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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Paraguay verlassend kamen wir nun endlich wieder nach Brasilien. In
Corumba trafen wir den 4. Juli in der Morgenfrühe ein und hatten den "Rapido"
nunmehr abermals mit einer noch kleineren Ausgabe, dem "Rio Verde", zu ver-
tauschen, der am 5. Juli Morgens abfuhr. Am 11. Juli 3 p. m. kam das ersehnte
Cuyaba in Sicht. Ein Vierteljahr später, als wir gerechnet hatten. Vor Freude,
dass wir nun glücklich so weit waren, fuhren wir in diesem Augenblick noch
einmal und zum letzten Mal mit Vehemenz auf den Sand. So setzten wir im
Boot einen Kilometer oberhalb des Hafens an's Ufer und pilgerten zu Fuss nach
dem Städtchen. Dort hatte man auch schon die Geduld verloren; Freunde
kamen uns entgegengeritten, begrüssten uns mit Lachen und Händeschütteln und
geleiteten uns zu einer gastlichen Wohnung, die uns beherbergen musste, bis
wir am andern Tag -- ein Gasthof, der doch nichts getaugt haben würde, war
glücklicher Weise noch nicht vorhanden -- ein leerstehendes Haus in der Rua
Nova gemietet hatten.

Cuyaba. Es erregte ein allgemeines Schütteln des Kopfes, als wir er-
klärten, dass wir spätestens in drei Wochen auf dem Marsche sein müssten. In
der That ist es nicht so leicht, in kürzester Frist die nötigen Maultiere zu er-
halten, ohne dass man auf das schmählichste betrogen wird, und die nötigen
mit dem Leben in der Wildnis vertrauten Begleiter, die sogenannten "Camaradas",
sagen wir Kameraden, zu finden, ohne dass man Gefahr läuft, eine Anzahl un-
brauchbarer Menschen zu mieten, die später das Wohl und den Erfolg der
Expedition in Frage stellen. Wir waren im Grunde selbst erstaunt, dass es uns
gelang, die Vorbereitungen in siebzehn Tagen zu erledigen.

Der Umstand, dass wir im Jahre 1884 den ganzen Kursus schon einmal
durchgekostet hatten, kam uns in einem Sinne natürlich sehr zu Statten: wir
kannten die Sprache und hatten viele persönliche Beziehungen. Auf der andern
Seite aber war damit auch ein schwerer Nachteil verbunden, dessen Gewicht
uns erst allmählich klar wurde. Bekanntlich sind -- oder waren? ich rede
natürlich von den vergangenen Tagen des Kaisertums -- fast alle Brasilier der
besseren Klassen praktische Politiker, sie wollen von Staatsämtern leben und
müssen, da die vorhandenen Stellen für alle Anwärter nicht ausreichen, sich in
die beiden grossen Lager spalten derer, die im Besitz sind, und derer, die etwas
haben wollen. Die eine Partei triumphirt, die andere windet sich in oppositionellem
Grimme, die eine nennt sich, Niemand weiss warum, konservativ, die andere liberal.
1884 waren wir auf das Gastfreundlichste und Liebenswürdigste von der guten
Gesellschaft aufgenommen worden, und da sie in jener Zeit der herrschenden
Richtung gemäss konservativ war, während man auf die Liberalen geringschätzig
herabblickte, galten auch wir für konservativ. Da aber 1887 die Liberalen an der
Reihe waren, und jetzt ihrerseits die Mitglieder der konservativen Partei schlecht be-
handeln durften, so mussten auch wir schlecht behandelt werden. Mit grosser Re-
serve kamen uns die Liberalen entgegen, um sich auf keinen Fall etwas zu vergeben.


Paraguay verlassend kamen wir nun endlich wieder nach Brasilien. In
Corumbá trafen wir den 4. Juli in der Morgenfrühe ein und hatten den »Rapido«
nunmehr abermals mit einer noch kleineren Ausgabe, dem »Rio Verde«, zu ver-
tauschen, der am 5. Juli Morgens abfuhr. Am 11. Juli 3 p. m. kam das ersehnte
Cuyabá in Sicht. Ein Vierteljahr später, als wir gerechnet hatten. Vor Freude,
dass wir nun glücklich so weit waren, fuhren wir in diesem Augenblick noch
einmal und zum letzten Mal mit Vehemenz auf den Sand. So setzten wir im
Boot einen Kilometer oberhalb des Hafens an’s Ufer und pilgerten zu Fuss nach
dem Städtchen. Dort hatte man auch schon die Geduld verloren; Freunde
kamen uns entgegengeritten, begrüssten uns mit Lachen und Händeschütteln und
geleiteten uns zu einer gastlichen Wohnung, die uns beherbergen musste, bis
wir am andern Tag — ein Gasthof, der doch nichts getaugt haben würde, war
glücklicher Weise noch nicht vorhanden — ein leerstehendes Haus in der Rua
Nova gemietet hatten.

Cuyabá. Es erregte ein allgemeines Schütteln des Kopfes, als wir er-
klärten, dass wir spätestens in drei Wochen auf dem Marsche sein müssten. In
der That ist es nicht so leicht, in kürzester Frist die nötigen Maultiere zu er-
halten, ohne dass man auf das schmählichste betrogen wird, und die nötigen
mit dem Leben in der Wildnis vertrauten Begleiter, die sogenannten »Camaradas«,
sagen wir Kameraden, zu finden, ohne dass man Gefahr läuft, eine Anzahl un-
brauchbarer Menschen zu mieten, die später das Wohl und den Erfolg der
Expedition in Frage stellen. Wir waren im Grunde selbst erstaunt, dass es uns
gelang, die Vorbereitungen in siebzehn Tagen zu erledigen.

Der Umstand, dass wir im Jahre 1884 den ganzen Kursus schon einmal
durchgekostet hatten, kam uns in einem Sinne natürlich sehr zu Statten: wir
kannten die Sprache und hatten viele persönliche Beziehungen. Auf der andern
Seite aber war damit auch ein schwerer Nachteil verbunden, dessen Gewicht
uns erst allmählich klar wurde. Bekanntlich sind — oder waren? ich rede
natürlich von den vergangenen Tagen des Kaisertums — fast alle Brasilier der
besseren Klassen praktische Politiker, sie wollen von Staatsämtern leben und
müssen, da die vorhandenen Stellen für alle Anwärter nicht ausreichen, sich in
die beiden grossen Lager spalten derer, die im Besitz sind, und derer, die etwas
haben wollen. Die eine Partei triumphirt, die andere windet sich in oppositionellem
Grimme, die eine nennt sich, Niemand weiss warum, konservativ, die andere liberal.
1884 waren wir auf das Gastfreundlichste und Liebenswürdigste von der guten
Gesellschaft aufgenommen worden, und da sie in jener Zeit der herrschenden
Richtung gemäss konservativ war, während man auf die Liberalen geringschätzig
herabblickte, galten auch wir für konservativ. Da aber 1887 die Liberalen an der
Reihe waren, und jetzt ihrerseits die Mitglieder der konservativen Partei schlecht be-
handeln durften, so mussten auch wir schlecht behandelt werden. Mit grosser Re-
serve kamen uns die Liberalen entgegen, um sich auf keinen Fall etwas zu vergeben.


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[8/0030] Paraguay verlassend kamen wir nun endlich wieder nach Brasilien. In Corumbá trafen wir den 4. Juli in der Morgenfrühe ein und hatten den »Rapido« nunmehr abermals mit einer noch kleineren Ausgabe, dem »Rio Verde«, zu ver- tauschen, der am 5. Juli Morgens abfuhr. Am 11. Juli 3 p. m. kam das ersehnte Cuyabá in Sicht. Ein Vierteljahr später, als wir gerechnet hatten. Vor Freude, dass wir nun glücklich so weit waren, fuhren wir in diesem Augenblick noch einmal und zum letzten Mal mit Vehemenz auf den Sand. So setzten wir im Boot einen Kilometer oberhalb des Hafens an’s Ufer und pilgerten zu Fuss nach dem Städtchen. Dort hatte man auch schon die Geduld verloren; Freunde kamen uns entgegengeritten, begrüssten uns mit Lachen und Händeschütteln und geleiteten uns zu einer gastlichen Wohnung, die uns beherbergen musste, bis wir am andern Tag — ein Gasthof, der doch nichts getaugt haben würde, war glücklicher Weise noch nicht vorhanden — ein leerstehendes Haus in der Rua Nova gemietet hatten. Cuyabá. Es erregte ein allgemeines Schütteln des Kopfes, als wir er- klärten, dass wir spätestens in drei Wochen auf dem Marsche sein müssten. In der That ist es nicht so leicht, in kürzester Frist die nötigen Maultiere zu er- halten, ohne dass man auf das schmählichste betrogen wird, und die nötigen mit dem Leben in der Wildnis vertrauten Begleiter, die sogenannten »Camaradas«, sagen wir Kameraden, zu finden, ohne dass man Gefahr läuft, eine Anzahl un- brauchbarer Menschen zu mieten, die später das Wohl und den Erfolg der Expedition in Frage stellen. Wir waren im Grunde selbst erstaunt, dass es uns gelang, die Vorbereitungen in siebzehn Tagen zu erledigen. Der Umstand, dass wir im Jahre 1884 den ganzen Kursus schon einmal durchgekostet hatten, kam uns in einem Sinne natürlich sehr zu Statten: wir kannten die Sprache und hatten viele persönliche Beziehungen. Auf der andern Seite aber war damit auch ein schwerer Nachteil verbunden, dessen Gewicht uns erst allmählich klar wurde. Bekanntlich sind — oder waren? ich rede natürlich von den vergangenen Tagen des Kaisertums — fast alle Brasilier der besseren Klassen praktische Politiker, sie wollen von Staatsämtern leben und müssen, da die vorhandenen Stellen für alle Anwärter nicht ausreichen, sich in die beiden grossen Lager spalten derer, die im Besitz sind, und derer, die etwas haben wollen. Die eine Partei triumphirt, die andere windet sich in oppositionellem Grimme, die eine nennt sich, Niemand weiss warum, konservativ, die andere liberal. 1884 waren wir auf das Gastfreundlichste und Liebenswürdigste von der guten Gesellschaft aufgenommen worden, und da sie in jener Zeit der herrschenden Richtung gemäss konservativ war, während man auf die Liberalen geringschätzig herabblickte, galten auch wir für konservativ. Da aber 1887 die Liberalen an der Reihe waren, und jetzt ihrerseits die Mitglieder der konservativen Partei schlecht be- handeln durften, so mussten auch wir schlecht behandelt werden. Mit grosser Re- serve kamen uns die Liberalen entgegen, um sich auf keinen Fall etwas zu vergeben.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/30>, abgerufen am 24.04.2024.