Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

in Südostrichtung von Cuyaba. Wir hatten einige Nebenflüsse des Rio Cuyaba
zu überschreiten, stiegen auf die Chapada und erreichten auf der Hälfte des
Weges am 18. März die Fazenda S. Jose in einer Höhe von 555 m über dem
Platz der cuyabaner Kathedrale oder Matriz. Südwestlich von ihr liegen tiefer
hinab die Fazenden von Cupim und Palmeiras, die hauptsächlich die Kolonien
versorgen. Jenseit S. Jose ist die Gegend unbesiedelt; das kleine weisse, festungs-
artig ummauerte Gehöft erscheint in tiefer Einsamkeit in einer Senkung zwischen
kahlen, nur grasbedeckten Hängen. Ein einziger, aber hoher Baum stand an dem
Bächlein, dessen Ufer von vielen jungen Buritipalmen eingefasst war. Es hatte
Mut dazu gehört, hier zu wohnen und zu arbeiten. Ausser den Hofmauern von
S. Jose hatte unterwegs kaum irgend etwas an die Kämpfe mit den Bororo er-
innert. Nur waren uns zuweilen niedrige, enge Lauben aufgefallen, die man durch
Zusammenstellen von krüppligen Sertaobäumchen aufgerichtet hatte; sie rührten
von Soldaten her und hatten als Schutz während der Nacht gedient. Ueber ent-
setzlich öde Grasflächen gelangten wir am 19. März zu den ersten, noch wenige
Meter breiten Bächen, die dem S. Lourenco zuflossen. Wir fanden am Ribeirao
Prata ein liebliches Landschaftsbildchen, das uns mit dem Wald und der saftigen
Wiese und dem Silberband des Quellflüsschens lebhaft die Heimat vor die Seele
rief. Nur einige junge Palmen sprachen dawider und das Thermometer, das für
das sehr erfrischende, "eiskalte" Wasser eigensinnig 22,8° angab. Am 21. März
erfolgte der Abstieg von der Plateauterrasse an malerischen roten Sandsteinfelsen
vorüber, und am Nachmittag erreichten wir die Apfelsinenhaine der Militärkolonie,
wo der schöne, waldumsäumte S. Lourenco in einer Breite von 127 m vorbei-
strömt. Wir wurden von dem Kommandanten, Kapitän Serejo sehr gastfreund-
lich aufgenommen.

Am nächsten Tage trafen wir in Thereza Christina ein. Es ist fluss-
aufwärts gelegen, ebenfalls am rechten Ufer, nicht weit unterhalb der Einmündung
des Prata, doch macht der S. Lourenco zwischen den beiden Kolonien starke
Windungen und ist das Waldgebiet so sumpfig, dass man zu einem grossen Umweg
landeinwärts gezwungen ist.

Ueber einem wenige Meter hohen Ufer eine ausgedehnte Waldrodung, auf
dem freien, mit dürrem Unkraut überwucherten Platz noch mancher dicke alte
Baumstumpf stehend und hier und da gehauene Stämme umherliegend, eine Menge
niedriger, viereckiger, zum Teil langer Hütten mit palmstrohgedeckten Giebel-
dächern, die sofort über der Thüre ansetzen, Alles nüchtern und freudlos in
demselben graugelblichen Ton von Stroh und Lehm, an drei Seiten von Wald
umgeben, die vierte begrenzt von einem stattlichen, breiten Strom und drüben
ein dunkler Streifen üppigen Waldes, über dem lang hingezogen ein flacher
Hügelzug erscheint -- das war Thereza Christina.

Der Vertreter Duarte's, der uns mit grosser Liebenswürdigkeit und Herzlich-
keit empfing, war der "Kadett" Eliseo Pinto d'Annunciacao. Kadetten sind
in Brasilien Offiziersaspiranten, gewöhnlich Söhne von Beamten oder Offizieren,

v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 29

in Südostrichtung von Cuyabá. Wir hatten einige Nebenflüsse des Rio Cuyabá
zu überschreiten, stiegen auf die Chapada und erreichten auf der Hälfte des
Weges am 18. März die Fazenda S. José in einer Höhe von 555 m über dem
Platz der cuyabaner Kathedrale oder Matriz. Südwestlich von ihr liegen tiefer
hinab die Fazenden von Cupim und Palmeiras, die hauptsächlich die Kolonien
versorgen. Jenseit S. José ist die Gegend unbesiedelt; das kleine weisse, festungs-
artig ummauerte Gehöft erscheint in tiefer Einsamkeit in einer Senkung zwischen
kahlen, nur grasbedeckten Hängen. Ein einziger, aber hoher Baum stand an dem
Bächlein, dessen Ufer von vielen jungen Buritípalmen eingefasst war. Es hatte
Mut dazu gehört, hier zu wohnen und zu arbeiten. Ausser den Hofmauern von
S. José hatte unterwegs kaum irgend etwas an die Kämpfe mit den Bororó er-
innert. Nur waren uns zuweilen niedrige, enge Lauben aufgefallen, die man durch
Zusammenstellen von krüppligen Sertãobäumchen aufgerichtet hatte; sie rührten
von Soldaten her und hatten als Schutz während der Nacht gedient. Ueber ent-
setzlich öde Grasflächen gelangten wir am 19. März zu den ersten, noch wenige
Meter breiten Bächen, die dem S. Lourenço zuflossen. Wir fanden am Ribeirão
Prata ein liebliches Landschaftsbildchen, das uns mit dem Wald und der saftigen
Wiese und dem Silberband des Quellflüsschens lebhaft die Heimat vor die Seele
rief. Nur einige junge Palmen sprachen dawider und das Thermometer, das für
das sehr erfrischende, »eiskalte« Wasser eigensinnig 22,8° angab. Am 21. März
erfolgte der Abstieg von der Plateauterrasse an malerischen roten Sandsteinfelsen
vorüber, und am Nachmittag erreichten wir die Apfelsinenhaine der Militärkolonie,
wo der schöne, waldumsäumte S. Lourenço in einer Breite von 127 m vorbei-
strömt. Wir wurden von dem Kommandanten, Kapitän Serejo sehr gastfreund-
lich aufgenommen.

Am nächsten Tage trafen wir in Thereza Christina ein. Es ist fluss-
aufwärts gelegen, ebenfalls am rechten Ufer, nicht weit unterhalb der Einmündung
des Prata, doch macht der S. Lourenço zwischen den beiden Kolonien starke
Windungen und ist das Waldgebiet so sumpfig, dass man zu einem grossen Umweg
landeinwärts gezwungen ist.

Ueber einem wenige Meter hohen Ufer eine ausgedehnte Waldrodung, auf
dem freien, mit dürrem Unkraut überwucherten Platz noch mancher dicke alte
Baumstumpf stehend und hier und da gehauene Stämme umherliegend, eine Menge
niedriger, viereckiger, zum Teil langer Hütten mit palmstrohgedeckten Giebel-
dächern, die sofort über der Thüre ansetzen, Alles nüchtern und freudlos in
demselben graugelblichen Ton von Stroh und Lehm, an drei Seiten von Wald
umgeben, die vierte begrenzt von einem stattlichen, breiten Strom und drüben
ein dunkler Streifen üppigen Waldes, über dem lang hingezogen ein flacher
Hügelzug erscheint — das war Thereza Christina.

Der Vertreter Duarte’s, der uns mit grosser Liebenswürdigkeit und Herzlich-
keit empfing, war der »Kadett« Eliseo Pinto d’Annunciação. Kadetten sind
in Brasilien Offiziersaspiranten, gewöhnlich Söhne von Beamten oder Offizieren,

v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 29
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0515" n="449"/>
in Südostrichtung von Cuyabá. Wir hatten einige Nebenflüsse des Rio Cuyabá<lb/>
zu überschreiten, stiegen auf die Chapada und erreichten auf der Hälfte des<lb/>
Weges am 18. März die Fazenda S. <hi rendition="#g">José</hi> in einer Höhe von 555 m über dem<lb/>
Platz der cuyabaner Kathedrale oder Matriz. Südwestlich von ihr liegen tiefer<lb/>
hinab die Fazenden von Cupim und Palmeiras, die hauptsächlich die Kolonien<lb/>
versorgen. Jenseit S. José ist die Gegend unbesiedelt; das kleine weisse, festungs-<lb/>
artig ummauerte Gehöft erscheint in tiefer Einsamkeit in einer Senkung zwischen<lb/>
kahlen, nur grasbedeckten Hängen. Ein einziger, aber hoher Baum stand an dem<lb/>
Bächlein, dessen Ufer von vielen jungen Buritípalmen eingefasst war. Es hatte<lb/>
Mut dazu gehört, hier zu wohnen und zu arbeiten. Ausser den Hofmauern von<lb/>
S. José hatte unterwegs kaum irgend etwas an die Kämpfe mit den Bororó er-<lb/>
innert. Nur waren uns zuweilen niedrige, enge Lauben aufgefallen, die man durch<lb/>
Zusammenstellen von krüppligen Sertãobäumchen aufgerichtet hatte; sie rührten<lb/>
von Soldaten her und hatten als Schutz während der Nacht gedient. Ueber ent-<lb/>
setzlich öde Grasflächen gelangten wir am 19. März zu den ersten, noch wenige<lb/>
Meter breiten Bächen, die dem S. Lourenço zuflossen. Wir fanden am Ribeirão<lb/>
Prata ein liebliches Landschaftsbildchen, das uns mit dem Wald und der saftigen<lb/>
Wiese und dem Silberband des Quellflüsschens lebhaft die Heimat vor die Seele<lb/>
rief. Nur einige junge Palmen sprachen dawider und das Thermometer, das für<lb/>
das sehr erfrischende, »eiskalte« Wasser eigensinnig 22,8° angab. Am 21. März<lb/>
erfolgte der Abstieg von der Plateauterrasse an malerischen roten Sandsteinfelsen<lb/>
vorüber, und am Nachmittag erreichten wir die Apfelsinenhaine der Militärkolonie,<lb/>
wo der schöne, waldumsäumte S. Lourenço in einer Breite von 127 m vorbei-<lb/>
strömt. Wir wurden von dem Kommandanten, Kapitän <hi rendition="#g">Serejo</hi> sehr gastfreund-<lb/>
lich aufgenommen.</p><lb/>
          <p>Am nächsten Tage trafen wir in <hi rendition="#g">Thereza Christina</hi> ein. Es ist fluss-<lb/>
aufwärts gelegen, ebenfalls am rechten Ufer, nicht weit unterhalb der Einmündung<lb/>
des Prata, doch macht der S. Lourenço zwischen den beiden Kolonien starke<lb/>
Windungen und ist das Waldgebiet so sumpfig, dass man zu einem grossen Umweg<lb/>
landeinwärts gezwungen ist.</p><lb/>
          <p>Ueber einem wenige Meter hohen Ufer eine ausgedehnte Waldrodung, auf<lb/>
dem freien, mit dürrem Unkraut überwucherten Platz noch mancher dicke alte<lb/>
Baumstumpf stehend und hier und da gehauene Stämme umherliegend, eine Menge<lb/>
niedriger, viereckiger, zum Teil langer Hütten mit palmstrohgedeckten Giebel-<lb/>
dächern, die sofort über der Thüre ansetzen, Alles nüchtern und freudlos in<lb/>
demselben graugelblichen Ton von Stroh und Lehm, an drei Seiten von Wald<lb/>
umgeben, die vierte begrenzt von einem stattlichen, breiten Strom und drüben<lb/>
ein dunkler Streifen üppigen Waldes, über dem lang hingezogen ein flacher<lb/>
Hügelzug erscheint &#x2014; das war Thereza Christina.</p><lb/>
          <p>Der Vertreter Duarte&#x2019;s, der uns mit grosser Liebenswürdigkeit und Herzlich-<lb/>
keit empfing, war der »Kadett« <hi rendition="#g">Eliseo Pinto d&#x2019;Annunciação</hi>. Kadetten sind<lb/>
in Brasilien Offiziersaspiranten, gewöhnlich Söhne von Beamten oder Offizieren,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 29</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[449/0515] in Südostrichtung von Cuyabá. Wir hatten einige Nebenflüsse des Rio Cuyabá zu überschreiten, stiegen auf die Chapada und erreichten auf der Hälfte des Weges am 18. März die Fazenda S. José in einer Höhe von 555 m über dem Platz der cuyabaner Kathedrale oder Matriz. Südwestlich von ihr liegen tiefer hinab die Fazenden von Cupim und Palmeiras, die hauptsächlich die Kolonien versorgen. Jenseit S. José ist die Gegend unbesiedelt; das kleine weisse, festungs- artig ummauerte Gehöft erscheint in tiefer Einsamkeit in einer Senkung zwischen kahlen, nur grasbedeckten Hängen. Ein einziger, aber hoher Baum stand an dem Bächlein, dessen Ufer von vielen jungen Buritípalmen eingefasst war. Es hatte Mut dazu gehört, hier zu wohnen und zu arbeiten. Ausser den Hofmauern von S. José hatte unterwegs kaum irgend etwas an die Kämpfe mit den Bororó er- innert. Nur waren uns zuweilen niedrige, enge Lauben aufgefallen, die man durch Zusammenstellen von krüppligen Sertãobäumchen aufgerichtet hatte; sie rührten von Soldaten her und hatten als Schutz während der Nacht gedient. Ueber ent- setzlich öde Grasflächen gelangten wir am 19. März zu den ersten, noch wenige Meter breiten Bächen, die dem S. Lourenço zuflossen. Wir fanden am Ribeirão Prata ein liebliches Landschaftsbildchen, das uns mit dem Wald und der saftigen Wiese und dem Silberband des Quellflüsschens lebhaft die Heimat vor die Seele rief. Nur einige junge Palmen sprachen dawider und das Thermometer, das für das sehr erfrischende, »eiskalte« Wasser eigensinnig 22,8° angab. Am 21. März erfolgte der Abstieg von der Plateauterrasse an malerischen roten Sandsteinfelsen vorüber, und am Nachmittag erreichten wir die Apfelsinenhaine der Militärkolonie, wo der schöne, waldumsäumte S. Lourenço in einer Breite von 127 m vorbei- strömt. Wir wurden von dem Kommandanten, Kapitän Serejo sehr gastfreund- lich aufgenommen. Am nächsten Tage trafen wir in Thereza Christina ein. Es ist fluss- aufwärts gelegen, ebenfalls am rechten Ufer, nicht weit unterhalb der Einmündung des Prata, doch macht der S. Lourenço zwischen den beiden Kolonien starke Windungen und ist das Waldgebiet so sumpfig, dass man zu einem grossen Umweg landeinwärts gezwungen ist. Ueber einem wenige Meter hohen Ufer eine ausgedehnte Waldrodung, auf dem freien, mit dürrem Unkraut überwucherten Platz noch mancher dicke alte Baumstumpf stehend und hier und da gehauene Stämme umherliegend, eine Menge niedriger, viereckiger, zum Teil langer Hütten mit palmstrohgedeckten Giebel- dächern, die sofort über der Thüre ansetzen, Alles nüchtern und freudlos in demselben graugelblichen Ton von Stroh und Lehm, an drei Seiten von Wald umgeben, die vierte begrenzt von einem stattlichen, breiten Strom und drüben ein dunkler Streifen üppigen Waldes, über dem lang hingezogen ein flacher Hügelzug erscheint — das war Thereza Christina. Der Vertreter Duarte’s, der uns mit grosser Liebenswürdigkeit und Herzlich- keit empfing, war der »Kadett« Eliseo Pinto d’Annunciação. Kadetten sind in Brasilien Offiziersaspiranten, gewöhnlich Söhne von Beamten oder Offizieren, v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 29

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/515
Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/515>, abgerufen am 22.11.2024.