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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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34 Leute mit 40 Reit- oder Lasttieren und 3 Ochsen zogen am 1. Juli aus.
Es befanden sich in der Gesellschaft sehr wohlhabende Bürger der Stadt, die
einen ansehnlichen Beitrag zahlten und sich um der glänzenden Aussicht willen
vielen ungewohnten Strapazen bereitwillig unterzogen. Man schlug den nächsten
Weg zum Paranatinga über die Chapada ein. Der Ausgangspunkt der Reise in's
Unbekannte war die Fazenda S. Manoel im Quellgebiet des Paranatinga, die am
16. Juni erreicht wurde. Man bewegte sich in nordöstlicher Richtung, überschritt
eine Menge von Bächen und durchwühlte eine Menge Sand und Kieselgeröll
nach dem gleissenden Golde. Um Mitte Juli befand man sich zwischen den
Quellbächen des Batovy und gelangte zu dem Einschiffungsplatz unserer ersten
Expedition. Zuletzt aber war eine grosse Verwirrung eingerissen, man hatte
ernstlich mit dem Proviantmangel zu kämpfen, die Tiere waren in schlechtem
Zustande, der eine Herr wollte hierhin, der andere dorthin, und alle vereinigten
sich schliesslich, zu Muttern und den Fleischtöpfen Cuyaba's zurück zu kehren.

Da traf 1887 die alarmierende Nachricht ein: schon wieder kommen der
Dr. Carlos und seine Gefährten, um eine Expedition an den Schingu zu machen.
Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen, die Deutschen hätten also trotz-
dem und alledem die Martyrios gefunden. Wahrscheinlich lagen die Goldminen
ein paar Tagereisen flussabwärts, und man war 1886 zu früh umgekehrt. Wieder
stellte sich Rondon an die Spitze einer Expedition, die er diesmal grössten-
teils aus eigenen Mitteln bestritt, und setzte sich in Bewegung, während wir noch
fern von Cuyaba waren, so dass er sich den Vorsprung vor uns sicherte. Sein
Unternehmen hat auch in das unsere eingegriffen, wie wir später sehen werden.

Nach unseren Erfahrungen mit dem Hauptmann Tupy hegten wir den
dringenden Wunsch, ohne militärische Unterstützung auszukommen. Es war jedoch
bei der knapp bemessenen Zeit vollständig unmöglich, den Bedarf an zuverlässigen
Kameraden zu decken. Das brauchbare Material dieser Leute sitzt natürlich
draussen auf den oft weit entfernten Pflanzungen und Gehöften; in der Stadt
fehlt es nicht an arbeitslosen Individuen jeder Farbenstufe, es ist aber nur ein
Zufall, wenn man unter ihnen tüchtige Personen antrifft, die mit dem Buschmesser,
der Büchse und den Packtieren hinlänglich Bescheid wissen.

So sahen wir ein, dass wir der Notlage ein kleines Zugeständnis zu machen
hatten. Wir konnten dies auch mit gutem Vertrauen thun, wenn es uns gelang,
einen wackeren Landsmann in brasilischen Diensten, der seinerseits mit Freuden
bereit war, mitzugehen, den Leutnant des 8. Bataillons, Herrn Luiz Perrot zum
Begleiter zu erhalten. Perrot, einer französischen Emigrantenfamilie entstammend
und in der Nähe von Frankfurt am Main zu Hause, war im Alter von 20 Jahren
nach Südamerika verschlagen, hatte den Paraguay-Krieg mitgemacht und sass
seither in dem verlorenen Weltwinkel Cuyaba. Ich stellte bei dem Präsidenten
der Provinz, einem Vize-Präsidenten in jenen Tagen, den Antrag, dass er uns
Perrot nebst vier Leuten und den für diese notwendigen Tieren zur Verfügung
stelle. Mein Gesuch wurde anstandslos genehmigt.


34 Leute mit 40 Reit- oder Lasttieren und 3 Ochsen zogen am 1. Juli aus.
Es befanden sich in der Gesellschaft sehr wohlhabende Bürger der Stadt, die
einen ansehnlichen Beitrag zahlten und sich um der glänzenden Aussicht willen
vielen ungewohnten Strapazen bereitwillig unterzogen. Man schlug den nächsten
Weg zum Paranatinga über die Chapada ein. Der Ausgangspunkt der Reise in’s
Unbekannte war die Fazenda S. Manoel im Quellgebiet des Paranatinga, die am
16. Juni erreicht wurde. Man bewegte sich in nordöstlicher Richtung, überschritt
eine Menge von Bächen und durchwühlte eine Menge Sand und Kieselgeröll
nach dem gleissenden Golde. Um Mitte Juli befand man sich zwischen den
Quellbächen des Batovy und gelangte zu dem Einschiffungsplatz unserer ersten
Expedition. Zuletzt aber war eine grosse Verwirrung eingerissen, man hatte
ernstlich mit dem Proviantmangel zu kämpfen, die Tiere waren in schlechtem
Zustande, der eine Herr wollte hierhin, der andere dorthin, und alle vereinigten
sich schliesslich, zu Muttern und den Fleischtöpfen Cuyabá’s zurück zu kehren.

Da traf 1887 die alarmierende Nachricht ein: schon wieder kommen der
Dr. Carlos und seine Gefährten, um eine Expedition an den Schingú zu machen.
Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen, die Deutschen hätten also trotz-
dem und alledem die Martyrios gefunden. Wahrscheinlich lagen die Goldminen
ein paar Tagereisen flussabwärts, und man war 1886 zu früh umgekehrt. Wieder
stellte sich Rondon an die Spitze einer Expedition, die er diesmal grössten-
teils aus eigenen Mitteln bestritt, und setzte sich in Bewegung, während wir noch
fern von Cuyabá waren, so dass er sich den Vorsprung vor uns sicherte. Sein
Unternehmen hat auch in das unsere eingegriffen, wie wir später sehen werden.

Nach unseren Erfahrungen mit dem Hauptmann Tupy hegten wir den
dringenden Wunsch, ohne militärische Unterstützung auszukommen. Es war jedoch
bei der knapp bemessenen Zeit vollständig unmöglich, den Bedarf an zuverlässigen
Kameraden zu decken. Das brauchbare Material dieser Leute sitzt natürlich
draussen auf den oft weit entfernten Pflanzungen und Gehöften; in der Stadt
fehlt es nicht an arbeitslosen Individuen jeder Farbenstufe, es ist aber nur ein
Zufall, wenn man unter ihnen tüchtige Personen antrifft, die mit dem Buschmesser,
der Büchse und den Packtieren hinlänglich Bescheid wissen.

So sahen wir ein, dass wir der Notlage ein kleines Zugeständnis zu machen
hatten. Wir konnten dies auch mit gutem Vertrauen thun, wenn es uns gelang,
einen wackeren Landsmann in brasilischen Diensten, der seinerseits mit Freuden
bereit war, mitzugehen, den Leutnant des 8. Bataillons, Herrn Luiz Perrot zum
Begleiter zu erhalten. Perrot, einer französischen Emigrantenfamilie entstammend
und in der Nähe von Frankfurt am Main zu Hause, war im Alter von 20 Jahren
nach Südamerika verschlagen, hatte den Paraguay-Krieg mitgemacht und sass
seither in dem verlorenen Weltwinkel Cuyabá. Ich stellte bei dem Präsidenten
der Provinz, einem Vize-Präsidenten in jenen Tagen, den Antrag, dass er uns
Perrot nebst vier Leuten und den für diese notwendigen Tieren zur Verfügung
stelle. Mein Gesuch wurde anstandslos genehmigt.


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[11/0033] 34 Leute mit 40 Reit- oder Lasttieren und 3 Ochsen zogen am 1. Juli aus. Es befanden sich in der Gesellschaft sehr wohlhabende Bürger der Stadt, die einen ansehnlichen Beitrag zahlten und sich um der glänzenden Aussicht willen vielen ungewohnten Strapazen bereitwillig unterzogen. Man schlug den nächsten Weg zum Paranatinga über die Chapada ein. Der Ausgangspunkt der Reise in’s Unbekannte war die Fazenda S. Manoel im Quellgebiet des Paranatinga, die am 16. Juni erreicht wurde. Man bewegte sich in nordöstlicher Richtung, überschritt eine Menge von Bächen und durchwühlte eine Menge Sand und Kieselgeröll nach dem gleissenden Golde. Um Mitte Juli befand man sich zwischen den Quellbächen des Batovy und gelangte zu dem Einschiffungsplatz unserer ersten Expedition. Zuletzt aber war eine grosse Verwirrung eingerissen, man hatte ernstlich mit dem Proviantmangel zu kämpfen, die Tiere waren in schlechtem Zustande, der eine Herr wollte hierhin, der andere dorthin, und alle vereinigten sich schliesslich, zu Muttern und den Fleischtöpfen Cuyabá’s zurück zu kehren. Da traf 1887 die alarmierende Nachricht ein: schon wieder kommen der Dr. Carlos und seine Gefährten, um eine Expedition an den Schingú zu machen. Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen, die Deutschen hätten also trotz- dem und alledem die Martyrios gefunden. Wahrscheinlich lagen die Goldminen ein paar Tagereisen flussabwärts, und man war 1886 zu früh umgekehrt. Wieder stellte sich Rondon an die Spitze einer Expedition, die er diesmal grössten- teils aus eigenen Mitteln bestritt, und setzte sich in Bewegung, während wir noch fern von Cuyabá waren, so dass er sich den Vorsprung vor uns sicherte. Sein Unternehmen hat auch in das unsere eingegriffen, wie wir später sehen werden. Nach unseren Erfahrungen mit dem Hauptmann Tupy hegten wir den dringenden Wunsch, ohne militärische Unterstützung auszukommen. Es war jedoch bei der knapp bemessenen Zeit vollständig unmöglich, den Bedarf an zuverlässigen Kameraden zu decken. Das brauchbare Material dieser Leute sitzt natürlich draussen auf den oft weit entfernten Pflanzungen und Gehöften; in der Stadt fehlt es nicht an arbeitslosen Individuen jeder Farbenstufe, es ist aber nur ein Zufall, wenn man unter ihnen tüchtige Personen antrifft, die mit dem Buschmesser, der Büchse und den Packtieren hinlänglich Bescheid wissen. So sahen wir ein, dass wir der Notlage ein kleines Zugeständnis zu machen hatten. Wir konnten dies auch mit gutem Vertrauen thun, wenn es uns gelang, einen wackeren Landsmann in brasilischen Diensten, der seinerseits mit Freuden bereit war, mitzugehen, den Leutnant des 8. Bataillons, Herrn Luiz Perrot zum Begleiter zu erhalten. Perrot, einer französischen Emigrantenfamilie entstammend und in der Nähe von Frankfurt am Main zu Hause, war im Alter von 20 Jahren nach Südamerika verschlagen, hatte den Paraguay-Krieg mitgemacht und sass seither in dem verlorenen Weltwinkel Cuyabá. Ich stellte bei dem Präsidenten der Provinz, einem Vize-Präsidenten in jenen Tagen, den Antrag, dass er uns Perrot nebst vier Leuten und den für diese notwendigen Tieren zur Verfügung stelle. Mein Gesuch wurde anstandslos genehmigt.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/33>, abgerufen am 24.04.2024.