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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Kopf. Ueber dem schönen, den Rumpf bedeckenden Bart der Mittelfigur unten,
Bororo I, sind Augen, Nase, Ohren vergessen, die Beine sind zu Käferzangen ver-
kümmert. Bei keinem der fünf Bakairiporträts ist der Mund gezeichnet, bei
keinem fehlt die Nase, die der Bakairi durchbohrt. Dagegen kann es dem
Bororo, der die Unterlippe durchbohrt, nicht geschehen, dass er den Mund aus-
lässt, während er die Nase zweimal vergessen hat.

Profilstellung, in der Kunst der Kinder so beliebt, fehlt bei den indianischen
Zeichnungen der Menschen und ist bei den vierfüssigen Tieren konstant. Jenes
ist zu bedauern, da der Vergleich mit den Fällen fortfällt, wo die Kinder dem
Profil zwei Augen und nun, wenn sie sich erinnern, dass die Nase zwischen den
Augen sitzt, gelegentlich auch zwei Nasen geben, wo sie ferner die Arme, deren
man ja zwei vorzeigen muss, auf der zugekehrten Seite doppelt anbringen und
dergleichen mehr. Hoffentlich wären diese Leistungen des kindlichen Gemüts
den Indianern doch schon unmöglich. Immerhin haben wir unter den Sand-
zeichnungen ein der kindlichen Kunst genau entsprechendes Beispiel aufzuweisen.
Der Matrincham (Abb. 34) besitzt zwei Augen neben dem Kiemenbogen; ebenso
ist der Paku (Abb. 35) im Profil mit zwei Augen gezeichnet. Dass es Profil-
stellungen sind, geht bei dem Matrincham hervor aus der Angabe der Seitenlinie,
des Kiemenbogens, (gerade wie bei den Holzfischen), der Flossen- und endlich, was
auch für den Paku zutrifft, der Schwanzstellung. Bei dem Rochen sind die zwei
Augen berechtigt, da der Indianer das Problem, ihn von der Seite zu zeichnen,
natürlich vermeidet.

Auf Kulisehu-Tafel II befindet sich die Zeichnung einer Arm-Tätowierung,
die wir in Cuyaba bei einem Manne des am oberen Tapajoz wohnenden Tupi-
stammes der Apiaka beobachteten, und die ich hier in Parenthese anfüge. Hier
sind genau wie bei Kinderzeichnungen von "Reitern zu Pferde" die zwei Beine
auf derselben Seite. Die Beine des Pferdes sind genau gleich denen des Jaguars,
Bororo II, hintereinander gestellt. Schön sind auch die langen Ohren des Tieres.

Warum sind alle Menschen en face, alle Vierfüssler im Profil gezeichnet?
Der Grund kann nur der sein, dass bei jenen der Umriss als selbstverständlich
gegeben gleichgültig und die Charakteristik der nach beiden Seiten zu verteilenden
oder in ihrer ganzen Breite von vorn besser zu beurteilenden Details, bei diesen
der im Profil leichter zu kennzeichnende Umriss entscheidend war. Der Affe,
Bororo II, nach Beinen und Schwanz Profil, zeigt die Arme symmetrisch, kann
aber mit Drehung des Oberkörpers nach vorn aufgefasst sein. Der Jaguar mit
dem getüpfelten Fell ist von einem Mann gezeichnet worden, der sich offenbar
bewusst war, dass das Tier an einer Seite nur zwei Beine hat: er liess die
Beine der rechten Seite aus
.

Die Proportionen sind mangelhaft. Pfeife und Notizbuch der Hauptfigur
Bororo I standen in Wirklichkeit in umgekehrtem Grössenverhältnis. Es störte
den Künstler in keiner Weise, dass Rumpf und Extremitäten sich verhielten wie
bei einer emporgerichteten Eidechse. Prächtig ist auch das Missverhältnis auf

Kopf. Ueber dem schönen, den Rumpf bedeckenden Bart der Mittelfigur unten,
Bororó I, sind Augen, Nase, Ohren vergessen, die Beine sind zu Käferzangen ver-
kümmert. Bei keinem der fünf Bakaïríporträts ist der Mund gezeichnet, bei
keinem fehlt die Nase, die der Bakaïrí durchbohrt. Dagegen kann es dem
Bororó, der die Unterlippe durchbohrt, nicht geschehen, dass er den Mund aus-
lässt, während er die Nase zweimal vergessen hat.

Profilstellung, in der Kunst der Kinder so beliebt, fehlt bei den indianischen
Zeichnungen der Menschen und ist bei den vierfüssigen Tieren konstant. Jenes
ist zu bedauern, da der Vergleich mit den Fällen fortfällt, wo die Kinder dem
Profil zwei Augen und nun, wenn sie sich erinnern, dass die Nase zwischen den
Augen sitzt, gelegentlich auch zwei Nasen geben, wo sie ferner die Arme, deren
man ja zwei vorzeigen muss, auf der zugekehrten Seite doppelt anbringen und
dergleichen mehr. Hoffentlich wären diese Leistungen des kindlichen Gemüts
den Indianern doch schon unmöglich. Immerhin haben wir unter den Sand-
zeichnungen ein der kindlichen Kunst genau entsprechendes Beispiel aufzuweisen.
Der Matrincham (Abb. 34) besitzt zwei Augen neben dem Kiemenbogen; ebenso
ist der Pakú (Abb. 35) im Profil mit zwei Augen gezeichnet. Dass es Profil-
stellungen sind, geht bei dem Matrincham hervor aus der Angabe der Seitenlinie,
des Kiemenbogens, (gerade wie bei den Holzfischen), der Flossen- und endlich, was
auch für den Pakú zutrifft, der Schwanzstellung. Bei dem Rochen sind die zwei
Augen berechtigt, da der Indianer das Problem, ihn von der Seite zu zeichnen,
natürlich vermeidet.

Auf Kulisehu-Tafel II befindet sich die Zeichnung einer Arm-Tätowierung,
die wir in Cuyabá bei einem Manne des am oberen Tapajoz wohnenden Tupí-
stammes der Apiaká beobachteten, und die ich hier in Parenthese anfüge. Hier
sind genau wie bei Kinderzeichnungen von »Reitern zu Pferde« die zwei Beine
auf derselben Seite. Die Beine des Pferdes sind genau gleich denen des Jaguars,
Bororó II, hintereinander gestellt. Schön sind auch die langen Ohren des Tieres.

Warum sind alle Menschen en face, alle Vierfüssler im Profil gezeichnet?
Der Grund kann nur der sein, dass bei jenen der Umriss als selbstverständlich
gegeben gleichgültig und die Charakteristik der nach beiden Seiten zu verteilenden
oder in ihrer ganzen Breite von vorn besser zu beurteilenden Details, bei diesen
der im Profil leichter zu kennzeichnende Umriss entscheidend war. Der Affe,
Bororó II, nach Beinen und Schwanz Profil, zeigt die Arme symmetrisch, kann
aber mit Drehung des Oberkörpers nach vorn aufgefasst sein. Der Jaguar mit
dem getüpfelten Fell ist von einem Mann gezeichnet worden, der sich offenbar
bewusst war, dass das Tier an einer Seite nur zwei Beine hat: er liess die
Beine der rechten Seite aus
.

Die Proportionen sind mangelhaft. Pfeife und Notizbuch der Hauptfigur
Bororó I standen in Wirklichkeit in umgekehrtem Grössenverhältnis. Es störte
den Künstler in keiner Weise, dass Rumpf und Extremitäten sich verhielten wie
bei einer emporgerichteten Eidechse. Prächtig ist auch das Missverhältnis auf

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[253/0307] Kopf. Ueber dem schönen, den Rumpf bedeckenden Bart der Mittelfigur unten, Bororó I, sind Augen, Nase, Ohren vergessen, die Beine sind zu Käferzangen ver- kümmert. Bei keinem der fünf Bakaïríporträts ist der Mund gezeichnet, bei keinem fehlt die Nase, die der Bakaïrí durchbohrt. Dagegen kann es dem Bororó, der die Unterlippe durchbohrt, nicht geschehen, dass er den Mund aus- lässt, während er die Nase zweimal vergessen hat. Profilstellung, in der Kunst der Kinder so beliebt, fehlt bei den indianischen Zeichnungen der Menschen und ist bei den vierfüssigen Tieren konstant. Jenes ist zu bedauern, da der Vergleich mit den Fällen fortfällt, wo die Kinder dem Profil zwei Augen und nun, wenn sie sich erinnern, dass die Nase zwischen den Augen sitzt, gelegentlich auch zwei Nasen geben, wo sie ferner die Arme, deren man ja zwei vorzeigen muss, auf der zugekehrten Seite doppelt anbringen und dergleichen mehr. Hoffentlich wären diese Leistungen des kindlichen Gemüts den Indianern doch schon unmöglich. Immerhin haben wir unter den Sand- zeichnungen ein der kindlichen Kunst genau entsprechendes Beispiel aufzuweisen. Der Matrincham (Abb. 34) besitzt zwei Augen neben dem Kiemenbogen; ebenso ist der Pakú (Abb. 35) im Profil mit zwei Augen gezeichnet. Dass es Profil- stellungen sind, geht bei dem Matrincham hervor aus der Angabe der Seitenlinie, des Kiemenbogens, (gerade wie bei den Holzfischen), der Flossen- und endlich, was auch für den Pakú zutrifft, der Schwanzstellung. Bei dem Rochen sind die zwei Augen berechtigt, da der Indianer das Problem, ihn von der Seite zu zeichnen, natürlich vermeidet. Auf Kulisehu-Tafel II befindet sich die Zeichnung einer Arm-Tätowierung, die wir in Cuyabá bei einem Manne des am oberen Tapajoz wohnenden Tupí- stammes der Apiaká beobachteten, und die ich hier in Parenthese anfüge. Hier sind genau wie bei Kinderzeichnungen von »Reitern zu Pferde« die zwei Beine auf derselben Seite. Die Beine des Pferdes sind genau gleich denen des Jaguars, Bororó II, hintereinander gestellt. Schön sind auch die langen Ohren des Tieres. Warum sind alle Menschen en face, alle Vierfüssler im Profil gezeichnet? Der Grund kann nur der sein, dass bei jenen der Umriss als selbstverständlich gegeben gleichgültig und die Charakteristik der nach beiden Seiten zu verteilenden oder in ihrer ganzen Breite von vorn besser zu beurteilenden Details, bei diesen der im Profil leichter zu kennzeichnende Umriss entscheidend war. Der Affe, Bororó II, nach Beinen und Schwanz Profil, zeigt die Arme symmetrisch, kann aber mit Drehung des Oberkörpers nach vorn aufgefasst sein. Der Jaguar mit dem getüpfelten Fell ist von einem Mann gezeichnet worden, der sich offenbar bewusst war, dass das Tier an einer Seite nur zwei Beine hat: er liess die Beine der rechten Seite aus. Die Proportionen sind mangelhaft. Pfeife und Notizbuch der Hauptfigur Bororó I standen in Wirklichkeit in umgekehrtem Grössenverhältnis. Es störte den Künstler in keiner Weise, dass Rumpf und Extremitäten sich verhielten wie bei einer emporgerichteten Eidechse. Prächtig ist auch das Missverhältnis auf

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/307>, abgerufen am 25.11.2024.