Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

buntem Durcheinander sehen, der eine oder andere allgemeinere Geltung ver-
schaffen, wenn das betreffende Objekt wegen seiner natürlichen Einfachheit der
Umrisse leichter zu erkennen ist. Ein rhomboider Fisch wird unter ungeübten
Händen mehr Aehnlichkeit bewahren als irgend ein Vierfüssler. Eine Reihe von
Uluris wird im Anfang in ihrer Anordnung noch individuell variiert, wie die
Nummern 16, 15 und 14 vortrefflich zeigen, aber aus der Menge der individuellen
Variationen gewinnt wieder diejenige den Sieg, die das Nebenwerk abstösst, die
Aehnlichkeit der Einfachheit opfert und sich am leichtesten, wenn ich so sagen
darf, fabrikmässig herstellen lässt. Je weniger man zu überlegen braucht, desto
lebensfähiger ist die Form, denn sie wird auch geringeren Talenten erreichbar.
Die Kunst macht hier noch einen Fortschritt, wenn sie die ewig zu wiederholende
Schablone gewinnt; nur so kann sie Fuss fassen und ein allgemeines Bedürfnis
werden und sich von Generation zu Generation erhalten. In diesem Stadium
sind wir bei den Auetö, die Bakairi bewegen sich zum Teil noch unter seinem
Niveau und lassen uns den Weg erkennen, der sich bei jenen nur noch in den
Namen verrät.

Bei den Auetö ist die künstlerische Form schon Hauptsache, bei den Bakairi
liegt der Nachdruck noch darauf, dass die Schemata Abbildungen sind. Mehr

[Abbildung]
[Abbildung] Abb. 51.

Ruder der Bakairi.
( 1/8 nat. Gr.)
Rochen-
ringe.
Mereschu-
Fische
im Netz.
Paku-
Fisch.
Kuomi-
Fische.

als alle Erörterung wird der seltsame Zustand bei den Bakairi durch ein Beispiel
von vielen, die nebenstehende Abbildung eines mit primitiven "Kritzeleien" be-
deckten Ruders erläutert. Die vier Kreise sind die Ringzeichnung eines Rochen,
jenseit des Trennungsstriches folgen Mereschus in Netzmaschen, dann ein Paku- und
endlich mehrere "Kuomi"-Fische, ein sonst nicht vorhandenes Muster, dessen natür-
liches Vorbild ein mir unbekannter Fisch ist: pinukai, mereschu, pate, kuomi. Ich bin
weit entfernt, behaupten zu wollen, dass diese vier Muster in ihrer Zusammenstellung
einen Sinn haben, glaube höchstens, dass es dem Verfertiger nahe gelegen hat,
gerade auf einem Ruder Fische anzubringen. Aber es ist ungemein lehrreich zu sehen,
dass von diesen Kritzeleien, wenn sie in ihrem Zusammenhang auch gewiss nichts
bedeuten, also keine Bilderschrift sind, doch jede einzelne keineswegs ein beliebiger
Schnörkel, sondern das Schema eines ganz bestimmten Dinges ist, also in der That
das Element einer Bilderschrift darstellt. Niemals würden wir diese Schemata
durch Ueberlegung richtig erklären, man muss von den Leuten selbst erfahren,
was sie bedeuten, oder ruhig verzichten. Ich meinerseits bin ausserordentlich
bescheiden im Deuten geworden, halte es auf der andern Seite aber für sehr
oberflächlich, Figuren, die wir nicht verstehen, als Schnörkel abzufertigen. Wo

buntem Durcheinander sehen, der eine oder andere allgemeinere Geltung ver-
schaffen, wenn das betreffende Objekt wegen seiner natürlichen Einfachheit der
Umrisse leichter zu erkennen ist. Ein rhomboider Fisch wird unter ungeübten
Händen mehr Aehnlichkeit bewahren als irgend ein Vierfüssler. Eine Reihe von
Uluris wird im Anfang in ihrer Anordnung noch individuell variiert, wie die
Nummern 16, 15 und 14 vortrefflich zeigen, aber aus der Menge der individuellen
Variationen gewinnt wieder diejenige den Sieg, die das Nebenwerk abstösst, die
Aehnlichkeit der Einfachheit opfert und sich am leichtesten, wenn ich so sagen
darf, fabrikmässig herstellen lässt. Je weniger man zu überlegen braucht, desto
lebensfähiger ist die Form, denn sie wird auch geringeren Talenten erreichbar.
Die Kunst macht hier noch einen Fortschritt, wenn sie die ewig zu wiederholende
Schablone gewinnt; nur so kann sie Fuss fassen und ein allgemeines Bedürfnis
werden und sich von Generation zu Generation erhalten. In diesem Stadium
sind wir bei den Auetö́, die Bakaïrí bewegen sich zum Teil noch unter seinem
Niveau und lassen uns den Weg erkennen, der sich bei jenen nur noch in den
Namen verrät.

Bei den Auetö́ ist die künstlerische Form schon Hauptsache, bei den Bakaïrí
liegt der Nachdruck noch darauf, dass die Schemata Abbildungen sind. Mehr

[Abbildung]
[Abbildung] Abb. 51.

Ruder der Bakaïrí.
(⅛ nat. Gr.)
Rochen-
ringe.
Mereschu-
Fische
im Netz.
Pakú-
Fisch.
Kuomi-
Fische.

als alle Erörterung wird der seltsame Zustand bei den Bakaïrí durch ein Beispiel
von vielen, die nebenstehende Abbildung eines mit primitiven »Kritzeleien« be-
deckten Ruders erläutert. Die vier Kreise sind die Ringzeichnung eines Rochen,
jenseit des Trennungsstriches folgen Mereschus in Netzmaschen, dann ein Pakú- und
endlich mehrere »Kuómi«-Fische, ein sonst nicht vorhandenes Muster, dessen natür-
liches Vorbild ein mir unbekannter Fisch ist: pinukái, meréschu, páte, kuómi. Ich bin
weit entfernt, behaupten zu wollen, dass diese vier Muster in ihrer Zusammenstellung
einen Sinn haben, glaube höchstens, dass es dem Verfertiger nahe gelegen hat,
gerade auf einem Ruder Fische anzubringen. Aber es ist ungemein lehrreich zu sehen,
dass von diesen Kritzeleien, wenn sie in ihrem Zusammenhang auch gewiss nichts
bedeuten, also keine Bilderschrift sind, doch jede einzelne keineswegs ein beliebiger
Schnörkel, sondern das Schema eines ganz bestimmten Dinges ist, also in der That
das Element einer Bilderschrift darstellt. Niemals würden wir diese Schemata
durch Ueberlegung richtig erklären, man muss von den Leuten selbst erfahren,
was sie bedeuten, oder ruhig verzichten. Ich meinerseits bin ausserordentlich
bescheiden im Deuten geworden, halte es auf der andern Seite aber für sehr
oberflächlich, Figuren, die wir nicht verstehen, als Schnörkel abzufertigen. Wo

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0329" n="269"/>
buntem Durcheinander sehen, der eine oder andere allgemeinere Geltung ver-<lb/>
schaffen, wenn das betreffende Objekt wegen seiner natürlichen Einfachheit der<lb/>
Umrisse leichter zu erkennen ist. Ein rhomboider Fisch wird unter ungeübten<lb/>
Händen mehr Aehnlichkeit bewahren als irgend ein Vierfüssler. Eine Reihe von<lb/>
Uluris wird im Anfang in ihrer Anordnung noch individuell variiert, wie die<lb/>
Nummern 16, 15 und 14 vortrefflich zeigen, aber aus der Menge der individuellen<lb/>
Variationen gewinnt wieder diejenige den Sieg, die das Nebenwerk abstösst, die<lb/>
Aehnlichkeit der Einfachheit opfert und sich am leichtesten, wenn ich so sagen<lb/>
darf, fabrikmässig herstellen lässt. Je weniger man zu überlegen braucht, desto<lb/>
lebensfähiger ist die Form, denn sie wird auch geringeren Talenten erreichbar.<lb/>
Die Kunst macht hier noch einen Fortschritt, wenn sie die ewig zu wiederholende<lb/>
Schablone gewinnt; nur so kann sie Fuss fassen und ein allgemeines Bedürfnis<lb/>
werden und sich von Generation zu Generation erhalten. In diesem Stadium<lb/>
sind wir bei den Auetö&#x0301;, die Bakaïrí bewegen sich zum Teil noch unter seinem<lb/>
Niveau und lassen uns den Weg erkennen, der sich bei jenen nur noch in den<lb/>
Namen verrät.</p><lb/>
          <p>Bei den Auetö&#x0301; ist die künstlerische Form schon Hauptsache, bei den Bakaïrí<lb/>
liegt der Nachdruck noch darauf, dass die Schemata Abbildungen sind. Mehr<lb/><figure/> <figure><head>Abb. 51. </head><p><hi rendition="#g">Ruder der Bakaïrí</hi>.<lb/>
(&#x215B; nat. Gr.)<lb/>
Rochen-<lb/>
ringe.<lb/>
Mereschu-<lb/>
Fische<lb/>
im Netz.<lb/>
Pakú-<lb/>
Fisch.<lb/>
Kuomi-<lb/>
Fische.</p></figure><lb/>
als alle Erörterung wird der seltsame Zustand bei den Bakaïrí durch ein Beispiel<lb/>
von vielen, die nebenstehende Abbildung eines mit primitiven »Kritzeleien« be-<lb/>
deckten Ruders erläutert. Die vier Kreise sind die Ringzeichnung eines Rochen,<lb/>
jenseit des Trennungsstriches folgen Mereschus in Netzmaschen, dann ein Pakú- und<lb/>
endlich mehrere »Kuómi«-Fische, ein sonst nicht vorhandenes Muster, dessen natür-<lb/>
liches Vorbild ein mir unbekannter Fisch ist: <hi rendition="#i">pinukái</hi>, <hi rendition="#i">meréschu</hi>, <hi rendition="#i">páte</hi>, <hi rendition="#i">kuómi</hi>. Ich bin<lb/>
weit entfernt, behaupten zu wollen, dass diese vier Muster in ihrer Zusammenstellung<lb/>
einen Sinn haben, glaube höchstens, dass es dem Verfertiger nahe gelegen hat,<lb/>
gerade auf einem Ruder Fische anzubringen. Aber es ist ungemein lehrreich zu sehen,<lb/>
dass von diesen Kritzeleien, wenn sie in ihrem Zusammenhang auch gewiss nichts<lb/>
bedeuten, also keine Bilderschrift sind, doch jede einzelne keineswegs ein beliebiger<lb/>
Schnörkel, sondern das Schema eines ganz bestimmten Dinges ist, also in der That<lb/>
das <hi rendition="#g">Element einer Bilderschrift</hi> darstellt. Niemals würden wir diese Schemata<lb/>
durch Ueberlegung richtig erklären, man muss von den Leuten selbst erfahren,<lb/>
was sie bedeuten, oder ruhig verzichten. Ich meinerseits bin ausserordentlich<lb/>
bescheiden im Deuten geworden, halte es auf der andern Seite aber für sehr<lb/>
oberflächlich, Figuren, die wir nicht verstehen, als Schnörkel abzufertigen. Wo<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[269/0329] buntem Durcheinander sehen, der eine oder andere allgemeinere Geltung ver- schaffen, wenn das betreffende Objekt wegen seiner natürlichen Einfachheit der Umrisse leichter zu erkennen ist. Ein rhomboider Fisch wird unter ungeübten Händen mehr Aehnlichkeit bewahren als irgend ein Vierfüssler. Eine Reihe von Uluris wird im Anfang in ihrer Anordnung noch individuell variiert, wie die Nummern 16, 15 und 14 vortrefflich zeigen, aber aus der Menge der individuellen Variationen gewinnt wieder diejenige den Sieg, die das Nebenwerk abstösst, die Aehnlichkeit der Einfachheit opfert und sich am leichtesten, wenn ich so sagen darf, fabrikmässig herstellen lässt. Je weniger man zu überlegen braucht, desto lebensfähiger ist die Form, denn sie wird auch geringeren Talenten erreichbar. Die Kunst macht hier noch einen Fortschritt, wenn sie die ewig zu wiederholende Schablone gewinnt; nur so kann sie Fuss fassen und ein allgemeines Bedürfnis werden und sich von Generation zu Generation erhalten. In diesem Stadium sind wir bei den Auetö́, die Bakaïrí bewegen sich zum Teil noch unter seinem Niveau und lassen uns den Weg erkennen, der sich bei jenen nur noch in den Namen verrät. Bei den Auetö́ ist die künstlerische Form schon Hauptsache, bei den Bakaïrí liegt der Nachdruck noch darauf, dass die Schemata Abbildungen sind. Mehr [Abbildung] [Abbildung Abb. 51. Ruder der Bakaïrí. (⅛ nat. Gr.) Rochen- ringe. Mereschu- Fische im Netz. Pakú- Fisch. Kuomi- Fische.] als alle Erörterung wird der seltsame Zustand bei den Bakaïrí durch ein Beispiel von vielen, die nebenstehende Abbildung eines mit primitiven »Kritzeleien« be- deckten Ruders erläutert. Die vier Kreise sind die Ringzeichnung eines Rochen, jenseit des Trennungsstriches folgen Mereschus in Netzmaschen, dann ein Pakú- und endlich mehrere »Kuómi«-Fische, ein sonst nicht vorhandenes Muster, dessen natür- liches Vorbild ein mir unbekannter Fisch ist: pinukái, meréschu, páte, kuómi. Ich bin weit entfernt, behaupten zu wollen, dass diese vier Muster in ihrer Zusammenstellung einen Sinn haben, glaube höchstens, dass es dem Verfertiger nahe gelegen hat, gerade auf einem Ruder Fische anzubringen. Aber es ist ungemein lehrreich zu sehen, dass von diesen Kritzeleien, wenn sie in ihrem Zusammenhang auch gewiss nichts bedeuten, also keine Bilderschrift sind, doch jede einzelne keineswegs ein beliebiger Schnörkel, sondern das Schema eines ganz bestimmten Dinges ist, also in der That das Element einer Bilderschrift darstellt. Niemals würden wir diese Schemata durch Ueberlegung richtig erklären, man muss von den Leuten selbst erfahren, was sie bedeuten, oder ruhig verzichten. Ich meinerseits bin ausserordentlich bescheiden im Deuten geworden, halte es auf der andern Seite aber für sehr oberflächlich, Figuren, die wir nicht verstehen, als Schnörkel abzufertigen. Wo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/329
Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/329>, abgerufen am 22.11.2024.