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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Fäden lieferten, zuweilen vielleicht auch das Sape-Gras, mit dem die Häuser ge-
deckt wurden. Am interessantesten aber scheint mir die Versicherung, dass sie
das Uba-Pfeilrohr, um es nicht von entfernten Stellen holen zu müssen, am
Batovy in grösserem Umfang anpflanzten.

Offenbar spielte neben zufälligen Liebhabereien und Kenntnissen in der
Behandlung die Beschaffenheit des Bodens eine grosse Rolle. Der Tabak gedieh
vorzüglich bei den Suya und bei den Auetö und wurde allgemein von den
Männern geraucht, ausgenommen im ersten Bakairidorf am Batovy *). Er spielt
eine wichtige Rolle bei der ärztlichen Behandlung und gilt als ein uralter Erwerb
der Kulturheroen, die ihn, wie die Sage andeutet, von Norden her empfingen.
Die Trinkschalen und Kalabassen, besonders die Cucurbita Lagenaria, bildeten
ein Haupterzeugnis der Nahuqua, etwas weniger der Bakairi. Die Mehinaku und
die Bakairi hatten die beste Baumwolle. Der Orleansstrauch wurde vor Allem
von den Bakairi gehalten, die Mehinaku vernachlässigten ihn gänzlich, da das
Begiessen zu viel Arbeit mache; der mich bei der Ankunft in ihrem Dorf
überraschende Umstand, dass dort keine rot, aber viele schwarz bemalte Gestalten
umherliefen, findet eine sehr natürliche Erklärung.

Mais, bei den Suya in einer durch Kleinheit der Kolben und goldige Farbe
der Körner ausgezeichneten Art vertreten, und Mandioka gab es überall, die
letztere wurde aber entschieden im grössten Umfang bei den Mehinaku gepflanzt.
Sie waren die reichsten Bauern des obern Schingu; ihr Wort für Mandioka ist
auch an die Trumai übergegangen. Neben der Mandioka sahen wir von Knollen-
gewächsen Ignamen in zwei Arten und Bataten, die wir erst reichlich bei den
Mehinaku fanden. Die Bohnen bezeichneten unsere Leute als "feijao de vara",
Stangenbohnen, oder auch als "feijao de roca", Pflanzungsbohnen. Von Ess-
kürbissen, abobora, haben wir nur die Kerne gesehen, die uns die Suya 1884,
soviel wir verstanden, zum Essen brachten. Die Mandubi-Erdnuss kam in einer
kleinen Art vor. Goyaven und Bananen gab es mit Sicherheit nicht am Schingu.

Ich habe in meinem Bericht über die erste Reise auf das Fehlen der
Bananen
hingewiesen und besonders hervorgehoben, dass dies für die Frage, ob
die Banane in Amerika erst nach Ankunft der Europäer eingeführt sei oder nicht,
um so entscheidender sein müsse, als die verschiedenen Schingustämme ver-
schiedener Abkunft seien und dennoch kein einziger von dem früheren Wohnsitz
die Banane mitgebracht habe. In den Erfahrungen der zweiten Expedition kann
ich meine Meinung nur bestätigt finden. Wir haben jetzt auch echte Tupi an-
getroffen, die keine Bananen hatten. Ich habe bei den Kamayura nach dem

*) Dieser Umstand mag H. v. Ihering veranlasst haben, zu zitieren: "v. d. Steinen vermisste
bei den Bakairi des oberen Schingu Tabak ebenso vollständig wie Bananen oder Metalle" [Zeitschrift
f. Ethnologie, 1893, p. 195]. Ich beschreibe, vgl. "Durch Centralbrasilien" p. 173, für Dorf III der
Batovy-Bakairi die echte Rauchrolle, wie sie die Entdecker auf den Antillen fanden. Dagegen teile
ich die Ansicht v. Ihering's, die ich in Vorträgen schon öfter ausgesprochen, bevor ich seinen
Aufsatz gelesen, dass die Pfeife in Brasilien modernen Ursprungs ist. Wie die Angel.

Fäden lieferten, zuweilen vielleicht auch das Sapé-Gras, mit dem die Häuser ge-
deckt wurden. Am interessantesten aber scheint mir die Versicherung, dass sie
das Ubá-Pfeilrohr, um es nicht von entfernten Stellen holen zu müssen, am
Batovy in grösserem Umfang anpflanzten.

Offenbar spielte neben zufälligen Liebhabereien und Kenntnissen in der
Behandlung die Beschaffenheit des Bodens eine grosse Rolle. Der Tabak gedieh
vorzüglich bei den Suyá und bei den Auetö́ und wurde allgemein von den
Männern geraucht, ausgenommen im ersten Bakaïrídorf am Batovy *). Er spielt
eine wichtige Rolle bei der ärztlichen Behandlung und gilt als ein uralter Erwerb
der Kulturheroen, die ihn, wie die Sage andeutet, von Norden her empfingen.
Die Trinkschalen und Kalabassen, besonders die Cucurbita Lagenaria, bildeten
ein Haupterzeugnis der Nahuquá, etwas weniger der Bakaïrí. Die Mehinakú und
die Bakaïrí hatten die beste Baumwolle. Der Orléansstrauch wurde vor Allem
von den Bakaïrí gehalten, die Mehinakú vernachlässigten ihn gänzlich, da das
Begiessen zu viel Arbeit mache; der mich bei der Ankunft in ihrem Dorf
überraschende Umstand, dass dort keine rot, aber viele schwarz bemalte Gestalten
umherliefen, findet eine sehr natürliche Erklärung.

Mais, bei den Suyá in einer durch Kleinheit der Kolben und goldige Farbe
der Körner ausgezeichneten Art vertreten, und Mandioka gab es überall, die
letztere wurde aber entschieden im grössten Umfang bei den Mehinakú gepflanzt.
Sie waren die reichsten Bauern des obern Schingú; ihr Wort für Mandioka ist
auch an die Trumaí übergegangen. Neben der Mandioka sahen wir von Knollen-
gewächsen Ignamen in zwei Arten und Bataten, die wir erst reichlich bei den
Mehinakú fanden. Die Bohnen bezeichneten unsere Leute als »feijaõ de vara«,
Stangenbohnen, oder auch als »feijão de roça«, Pflanzungsbohnen. Von Ess-
kürbissen, abóbora, haben wir nur die Kerne gesehen, die uns die Suyá 1884,
soviel wir verstanden, zum Essen brachten. Die Mandubí-Erdnuss kam in einer
kleinen Art vor. Goyaven und Bananen gab es mit Sicherheit nicht am Schingú.

Ich habe in meinem Bericht über die erste Reise auf das Fehlen der
Bananen
hingewiesen und besonders hervorgehoben, dass dies für die Frage, ob
die Banane in Amerika erst nach Ankunft der Europäer eingeführt sei oder nicht,
um so entscheidender sein müsse, als die verschiedenen Schingústämme ver-
schiedener Abkunft seien und dennoch kein einziger von dem früheren Wohnsitz
die Banane mitgebracht habe. In den Erfahrungen der zweiten Expedition kann
ich meine Meinung nur bestätigt finden. Wir haben jetzt auch echte Tupí an-
getroffen, die keine Bananen hatten. Ich habe bei den Kamayurá nach dem

*) Dieser Umstand mag H. v. Ihering veranlasst haben, zu zitieren: »v. d. Steinen vermisste
bei den Bakaïrí des oberen Schingú Tabak ebenso vollständig wie Bananen oder Metalle« [Zeitschrift
f. Ethnologie, 1893, p. 195]. Ich beschreibe, vgl. »Durch Centralbrasilien« p. 173, für Dorf III der
Batovy-Bakaïrí die echte Rauchrolle, wie sie die Entdecker auf den Antillen fanden. Dagegen teile
ich die Ansicht v. Ihering’s, die ich in Vorträgen schon öfter ausgesprochen, bevor ich seinen
Aufsatz gelesen, dass die Pfeife in Brasilien modernen Ursprungs ist. Wie die Angel.
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[210/0254] Fäden lieferten, zuweilen vielleicht auch das Sapé-Gras, mit dem die Häuser ge- deckt wurden. Am interessantesten aber scheint mir die Versicherung, dass sie das Ubá-Pfeilrohr, um es nicht von entfernten Stellen holen zu müssen, am Batovy in grösserem Umfang anpflanzten. Offenbar spielte neben zufälligen Liebhabereien und Kenntnissen in der Behandlung die Beschaffenheit des Bodens eine grosse Rolle. Der Tabak gedieh vorzüglich bei den Suyá und bei den Auetö́ und wurde allgemein von den Männern geraucht, ausgenommen im ersten Bakaïrídorf am Batovy *). Er spielt eine wichtige Rolle bei der ärztlichen Behandlung und gilt als ein uralter Erwerb der Kulturheroen, die ihn, wie die Sage andeutet, von Norden her empfingen. Die Trinkschalen und Kalabassen, besonders die Cucurbita Lagenaria, bildeten ein Haupterzeugnis der Nahuquá, etwas weniger der Bakaïrí. Die Mehinakú und die Bakaïrí hatten die beste Baumwolle. Der Orléansstrauch wurde vor Allem von den Bakaïrí gehalten, die Mehinakú vernachlässigten ihn gänzlich, da das Begiessen zu viel Arbeit mache; der mich bei der Ankunft in ihrem Dorf überraschende Umstand, dass dort keine rot, aber viele schwarz bemalte Gestalten umherliefen, findet eine sehr natürliche Erklärung. Mais, bei den Suyá in einer durch Kleinheit der Kolben und goldige Farbe der Körner ausgezeichneten Art vertreten, und Mandioka gab es überall, die letztere wurde aber entschieden im grössten Umfang bei den Mehinakú gepflanzt. Sie waren die reichsten Bauern des obern Schingú; ihr Wort für Mandioka ist auch an die Trumaí übergegangen. Neben der Mandioka sahen wir von Knollen- gewächsen Ignamen in zwei Arten und Bataten, die wir erst reichlich bei den Mehinakú fanden. Die Bohnen bezeichneten unsere Leute als »feijaõ de vara«, Stangenbohnen, oder auch als »feijão de roça«, Pflanzungsbohnen. Von Ess- kürbissen, abóbora, haben wir nur die Kerne gesehen, die uns die Suyá 1884, soviel wir verstanden, zum Essen brachten. Die Mandubí-Erdnuss kam in einer kleinen Art vor. Goyaven und Bananen gab es mit Sicherheit nicht am Schingú. Ich habe in meinem Bericht über die erste Reise auf das Fehlen der Bananen hingewiesen und besonders hervorgehoben, dass dies für die Frage, ob die Banane in Amerika erst nach Ankunft der Europäer eingeführt sei oder nicht, um so entscheidender sein müsse, als die verschiedenen Schingústämme ver- schiedener Abkunft seien und dennoch kein einziger von dem früheren Wohnsitz die Banane mitgebracht habe. In den Erfahrungen der zweiten Expedition kann ich meine Meinung nur bestätigt finden. Wir haben jetzt auch echte Tupí an- getroffen, die keine Bananen hatten. Ich habe bei den Kamayurá nach dem *) Dieser Umstand mag H. v. Ihering veranlasst haben, zu zitieren: »v. d. Steinen vermisste bei den Bakaïrí des oberen Schingú Tabak ebenso vollständig wie Bananen oder Metalle« [Zeitschrift f. Ethnologie, 1893, p. 195]. Ich beschreibe, vgl. »Durch Centralbrasilien« p. 173, für Dorf III der Batovy-Bakaïrí die echte Rauchrolle, wie sie die Entdecker auf den Antillen fanden. Dagegen teile ich die Ansicht v. Ihering’s, die ich in Vorträgen schon öfter ausgesprochen, bevor ich seinen Aufsatz gelesen, dass die Pfeife in Brasilien modernen Ursprungs ist. Wie die Angel.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/254>, abgerufen am 16.05.2024.