auf der Stelle, während ein alter Häuptling in der Mitte sang und den Rassel- kürbis wuchtig schüttelte. Wir Andern hielten uns die Hände vor den Mund und brüllten ein dumpfes u, u ... hinein und knickten taktgemäss in die Kniee. Da wir merkten, wie sehr die Bororo dadurch getröstet wurden, liessen wir es an eifrigem Mitthun nicht fehlen. Unsere Schaar arbeitete im Dunkeln; nur zu- weilen warf Einer ein wenig Stroh in's Feuer und die ernsten Gesichter wurden einen Augenblick grell beleuchtet. Das Tanzen dauerte eine halbe Stunde. Als- dann setzten wir uns nieder, rings um den alten Klapperer, der von der An- strengung fürchterlich zitterte und in mächtigen Zügen Wasser schluckte; wir mussten ihm den Topf vor den Mund halten, da er sonst nicht zum Ziele gelangt wäre. Nun waren wir aber auch alle mit frischem Mut erfüllt, der ehrwürdige Greis verbreitete sich in halb singendem Tone weiter über den Gegenstand der Tagesordnung und unser grosser Chor antwortete je nachdem entzückt "uakina" "sehr gut" oder grob lachend "hahaha" oder entschlossen drohend "uh . . . ."
Am Mittag des 3. April stand die patriotische Begeisterung wider den un- sichtbaren Feind auf der Höhe. Wir sassen beim Essen, als plötzlich 10 bis 12 Bororo in wildem Ausputz herbeistürmten. Voran Moguyokuri, betrunken, das Gesicht erhitzt, in meiner türkischen Frauenjacke, bewaffnet, richtiger beladen, mit Bogen, Pfeilen, einem Maisstampfer und einer schweren Beilklinge ohne Griff, hinter ihm Jose Domingo, Gesicht und Leib berusst, einen schönen, straussfeder- geschmückten Bogen schwingend, um das rechte Handgelenk zum Schutz gegen die anprallende Sehne eine schwarze Haarschnur, an einem Riemen um den nackten Leib einen Schleppsäbel, und in ähnlicher Kriegsbereitschaft der Rest der Helden -- last not least der Idiot Dyapokuri. Dieser unglückselige Narr hatte sich auch über und über mit Russ beschmiert, um den pathologischen Schädel hatte er wie ein Chinese den Zopf eine schwarze Haarschnur gewunden, auf dem Rücken hing ihm ein langes Küchenmesser und mit der Rechten wirbelte er einen Knüppel durch die Luft; einem Besessenen gleich, unartikulierte Laute ausstossend, sprang er umher zum Gelächter der Tischgesellschaft. Die schrecklichen Krieger zogen aus, die Fährten der Kayapo zu suchen. Bald schon kehrten sie zurück, sie hatten nichts Verdächtiges gefunden, das thörichte Volk schien Vernunft an- zunehmen und die Episode beendet.
Im Männerhaus war man am Morgen sehr fleissig gewesen, den Nachmittag hindurch bis zum Abend beschäftigten sich ein Dutzend Bororo damit, ihren Ge- liebten für die Nacht Haupthaar, Gesicht und Leib festlich knallrot zu schminken, und draussen spielte sich, als die Dunkelheit hereingebrochen war, wieder eine ganz anders geartete Szene ab. Ein etwa zweijähriges Kind, das schon seit 24 Stunden im Todeskampf lag und dessen Ende die Baris für heute voraus- gesagt hatten, wurde vor die Hütte hinausgebracht. Die Mutter hielt es im Schooss, die Medizinmänner und Verwandten sassen ringsum und wehklagten. Hinter der Mutter hockte der Vater, eine Weile blieb er regungslos, dann -- es machte gerade einer der Zuschauer Licht, um sich die Pfeife anzustecken --
auf der Stelle, während ein alter Häuptling in der Mitte sang und den Rassel- kürbis wuchtig schüttelte. Wir Andern hielten uns die Hände vor den Mund und brüllten ein dumpfes u, u … hinein und knickten taktgemäss in die Kniee. Da wir merkten, wie sehr die Bororó dadurch getröstet wurden, liessen wir es an eifrigem Mitthun nicht fehlen. Unsere Schaar arbeitete im Dunkeln; nur zu- weilen warf Einer ein wenig Stroh in’s Feuer und die ernsten Gesichter wurden einen Augenblick grell beleuchtet. Das Tanzen dauerte eine halbe Stunde. Als- dann setzten wir uns nieder, rings um den alten Klapperer, der von der An- strengung fürchterlich zitterte und in mächtigen Zügen Wasser schluckte; wir mussten ihm den Topf vor den Mund halten, da er sonst nicht zum Ziele gelangt wäre. Nun waren wir aber auch alle mit frischem Mut erfüllt, der ehrwürdige Greis verbreitete sich in halb singendem Tone weiter über den Gegenstand der Tagesordnung und unser grosser Chor antwortete je nachdem entzückt „uakína“ »sehr gut« oder grob lachend „hahahá“ oder entschlossen drohend „uh . . . .“
Am Mittag des 3. April stand die patriotische Begeisterung wider den un- sichtbaren Feind auf der Höhe. Wir sassen beim Essen, als plötzlich 10 bis 12 Bororó in wildem Ausputz herbeistürmten. Voran Moguyokuri, betrunken, das Gesicht erhitzt, in meiner türkischen Frauenjacke, bewaffnet, richtiger beladen, mit Bogen, Pfeilen, einem Maisstampfer und einer schweren Beilklinge ohne Griff, hinter ihm José Domingo, Gesicht und Leib berusst, einen schönen, straussfeder- geschmückten Bogen schwingend, um das rechte Handgelenk zum Schutz gegen die anprallende Sehne eine schwarze Haarschnur, an einem Riemen um den nackten Leib einen Schleppsäbel, und in ähnlicher Kriegsbereitschaft der Rest der Helden — last not least der Idiot Dyapokuri. Dieser unglückselige Narr hatte sich auch über und über mit Russ beschmiert, um den pathologischen Schädel hatte er wie ein Chinese den Zopf eine schwarze Haarschnur gewunden, auf dem Rücken hing ihm ein langes Küchenmesser und mit der Rechten wirbelte er einen Knüppel durch die Luft; einem Besessenen gleich, unartikulierte Laute ausstossend, sprang er umher zum Gelächter der Tischgesellschaft. Die schrecklichen Krieger zogen aus, die Fährten der Kayapó zu suchen. Bald schon kehrten sie zurück, sie hatten nichts Verdächtiges gefunden, das thörichte Volk schien Vernunft an- zunehmen und die Episode beendet.
Im Männerhaus war man am Morgen sehr fleissig gewesen, den Nachmittag hindurch bis zum Abend beschäftigten sich ein Dutzend Bororó damit, ihren Ge- liebten für die Nacht Haupthaar, Gesicht und Leib festlich knallrot zu schminken, und draussen spielte sich, als die Dunkelheit hereingebrochen war, wieder eine ganz anders geartete Szene ab. Ein etwa zweijähriges Kind, das schon seit 24 Stunden im Todeskampf lag und dessen Ende die Baris für heute voraus- gesagt hatten, wurde vor die Hütte hinausgebracht. Die Mutter hielt es im Schooss, die Medizinmänner und Verwandten sassen ringsum und wehklagten. Hinter der Mutter hockte der Vater, eine Weile blieb er regungslos, dann — es machte gerade einer der Zuschauer Licht, um sich die Pfeife anzustecken —
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kürbis wuchtig schüttelte. Wir Andern hielten uns die Hände vor den Mund
und brüllten ein dumpfes u, u … hinein und knickten taktgemäss in die Kniee.
Da wir merkten, wie sehr die Bororó dadurch getröstet wurden, liessen wir es
an eifrigem Mitthun nicht fehlen. Unsere Schaar arbeitete im Dunkeln; nur zu-
weilen warf Einer ein wenig Stroh in’s Feuer und die ernsten Gesichter wurden
einen Augenblick grell beleuchtet. Das Tanzen dauerte eine halbe Stunde. Als-
dann setzten wir uns nieder, rings um den alten Klapperer, der von der An-
strengung fürchterlich zitterte und in mächtigen Zügen Wasser schluckte; wir
mussten ihm den Topf vor den Mund halten, da er sonst nicht zum Ziele gelangt
wäre. Nun waren wir aber auch alle mit frischem Mut erfüllt, der ehrwürdige
Greis verbreitete sich in halb singendem Tone weiter über den Gegenstand der
Tagesordnung und unser grosser Chor antwortete je nachdem entzückt „uakína“
»sehr gut« oder grob lachend „hahahá“ oder entschlossen drohend „uh . . . .“
Am Mittag des 3. April stand die patriotische Begeisterung wider den un-
sichtbaren Feind auf der Höhe. Wir sassen beim Essen, als plötzlich 10 bis
12 Bororó in wildem Ausputz herbeistürmten. Voran Moguyokuri, betrunken,
das Gesicht erhitzt, in meiner türkischen Frauenjacke, bewaffnet, richtiger beladen,
mit Bogen, Pfeilen, einem Maisstampfer und einer schweren Beilklinge ohne Griff,
hinter ihm José Domingo, Gesicht und Leib berusst, einen schönen, straussfeder-
geschmückten Bogen schwingend, um das rechte Handgelenk zum Schutz gegen
die anprallende Sehne eine schwarze Haarschnur, an einem Riemen um den
nackten Leib einen Schleppsäbel, und in ähnlicher Kriegsbereitschaft der Rest der
Helden — last not least der Idiot Dyapokuri. Dieser unglückselige Narr hatte
sich auch über und über mit Russ beschmiert, um den pathologischen Schädel
hatte er wie ein Chinese den Zopf eine schwarze Haarschnur gewunden, auf dem
Rücken hing ihm ein langes Küchenmesser und mit der Rechten wirbelte er einen
Knüppel durch die Luft; einem Besessenen gleich, unartikulierte Laute ausstossend,
sprang er umher zum Gelächter der Tischgesellschaft. Die schrecklichen Krieger
zogen aus, die Fährten der Kayapó zu suchen. Bald schon kehrten sie zurück,
sie hatten nichts Verdächtiges gefunden, das thörichte Volk schien Vernunft an-
zunehmen und die Episode beendet.
Im Männerhaus war man am Morgen sehr fleissig gewesen, den Nachmittag
hindurch bis zum Abend beschäftigten sich ein Dutzend Bororó damit, ihren Ge-
liebten für die Nacht Haupthaar, Gesicht und Leib festlich knallrot zu schminken,
und draussen spielte sich, als die Dunkelheit hereingebrochen war, wieder eine
ganz anders geartete Szene ab. Ein etwa zweijähriges Kind, das schon seit
24 Stunden im Todeskampf lag und dessen Ende die Baris für heute voraus-
gesagt hatten, wurde vor die Hütte hinausgebracht. Die Mutter hielt es im
Schooss, die Medizinmänner und Verwandten sassen ringsum und wehklagten.
Hinter der Mutter hockte der Vater, eine Weile blieb er regungslos, dann — es
machte gerade einer der Zuschauer Licht, um sich die Pfeife anzustecken —
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/526>, abgerufen am 22.11.2024.
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