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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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kitenart giebt, die einen schönen roten Fleck neben dem Schnabel hat, so nehme
ich an, dass eine Bakairi-Frau sich dieses Tierchens erinnerte, als sie mir zu
meinem Erstaunen hintereinander smaragdgrün, zinnober und ultramarin
als tukueng bezeichnete! Dann stimmte Alles, ich selbst aber hatte damals keine
Ahnung von dem Zusammenhang und brachte das Ergebnis kopfschüttelnd mit
grossen Ausrufungszeichen zu Papier. Ein wahres Glück, dass die Leute nicht
von dem roten Arara des unteren Schingu einen Farbennamen abgeleitet haben,
sie würden eine Palette mit ungefähr sämtlichen schreienden Farben dem ver-
dutzten Europäer mit einem Wort haben erklären können. Möglich wenigstens
ist es ferner, dass das Wort für rot der Bakairi und Nordkaraiben "fruchtfarben"
bedeutet; in diesem Falle könnte schon einmal Jemand, der keineswegs rotblind
ist, das Wort ausnahmsweise auch für grün (smaragdgrün und saftgrün) gebrauchen,
während die Andern es allgemein für Orange, Zinnober und Karmin anwandten.
Wohl zu vertheidigen ist die Ableitung des Tupiwortes ti, ting, tinga für "weiss"
von ty Urin, Saft, Brühe; alsdann könnte es gewiss nicht Wunder nehmen, wenn
die Auetö damit weiss und hellgelb bezeichnen.

Das Wort für weiss der Bakairi ist "salz"farben, das für schwarz "russ"-
farben. Letzteres dient, wie erwähnt, auch für blau und dunkelbraun, und, während
grün = perikitofarben auch "blau" sein konnte, konnte blau = russfarben nicht
"grün" sein.

Somit ergiebt sich, einige der Farbennamen können mehrdeutig sein. Es
ist klar, dass, wo dies der Fall ist, der Gebrauch sich allmählich für eine Qualität
entscheiden wird; worauf es ankommt, ist eben nur der Gebrauch, der das Be-
dürfnis der Unterscheidung entwickelt. Das Bedürfnis, Farben zu unterscheiden,
macht sich am nächsten geltend für die Farbstoffe selbst. Es scheint keineswegs
gewöhnlich zu sein, dass der Farbnamen vom Farbstoff abgeleitet wird, da ich
dies nur im Bakairi für schwarzblau = russfarben zu finden vermag; so ist auch bei
den Tupi una schwarz = "verbrannt", und die den Tieren häufig zugewiesene Form
pischuna bedeutet "verbrannte Haut". Auch dieses Wort wird für "blau" ge-
braucht; der prachtvoll blaue Arara ist als "Psittacus ararauna" = arara una in
die Zoologie übergegangen. Nirgendwo ist das Urukuwort in dem Farbenwort
rot, das Wort für den weissen Thon in dem Farbenwort weiss enthalten. Ich
glaube, die Farbstoffe sind weit älter als das Bedürfnis, sie nach ihren
Farben zu unterscheiden
. Dies wird für die Bakairi durch zwei Punkte wahr-
scheinlich: die Farbenadjektiva gehören einmal mit einziger Ausnahme des "rot,
orange" nicht zum Inventar der karaibischen Grundsprache, dann zeigt ihre Zu-
sammensetzung nach dem Schema t-Stamm-eng das Gepräge neuerer Bildung.

Ich darf ein solches Verhalten wohl auch zu Gunsten der früheren Aus-
führung über den Ursprung des persönlichen Farbenschmucks verwerten (vgl.
Seite 184 ff.). So uralt und eingeboren gewisslich die Freude an den Farben sein
mag, so spricht doch der Umstand, dass sich das Bedürfnis, die Farben der Farb-
stoffe mit Wörtern zu unterscheiden, erst spät geregt hat, zu Gunsten der Ansicht,

kitenart giebt, die einen schönen roten Fleck neben dem Schnabel hat, so nehme
ich an, dass eine Bakaïrí-Frau sich dieses Tierchens erinnerte, als sie mir zu
meinem Erstaunen hintereinander smaragdgrün, zinnober und ultramarin
als tukuéng bezeichnete! Dann stimmte Alles, ich selbst aber hatte damals keine
Ahnung von dem Zusammenhang und brachte das Ergebnis kopfschüttelnd mit
grossen Ausrufungszeichen zu Papier. Ein wahres Glück, dass die Leute nicht
von dem roten Arara des unteren Schingú einen Farbennamen abgeleitet haben,
sie würden eine Palette mit ungefähr sämtlichen schreienden Farben dem ver-
dutzten Europäer mit einem Wort haben erklären können. Möglich wenigstens
ist es ferner, dass das Wort für rot der Bakaïrí und Nordkaraiben »fruchtfarben«
bedeutet; in diesem Falle könnte schon einmal Jemand, der keineswegs rotblind
ist, das Wort ausnahmsweise auch für grün (smaragdgrün und saftgrün) gebrauchen,
während die Andern es allgemein für Orange, Zinnober und Karmin anwandten.
Wohl zu vertheidigen ist die Ableitung des Tupíwortes ti, ting, tinga für »weiss«
von ty Urin, Saft, Brühe; alsdann könnte es gewiss nicht Wunder nehmen, wenn
die Auetö́ damit weiss und hellgelb bezeichnen.

Das Wort für weiss der Bakaïrí ist »salz«farben, das für schwarz »russ«-
farben. Letzteres dient, wie erwähnt, auch für blau und dunkelbraun, und, während
grün = perikitofarben auch »blau« sein konnte, konnte blau = russfarben nicht
»grün« sein.

Somit ergiebt sich, einige der Farbennamen können mehrdeutig sein. Es
ist klar, dass, wo dies der Fall ist, der Gebrauch sich allmählich für eine Qualität
entscheiden wird; worauf es ankommt, ist eben nur der Gebrauch, der das Be-
dürfnis der Unterscheidung entwickelt. Das Bedürfnis, Farben zu unterscheiden,
macht sich am nächsten geltend für die Farbstoffe selbst. Es scheint keineswegs
gewöhnlich zu sein, dass der Farbnamen vom Farbstoff abgeleitet wird, da ich
dies nur im Bakaïrí für schwarzblau = russfarben zu finden vermag; so ist auch bei
den Tupí una schwarz = »verbrannt«, und die den Tieren häufig zugewiesene Form
pischuna bedeutet »verbrannte Haut«. Auch dieses Wort wird für »blau« ge-
braucht; der prachtvoll blaue Arara ist als »Psittacus ararauna« = arara una in
die Zoologie übergegangen. Nirgendwo ist das Urukúwort in dem Farbenwort
rot, das Wort für den weissen Thon in dem Farbenwort weiss enthalten. Ich
glaube, die Farbstoffe sind weit älter als das Bedürfnis, sie nach ihren
Farben zu unterscheiden
. Dies wird für die Bakaïrí durch zwei Punkte wahr-
scheinlich: die Farbenadjektiva gehören einmal mit einziger Ausnahme des »rot,
orange« nicht zum Inventar der karaibischen Grundsprache, dann zeigt ihre Zu-
sammensetzung nach dem Schema t-Stamm-éng das Gepräge neuerer Bildung.

Ich darf ein solches Verhalten wohl auch zu Gunsten der früheren Aus-
führung über den Ursprung des persönlichen Farbenschmucks verwerten (vgl.
Seite 184 ff.). So uralt und eingeboren gewisslich die Freude an den Farben sein
mag, so spricht doch der Umstand, dass sich das Bedürfnis, die Farben der Farb-
stoffe mit Wörtern zu unterscheiden, erst spät geregt hat, zu Gunsten der Ansicht,

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/485>, abgerufen am 21.05.2024.