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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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einzelnen Fische aneinander gesetzt sind, und lassen bei näherer Betrachtung
zahlreiche kleine Unregelmässigkeiten entdecken. Es machte viel Vergnügen, den
Leuten bei ihrem Kritzeln zuzuschauen. Ich vermag nur nicht zu denken, dass
dieses "Muster", das den hohen Grad der ethnologischen Ausgleichung zwischen
den Stämmen am besten zum Ausdruck bringt, ein Erzeugnis jüngerer Zeit sei.
Wenn das Mass der Stilisierung als relatives Zeitmass dienen dürfte, wären die
Auetö am längsten in seinem Besitz.

Man kann nicht etwa sagen, die Leute haben rautenförmige Figuren, in
denen sie Striche sich in gleichen Abständen kreuzen liessen, gezeichnet, die Ecken
ausgefüllt, nun gesagt: "das sieht ja aus wie ein Mereschu-Fisch, ist mereschu-
förmig oder dgl." und hätten also das Muster dem Vergleich gemäss mit dem
Namen belegt. Das wird widerlegt durch die Art der Herstellung, die Stück für
Stück die Figuren aneinander setzt, und durch den einfachen Umstand, dass das
Muster nicht mehr mereschuförmig ist, sondern sich von dem konkreten Vorbild,
wie namentlich die Schwanzecke beweist, bereits entfernt hat. Er wäre für
keinen von uns überhaupt als Fisch zu erkennen. Der Pakufisch links in Nr. 3
(Tafel 20) ist noch als Abbildung eines Fisches mit Hülfe von dem Kurimata
Nr. 15 verständlich, obwohl bereits zwei Rautenkörper mit dem Schwanzdreieck
vereinigt sind, aber von den Rautenkörpern rechts in Nr. 3 kann kein Zeichner
sagen, dem sie zufällig in den Händen erstehen, sie erinnerten ihn an einen Paku-
fisch, sondern es ist schlechterdings nur der umgekehrte Weg von dem Bild einer
konkreten Vorlage zur Schematisierung möglich. Von Nr. 9, den punktierten
Rauten = Pakufischen mit Tüpfelung oder den Fledermäusen nicht zu reden.

Die Beziehung zum originalen Vorbild ist geradezu das, was dem Indianer
die Freude an der Zeichenkunst giebt, wie übrigens sehr natürlich ist. Es macht
ihm Spass, dass er mit wenigen Strichen einen Fisch zeichnen kann. Nun ist
aber wahrscheinlich ein technisches Moment von Bedeutung gewesen. Das
Zeichnen war in den meisten Fällen ein Ritzen, kein Malen
. Der ge-
ritzte Strich wurde erst mit Farbe gefüllt. Auf Spinnwirteln und Kürbissen
wurden die Muster geritzt, sogar an den Masken wurden sie mit einem Bambus-
stäbchen aus dem zuerst aufgetragenen weissen Thongrund herausgekratzt. Da
ist es kein Wunder, dass Motive wie die Raute des Mereschu und das Dreieck
des gleich zu besprechenden Uluri mit ihren scharfen Ecken so gewaltig die
Oberhand gewonnen haben und in ewiger Wiederholung überall wiederkehren.
Auskratzen liessen sich die scharfen Ecken ebenfalls besonders leicht. Man hatte
besseres Arbeiten als mit Kreisen und Wellenlinien, die doch auch Tiere dar-
stellen konnten. Das Ritzen drängte von selbst zur Stilisierung.

Bei dem Uluri, dem Weiberdreieck, ist uns das Vergnügen am konkreten
Vorbild vielleicht leichter verständlich als bei einem wohlschmeckenden Fischlein.
Vgl. Abbildung 18, Seite 194. Auch wir stehen ja noch heute auf dem Stand-
punkt der Kulisehu-Indianer. Nur haben wir zivilisierten Menschen die anatomische
Vorlage stilisiert, wo sich die rohen Naturvölker mit dem zierlichen "Kleidchen"

einzelnen Fische aneinander gesetzt sind, und lassen bei näherer Betrachtung
zahlreiche kleine Unregelmässigkeiten entdecken. Es machte viel Vergnügen, den
Leuten bei ihrem Kritzeln zuzuschauen. Ich vermag nur nicht zu denken, dass
dieses »Muster«, das den hohen Grad der ethnologischen Ausgleichung zwischen
den Stämmen am besten zum Ausdruck bringt, ein Erzeugnis jüngerer Zeit sei.
Wenn das Mass der Stilisierung als relatives Zeitmass dienen dürfte, wären die
Auetö́ am längsten in seinem Besitz.

Man kann nicht etwa sagen, die Leute haben rautenförmige Figuren, in
denen sie Striche sich in gleichen Abständen kreuzen liessen, gezeichnet, die Ecken
ausgefüllt, nun gesagt: »das sieht ja aus wie ein Mereschu-Fisch, ist mereschu-
förmig oder dgl.« und hätten also das Muster dem Vergleich gemäss mit dem
Namen belegt. Das wird widerlegt durch die Art der Herstellung, die Stück für
Stück die Figuren aneinander setzt, und durch den einfachen Umstand, dass das
Muster nicht mehr mereschuförmig ist, sondern sich von dem konkreten Vorbild,
wie namentlich die Schwanzecke beweist, bereits entfernt hat. Er wäre für
keinen von uns überhaupt als Fisch zu erkennen. Der Pakúfisch links in Nr. 3
(Tafel 20) ist noch als Abbildung eines Fisches mit Hülfe von dem Kurimatá
Nr. 15 verständlich, obwohl bereits zwei Rautenkörper mit dem Schwanzdreieck
vereinigt sind, aber von den Rautenkörpern rechts in Nr. 3 kann kein Zeichner
sagen, dem sie zufällig in den Händen erstehen, sie erinnerten ihn an einen Pakú-
fisch, sondern es ist schlechterdings nur der umgekehrte Weg von dem Bild einer
konkreten Vorlage zur Schematisierung möglich. Von Nr. 9, den punktierten
Rauten = Pakúfischen mit Tüpfelung oder den Fledermäusen nicht zu reden.

Die Beziehung zum originalen Vorbild ist geradezu das, was dem Indianer
die Freude an der Zeichenkunst giebt, wie übrigens sehr natürlich ist. Es macht
ihm Spass, dass er mit wenigen Strichen einen Fisch zeichnen kann. Nun ist
aber wahrscheinlich ein technisches Moment von Bedeutung gewesen. Das
Zeichnen war in den meisten Fällen ein Ritzen, kein Malen
. Der ge-
ritzte Strich wurde erst mit Farbe gefüllt. Auf Spinnwirteln und Kürbissen
wurden die Muster geritzt, sogar an den Masken wurden sie mit einem Bambus-
stäbchen aus dem zuerst aufgetragenen weissen Thongrund herausgekratzt. Da
ist es kein Wunder, dass Motive wie die Raute des Mereschu und das Dreieck
des gleich zu besprechenden Uluri mit ihren scharfen Ecken so gewaltig die
Oberhand gewonnen haben und in ewiger Wiederholung überall wiederkehren.
Auskratzen liessen sich die scharfen Ecken ebenfalls besonders leicht. Man hatte
besseres Arbeiten als mit Kreisen und Wellenlinien, die doch auch Tiere dar-
stellen konnten. Das Ritzen drängte von selbst zur Stilisierung.

Bei dem Uluri, dem Weiberdreieck, ist uns das Vergnügen am konkreten
Vorbild vielleicht leichter verständlich als bei einem wohlschmeckenden Fischlein.
Vgl. Abbildung 18, Seite 194. Auch wir stehen ja noch heute auf dem Stand-
punkt der Kulisehu-Indianer. Nur haben wir zivilisierten Menschen die anatomische
Vorlage stilisiert, wo sich die rohen Naturvölker mit dem zierlichen »Kleidchen«

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[264/0322] einzelnen Fische aneinander gesetzt sind, und lassen bei näherer Betrachtung zahlreiche kleine Unregelmässigkeiten entdecken. Es machte viel Vergnügen, den Leuten bei ihrem Kritzeln zuzuschauen. Ich vermag nur nicht zu denken, dass dieses »Muster«, das den hohen Grad der ethnologischen Ausgleichung zwischen den Stämmen am besten zum Ausdruck bringt, ein Erzeugnis jüngerer Zeit sei. Wenn das Mass der Stilisierung als relatives Zeitmass dienen dürfte, wären die Auetö́ am längsten in seinem Besitz. Man kann nicht etwa sagen, die Leute haben rautenförmige Figuren, in denen sie Striche sich in gleichen Abständen kreuzen liessen, gezeichnet, die Ecken ausgefüllt, nun gesagt: »das sieht ja aus wie ein Mereschu-Fisch, ist mereschu- förmig oder dgl.« und hätten also das Muster dem Vergleich gemäss mit dem Namen belegt. Das wird widerlegt durch die Art der Herstellung, die Stück für Stück die Figuren aneinander setzt, und durch den einfachen Umstand, dass das Muster nicht mehr mereschuförmig ist, sondern sich von dem konkreten Vorbild, wie namentlich die Schwanzecke beweist, bereits entfernt hat. Er wäre für keinen von uns überhaupt als Fisch zu erkennen. Der Pakúfisch links in Nr. 3 (Tafel 20) ist noch als Abbildung eines Fisches mit Hülfe von dem Kurimatá Nr. 15 verständlich, obwohl bereits zwei Rautenkörper mit dem Schwanzdreieck vereinigt sind, aber von den Rautenkörpern rechts in Nr. 3 kann kein Zeichner sagen, dem sie zufällig in den Händen erstehen, sie erinnerten ihn an einen Pakú- fisch, sondern es ist schlechterdings nur der umgekehrte Weg von dem Bild einer konkreten Vorlage zur Schematisierung möglich. Von Nr. 9, den punktierten Rauten = Pakúfischen mit Tüpfelung oder den Fledermäusen nicht zu reden. Die Beziehung zum originalen Vorbild ist geradezu das, was dem Indianer die Freude an der Zeichenkunst giebt, wie übrigens sehr natürlich ist. Es macht ihm Spass, dass er mit wenigen Strichen einen Fisch zeichnen kann. Nun ist aber wahrscheinlich ein technisches Moment von Bedeutung gewesen. Das Zeichnen war in den meisten Fällen ein Ritzen, kein Malen. Der ge- ritzte Strich wurde erst mit Farbe gefüllt. Auf Spinnwirteln und Kürbissen wurden die Muster geritzt, sogar an den Masken wurden sie mit einem Bambus- stäbchen aus dem zuerst aufgetragenen weissen Thongrund herausgekratzt. Da ist es kein Wunder, dass Motive wie die Raute des Mereschu und das Dreieck des gleich zu besprechenden Uluri mit ihren scharfen Ecken so gewaltig die Oberhand gewonnen haben und in ewiger Wiederholung überall wiederkehren. Auskratzen liessen sich die scharfen Ecken ebenfalls besonders leicht. Man hatte besseres Arbeiten als mit Kreisen und Wellenlinien, die doch auch Tiere dar- stellen konnten. Das Ritzen drängte von selbst zur Stilisierung. Bei dem Uluri, dem Weiberdreieck, ist uns das Vergnügen am konkreten Vorbild vielleicht leichter verständlich als bei einem wohlschmeckenden Fischlein. Vgl. Abbildung 18, Seite 194. Auch wir stehen ja noch heute auf dem Stand- punkt der Kulisehu-Indianer. Nur haben wir zivilisierten Menschen die anatomische Vorlage stilisiert, wo sich die rohen Naturvölker mit dem zierlichen »Kleidchen«

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/322>, abgerufen am 24.11.2024.