Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.ländlichen Bevölkerung in dem ganzen Gebiet zwischen dem Rio Cuyaba und S. Nun sind keineswegs alle Schandthaten, die den "Coroados" zur Last ge- Ich war nicht wenig erstaunt, als ich von "Atahualpa", einem mit wenigen So löste sich mir denn auch rasch ein anderes Rätsel, das die Unter- *) Moutinho erzählt: "Dem kleinen Sebastian zeigten wir einmal den Himmel. Er, die Hände
zum Zeichen der Verehrung emporhebend, antwortete uns demütig "tupang" (NB. Tupiwort = Gewitter, von den Missionaren als "Gott" erklärt und adoptiert). Wir zeigten ihm die Sonne -- er sagte "obe" ("Coroado"-Wort vom Rio Xipoto = Sonne) und er neigte den Kopf zum Beweis des Respekts." Kein jemals in Cuyaba eingelieferter "Coroado"-Knabe hat die Wörter tupang und obe, noch weniger aber hat jemals einer die von Moutinho so schön beschriebene Andacht gekannt. Aber dergleichen Anekdoten werden von dem harmlosen Leser als baare Münze genommen und erhalten vollen Kurs- wert. Wie gewaltig der Unsinn ist, den er wohlmeinend auftischt, davon hat auch der Verfasser selbst keine Ahnung in seiner Unkenntnis. ländlichen Bevölkerung in dem ganzen Gebiet zwischen dem Rio Cuyabá und S. Nun sind keineswegs alle Schandthaten, die den »Coroados« zur Last ge- Ich war nicht wenig erstaunt, als ich von »Atahualpa«, einem mit wenigen So löste sich mir denn auch rasch ein anderes Rätsel, das die Unter- *) Moutinho erzählt: »Dem kleinen Sebastian zeigten wir einmal den Himmel. Er, die Hände
zum Zeichen der Verehrung emporhebend, antwortete uns demütig „tupáng“ (NB. Tupíwort = Gewitter, von den Missionaren als »Gott« erklärt und adoptiert). Wir zeigten ihm die Sonne — er sagte „obé“ (»Coroado«-Wort vom Rio Xipotó = Sonne) und er neigte den Kopf zum Beweis des Respekts.« Kein jemals in Cuyabá eingelieferter »Coroado«-Knabe hat die Wörter tupáng und obé, noch weniger aber hat jemals einer die von Moutinho so schön beschriebene Andacht gekannt. Aber dergleichen Anekdoten werden von dem harmlosen Leser als baare Münze genommen und erhalten vollen Kurs- wert. Wie gewaltig der Unsinn ist, den er wohlmeinend auftischt, davon hat auch der Verfasser selbst keine Ahnung in seiner Unkenntnis. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0507" n="443"/> ländlichen Bevölkerung in dem ganzen Gebiet zwischen dem Rio Cuyabá und S.<lb/> Lourenço bis zur Grenze nach Goyaz hinüber gegolten hatten, waren sie endlich<lb/> dank den Bemühungen des Präsidenten <hi rendition="#g">Galdino Pimentel</hi> im Jahre 1886<lb/> »pacificados« zur Ruhe gebracht und in zwei Militärkolonien am S. <hi rendition="#g">Lourenço</hi><lb/> angesiedelt worden.</p><lb/> <p>Nun sind keineswegs alle Schandthaten, die den »Coroados« zur Last ge-<lb/> legt wurden, von diesen begangen worden. Man hat sie, zumal im Nordosten<lb/> von Cuyabá, mit <hi rendition="#g">Kayapó</hi> verwechselt, die dort räuberische Einfälle machten.<lb/> Dann aber wusste Niemand in der Hauptstadt, dass die gefürchteten »Coroados«<lb/> gar nichts anderes waren als Stammesbrüder derselben <hi rendition="#g">Bororó</hi>, die schon seit<lb/> langer Zeit in mehreren Dörfern rechts des Paraguay in friedlichen Verhältnissen<lb/> und teilweise sehr herabgekommenem Zustande leben, ja auch Stammesbrüder<lb/> derselben Bororó, die schon mit dem Gründer Cuyabás, Antonio Pires, vor der<lb/> Mitte des 18. Jahrhunderts verbündet und von ihm als Garnison verwendet<lb/> worden waren!</p><lb/> <p>Ich war nicht wenig erstaunt, als ich von »Atahualpa«, einem mit wenigen<lb/> Genossen zur Taufe nach der Hauptstadt geführten »Coroado« erfuhr, dass sie<lb/> sich selbst <hi rendition="#g">Bororó</hi> nennen.</p><lb/> <p>So löste sich mir denn auch rasch ein anderes Rätsel, das die Unter-<lb/> haltung mit Atahualpa darbot. Ich hatte gerade den Bericht über einige 1859<lb/> nach Cuyabá gebrachte gefangene »Coroados« (zwei Mädchen und einen Knaben)<lb/> in dem Buch von <hi rendition="#g">Joaquim Ferreira Moutinho</hi> »Noticia da provincia de Mato<lb/> Grosso« (S. Paulo 1869, 425 SS.) gelesen und dort eine Wörtersammlung (S. 192)<lb/> gefunden, die ich nunmehr mit meiner eigenen Aufnahme vergleichen wollte. Zu<lb/> meinem Erstaunen stimmte Nichts, gar Nichts. Der Autor hatte die Wörter von<lb/> dem »Coroado«-Knaben erfahren, von dem er die rührendsten Geschichten erzählt<lb/> und der in Cuyabá auf den Namen Sebastian getauft wurde. »Wir werden<lb/> einige Wörter geben, die wir von ihm lernten.« Folgen 52 Wörter — abge-<lb/> schrieben leider aus dem Glossar von <hi rendition="#g">Martius</hi> S. 195 ff., und herrührend leider<lb/> von den »Coroados« am weit entfernten Rio Xipotó an der Grenze von Rio de<lb/> Janeiro, die ebenso wenig als die »Coroados« von Paraná irgend etwas mehr als<lb/> dem unglückseligen portugiesischen Namen mit den »Coroados« des Matogrosso<lb/> gemein haben! Ohne den Namen wäre die unangenehme Verwechslung<note place="foot" n="*)">Moutinho erzählt: »Dem kleinen Sebastian zeigten wir einmal den Himmel. Er, die Hände<lb/> zum Zeichen der Verehrung emporhebend, antwortete uns demütig „<hi rendition="#i">tupáng</hi>“ (NB. <hi rendition="#g">Tupí</hi>wort = Gewitter,<lb/> von den Missionaren als »Gott« erklärt und adoptiert). Wir zeigten ihm die Sonne — er sagte „<hi rendition="#i">obé</hi>“<lb/> (»Coroado«-Wort vom Rio Xipotó = Sonne) und er neigte den Kopf zum Beweis des Respekts.«<lb/> Kein jemals in Cuyabá eingelieferter »Coroado«-Knabe hat die Wörter <hi rendition="#i">tupáng</hi> und <hi rendition="#i">obé</hi>, noch weniger<lb/> aber hat jemals einer die von Moutinho so schön beschriebene Andacht gekannt. Aber dergleichen<lb/> Anekdoten werden von dem harmlosen Leser als baare Münze genommen und erhalten vollen Kurs-<lb/> wert. Wie gewaltig der Unsinn ist, den er wohlmeinend auftischt, davon hat auch der Verfasser<lb/> selbst keine Ahnung in seiner Unkenntnis.</note> un-<lb/> möglich gewesen. Moutinho hat die Gelegenheit, sich besser zu unterrichten,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [443/0507]
ländlichen Bevölkerung in dem ganzen Gebiet zwischen dem Rio Cuyabá und S.
Lourenço bis zur Grenze nach Goyaz hinüber gegolten hatten, waren sie endlich
dank den Bemühungen des Präsidenten Galdino Pimentel im Jahre 1886
»pacificados« zur Ruhe gebracht und in zwei Militärkolonien am S. Lourenço
angesiedelt worden.
Nun sind keineswegs alle Schandthaten, die den »Coroados« zur Last ge-
legt wurden, von diesen begangen worden. Man hat sie, zumal im Nordosten
von Cuyabá, mit Kayapó verwechselt, die dort räuberische Einfälle machten.
Dann aber wusste Niemand in der Hauptstadt, dass die gefürchteten »Coroados«
gar nichts anderes waren als Stammesbrüder derselben Bororó, die schon seit
langer Zeit in mehreren Dörfern rechts des Paraguay in friedlichen Verhältnissen
und teilweise sehr herabgekommenem Zustande leben, ja auch Stammesbrüder
derselben Bororó, die schon mit dem Gründer Cuyabás, Antonio Pires, vor der
Mitte des 18. Jahrhunderts verbündet und von ihm als Garnison verwendet
worden waren!
Ich war nicht wenig erstaunt, als ich von »Atahualpa«, einem mit wenigen
Genossen zur Taufe nach der Hauptstadt geführten »Coroado« erfuhr, dass sie
sich selbst Bororó nennen.
So löste sich mir denn auch rasch ein anderes Rätsel, das die Unter-
haltung mit Atahualpa darbot. Ich hatte gerade den Bericht über einige 1859
nach Cuyabá gebrachte gefangene »Coroados« (zwei Mädchen und einen Knaben)
in dem Buch von Joaquim Ferreira Moutinho »Noticia da provincia de Mato
Grosso« (S. Paulo 1869, 425 SS.) gelesen und dort eine Wörtersammlung (S. 192)
gefunden, die ich nunmehr mit meiner eigenen Aufnahme vergleichen wollte. Zu
meinem Erstaunen stimmte Nichts, gar Nichts. Der Autor hatte die Wörter von
dem »Coroado«-Knaben erfahren, von dem er die rührendsten Geschichten erzählt
und der in Cuyabá auf den Namen Sebastian getauft wurde. »Wir werden
einige Wörter geben, die wir von ihm lernten.« Folgen 52 Wörter — abge-
schrieben leider aus dem Glossar von Martius S. 195 ff., und herrührend leider
von den »Coroados« am weit entfernten Rio Xipotó an der Grenze von Rio de
Janeiro, die ebenso wenig als die »Coroados« von Paraná irgend etwas mehr als
dem unglückseligen portugiesischen Namen mit den »Coroados« des Matogrosso
gemein haben! Ohne den Namen wäre die unangenehme Verwechslung *) un-
möglich gewesen. Moutinho hat die Gelegenheit, sich besser zu unterrichten,
*) Moutinho erzählt: »Dem kleinen Sebastian zeigten wir einmal den Himmel. Er, die Hände
zum Zeichen der Verehrung emporhebend, antwortete uns demütig „tupáng“ (NB. Tupíwort = Gewitter,
von den Missionaren als »Gott« erklärt und adoptiert). Wir zeigten ihm die Sonne — er sagte „obé“
(»Coroado«-Wort vom Rio Xipotó = Sonne) und er neigte den Kopf zum Beweis des Respekts.«
Kein jemals in Cuyabá eingelieferter »Coroado«-Knabe hat die Wörter tupáng und obé, noch weniger
aber hat jemals einer die von Moutinho so schön beschriebene Andacht gekannt. Aber dergleichen
Anekdoten werden von dem harmlosen Leser als baare Münze genommen und erhalten vollen Kurs-
wert. Wie gewaltig der Unsinn ist, den er wohlmeinend auftischt, davon hat auch der Verfasser
selbst keine Ahnung in seiner Unkenntnis.
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