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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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azurblauen, in den Sonnenlichtern metallisch aufschimmernden Neoptolemos-Falter
bei seinem Flug von Staude zu Staude beobachtete. Und so bescheiden die
niedrigen Guariroba-Palmen mit ihren gewöhnlichen Blättern waren, so elegant
erschienen dem Auge schon aus weiter Ferne die mit mächtiger Fächerkrone
aufragenden Buritis, die nicht nur wegen ihrer Schönheit, sondern namentlich auch
deshalb willkommen waren, weil sich bei ihrem Standort immer Wasser befindet.

Gern würde ich auch den tropischen Früchten, die man in unserer Einöde
billiger Weise im Ueberfluss antreffen sollte, ein Loblied singen, um das Konto
der Annehmlichkeiten zu vermehren, aber es ist merkwürdig, man mag kommen,
wann man will, es ist stets zu spät oder zu früh für die Gaben Pomonas.
Schon fast zu zählen waren die Früchte der Uakuma-Palmen, Cocos campestris,
die uns zu Teil wurden, und deren gelboranges Fleisch einen klebrigen aprikosen-
süssen Saft besass; gewöhnlich hatte sie schon vor vollendeter Reife der Tapir
gefressen. Nur sehr selten konnten wir uns an ein paar Mangaven, Hancornia
speciosa, erquicken, und am allerseltensten war uns das Beste, die äusserlich apfel-
ähnliche, "grossartig" schmeckende Frucht von Solanum lycocarpum, Fruta de
lobo oder Wolfsfrucht des Sertanejo's beschieden, deren quellender Süssigkeit
durch die schwarzen Kerne ein wenig zarte Bitterkeit beigemischt wurde. Dabei
schritt in unserer Marschordnung der "indian file" Einer hinter dem Andern, und
war die blosse Gelegenheit schon selten, so war noch viel seltener der Vordermann,
der sie nicht für sich selbst voll ausnutzte. Ich, der ich doch meist an zweiter
Stelle ging, glaubte schon recht zu kurz zu kommen, und bildete mir von dem
sonst so löblichen Antonio vor mir das Urteil, dass er Alles von reifen saftigen
Früchten bemerke und Alles schleunigst in Selbstsucht geniesse; er kam, sah
und saugte.

Nun, und wenn sich während des Marsches die Summe der Lust und die
der Unlust etwa die Wage hielten, so überwog auf dem "Pouso" jedenfalls das
Vergnügen trotz der gelegentlichen Misere eines schlechten Platzes oder des
Ungeziefers oder der vermissten Maultiere.

Nachtlager und Küche. Auf Wasser, Weide und "Hängemattenbäume"
kam es an, wenn wir Quartier machten. Zum idealen Pouso gehörte ein klarer
Bach mit bequemem Zutritt für Tiere und Menschen, der auch an tieferen Stellen
zwischen reinlichen Sandsteinplatten ein erfrischendes Bad gewährte, gehörte
ferner junges saftiges Gras in einer vom krüppeligen Kampwald umschlossenen
Thalmulde, sodass die Esel nicht verlockt wurden, in die Ferne zu schweifen,
gehörte endlich ein Ufer, gut ventiliert, ohne fliegendes und kriechendes Ungeziefer
und frei von Untergestrüpp mit schlanken Bäumen in einem Abstand von 7 bis
9 Schritt. Der absolut schlechte Pouso war in dürrer Grassteppe ein Stück
Morast mit zwei oder drei dicht beieinander stehenden Buritipalmen, mit einer
schwülen Pfütze und darüber summendem Moskitoschwarm; so schlimm aber kam
es wenigstens auf dem H in weg nur ganz ausnahmsweise.


azurblauen, in den Sonnenlichtern metallisch aufschimmernden Neoptolemos-Falter
bei seinem Flug von Staude zu Staude beobachtete. Und so bescheiden die
niedrigen Guariroba-Palmen mit ihren gewöhnlichen Blättern waren, so elegant
erschienen dem Auge schon aus weiter Ferne die mit mächtiger Fächerkrone
aufragenden Buritís, die nicht nur wegen ihrer Schönheit, sondern namentlich auch
deshalb willkommen waren, weil sich bei ihrem Standort immer Wasser befindet.

Gern würde ich auch den tropischen Früchten, die man in unserer Einöde
billiger Weise im Ueberfluss antreffen sollte, ein Loblied singen, um das Konto
der Annehmlichkeiten zu vermehren, aber es ist merkwürdig, man mag kommen,
wann man will, es ist stets zu spät oder zu früh für die Gaben Pomonas.
Schon fast zu zählen waren die Früchte der Uakumá-Palmen, Cocos campestris,
die uns zu Teil wurden, und deren gelboranges Fleisch einen klebrigen aprikosen-
süssen Saft besass; gewöhnlich hatte sie schon vor vollendeter Reife der Tapir
gefressen. Nur sehr selten konnten wir uns an ein paar Mangaven, Hancornia
speciosa, erquicken, und am allerseltensten war uns das Beste, die äusserlich apfel-
ähnliche, »grossartig« schmeckende Frucht von Solanum lycocarpum, Fruta de
lobo oder Wolfsfrucht des Sertanejo’s beschieden, deren quellender Süssigkeit
durch die schwarzen Kerne ein wenig zarte Bitterkeit beigemischt wurde. Dabei
schritt in unserer Marschordnung der »indian file« Einer hinter dem Andern, und
war die blosse Gelegenheit schon selten, so war noch viel seltener der Vordermann,
der sie nicht für sich selbst voll ausnutzte. Ich, der ich doch meist an zweiter
Stelle ging, glaubte schon recht zu kurz zu kommen, und bildete mir von dem
sonst so löblichen Antonio vor mir das Urteil, dass er Alles von reifen saftigen
Früchten bemerke und Alles schleunigst in Selbstsucht geniesse; er kam, sah
und saugte.

Nun, und wenn sich während des Marsches die Summe der Lust und die
der Unlust etwa die Wage hielten, so überwog auf dem »Pouso« jedenfalls das
Vergnügen trotz der gelegentlichen Misère eines schlechten Platzes oder des
Ungeziefers oder der vermissten Maultiere.

Nachtlager und Küche. Auf Wasser, Weide und »Hängemattenbäume«
kam es an, wenn wir Quartier machten. Zum idealen Pouso gehörte ein klarer
Bach mit bequemem Zutritt für Tiere und Menschen, der auch an tieferen Stellen
zwischen reinlichen Sandsteinplatten ein erfrischendes Bad gewährte, gehörte
ferner junges saftiges Gras in einer vom krüppeligen Kampwald umschlossenen
Thalmulde, sodass die Esel nicht verlockt wurden, in die Ferne zu schweifen,
gehörte endlich ein Ufer, gut ventiliert, ohne fliegendes und kriechendes Ungeziefer
und frei von Untergestrüpp mit schlanken Bäumen in einem Abstand von 7 bis
9 Schritt. Der absolut schlechte Pouso war in dürrer Grassteppe ein Stück
Morast mit zwei oder drei dicht beieinander stehenden Buritípalmen, mit einer
schwülen Pfütze und darüber summendem Moskitoschwarm; so schlimm aber kam
es wenigstens auf dem H in weg nur ganz ausnahmsweise.


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[32/0056] azurblauen, in den Sonnenlichtern metallisch aufschimmernden Neoptolemos-Falter bei seinem Flug von Staude zu Staude beobachtete. Und so bescheiden die niedrigen Guariroba-Palmen mit ihren gewöhnlichen Blättern waren, so elegant erschienen dem Auge schon aus weiter Ferne die mit mächtiger Fächerkrone aufragenden Buritís, die nicht nur wegen ihrer Schönheit, sondern namentlich auch deshalb willkommen waren, weil sich bei ihrem Standort immer Wasser befindet. Gern würde ich auch den tropischen Früchten, die man in unserer Einöde billiger Weise im Ueberfluss antreffen sollte, ein Loblied singen, um das Konto der Annehmlichkeiten zu vermehren, aber es ist merkwürdig, man mag kommen, wann man will, es ist stets zu spät oder zu früh für die Gaben Pomonas. Schon fast zu zählen waren die Früchte der Uakumá-Palmen, Cocos campestris, die uns zu Teil wurden, und deren gelboranges Fleisch einen klebrigen aprikosen- süssen Saft besass; gewöhnlich hatte sie schon vor vollendeter Reife der Tapir gefressen. Nur sehr selten konnten wir uns an ein paar Mangaven, Hancornia speciosa, erquicken, und am allerseltensten war uns das Beste, die äusserlich apfel- ähnliche, »grossartig« schmeckende Frucht von Solanum lycocarpum, Fruta de lobo oder Wolfsfrucht des Sertanejo’s beschieden, deren quellender Süssigkeit durch die schwarzen Kerne ein wenig zarte Bitterkeit beigemischt wurde. Dabei schritt in unserer Marschordnung der »indian file« Einer hinter dem Andern, und war die blosse Gelegenheit schon selten, so war noch viel seltener der Vordermann, der sie nicht für sich selbst voll ausnutzte. Ich, der ich doch meist an zweiter Stelle ging, glaubte schon recht zu kurz zu kommen, und bildete mir von dem sonst so löblichen Antonio vor mir das Urteil, dass er Alles von reifen saftigen Früchten bemerke und Alles schleunigst in Selbstsucht geniesse; er kam, sah und saugte. Nun, und wenn sich während des Marsches die Summe der Lust und die der Unlust etwa die Wage hielten, so überwog auf dem »Pouso« jedenfalls das Vergnügen trotz der gelegentlichen Misère eines schlechten Platzes oder des Ungeziefers oder der vermissten Maultiere. Nachtlager und Küche. Auf Wasser, Weide und »Hängemattenbäume« kam es an, wenn wir Quartier machten. Zum idealen Pouso gehörte ein klarer Bach mit bequemem Zutritt für Tiere und Menschen, der auch an tieferen Stellen zwischen reinlichen Sandsteinplatten ein erfrischendes Bad gewährte, gehörte ferner junges saftiges Gras in einer vom krüppeligen Kampwald umschlossenen Thalmulde, sodass die Esel nicht verlockt wurden, in die Ferne zu schweifen, gehörte endlich ein Ufer, gut ventiliert, ohne fliegendes und kriechendes Ungeziefer und frei von Untergestrüpp mit schlanken Bäumen in einem Abstand von 7 bis 9 Schritt. Der absolut schlechte Pouso war in dürrer Grassteppe ein Stück Morast mit zwei oder drei dicht beieinander stehenden Buritípalmen, mit einer schwülen Pfütze und darüber summendem Moskitoschwarm; so schlimm aber kam es wenigstens auf dem H in weg nur ganz ausnahmsweise.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/56>, abgerufen am 04.05.2024.