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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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den "Barbados", fährt Martius fort, seien vielleicht Guato zu verstehen, sie über-
fielen manchmal die von Goyaz nach Cuyaba ziehenden Karawanen und dehnten
ihre Ueberfälle bis Diamantino aus. Die Guato sind jedoch niemals in diese Gegend
gekommen, sie leben als Wassernomaden im oberen Paraguaygebiet; jene "Bar-
bados" sind wahrscheinlich Kayapo oder auch Bororo gewesen.

Natürlich erklärt Martius den Namen Bororo aus der Lingoa geral, entweder,
wenn von den Nachbarn herrührend, = "Kriegsmänner, Feinde," oder, wenn von
ihnen selbst ausgehend, = wir, die Herren des Bodens. Aber die Bororo wissen
Nichts von der Lingoa geral und sie selbst nennen sich so.

Indem ich nunmehr den Namen "Coroado" ganz fallen lasse, berichte ich
Einiges über die sogenannte "Katechese" oder Bekehrung dieses Bororo-Stammes,
die lange Jahre vergeblich erstrebt war, aber auch kaum hatte gelingen können,
weil die Versuche auf die verkehrteste Art betrieben worden waren. Als Stütz-
punkt diente eine am rechten Ufer des S. Lourenco eingerichtete Militärkolonie,
die Ende der 70er Jahre der Major J. Lopez da Costa Moreira einrichtete.

1878 unternahm ein Kapitän Alexander Bueno mit 70 Terena-Indianern,
einem zur Gruppe der Guana gehörigen Stamme, eine Expedition, "um die Bororo
zu verjagen". Er hatte, wie mir versichert wurde, den geheimen Auftrag möglichst
viele totzuschiessen und war auch so weit vom Erfolg begünstigt, als er dem
Präsidenten einen Sack voll Ohren vorzeigen konnte. Von Lebenden brachte er
zwei Frauen und zwei Kinder mit.

Am 9. Oktober 1880 überfielen die Bororo die Fazenda des Jose Martins
de Figueiredo am Bananal (Rio Cuyaba) und töteten mehrere Personen. Darauf hin
wurden mehrere gleichzeitige Expeditionen gegen sie ausgerüstet. Einer der
Führer war Lieutenant Antonio Jose Duarte; er griff ein Dorf ohne Erfolg
an und fing 5 Frauen und 12 Kinder. Mehr wurde nicht erreicht. In den
Jahren 1875 -- 1880 sollen von den Bororo 43 Häuser verbrannt, 204 Personen
(134 Männer, 46 Frauen, 17 Kinder, 7 Sklaven) getötet und 27 Personen (11 Männer,
6 Frauen, 3 Kinder, 7 Sklaven) verwundet worden sein. Wie viele Bororo
getötet worden sind, wird nicht angegeben. Dass die Gegenseitigkeit eine
grosse Rolle spielte, unterliegt keinem Zweifel. Allgemein wurde hervorge-
hoben, dass die Eingeborenen die zäheste Ausdauer bewiesen, um ihre Rache-
pläne ins Werk zu setzen. Ein Brasilier, der zwei Kinder sehr grausam umgebracht
hatte, wurde über vier Jahre systematisch verfolgt, bis sie ihn endlich fingen und,
wie er es verdient hatte, in Stücke rissen. Sie waren bei ihren Angriffen äusserst
vorsichtig und spionierten Tage und Wochen lang, bis sich die Gelegenheit bot,
dass nur wenige Personen auf dem Gehöft waren. Einzelne Reisende liessen sie
gewöhnlich unbehelligt; nur kam es vor, dass diese, wenn sie an einem Orte ihr
Nachtlager aufschlagen wollten, daran verhindert wurden, indem aus dem Walde
der Ruf ertönte "va embora" "geh fort". Niemand liess sich blicken, doch hätte
man eines Pfeilschusses gewärtig sein müssen, wenn man nicht gehorchte. Im
Februar 1881 wurden von den Bororo bei Forquilha, 10 Leguas von Cuyaba,

den »Barbados«, fährt Martius fort, seien vielleicht Guató zu verstehen, sie über-
fielen manchmal die von Goyaz nach Cuyabá ziehenden Karawanen und dehnten
ihre Ueberfälle bis Diamantino aus. Die Guató sind jedoch niemals in diese Gegend
gekommen, sie leben als Wassernomaden im oberen Paraguaygebiet; jene »Bar-
bados« sind wahrscheinlich Kayapó oder auch Bororó gewesen.

Natürlich erklärt Martius den Namen Bororó aus der Lingoa geral, entweder,
wenn von den Nachbarn herrührend, = »Kriegsmänner, Feinde,« oder, wenn von
ihnen selbst ausgehend, = wir, die Herren des Bodens. Aber die Bororó wissen
Nichts von der Lingoa geral und sie selbst nennen sich so.

Indem ich nunmehr den Namen »Coroado« ganz fallen lasse, berichte ich
Einiges über die sogenannte »Katechese« oder Bekehrung dieses Bororó-Stammes,
die lange Jahre vergeblich erstrebt war, aber auch kaum hatte gelingen können,
weil die Versuche auf die verkehrteste Art betrieben worden waren. Als Stütz-
punkt diente eine am rechten Ufer des S. Lourenço eingerichtete Militärkolonie,
die Ende der 70er Jahre der Major J. Lopez da Costa Moreira einrichtete.

1878 unternahm ein Kapitän Alexander Bueno mit 70 Terena-Indianern,
einem zur Gruppe der Guaná gehörigen Stamme, eine Expedition, »um die Bororó
zu verjagen«. Er hatte, wie mir versichert wurde, den geheimen Auftrag möglichst
viele totzuschiessen und war auch so weit vom Erfolg begünstigt, als er dem
Präsidenten einen Sack voll Ohren vorzeigen konnte. Von Lebenden brachte er
zwei Frauen und zwei Kinder mit.

Am 9. Oktober 1880 überfielen die Bororó die Fazenda des José Martins
de Figueiredo am Bananal (Rio Cuyabá) und töteten mehrere Personen. Darauf hin
wurden mehrere gleichzeitige Expeditionen gegen sie ausgerüstet. Einer der
Führer war Lieutenant Antonio José Duarte; er griff ein Dorf ohne Erfolg
an und fing 5 Frauen und 12 Kinder. Mehr wurde nicht erreicht. In den
Jahren 1875 — 1880 sollen von den Bororó 43 Häuser verbrannt, 204 Personen
(134 Männer, 46 Frauen, 17 Kinder, 7 Sklaven) getötet und 27 Personen (11 Männer,
6 Frauen, 3 Kinder, 7 Sklaven) verwundet worden sein. Wie viele Bororó
getötet worden sind, wird nicht angegeben. Dass die Gegenseitigkeit eine
grosse Rolle spielte, unterliegt keinem Zweifel. Allgemein wurde hervorge-
hoben, dass die Eingeborenen die zäheste Ausdauer bewiesen, um ihre Rache-
pläne ins Werk zu setzen. Ein Brasilier, der zwei Kinder sehr grausam umgebracht
hatte, wurde über vier Jahre systematisch verfolgt, bis sie ihn endlich fingen und,
wie er es verdient hatte, in Stücke rissen. Sie waren bei ihren Angriffen äusserst
vorsichtig und spionierten Tage und Wochen lang, bis sich die Gelegenheit bot,
dass nur wenige Personen auf dem Gehöft waren. Einzelne Reisende liessen sie
gewöhnlich unbehelligt; nur kam es vor, dass diese, wenn sie an einem Orte ihr
Nachtlager aufschlagen wollten, daran verhindert wurden, indem aus dem Walde
der Ruf ertönte „va embora“ »geh fort«. Niemand liess sich blicken, doch hätte
man eines Pfeilschusses gewärtig sein müssen, wenn man nicht gehorchte. Im
Februar 1881 wurden von den Bororó bei Forquilha, 10 Leguas von Cuyabá,

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[445/0509] den »Barbados«, fährt Martius fort, seien vielleicht Guató zu verstehen, sie über- fielen manchmal die von Goyaz nach Cuyabá ziehenden Karawanen und dehnten ihre Ueberfälle bis Diamantino aus. Die Guató sind jedoch niemals in diese Gegend gekommen, sie leben als Wassernomaden im oberen Paraguaygebiet; jene »Bar- bados« sind wahrscheinlich Kayapó oder auch Bororó gewesen. Natürlich erklärt Martius den Namen Bororó aus der Lingoa geral, entweder, wenn von den Nachbarn herrührend, = »Kriegsmänner, Feinde,« oder, wenn von ihnen selbst ausgehend, = wir, die Herren des Bodens. Aber die Bororó wissen Nichts von der Lingoa geral und sie selbst nennen sich so. Indem ich nunmehr den Namen »Coroado« ganz fallen lasse, berichte ich Einiges über die sogenannte »Katechese« oder Bekehrung dieses Bororó-Stammes, die lange Jahre vergeblich erstrebt war, aber auch kaum hatte gelingen können, weil die Versuche auf die verkehrteste Art betrieben worden waren. Als Stütz- punkt diente eine am rechten Ufer des S. Lourenço eingerichtete Militärkolonie, die Ende der 70er Jahre der Major J. Lopez da Costa Moreira einrichtete. 1878 unternahm ein Kapitän Alexander Bueno mit 70 Terena-Indianern, einem zur Gruppe der Guaná gehörigen Stamme, eine Expedition, »um die Bororó zu verjagen«. Er hatte, wie mir versichert wurde, den geheimen Auftrag möglichst viele totzuschiessen und war auch so weit vom Erfolg begünstigt, als er dem Präsidenten einen Sack voll Ohren vorzeigen konnte. Von Lebenden brachte er zwei Frauen und zwei Kinder mit. Am 9. Oktober 1880 überfielen die Bororó die Fazenda des José Martins de Figueiredo am Bananal (Rio Cuyabá) und töteten mehrere Personen. Darauf hin wurden mehrere gleichzeitige Expeditionen gegen sie ausgerüstet. Einer der Führer war Lieutenant Antonio José Duarte; er griff ein Dorf ohne Erfolg an und fing 5 Frauen und 12 Kinder. Mehr wurde nicht erreicht. In den Jahren 1875 — 1880 sollen von den Bororó 43 Häuser verbrannt, 204 Personen (134 Männer, 46 Frauen, 17 Kinder, 7 Sklaven) getötet und 27 Personen (11 Männer, 6 Frauen, 3 Kinder, 7 Sklaven) verwundet worden sein. Wie viele Bororó getötet worden sind, wird nicht angegeben. Dass die Gegenseitigkeit eine grosse Rolle spielte, unterliegt keinem Zweifel. Allgemein wurde hervorge- hoben, dass die Eingeborenen die zäheste Ausdauer bewiesen, um ihre Rache- pläne ins Werk zu setzen. Ein Brasilier, der zwei Kinder sehr grausam umgebracht hatte, wurde über vier Jahre systematisch verfolgt, bis sie ihn endlich fingen und, wie er es verdient hatte, in Stücke rissen. Sie waren bei ihren Angriffen äusserst vorsichtig und spionierten Tage und Wochen lang, bis sich die Gelegenheit bot, dass nur wenige Personen auf dem Gehöft waren. Einzelne Reisende liessen sie gewöhnlich unbehelligt; nur kam es vor, dass diese, wenn sie an einem Orte ihr Nachtlager aufschlagen wollten, daran verhindert wurden, indem aus dem Walde der Ruf ertönte „va embora“ »geh fort«. Niemand liess sich blicken, doch hätte man eines Pfeilschusses gewärtig sein müssen, wenn man nicht gehorchte. Im Februar 1881 wurden von den Bororó bei Forquilha, 10 Leguas von Cuyabá,

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/509>, abgerufen am 22.11.2024.