die Frauen, die unechte zuerst, traten aus, die Männer tanzten noch einmal in beschleunigtem Tempo herum und gingen baden. Ringkämpfe, friedliche, fanden nach folgenden Regeln statt. Wer Je- manden herausfordern will, fasst ihn an sein rechtes Handgelenk. Die Beiden treten einander gegenüber, und Jeder legt seine Hände unter den Schultern oder im Kreuz des Andern zusammen; in dieser Umarmung stehen beide mit fast wagerechten Leibern, ihre Füsse haben einen möglichst grossen Abstand und der Eine blickt auf den Rücken des Andern. Lächelnd verweilen sie so eine Zeitlang in aller Ruhe, dann aber wird es ihnen plötzlich sehr ernst; die Aufgabe ist die, dass man dem Andern ein Bein stellt und ihn so zu Fall bringt. Einer eröffnet den Angriff, indem er seine Ferse in eine Kniekehle des Andern zu bringen und sie zu beugen sucht, dieser aber stellt das stramm durch- gedrückte Bein so weit zurück, dass Jener keine Kraft auszuüben vermag. Aeusserst rasch folgen sich die Vers_______ald von beiden Seiten, bis einer fällt. Revanche steht ihm immer zu Diensten. Vorzügliches leistete im Ranchão bei dieser Unterhaltung, indem er hintereinander drei oder vier der längsten Stammesgenossen warf, ein kleiner, gewandter, aber hässlicher und einäugiger Mensch, den wir den Clown nannten, der jedoch mit seinem cuyabaner Tauf-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/567
Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/567>, abgerufen am 21.05.2024.