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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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gut bekannt und das Märchen von "Kame in der Maus" erzählt uns, dass Keri
mit dem Besitzer des Feuers, dem Kampfuchs, jagen ging und dieser "nur
eine verbrannte Maus" erbeutete, in der Keri's Bruder Kame steckte:

Keri begegnete dem Kampfuchs. "Wir wollen Feuer im Kamp machen,
Grosspapa," sagte Keri. Sie gingen Feuer machen; es brannte ringsum. Kame
war in einer Maus. Keri wusste nicht, dass er hineingegangen. Das Feuer
brannte nieder und hörte auf. Keri jagte, sah keinen Braten. Der Kampfuchs
fand eine verbrannte Maus. Nachdem er sie gesehen, ass er sie. Er traf
Keri. "Grosspapa, was für Braten hast Du gegessen?" ""Nur eine Maus habe
ich gegessen.""

Die "Queimada" oder Brandstätte lieferte Massenerfahrungen über den
Nutzen des Feuers: beim Beginn des Feuers fliehende Tiere, später verkohlte
Tiere und Früchte, Tiere die herbeikamen, Salzasche, Wärme. Der Jäger hat
hier das Braten des Fleisches lernen können, das für ihn in kleinerem Massstab
die Bedeutung gewann, wie sie die Mehlbereitung für den Feldbauer besitzt.
Denn das Braten konserviert. Nach vielen Tagen ist gebratenes Fleisch noch
schmackhaft, das sonst längst in Verwesung übergegangen wäre: die Bororo zogen
wochenlang auf Jagd hinaus und kehrten mit reichem Vorrat an gebratenem
Wild zurück, die Auetö blieben mehrere Tage auf Fischfang abwesend und
brachten ein Kanu mit gebratenen Fischen schwer beladen heim, bei den Mehinaku
sahen wir Körbe gefüllt mit recht appetitlichen, goldgelben Backfischen. Das Braten
wird noch heute soweit getrieben, dass das Fleisch eine dicke Kohlenkruste --
die verbrannte Haut -- mit einem sehr beliebten Salzgeschmack erhält.

Alle diese Erfahrungen konnte sich schon der primitive Jäger, der kein
Feuer zu erzeugen wusste, bei Kampbränden zu Nutze machen; man wird ihm
das Sammeln von Kenntnissen nicht absprechen, die im Einzelnen den ver-
schiedenen Klassen der umgebenden Tierwelt geläufig sind.

Da aber protestiert, wer durch die Kulturbrille zu schauen gewöhnt ist.
Er vermisst die Schauer, die man in der Urzeit vor dem gewaltigen Phänomen
des Feuers empfunden hat, und die nicht viel mehr sind als die Schauer des
Gelehrten, dessen Studierlampe umfallen und die Stube, das Haus, die Stadt mit
allen ihren Wertgegenständen in Brand setzen könnte. Wenn schon ich, der
doch des Feuers Macht bezähmt, bewacht, in Furcht und Schrecken gerate, sobald
das wütende Element losgelassen wird, wenn mich das übermächtige Flammen-
schauspiel durch den Eindruck phantastischer Schönheit aufregt, wie muss erst
die Seele des armen Wilden von Angst erfüllt sein und das Geheimnis des Er-
habenen spüren! Ohne Zweifel mag in dem einen oder andern rasch vorwärts
eilenden Steppenbrand die Besonnenheit verloren gehen, doch im Allgemeinen
sehen wir die beschriebenen Schauer gerade bei den Naturvölkern nicht, wir
können sie ebensowenig entdecken als die ebenfalls für die Entstehung religiöser
Gefühle in Anspruch genommenen Schauer inmitten des grossartigen Urwalds;
nur der hülflose Europäer fürchtet sich, während es dem "Wilden" wahrscheinlich

gut bekannt und das Märchen von »Kame in der Maus« erzählt uns, dass Keri
mit dem Besitzer des Feuers, dem Kampfuchs, jagen ging und dieser »nur
eine verbrannte Maus« erbeutete, in der Keri’s Bruder Kame steckte:

Keri begegnete dem Kampfuchs. »Wir wollen Feuer im Kamp machen,
Grosspapa,« sagte Keri. Sie gingen Feuer machen; es brannte ringsum. Kame
war in einer Maus. Keri wusste nicht, dass er hineingegangen. Das Feuer
brannte nieder und hörte auf. Keri jagte, sah keinen Braten. Der Kampfuchs
fand eine verbrannte Maus. Nachdem er sie gesehen, ass er sie. Er traf
Keri. »Grosspapa, was für Braten hast Du gegessen?« »»Nur eine Maus habe
ich gegessen.««

Die »Queimada« oder Brandstätte lieferte Massenerfahrungen über den
Nutzen des Feuers: beim Beginn des Feuers fliehende Tiere, später verkohlte
Tiere und Früchte, Tiere die herbeikamen, Salzasche, Wärme. Der Jäger hat
hier das Braten des Fleisches lernen können, das für ihn in kleinerem Massstab
die Bedeutung gewann, wie sie die Mehlbereitung für den Feldbauer besitzt.
Denn das Braten konserviert. Nach vielen Tagen ist gebratenes Fleisch noch
schmackhaft, das sonst längst in Verwesung übergegangen wäre: die Bororó zogen
wochenlang auf Jagd hinaus und kehrten mit reichem Vorrat an gebratenem
Wild zurück, die Auetö́ blieben mehrere Tage auf Fischfang abwesend und
brachten ein Kanu mit gebratenen Fischen schwer beladen heim, bei den Mehinakú
sahen wir Körbe gefüllt mit recht appetitlichen, goldgelben Backfischen. Das Braten
wird noch heute soweit getrieben, dass das Fleisch eine dicke Kohlenkruste —
die verbrannte Haut — mit einem sehr beliebten Salzgeschmack erhält.

Alle diese Erfahrungen konnte sich schon der primitive Jäger, der kein
Feuer zu erzeugen wusste, bei Kampbränden zu Nutze machen; man wird ihm
das Sammeln von Kenntnissen nicht absprechen, die im Einzelnen den ver-
schiedenen Klassen der umgebenden Tierwelt geläufig sind.

Da aber protestiert, wer durch die Kulturbrille zu schauen gewöhnt ist.
Er vermisst die Schauer, die man in der Urzeit vor dem gewaltigen Phänomen
des Feuers empfunden hat, und die nicht viel mehr sind als die Schauer des
Gelehrten, dessen Studierlampe umfallen und die Stube, das Haus, die Stadt mit
allen ihren Wertgegenständen in Brand setzen könnte. Wenn schon ich, der
doch des Feuers Macht bezähmt, bewacht, in Furcht und Schrecken gerate, sobald
das wütende Element losgelassen wird, wenn mich das übermächtige Flammen-
schauspiel durch den Eindruck phantastischer Schönheit aufregt, wie muss erst
die Seele des armen Wilden von Angst erfüllt sein und das Geheimnis des Er-
habenen spüren! Ohne Zweifel mag in dem einen oder andern rasch vorwärts
eilenden Steppenbrand die Besonnenheit verloren gehen, doch im Allgemeinen
sehen wir die beschriebenen Schauer gerade bei den Naturvölkern nicht, wir
können sie ebensowenig entdecken als die ebenfalls für die Entstehung religiöser
Gefühle in Anspruch genommenen Schauer inmitten des grossartigen Urwalds;
nur der hülflose Europäer fürchtet sich, während es dem »Wilden« wahrscheinlich

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[221/0265] gut bekannt und das Märchen von »Kame in der Maus« erzählt uns, dass Keri mit dem Besitzer des Feuers, dem Kampfuchs, jagen ging und dieser »nur eine verbrannte Maus« erbeutete, in der Keri’s Bruder Kame steckte: Keri begegnete dem Kampfuchs. »Wir wollen Feuer im Kamp machen, Grosspapa,« sagte Keri. Sie gingen Feuer machen; es brannte ringsum. Kame war in einer Maus. Keri wusste nicht, dass er hineingegangen. Das Feuer brannte nieder und hörte auf. Keri jagte, sah keinen Braten. Der Kampfuchs fand eine verbrannte Maus. Nachdem er sie gesehen, ass er sie. Er traf Keri. »Grosspapa, was für Braten hast Du gegessen?« »»Nur eine Maus habe ich gegessen.«« Die »Queimada« oder Brandstätte lieferte Massenerfahrungen über den Nutzen des Feuers: beim Beginn des Feuers fliehende Tiere, später verkohlte Tiere und Früchte, Tiere die herbeikamen, Salzasche, Wärme. Der Jäger hat hier das Braten des Fleisches lernen können, das für ihn in kleinerem Massstab die Bedeutung gewann, wie sie die Mehlbereitung für den Feldbauer besitzt. Denn das Braten konserviert. Nach vielen Tagen ist gebratenes Fleisch noch schmackhaft, das sonst längst in Verwesung übergegangen wäre: die Bororó zogen wochenlang auf Jagd hinaus und kehrten mit reichem Vorrat an gebratenem Wild zurück, die Auetö́ blieben mehrere Tage auf Fischfang abwesend und brachten ein Kanu mit gebratenen Fischen schwer beladen heim, bei den Mehinakú sahen wir Körbe gefüllt mit recht appetitlichen, goldgelben Backfischen. Das Braten wird noch heute soweit getrieben, dass das Fleisch eine dicke Kohlenkruste — die verbrannte Haut — mit einem sehr beliebten Salzgeschmack erhält. Alle diese Erfahrungen konnte sich schon der primitive Jäger, der kein Feuer zu erzeugen wusste, bei Kampbränden zu Nutze machen; man wird ihm das Sammeln von Kenntnissen nicht absprechen, die im Einzelnen den ver- schiedenen Klassen der umgebenden Tierwelt geläufig sind. Da aber protestiert, wer durch die Kulturbrille zu schauen gewöhnt ist. Er vermisst die Schauer, die man in der Urzeit vor dem gewaltigen Phänomen des Feuers empfunden hat, und die nicht viel mehr sind als die Schauer des Gelehrten, dessen Studierlampe umfallen und die Stube, das Haus, die Stadt mit allen ihren Wertgegenständen in Brand setzen könnte. Wenn schon ich, der doch des Feuers Macht bezähmt, bewacht, in Furcht und Schrecken gerate, sobald das wütende Element losgelassen wird, wenn mich das übermächtige Flammen- schauspiel durch den Eindruck phantastischer Schönheit aufregt, wie muss erst die Seele des armen Wilden von Angst erfüllt sein und das Geheimnis des Er- habenen spüren! Ohne Zweifel mag in dem einen oder andern rasch vorwärts eilenden Steppenbrand die Besonnenheit verloren gehen, doch im Allgemeinen sehen wir die beschriebenen Schauer gerade bei den Naturvölkern nicht, wir können sie ebensowenig entdecken als die ebenfalls für die Entstehung religiöser Gefühle in Anspruch genommenen Schauer inmitten des grossartigen Urwalds; nur der hülflose Europäer fürchtet sich, während es dem »Wilden« wahrscheinlich

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/265>, abgerufen am 25.11.2024.