verstärkt. Wir sehen, und das ist das Wichtige, dass hier bei Naturvölkern das Zeichnen, wie die Geberde gebraucht wird, um eine Mitteilung zu machen und nicht, um zierliche Formen wiederzugeben, und ich glaube nach dem persönlichen Eindruck, den ich von der Unmittelbarkeit des erklärenden Zeichnens gewonnen habe, dass es älter ist als das ornamental-künstlerische. Man wendet vielleicht ein, die Schingu-Indianer seien bereits Künstler, die alles Gerät mit Zeichnungen und Ornamenten bedecken, und deshalb liege ihnen das Ausdrucksmittel der Zeichnung besonders nahe. Darauf kann ich nur erwidern, dass die Bororo, die ich überhaupt in diesem Zusammenhang vorgreifend mehrfach erwähnen möchte, zwar prächtigen Federschmuck verfertigten, aber von den darstellenden Künsten so gut wie Nichts wussten, und dass nun eben sie eine grössere Geschicklichkeit und grössere Lust hatten, zur Erklärung in den Sand zu zeichnen, als die Schingu- leute. Sie waren jedoch unstäte Gesellen, die von der Jagd lebten, sie hatten nie die Musse gefunden, Malerei und Plastik zu üben wie jene, die zwar noch Jagd und Fischfang trieben, aber schon zu sesshaftem Feldbau vorgeschritten waren.
So sage ich, das mitteilende Zeichnen ist das ältere. Unser deutsches Wort "Zeichnen" spiegelt den Gang vortrefflich wieder. Am Anfang steht das "Zeichen" und dessen sich zu bedienen, war den Jägervölkern uralte Berufsache, in gleicher Weise den Vorfahren der Eingeborenen vom Kulisehu und denen der vom S. Lourenco. Sie brachten mitteilende Zeichen an, um sich und Andere zu orientieren, sie knickten die Zweige auf ihrem Pfad, zunächst um sich Raum zu schaffen, und dann zweckbewusst, um den Weg zu markieren. Sie fanden sich nach alten Spuren zurecht und machten, um sich zurecht zu finden, Spuren ab- sichtlich. Der in Stein geritzte Fuss, der den Nachkommenden die Wegrichtung anweist, ist ein Erzeugnis genau dieser Entwicklung. Der Fortschritt von der Baummarke zur dargestellten Fussspur ist der von der Kerbe zum Umriss, von dem Zeichen zur Zeichnung, und er vollzieht sich durch die Vermittlung der Geberde, die auch erklärt und mitteilt, aber eben mit Umrissen erklärt und mit- teilt; nun konnte die Geberde, die vorher nur in der Luft beschrieben wurde, z. B. im Sand ein dauernd sichtbares Bild hinterlassen.
Auch das Vergnügen an der darstellenden Nachahmung, von dem alle selbst- ständige Weiterentwicklung abhängt, ist bis zu einem gewissen Grade schon bei jenem Anfang helfend thätig, denn die Geberden sind um so lebhafter, je mehr das der innern Anschauung vorschwebende Objekt Interesse erregt. Ja, rein zum Vergnügen, dass sich nicht minder mitteilen will als praktisches Bedürfnis, hat auch schon der kulturärmste Mensch die Orte seiner Anwesenheit markiert; darin braucht man ihn wahrlich nicht -- andere Völker, andere Sitten -- seinem getreuen vier- beinigen Jagdgenossen nachzustellen. Gerade in Brasilien ist durch geheimnisvolle Deutungen der "Bilderschriften" unendlich viel Unsinn zu Tage gefördert worden, und ich freue mich, dem Widerspruch Richard andree's gegen diese Manie, in jeder müssigen "Verewigung" eine wichtige Mitteilung zu vermuten, voll beipflichten zu können. Gewiss denkt man sich etwas bei einem Einfall, den man in einer
verstärkt. Wir sehen, und das ist das Wichtige, dass hier bei Naturvölkern das Zeichnen, wie die Geberde gebraucht wird, um eine Mitteilung zu machen und nicht, um zierliche Formen wiederzugeben, und ich glaube nach dem persönlichen Eindruck, den ich von der Unmittelbarkeit des erklärenden Zeichnens gewonnen habe, dass es älter ist als das ornamental-künstlerische. Man wendet vielleicht ein, die Schingú-Indianer seien bereits Künstler, die alles Gerät mit Zeichnungen und Ornamenten bedecken, und deshalb liege ihnen das Ausdrucksmittel der Zeichnung besonders nahe. Darauf kann ich nur erwidern, dass die Bororó, die ich überhaupt in diesem Zusammenhang vorgreifend mehrfach erwähnen möchte, zwar prächtigen Federschmuck verfertigten, aber von den darstellenden Künsten so gut wie Nichts wussten, und dass nun eben sie eine grössere Geschicklichkeit und grössere Lust hatten, zur Erklärung in den Sand zu zeichnen, als die Schingú- leute. Sie waren jedoch unstäte Gesellen, die von der Jagd lebten, sie hatten nie die Musse gefunden, Malerei und Plastik zu üben wie jene, die zwar noch Jagd und Fischfang trieben, aber schon zu sesshaftem Feldbau vorgeschritten waren.
So sage ich, das mitteilende Zeichnen ist das ältere. Unser deutsches Wort »Zeichnen« spiegelt den Gang vortrefflich wieder. Am Anfang steht das »Zeichen« und dessen sich zu bedienen, war den Jägervölkern uralte Berufsache, in gleicher Weise den Vorfahren der Eingeborenen vom Kulisehu und denen der vom S. Lourenço. Sie brachten mitteilende Zeichen an, um sich und Andere zu orientieren, sie knickten die Zweige auf ihrem Pfad, zunächst um sich Raum zu schaffen, und dann zweckbewusst, um den Weg zu markieren. Sie fanden sich nach alten Spuren zurecht und machten, um sich zurecht zu finden, Spuren ab- sichtlich. Der in Stein geritzte Fuss, der den Nachkommenden die Wegrichtung anweist, ist ein Erzeugnis genau dieser Entwicklung. Der Fortschritt von der Baummarke zur dargestellten Fussspur ist der von der Kerbe zum Umriss, von dem Zeichen zur Zeichnung, und er vollzieht sich durch die Vermittlung der Geberde, die auch erklärt und mitteilt, aber eben mit Umrissen erklärt und mit- teilt; nun konnte die Geberde, die vorher nur in der Luft beschrieben wurde, z. B. im Sand ein dauernd sichtbares Bild hinterlassen.
Auch das Vergnügen an der darstellenden Nachahmung, von dem alle selbst- ständige Weiterentwicklung abhängt, ist bis zu einem gewissen Grade schon bei jenem Anfang helfend thätig, denn die Geberden sind um so lebhafter, je mehr das der innern Anschauung vorschwebende Objekt Interesse erregt. Ja, rein zum Vergnügen, dass sich nicht minder mitteilen will als praktisches Bedürfnis, hat auch schon der kulturärmste Mensch die Orte seiner Anwesenheit markiert; darin braucht man ihn wahrlich nicht — andere Völker, andere Sitten — seinem getreuen vier- beinigen Jagdgenossen nachzustellen. Gerade in Brasilien ist durch geheimnisvolle Deutungen der »Bilderschriften« unendlich viel Unsinn zu Tage gefördert worden, und ich freue mich, dem Widerspruch Richard andree’s gegen diese Manie, in jeder müssigen »Verewigung« eine wichtige Mitteilung zu vermuten, voll beipflichten zu können. Gewiss denkt man sich etwas bei einem Einfall, den man in einer
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nicht, um zierliche Formen wiederzugeben, und ich glaube nach dem persönlichen
Eindruck, den ich von der Unmittelbarkeit des erklärenden Zeichnens gewonnen
habe, dass es älter ist als das ornamental-künstlerische. Man wendet vielleicht
ein, die Schingú-Indianer seien bereits Künstler, die alles Gerät mit Zeichnungen
und Ornamenten bedecken, und deshalb liege ihnen das Ausdrucksmittel der
Zeichnung besonders nahe. Darauf kann ich nur erwidern, dass die Bororó, die
ich überhaupt in diesem Zusammenhang vorgreifend mehrfach erwähnen möchte,
zwar prächtigen Federschmuck verfertigten, aber von den darstellenden Künsten
so gut wie Nichts wussten, und dass nun eben sie eine grössere Geschicklichkeit
und grössere Lust hatten, zur Erklärung in den Sand zu zeichnen, als die Schingú-
leute. Sie waren jedoch unstäte Gesellen, die von der Jagd lebten, sie hatten nie
die Musse gefunden, Malerei und Plastik zu üben wie jene, die zwar noch Jagd
und Fischfang trieben, aber schon zu sesshaftem Feldbau vorgeschritten waren.
So sage ich, das mitteilende Zeichnen ist das ältere. Unser deutsches
Wort »Zeichnen« spiegelt den Gang vortrefflich wieder. Am Anfang steht das
»Zeichen« und dessen sich zu bedienen, war den Jägervölkern uralte Berufsache,
in gleicher Weise den Vorfahren der Eingeborenen vom Kulisehu und denen der
vom S. Lourenço. Sie brachten mitteilende Zeichen an, um sich und Andere zu
orientieren, sie knickten die Zweige auf ihrem Pfad, zunächst um sich Raum zu
schaffen, und dann zweckbewusst, um den Weg zu markieren. Sie fanden sich
nach alten Spuren zurecht und machten, um sich zurecht zu finden, Spuren ab-
sichtlich. Der in Stein geritzte Fuss, der den Nachkommenden die Wegrichtung
anweist, ist ein Erzeugnis genau dieser Entwicklung. Der Fortschritt von der
Baummarke zur dargestellten Fussspur ist der von der Kerbe zum Umriss, von
dem Zeichen zur Zeichnung, und er vollzieht sich durch die Vermittlung der
Geberde, die auch erklärt und mitteilt, aber eben mit Umrissen erklärt und mit-
teilt; nun konnte die Geberde, die vorher nur in der Luft beschrieben wurde,
z. B. im Sand ein dauernd sichtbares Bild hinterlassen.
Auch das Vergnügen an der darstellenden Nachahmung, von dem alle selbst-
ständige Weiterentwicklung abhängt, ist bis zu einem gewissen Grade schon bei
jenem Anfang helfend thätig, denn die Geberden sind um so lebhafter, je mehr
das der innern Anschauung vorschwebende Objekt Interesse erregt. Ja, rein zum
Vergnügen, dass sich nicht minder mitteilen will als praktisches Bedürfnis, hat auch
schon der kulturärmste Mensch die Orte seiner Anwesenheit markiert; darin braucht
man ihn wahrlich nicht — andere Völker, andere Sitten — seinem getreuen vier-
beinigen Jagdgenossen nachzustellen. Gerade in Brasilien ist durch geheimnisvolle
Deutungen der »Bilderschriften« unendlich viel Unsinn zu Tage gefördert worden,
und ich freue mich, dem Widerspruch Richard andree’s gegen diese Manie, in
jeder müssigen »Verewigung« eine wichtige Mitteilung zu vermuten, voll beipflichten
zu können. Gewiss denkt man sich etwas bei einem Einfall, den man in einer
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/290>, abgerufen am 21.11.2024.
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