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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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oder der Gipfel-Finger ist der Mittel-Finger, der die "3" markiert, also schon
eine natürliche Grenze wie 5 = Hand. Im nahverwandten Auetö heisst 1 und 3
ganz anders als im Kamayura-Tupi, während 2 übereinstimmt. Das ist sehr
ähnlich dem Verhältnis bei den verschiedenen Karaibenstämmen.

Glücklicherweise ist der Sinn des wichtigsten Zahlwortes "ahage" sicher. Es
hat auch den grössten sprachvergleichenden Wert, denn es findet sich, meist wenig
differenziert, bei allen gutkaraibischen Volksschaften wieder und ist geradezu ein
Leitwort. Phonetisch geht es zurück auf "atake". Man muss es zerlegen in erstens
das demonstrative a-, das auch das Pronominalpraefix der zweiten Person bildet
und sich auf das ausserhalb des eigenen Körpers Nächstliegende bezieht und
zweitens die Postposition "-take", "-sake", "-hage", "mit, samt" = "da-bei", "da-
mit
", "zusammen". Es steckt also nichts von Hand oder Fingern darin und
nichts von Augen, Flügeln und Armen.

"Viel" heisst "aagi", auch schon "agi" und ist, da ich einmal auch "ahagi"
aufgeschrieben habe und zwischen den beiden a jedenfalls ein Konsonant gestanden
haben muss, sehr wahrscheinlich mit dem "ahage" "2" von Haus aus identisch
-- eine Identität, die sich dem Sprachgefühl des modernen Bakairi längst ent-
zogen hat. Somit hätten sich die Bedeutungen "2" und "viel" von dem ältesten
heute noch nachweisbaren Wortsinn "dabei", etwa unserm "miteinander" oder
"zusammen" abgespaltet und das Wort für die bestimmte Zahl und das für die
unbestimmte Menge wären nur lautliche Differenzierungen derselben Stammform.*)

Wir sehen, dass die Geschichte des Bakairi-Zahlwortes für 2 mit der vor-
ausgesetzten Entstehung überhaupt der Zahlanschauung in vollem Einklang steht.
Wir würden hier nur noch hinzulernen, dass die Beobachtung, wie ein regelrecht
zerbrochenes Ding in "2" Stücke zerfällt, längere Zeit nicht abgesondert wurde
von der, dass man bei unregelmässigem Zerbrechen beliebig viele Stücke "mit-
einander" in der Hand hatte. Nun fällt aber umgekehrt von unserer psychologischen
Entwicklung ein seltsamer Lichtschein auf die Etymologie. Der Ursprung der
Postposition "-sake" "-hage", die etwas wie "Gemeinsamkeit", um es recht schön
abstrakt auszudrücken, bedeuten muss, bleibt aufzuklären. Da gibt es auch in
dem aufgezeichneten Material einen Verbalstamm, der gleichlautend ist, den aber
Niemand mit dem Begriff "Gemeinsamkeit" in Verbindung bringen würde:
Holz schlagen! Die Arbeit des Steinbeils, die den Stamm zerteilt. Das ist
mindestens interessant, und man möchte wohl glauben, dass sich bei einem
Karaiben die Bedeutungen: "Holz zerbrechen, Holzstücke oder Reisig, (Gemeinsam-
keit
), zusammen, zwei" auseinander entwickeln können, wennschon unser "zu-
sammen
, samt, sammeln", sowie Sanskrit sama, Zend hama, englisch same derselbe,

*) So ist im Deutschen derselbe Stamm paar = "2" und = "einige" nicht einmal lautlich,
sondern nur syntaktisch und für den, der "Paar" und "par" schreibt, graphisch geschieden; die Syntax
ist sogar noch nicht konsequent durchgeführt. Weil man "das Paar Handschuhe" oder "ein Paar
Handschuhe" sagt, sagt man auch "die par Leute" oder "ein par Leute waren da", statt folgerichtig
wie "wenige Leute", auch ohne Artikel "par Leute waren da" zu sagen.
v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 27

oder der Gipfel-Finger ist der Mittel-Finger, der die »3« markiert, also schon
eine natürliche Grenze wie 5 = Hand. Im nahverwandten Auetö́ heisst 1 und 3
ganz anders als im Kamayurá-Tupí, während 2 übereinstimmt. Das ist sehr
ähnlich dem Verhältnis bei den verschiedenen Karaibenstämmen.

Glücklicherweise ist der Sinn des wichtigsten Zahlwortes „aháge“ sicher. Es
hat auch den grössten sprachvergleichenden Wert, denn es findet sich, meist wenig
differenziert, bei allen gutkaraibischen Volksschaften wieder und ist geradezu ein
Leitwort. Phonetisch geht es zurück auf „atáke“. Man muss es zerlegen in erstens
das demonstrative a-, das auch das Pronominalpraefix der zweiten Person bildet
und sich auf das ausserhalb des eigenen Körpers Nächstliegende bezieht und
zweitens die Postposition „-take“, „-sake“, „-hage“, »mit, samt« = »da-bei«, »da-
mit
«, »zusammen«. Es steckt also nichts von Hand oder Fingern darin und
nichts von Augen, Flügeln und Armen.

»Viel« heisst „aági“, auch schon „ági“ und ist, da ich einmal auch „ahági
aufgeschrieben habe und zwischen den beiden a jedenfalls ein Konsonant gestanden
haben muss, sehr wahrscheinlich mit dem „aháge“ »2« von Haus aus identisch
— eine Identität, die sich dem Sprachgefühl des modernen Bakaïrí längst ent-
zogen hat. Somit hätten sich die Bedeutungen »2« und »viel« von dem ältesten
heute noch nachweisbaren Wortsinn »dabei«, etwa unserm »miteinander« oder
»zusammen« abgespaltet und das Wort für die bestimmte Zahl und das für die
unbestimmte Menge wären nur lautliche Differenzierungen derselben Stammform.*)

Wir sehen, dass die Geschichte des Bakaïrí-Zahlwortes für 2 mit der vor-
ausgesetzten Entstehung überhaupt der Zahlanschauung in vollem Einklang steht.
Wir würden hier nur noch hinzulernen, dass die Beobachtung, wie ein regelrecht
zerbrochenes Ding in »2« Stücke zerfällt, längere Zeit nicht abgesondert wurde
von der, dass man bei unregelmässigem Zerbrechen beliebig viele Stücke »mit-
einander« in der Hand hatte. Nun fällt aber umgekehrt von unserer psychologischen
Entwicklung ein seltsamer Lichtschein auf die Etymologie. Der Ursprung der
Postposition „-sake“ „-hage“, die etwas wie »Gemeinsamkeit«, um es recht schön
abstrakt auszudrücken, bedeuten muss, bleibt aufzuklären. Da gibt es auch in
dem aufgezeichneten Material einen Verbalstamm, der gleichlautend ist, den aber
Niemand mit dem Begriff »Gemeinsamkeit« in Verbindung bringen würde:
Holz schlagen! Die Arbeit des Steinbeils, die den Stamm zerteilt. Das ist
mindestens interessant, und man möchte wohl glauben, dass sich bei einem
Karaiben die Bedeutungen: „Holz zerbrechen, Holzstücke oder Reisig, (Gemeinsam-
keit
), zusammen, zwei“ auseinander entwickeln können, wennschon unserzu-
sammen
, samt, sammeln“, sowie Sanskrit sama, Zend hama, englisch same derselbe,

*) So ist im Deutschen derselbe Stamm paar = »2« und = »einige« nicht einmal lautlich,
sondern nur syntaktisch und für den, der »Paar« und »par« schreibt, graphisch geschieden; die Syntax
ist sogar noch nicht konsequent durchgeführt. Weil man »das Paar Handschuhe« oder »ein Paar
Handschuhe« sagt, sagt man auch »die par Leute« oder »ein par Leute waren da«, statt folgerichtig
wie »wenige Leute«, auch ohne Artikel »par Leute waren da« zu sagen.
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[417/0481] oder der Gipfel-Finger ist der Mittel-Finger, der die »3« markiert, also schon eine natürliche Grenze wie 5 = Hand. Im nahverwandten Auetö́ heisst 1 und 3 ganz anders als im Kamayurá-Tupí, während 2 übereinstimmt. Das ist sehr ähnlich dem Verhältnis bei den verschiedenen Karaibenstämmen. Glücklicherweise ist der Sinn des wichtigsten Zahlwortes „aháge“ sicher. Es hat auch den grössten sprachvergleichenden Wert, denn es findet sich, meist wenig differenziert, bei allen gutkaraibischen Volksschaften wieder und ist geradezu ein Leitwort. Phonetisch geht es zurück auf „atáke“. Man muss es zerlegen in erstens das demonstrative a-, das auch das Pronominalpraefix der zweiten Person bildet und sich auf das ausserhalb des eigenen Körpers Nächstliegende bezieht und zweitens die Postposition „-take“, „-sake“, „-hage“, »mit, samt« = »da-bei«, »da- mit«, »zusammen«. Es steckt also nichts von Hand oder Fingern darin und nichts von Augen, Flügeln und Armen. »Viel« heisst „aági“, auch schon „ági“ und ist, da ich einmal auch „ahági“ aufgeschrieben habe und zwischen den beiden a jedenfalls ein Konsonant gestanden haben muss, sehr wahrscheinlich mit dem „aháge“ »2« von Haus aus identisch — eine Identität, die sich dem Sprachgefühl des modernen Bakaïrí längst ent- zogen hat. Somit hätten sich die Bedeutungen »2« und »viel« von dem ältesten heute noch nachweisbaren Wortsinn »dabei«, etwa unserm »miteinander« oder »zusammen« abgespaltet und das Wort für die bestimmte Zahl und das für die unbestimmte Menge wären nur lautliche Differenzierungen derselben Stammform. *) Wir sehen, dass die Geschichte des Bakaïrí-Zahlwortes für 2 mit der vor- ausgesetzten Entstehung überhaupt der Zahlanschauung in vollem Einklang steht. Wir würden hier nur noch hinzulernen, dass die Beobachtung, wie ein regelrecht zerbrochenes Ding in »2« Stücke zerfällt, längere Zeit nicht abgesondert wurde von der, dass man bei unregelmässigem Zerbrechen beliebig viele Stücke »mit- einander« in der Hand hatte. Nun fällt aber umgekehrt von unserer psychologischen Entwicklung ein seltsamer Lichtschein auf die Etymologie. Der Ursprung der Postposition „-sake“ „-hage“, die etwas wie »Gemeinsamkeit«, um es recht schön abstrakt auszudrücken, bedeuten muss, bleibt aufzuklären. Da gibt es auch in dem aufgezeichneten Material einen Verbalstamm, der gleichlautend ist, den aber Niemand mit dem Begriff »Gemeinsamkeit« in Verbindung bringen würde: Holz schlagen! Die Arbeit des Steinbeils, die den Stamm zerteilt. Das ist mindestens interessant, und man möchte wohl glauben, dass sich bei einem Karaiben die Bedeutungen: „Holz zerbrechen, Holzstücke oder Reisig, (Gemeinsam- keit), zusammen, zwei“ auseinander entwickeln können, wennschon unser „zu- sammen, samt, sammeln“, sowie Sanskrit sama, Zend hama, englisch same derselbe, *) So ist im Deutschen derselbe Stamm paar = »2« und = »einige« nicht einmal lautlich, sondern nur syntaktisch und für den, der »Paar« und »par« schreibt, graphisch geschieden; die Syntax ist sogar noch nicht konsequent durchgeführt. Weil man »das Paar Handschuhe« oder »ein Paar Handschuhe« sagt, sagt man auch »die par Leute« oder »ein par Leute waren da«, statt folgerichtig wie »wenige Leute«, auch ohne Artikel »par Leute waren da« zu sagen. v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 27

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/481>, abgerufen am 22.11.2024.