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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Mandioka, Tabak (-pfeife), schlafen. Nur wimmelt es da so von ö, ä, ü. dass
Wohlbekanntes stark entstellt erscheint, z. B. Mandioka, Bak. ichere, Pim.
uütschöro oder Arm, Tamanako japari (Bak. Flügel sawöri), Pim. söbaröh.

Erscheinen die Palmella und die Pimenteira nach Allem, was wir bisher
wissen, einigermassen isoliert in fremder Umgebung, so repräsentieren die ver-
einigten Bakairi und Nahuqua einen sehr stattlichen Komplex und gleichzeitig ist
ihre geographische Lage in dem Quellgebiet von Tapajoz und Schingu für die
Hypothese der Verschiebung nach Norden insofern vorzüglich zutreffend, als die
südlichsten der Nordkaraiben auf dem linken Ufer des Amazonas eben gegenüber
den Mündungen von Tapajoz und Schingu unmittelbar anschliessen. Es liegt mir
nichts ferner, als die Bakairi oder Nahuqua etwa als die Reste des unveränderten
karaibischen Grundvolkes zu betrachten, sondern ich glaube nur, es spricht Alles
dafür, dass sie dem Ursitz des Grundvolkes am nächsten wohnen. Dass es ein
solches Grundvolk gegeben hat, und mag es am letzten Ende nur ein kleiner
Stamm gewesen sein, ist ein unabweisliches Postulat der Sprachvergleichung.
Trotz aller Differenzierung im Lauf der Zeiten durch Vermischung mit sehr ver-
schiedenen Elementen giebt es noch heute eine grosse Einheit karaibischer Stämme,
deren jeder einen grösseren oder kleineren Schatz von Grundwörtern besitzt.
Sie haben ihre lautliche Differenzierung in genau gleichgerichteter Bewegung, aber
unabhängig von einander vollzogen. Wir kommen also, ob wir Wanderzüge oder
langsame Verschiebung annehmen, stets auf eine ursprüngliche Gemeinschaft
zurück, wo man z. B. noch die unerweichten Stammanlaute hatte. Dass sehr
viele Jahrhunderte ins Land gegangen und sehr viele Tropfen den Amazonas
hinuntergeflossen sind, seit die Ausstrahlung von dem Ursprungszentrum statt-
gefunden hat, folgt aus der ungeheuren räumlichen Ausdehnung, die der karai-
bischen Spracheinheit heute zukommt. Damit ergiebt es sich denn von selbst,
dass auch solche Karaiben, die noch in nächster Nähe der Urheimat sässen, alle
Veränderungen, die gewaltige Zeitperioden auch unter den friedlichsten Verhält-
nissen mit sich bringen, erlitten haben müssen. Man darf niemals vergessen, dass
das "Grundvolk", wenngleich es für den der Untersuchung unterworfenen stark
verzweigten Baum eine Art Stamm oder gar Wurzel abgiebt, doch selbst nur
ein Zweig vom Baume gewesen ist; wie jeder beliebige Vorfahr oder Stammvater
auch nur ein Glied in einer unendlich langen Reihe ist. "Urkaraiben" sind die
Bakairi also keinenfalls. Die suchen hiesse für die Juden den noch lebenden
Erzvater Abraham suchen.

Das karaibische Grundvolk hatte bereits Mais, Mandioka, Tabak,
Igname, Pfeffer, Baumwolle, Orleansstrauch
. Vgl. die Nachweise in dem
Vokabular meiner Bakairi-Grammatik. Man mag sich drehen und wenden, aber
man kann dem Schluss nicht ausweichen, dass die mit jenen Pflanzen gegebene
Kultur den Karaiben bereits vor sehr, sehr langer Zeit gehörte. Es ist wahrlich
wichtig, dies zu beherzigen, wenn man das richtige Verhältnis zur Ahnensage
gewinnen will. Die sichere historische Tradition mit bestimmten Namen umfasst

Mandioka, Tabak (-pfeife), schlafen. Nur wimmelt es da so von ö, ä, ü. dass
Wohlbekanntes stark entstellt erscheint, z. B. Mandioka, Bak. ichére, Pim.
uütschörô oder Arm, Tamanako japari (Bak. Flügel sawöri), Pim. söbaröh.

Erscheinen die Palmella und die Pimenteira nach Allem, was wir bisher
wissen, einigermassen isoliert in fremder Umgebung, so repräsentieren die ver-
einigten Bakaïrí und Nahuquá einen sehr stattlichen Komplex und gleichzeitig ist
ihre geographische Lage in dem Quellgebiet von Tapajoz und Schingú für die
Hypothese der Verschiebung nach Norden insofern vorzüglich zutreffend, als die
südlichsten der Nordkaraiben auf dem linken Ufer des Amazonas eben gegenüber
den Mündungen von Tapajoz und Schingú unmittelbar anschliessen. Es liegt mir
nichts ferner, als die Bakaïrí oder Nahuquá etwa als die Reste des unveränderten
karaibischen Grundvolkes zu betrachten, sondern ich glaube nur, es spricht Alles
dafür, dass sie dem Ursitz des Grundvolkes am nächsten wohnen. Dass es ein
solches Grundvolk gegeben hat, und mag es am letzten Ende nur ein kleiner
Stamm gewesen sein, ist ein unabweisliches Postulat der Sprachvergleichung.
Trotz aller Differenzierung im Lauf der Zeiten durch Vermischung mit sehr ver-
schiedenen Elementen giebt es noch heute eine grosse Einheit karaibischer Stämme,
deren jeder einen grösseren oder kleineren Schatz von Grundwörtern besitzt.
Sie haben ihre lautliche Differenzierung in genau gleichgerichteter Bewegung, aber
unabhängig von einander vollzogen. Wir kommen also, ob wir Wanderzüge oder
langsame Verschiebung annehmen, stets auf eine ursprüngliche Gemeinschaft
zurück, wo man z. B. noch die unerweichten Stammanlaute hatte. Dass sehr
viele Jahrhunderte ins Land gegangen und sehr viele Tropfen den Amazonas
hinuntergeflossen sind, seit die Ausstrahlung von dem Ursprungszentrum statt-
gefunden hat, folgt aus der ungeheuren räumlichen Ausdehnung, die der karai-
bischen Spracheinheit heute zukommt. Damit ergiebt es sich denn von selbst,
dass auch solche Karaiben, die noch in nächster Nähe der Urheimat sässen, alle
Veränderungen, die gewaltige Zeitperioden auch unter den friedlichsten Verhält-
nissen mit sich bringen, erlitten haben müssen. Man darf niemals vergessen, dass
das »Grundvolk«, wenngleich es für den der Untersuchung unterworfenen stark
verzweigten Baum eine Art Stamm oder gar Wurzel abgiebt, doch selbst nur
ein Zweig vom Baume gewesen ist; wie jeder beliebige Vorfahr oder Stammvater
auch nur ein Glied in einer unendlich langen Reihe ist. »Urkaraiben« sind die
Bakaïrí also keinenfalls. Die suchen hiesse für die Juden den noch lebenden
Erzvater Abraham suchen.

Das karaibische Grundvolk hatte bereits Mais, Mandioka, Tabak,
Igname, Pfeffer, Baumwolle, Orléansstrauch
. Vgl. die Nachweise in dem
Vokabular meiner Bakaïrí-Grammatik. Man mag sich drehen und wenden, aber
man kann dem Schluss nicht ausweichen, dass die mit jenen Pflanzen gegebene
Kultur den Karaiben bereits vor sehr, sehr langer Zeit gehörte. Es ist wahrlich
wichtig, dies zu beherzigen, wenn man das richtige Verhältnis zur Ahnensage
gewinnen will. Die sichere historische Tradition mit bestimmten Namen umfasst

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[402/0466] Mandioka, Tabak (-pfeife), schlafen. Nur wimmelt es da so von ö, ä, ü. dass Wohlbekanntes stark entstellt erscheint, z. B. Mandioka, Bak. ichére, Pim. uütschörô oder Arm, Tamanako japari (Bak. Flügel sawöri), Pim. söbaröh. Erscheinen die Palmella und die Pimenteira nach Allem, was wir bisher wissen, einigermassen isoliert in fremder Umgebung, so repräsentieren die ver- einigten Bakaïrí und Nahuquá einen sehr stattlichen Komplex und gleichzeitig ist ihre geographische Lage in dem Quellgebiet von Tapajoz und Schingú für die Hypothese der Verschiebung nach Norden insofern vorzüglich zutreffend, als die südlichsten der Nordkaraiben auf dem linken Ufer des Amazonas eben gegenüber den Mündungen von Tapajoz und Schingú unmittelbar anschliessen. Es liegt mir nichts ferner, als die Bakaïrí oder Nahuquá etwa als die Reste des unveränderten karaibischen Grundvolkes zu betrachten, sondern ich glaube nur, es spricht Alles dafür, dass sie dem Ursitz des Grundvolkes am nächsten wohnen. Dass es ein solches Grundvolk gegeben hat, und mag es am letzten Ende nur ein kleiner Stamm gewesen sein, ist ein unabweisliches Postulat der Sprachvergleichung. Trotz aller Differenzierung im Lauf der Zeiten durch Vermischung mit sehr ver- schiedenen Elementen giebt es noch heute eine grosse Einheit karaibischer Stämme, deren jeder einen grösseren oder kleineren Schatz von Grundwörtern besitzt. Sie haben ihre lautliche Differenzierung in genau gleichgerichteter Bewegung, aber unabhängig von einander vollzogen. Wir kommen also, ob wir Wanderzüge oder langsame Verschiebung annehmen, stets auf eine ursprüngliche Gemeinschaft zurück, wo man z. B. noch die unerweichten Stammanlaute hatte. Dass sehr viele Jahrhunderte ins Land gegangen und sehr viele Tropfen den Amazonas hinuntergeflossen sind, seit die Ausstrahlung von dem Ursprungszentrum statt- gefunden hat, folgt aus der ungeheuren räumlichen Ausdehnung, die der karai- bischen Spracheinheit heute zukommt. Damit ergiebt es sich denn von selbst, dass auch solche Karaiben, die noch in nächster Nähe der Urheimat sässen, alle Veränderungen, die gewaltige Zeitperioden auch unter den friedlichsten Verhält- nissen mit sich bringen, erlitten haben müssen. Man darf niemals vergessen, dass das »Grundvolk«, wenngleich es für den der Untersuchung unterworfenen stark verzweigten Baum eine Art Stamm oder gar Wurzel abgiebt, doch selbst nur ein Zweig vom Baume gewesen ist; wie jeder beliebige Vorfahr oder Stammvater auch nur ein Glied in einer unendlich langen Reihe ist. »Urkaraiben« sind die Bakaïrí also keinenfalls. Die suchen hiesse für die Juden den noch lebenden Erzvater Abraham suchen. Das karaibische Grundvolk hatte bereits Mais, Mandioka, Tabak, Igname, Pfeffer, Baumwolle, Orléansstrauch. Vgl. die Nachweise in dem Vokabular meiner Bakaïrí-Grammatik. Man mag sich drehen und wenden, aber man kann dem Schluss nicht ausweichen, dass die mit jenen Pflanzen gegebene Kultur den Karaiben bereits vor sehr, sehr langer Zeit gehörte. Es ist wahrlich wichtig, dies zu beherzigen, wenn man das richtige Verhältnis zur Ahnensage gewinnen will. Die sichere historische Tradition mit bestimmten Namen umfasst

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/466>, abgerufen am 21.05.2024.