Ein zweiter nicht unwesentlicher Unterschied zwischen der Auffassung unserer Indianer und der Kulturvölker betrifft die Fortdauer nach dem Tode. Dass die Güter der Erde ungleich verteilt sind und der Arme dereinst die Wonne des Ueberflusses erfahren möge, dass die Gerechtigkeit hienieden unvollkommen ist und der Gute dereinst belohnt, der Böse gestraft werden müsse, diese ethischen Forderungen sind in den einfachen sozialen Verhältnissen des Eingeborenen nicht entstanden. Seine Vorstellung von der Fortdauer nach dem Tode ent- springt keinem Hoffen und Vertrauen. Allerdings verbindet sie sich mit dem Gedanken an angenehme Verhältnisse insofern, als bei dem spätern Zusammen- leben mit den "Antigos" im Himmel Fische, Wildpret und Pikibrühe sehr reich- lich bemessen sein werden und nimmt auch Rücksicht auf das Verhalten nichts- würdiger Gesellen, da diese, nicht etwa weil sie "verflucht" wären, sondern weil sie ihre Schlechtigkeiten an anderem Orte natürlich fortsetzen, sich als übel- wollende Geister kilain-oroika Furcht und Schrecken verbreitend Nachts im Walde umhertreiben.
Allein die Wurzel der Ueberzeugung von der Fortdauer liegt für den Ein- geborenen, so untrennbar die beiden auch verbunden sind, nicht im Gemüt, sondern im Verstande. Sie ist, für seine Erkenntnisstufe, ein Wissen. Nach der Vorstellung der Kulturvölker entfernt sich die Seele beim Tode zum ersten Mal aus dem Körper, es geschieht etwas ganz Neues, von dem sie durch Erfahrung und Beobachtung, es sei denn durch spiritistische, Nichts wissen; eben um dieses unbekannten Neuen willen können sie die Unsterblichkeit nicht beweisen, sondern müssen anheimgeben, sie aus ethischen Gründen zu glauben. Dem Indianer dagegen ist der Vorgang der Trennung von Leib und Seele nicht neu, er erfährt ihn tagtäglich, wie wir gesehen haben, wenn der Schatten im Traum von dannen eilt und den Körper in der Hängematte zurücklässt. Der gewöhnliche Tod ist eine tiefe Bewusstlosigkeit (Koma) infolge des Giftes, das der Hexenmeister beibringt, und vom Schlaf nur dadurch verschieden, dass der Schatten zu weit enteilt, um zurückzukehren. Nur der Medizinmann, der sich selbst vergiftet, wird wieder lebendig. "Wirklich" waren schon während des Schlafes die Erlebnisse des Schattens, "wirklich" sind ebenso gut seine "Erleb- nisse" nach dem Tode. Man kennt diese Wirklichkeit, die nur ein Leben an anderm Ort ist, aus der täglichen Erfahrung, und erhält sie zum Ueberfluss noch bestätigt durch die Gestorbenen, mit deren Schatten unser eigener während des Traumes verkehrt, und durch die gelegentlich das Totenreich besuchenden Zauberer; in diesen kann Hamlet die Wanderer finden, die aus dem Bezirk des unbekannten Landes wiederkehren. To die to sleep, no more.
Die Schatten der toten Bakairi gehen in den Himmel zu den Vorfahren. Der Himmel ist zunächst nicht das Land der Zukunft, sondern das der Ver- gangenheit, die Alten sind noch da, wo nämlich alle Geschichte begonnen hat. Der Himmel, in dem die ersten Bakairi lebten, lag früher neben der Erde und man konnte bequem auf diese hinüber gelangen. Es starben dort aber zu
Ein zweiter nicht unwesentlicher Unterschied zwischen der Auffassung unserer Indianer und der Kulturvölker betrifft die Fortdauer nach dem Tode. Dass die Güter der Erde ungleich verteilt sind und der Arme dereinst die Wonne des Ueberflusses erfahren möge, dass die Gerechtigkeit hienieden unvollkommen ist und der Gute dereinst belohnt, der Böse gestraft werden müsse, diese ethischen Forderungen sind in den einfachen sozialen Verhältnissen des Eingeborenen nicht entstanden. Seine Vorstellung von der Fortdauer nach dem Tode ent- springt keinem Hoffen und Vertrauen. Allerdings verbindet sie sich mit dem Gedanken an angenehme Verhältnisse insofern, als bei dem spätern Zusammen- leben mit den »Antigos« im Himmel Fische, Wildpret und Pikíbrühe sehr reich- lich bemessen sein werden und nimmt auch Rücksicht auf das Verhalten nichts- würdiger Gesellen, da diese, nicht etwa weil sie »verflucht« wären, sondern weil sie ihre Schlechtigkeiten an anderem Orte natürlich fortsetzen, sich als übel- wollende Geister kilain-oroika Furcht und Schrecken verbreitend Nachts im Walde umhertreiben.
Allein die Wurzel der Ueberzeugung von der Fortdauer liegt für den Ein- geborenen, so untrennbar die beiden auch verbunden sínd, nicht im Gemüt, sondern im Verstande. Sie ist, für seine Erkenntnisstufe, ein Wissen. Nach der Vorstellung der Kulturvölker entfernt sich die Seele beim Tode zum ersten Mal aus dem Körper, es geschieht etwas ganz Neues, von dem sie durch Erfahrung und Beobachtung, es sei denn durch spiritistische, Nichts wissen; eben um dieses unbekannten Neuen willen können sie die Unsterblichkeit nicht beweisen, sondern müssen anheimgeben, sie aus ethischen Gründen zu glauben. Dem Indianer dagegen ist der Vorgang der Trennung von Leib und Seele nicht neu, er erfährt ihn tagtäglich, wie wir gesehen haben, wenn der Schatten im Traum von dannen eilt und den Körper in der Hängematte zurücklässt. Der gewöhnliche Tod ist eine tiefe Bewusstlosigkeit (Koma) infolge des Giftes, das der Hexenmeister beibringt, und vom Schlaf nur dadurch verschieden, dass der Schatten zu weit enteilt, um zurückzukehren. Nur der Medizinmann, der sich selbst vergiftet, wird wieder lebendig. »Wirklich« waren schon während des Schlafes die Erlebnisse des Schattens, »wirklich« sind ebenso gut seine »Erleb- nisse« nach dem Tode. Man kennt diese Wirklichkeit, die nur ein Leben an anderm Ort ist, aus der täglichen Erfahrung, und erhält sie zum Ueberfluss noch bestätigt durch die Gestorbenen, mit deren Schatten unser eigener während des Traumes verkehrt, und durch die gelegentlich das Totenreich besuchenden Zauberer; in diesen kann Hamlet die Wanderer finden, die aus dem Bezirk des unbekannten Landes wiederkehren. To die to sleep, no more.
Die Schatten der toten Bakaïrí gehen in den Himmel zu den Vorfahren. Der Himmel ist zunächst nicht das Land der Zukunft, sondern das der Ver- gangenheit, die Alten sind noch da, wo nämlich alle Geschichte begonnen hat. Der Himmel, in dem die ersten Bakaïrí lebten, lag früher neben der Erde und man konnte bequem auf diese hinüber gelangen. Es starben dort aber zu
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Ein zweiter nicht unwesentlicher Unterschied zwischen der Auffassung unserer
Indianer und der Kulturvölker betrifft die Fortdauer nach dem Tode. Dass die
Güter der Erde ungleich verteilt sind und der Arme dereinst die Wonne des
Ueberflusses erfahren möge, dass die Gerechtigkeit hienieden unvollkommen ist
und der Gute dereinst belohnt, der Böse gestraft werden müsse, diese ethischen
Forderungen sind in den einfachen sozialen Verhältnissen des Eingeborenen
nicht entstanden. Seine Vorstellung von der Fortdauer nach dem Tode ent-
springt keinem Hoffen und Vertrauen. Allerdings verbindet sie sich mit dem
Gedanken an angenehme Verhältnisse insofern, als bei dem spätern Zusammen-
leben mit den »Antigos« im Himmel Fische, Wildpret und Pikíbrühe sehr reich-
lich bemessen sein werden und nimmt auch Rücksicht auf das Verhalten nichts-
würdiger Gesellen, da diese, nicht etwa weil sie »verflucht« wären, sondern weil
sie ihre Schlechtigkeiten an anderem Orte natürlich fortsetzen, sich als übel-
wollende Geister kilain-oroika Furcht und Schrecken verbreitend Nachts im Walde
umhertreiben.
Allein die Wurzel der Ueberzeugung von der Fortdauer liegt für den Ein-
geborenen, so untrennbar die beiden auch verbunden sínd, nicht im Gemüt,
sondern im Verstande. Sie ist, für seine Erkenntnisstufe, ein Wissen. Nach
der Vorstellung der Kulturvölker entfernt sich die Seele beim Tode zum ersten
Mal aus dem Körper, es geschieht etwas ganz Neues, von dem sie durch
Erfahrung und Beobachtung, es sei denn durch spiritistische, Nichts wissen;
eben um dieses unbekannten Neuen willen können sie die Unsterblichkeit nicht
beweisen, sondern müssen anheimgeben, sie aus ethischen Gründen zu glauben.
Dem Indianer dagegen ist der Vorgang der Trennung von Leib und Seele nicht
neu, er erfährt ihn tagtäglich, wie wir gesehen haben, wenn der Schatten im
Traum von dannen eilt und den Körper in der Hängematte zurücklässt. Der
gewöhnliche Tod ist eine tiefe Bewusstlosigkeit (Koma) infolge des Giftes, das
der Hexenmeister beibringt, und vom Schlaf nur dadurch verschieden, dass der
Schatten zu weit enteilt, um zurückzukehren. Nur der Medizinmann, der sich
selbst vergiftet, wird wieder lebendig. »Wirklich« waren schon während des
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nisse« nach dem Tode. Man kennt diese Wirklichkeit, die nur ein Leben an
anderm Ort ist, aus der täglichen Erfahrung, und erhält sie zum Ueberfluss
noch bestätigt durch die Gestorbenen, mit deren Schatten unser eigener während
des Traumes verkehrt, und durch die gelegentlich das Totenreich besuchenden
Zauberer; in diesen kann Hamlet die Wanderer finden, die aus dem Bezirk des
unbekannten Landes wiederkehren. To die to sleep, no more.
Die Schatten der toten Bakaïrí gehen in den Himmel zu den Vorfahren.
Der Himmel ist zunächst nicht das Land der Zukunft, sondern das der Ver-
gangenheit, die Alten sind noch da, wo nämlich alle Geschichte begonnen
hat. Der Himmel, in dem die ersten Bakaïrí lebten, lag früher neben der Erde
und man konnte bequem auf diese hinüber gelangen. Es starben dort aber zu
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/413>, abgerufen am 24.11.2024.
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