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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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die Kenntnis der Pronominalpraefixe für die Körperteile, die für jede Person ver-
schieden lauten, und bald war es ihr Lieblingssport, in ihrer Sprache zu dekla-
mieren "meine Nase, deine Nase, seine Nase, unsere Nase, eure Nase, ihre Nase"
in allen möglichen Variationen. Besonders intelligent war die kleine Range in
der Mitte auf Abbildung 128. Auch aus unserm Deutsch hörte er immer Bororo
heraus. Es wurde der Ausdruck "papageienmässig" gebraucht; sogleich ertönte
der Ausruf: "papagaima" = "wir baden". Als Ehrenreich eines Abends den Mond
mit den Worten des Doktor Faust anredete und zu der Stelle kam: "in Deinem
Thau gesund mich baden", fiel der Bengel sofort ein "itau! akau, au" = "mein
Haar, dein Haar, sein Haar". Dieses Spiel war um so origineller, als der Kadett
Caldas, ihr Magister, der auch die Bororosprache bearbeiten sollte, die amerikani-
schen Pronominalpraefixe, die ich suchte, für eitel Schwindel und für eine Er-
findung der Jungen nach Art der Hühnersprache erklärte. Er blieb auch dabei,
weil er in seinen Ansichten sehr zähe war. Urteilte er doch auch höchst abfällig
über unsere Meinung, dass das Lateinische eine tote Sprache sei, denn es werde
in Egypten gesprochen. Was aber viel schlimmer war, er behauptete, dass
"Müller" -- der Himmel weiss, wo er die Kenntnis seines einzigen deutschen
Wortes gewonnen hatte -- ein französisches Wort sei, und bestand darauf, trotz
der komischen Verzweiflung Ehrenreich's, der als geborener Spreeathener gegen-
über solch unerhörtem Angriff auf das Berliner Adressbuch die Grundlage seines
Denkens und Empfindens erschüttert fühlte.

Wenn Caldas, der für den Unterricht der Bororoknaben eine besondere
Zulage empfing, von seinen Schülern wenig lernte, so lernten diese doch wohl noch
weniger von ihm. Es ist wahr, die Schlingel kamen nur ungern; sie kamen im
Anfang sogar überhaupt nicht und wurden erst dadurch bezwungen, dass sich ein
paar neugierige Väter mit in die Schule setzten. Die Art, wie die Widerstrebenden
Morgens versammelt wurden, erinnerte lebhaft an das Spiel "Schweinchen in den
Stall bringen". Dann waren sie auch äusserst unaufmerksam. Doch muss ich
gestehen, die Methode hätte nicht seltsamer sein können. Ich dachte, die Kinder
lernten zunächst einmal die portugiesischen Namen für die bekanntesten Dinge,
Nutzpflanzen, Tiere, Geräte, an denen sie gewiss ihre Freude gehabt hätten,
da sie mich aus freien Stücken danach fragten. Ich dachte ferner, wenn sie
durchaus lesen lernen sollten -- aber es ist wirklich ganz gleichgiltig, was ich
dachte, und besser, sich auf den Bericht zu beschränken.

Die Jungen hatten jeder einen von Caldas beschriebenen Bogen in der Hand.
Darauf lasen wir -- natürlich nicht sie -- al, el, il, ol, ul, bal, bel, bil, bol, bul,
dal, del, dil, dol, dul u. s. w. über die ganze Seite. Der Lehrer sagte ihnen eine
Zeile nach der andern vor, die Jungen mussten es nachsprechen. Stundenlang
übten sie, ihr Papier lustig schwenkend, "bal, bel, bil, bol, bul, dal, del, dil, dol, dul".
Weiter waren sie in mehreren Monaten allerdings noch nicht gekommen. Caldas
selbst schien ungeduldig und fragte während der kurzen Zeit, die wir in der Vor-
stellung aushielten, dreimal, wie viel Uhr es sei. Zwei Bororoväter sassen in der

die Kenntnis der Pronominalpraefixe für die Körperteile, die für jede Person ver-
schieden lauten, und bald war es ihr Lieblingssport, in ihrer Sprache zu dekla-
mieren »meine Nase, deine Nase, seine Nase, unsere Nase, eure Nase, ihre Nase«
in allen möglichen Variationen. Besonders intelligent war die kleine Range in
der Mitte auf Abbildung 128. Auch aus unserm Deutsch hörte er immer Bororó
heraus. Es wurde der Ausdruck »papageienmässig« gebraucht; sogleich ertönte
der Ausruf: „papagaíma“ = »wir baden«. Als Ehrenreich eines Abends den Mond
mit den Worten des Doktor Faust anredete und zu der Stelle kam: »in Deinem
Thau gesund mich baden«, fiel der Bengel sofort ein „itáu! akau, áu“ = »mein
Haar, dein Haar, sein Haar«. Dieses Spiel war um so origineller, als der Kadett
Caldas, ihr Magister, der auch die Bororósprache bearbeiten sollte, die amerikani-
schen Pronominalpraefixe, die ich suchte, für eitel Schwindel und für eine Er-
findung der Jungen nach Art der Hühnersprache erklärte. Er blieb auch dabei,
weil er in seinen Ansichten sehr zähe war. Urteilte er doch auch höchst abfällig
über unsere Meinung, dass das Lateinische eine tote Sprache sei, denn es werde
in Egypten gesprochen. Was aber viel schlimmer war, er behauptete, dass
»Müller« — der Himmel weiss, wo er die Kenntnis seines einzigen deutschen
Wortes gewonnen hatte — ein französisches Wort sei, und bestand darauf, trotz
der komischen Verzweiflung Ehrenreich’s, der als geborener Spreeathener gegen-
über solch unerhörtem Angriff auf das Berliner Adressbuch die Grundlage seines
Denkens und Empfindens erschüttert fühlte.

Wenn Caldas, der für den Unterricht der Bororóknaben eine besondere
Zulage empfing, von seinen Schülern wenig lernte, so lernten diese doch wohl noch
weniger von ihm. Es ist wahr, die Schlingel kamen nur ungern; sie kamen im
Anfang sogar überhaupt nicht und wurden erst dadurch bezwungen, dass sich ein
paar neugierige Väter mit in die Schule setzten. Die Art, wie die Widerstrebenden
Morgens versammelt wurden, erinnerte lebhaft an das Spiel »Schweinchen in den
Stall bringen«. Dann waren sie auch äusserst unaufmerksam. Doch muss ich
gestehen, die Methode hätte nicht seltsamer sein können. Ich dachte, die Kinder
lernten zunächst einmal die portugiesischen Namen für die bekanntesten Dinge,
Nutzpflanzen, Tiere, Geräte, an denen sie gewiss ihre Freude gehabt hätten,
da sie mich aus freien Stücken danach fragten. Ich dachte ferner, wenn sie
durchaus lesen lernen sollten — aber es ist wirklich ganz gleichgiltig, was ich
dachte, und besser, sich auf den Bericht zu beschränken.

Die Jungen hatten jeder einen von Caldas beschriebenen Bogen in der Hand.
Darauf lasen wir — natürlich nicht sie — al, el, il, ol, ul, bal, bel, bil, bol, bul,
dal, del, dil, dol, dul u. s. w. über die ganze Seite. Der Lehrer sagte ihnen eine
Zeile nach der andern vor, die Jungen mussten es nachsprechen. Stundenlang
übten sie, ihr Papier lustig schwenkend, „bal, bel, bil, bol, bul, dal, del, dil, dol, dul“.
Weiter waren sie in mehreren Monaten allerdings noch nicht gekommen. Caldas
selbst schien ungeduldig und fragte während der kurzen Zeit, die wir in der Vor-
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[463/0529] die Kenntnis der Pronominalpraefixe für die Körperteile, die für jede Person ver- schieden lauten, und bald war es ihr Lieblingssport, in ihrer Sprache zu dekla- mieren »meine Nase, deine Nase, seine Nase, unsere Nase, eure Nase, ihre Nase« in allen möglichen Variationen. Besonders intelligent war die kleine Range in der Mitte auf Abbildung 128. Auch aus unserm Deutsch hörte er immer Bororó heraus. Es wurde der Ausdruck »papageienmässig« gebraucht; sogleich ertönte der Ausruf: „papagaíma“ = »wir baden«. Als Ehrenreich eines Abends den Mond mit den Worten des Doktor Faust anredete und zu der Stelle kam: »in Deinem Thau gesund mich baden«, fiel der Bengel sofort ein „itáu! akau, áu“ = »mein Haar, dein Haar, sein Haar«. Dieses Spiel war um so origineller, als der Kadett Caldas, ihr Magister, der auch die Bororósprache bearbeiten sollte, die amerikani- schen Pronominalpraefixe, die ich suchte, für eitel Schwindel und für eine Er- findung der Jungen nach Art der Hühnersprache erklärte. Er blieb auch dabei, weil er in seinen Ansichten sehr zähe war. Urteilte er doch auch höchst abfällig über unsere Meinung, dass das Lateinische eine tote Sprache sei, denn es werde in Egypten gesprochen. Was aber viel schlimmer war, er behauptete, dass »Müller« — der Himmel weiss, wo er die Kenntnis seines einzigen deutschen Wortes gewonnen hatte — ein französisches Wort sei, und bestand darauf, trotz der komischen Verzweiflung Ehrenreich’s, der als geborener Spreeathener gegen- über solch unerhörtem Angriff auf das Berliner Adressbuch die Grundlage seines Denkens und Empfindens erschüttert fühlte. Wenn Caldas, der für den Unterricht der Bororóknaben eine besondere Zulage empfing, von seinen Schülern wenig lernte, so lernten diese doch wohl noch weniger von ihm. Es ist wahr, die Schlingel kamen nur ungern; sie kamen im Anfang sogar überhaupt nicht und wurden erst dadurch bezwungen, dass sich ein paar neugierige Väter mit in die Schule setzten. Die Art, wie die Widerstrebenden Morgens versammelt wurden, erinnerte lebhaft an das Spiel »Schweinchen in den Stall bringen«. Dann waren sie auch äusserst unaufmerksam. Doch muss ich gestehen, die Methode hätte nicht seltsamer sein können. Ich dachte, die Kinder lernten zunächst einmal die portugiesischen Namen für die bekanntesten Dinge, Nutzpflanzen, Tiere, Geräte, an denen sie gewiss ihre Freude gehabt hätten, da sie mich aus freien Stücken danach fragten. Ich dachte ferner, wenn sie durchaus lesen lernen sollten — aber es ist wirklich ganz gleichgiltig, was ich dachte, und besser, sich auf den Bericht zu beschränken. Die Jungen hatten jeder einen von Caldas beschriebenen Bogen in der Hand. Darauf lasen wir — natürlich nicht sie — al, el, il, ol, ul, bal, bel, bil, bol, bul, dal, del, dil, dol, dul u. s. w. über die ganze Seite. Der Lehrer sagte ihnen eine Zeile nach der andern vor, die Jungen mussten es nachsprechen. Stundenlang übten sie, ihr Papier lustig schwenkend, „bal, bel, bil, bol, bul, dal, del, dil, dol, dul“. Weiter waren sie in mehreren Monaten allerdings noch nicht gekommen. Caldas selbst schien ungeduldig und fragte während der kurzen Zeit, die wir in der Vor- stellung aushielten, dreimal, wie viel Uhr es sei. Zwei Bororóväter sassen in der

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/529>, abgerufen am 22.11.2024.