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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Die beiden Bakairi richteten sich mit mir häuslich in der Festhütte ein.
Wir blieben dort unbelästigt zur Nacht, nachdem ich noch einen inspizierenden
Gang durch etliche Wohnungen gemacht hatte.

Das Flötenhaus war 13 Schritte breit, 22 Schritte lang und 5 m hoch. Es
hatte zwei Thüröffnungen nebeneinander, beide äusserst niedrig und jede vier Schritt
lang; draussen lag ein langer Buritistamm. Drei mächtige Pfosten stützten das
Dachgebälk; ihnen entlang war ein leiterartiges Gestell horizontal befestigt, an
dessen senkrecht stehenden, angebundenen Sprossen zwanzig Masken, einige Stroh-
behänge und ein 60 cm langes, schwarz und rot bemaltes Schwirrholz von der
Form einer Schwertklinge herabhingen.

Auf dem Boden vor dem Mittelpföstchen, das die beiden Thüröffnungen
trennte, und ebenso rechts von dem Eingang, befanden sich zwei aus der Erde
aufgewölbte Hautreließ, Leguane darstellend, 1 m lang, 8 cm hoch. Diese zier-
lichsten aller Mounds waren im allgemeinen sehr gut modelliert, nur der Kopf
von ziemlich roher Ausführung. Gegenüber dem Eingang war auf dem Dorfplatz
vor kurzem Einer begraben worden; dort lag ein Reisighaufen, in dem es von
dicken Käfern und Fliegen wimmelte. Man sah auch in der Erde Oeffnungen
von Kanälen, aus denen die Tierchen von ihrem Gastmahl zurückkehrten.

Am nächsten Morgen wurde der Friede leider dadurch gestört, dass man
mir, als ich in den Hütten abwesend war, im Flötenhaus meine Gürteltasche ent-
leerte. Ich vermisste, was mir sehr schmerzlich war, den Kompass, ferner eine
chirurgische Scheere, ein kleines Jagdhörnchen, eine Schachtel mit Pfeffermünz-
plätzchen und dergleichen mehr. Zugleich war die Gesellschaft so habgierig und
bedrängte mich so gewaltsam, dass ich einsah, ich müsse ein Exempel statuieren
und dürfe mir den Diebstahl nicht gefallen lassen, wenn ich das in meiner Lage
unentbehrliche Ansehen behaupten wolle. Ich beklagte mich also, nannte sie
schlecht, "kurapa", und verlangte meine Sachen zurück. Unter lebhaften Be-
teuerungen ihrer Unschuld entfernten sie sich; vielleicht sei ein Kamayura, der
eben angekommen wäre, der Thäter.

Zwei Stunden vergingen. Alle fünf oder zehn Minuten kam einer herein-
gekrochen, wurde aber von mir sofort zur Thüre geleitet und bedeutet, zu
suchen; er stellte sich dann draussen hin und hielt in einem Tone, als könne er
kaum das Weinen unterdrücken, eine laute Ansprache über den Platz, die von
den Hütten aus, am erregtesten von Seiten der Weiber, mit vielem Geschrei
beantwortet wurde. Eine Schale Mandioka-Getränk wies ich finster zurück. Ganz
allmählich und in langen Zwischenpausen erschienen die fehlenden Gegenstände.

Einer brachte die Scheere, ein anderer das Jagdhörnchen und fünf oder
sechs ebenfalls in grossen Pausen je ein Pfeffermünzplätzchen, was ich alles auf
den Boden legen liess und nicht eher anzunehmen erklärte, als bis auch nicht
ein Stück mehr ausstehe.

Leider erschien das Wichtigste nicht, der Kompass. Nun ging ich gerade
hinüber nach der Hütte des dicken alten Häuptlings und klagte dort; er ent-

Die beiden Bakaïrí richteten sich mit mir häuslich in der Festhütte ein.
Wir blieben dort unbelästigt zur Nacht, nachdem ich noch einen inspizierenden
Gang durch etliche Wohnungen gemacht hatte.

Das Flötenhaus war 13 Schritte breit, 22 Schritte lang und 5 m hoch. Es
hatte zwei Thüröffnungen nebeneinander, beide äusserst niedrig und jede vier Schritt
lang; draussen lag ein langer Buritístamm. Drei mächtige Pfosten stützten das
Dachgebälk; ihnen entlang war ein leiterartiges Gestell horizontal befestigt, an
dessen senkrecht stehenden, angebundenen Sprossen zwanzig Masken, einige Stroh-
behänge und ein 60 cm langes, schwarz und rot bemaltes Schwirrholz von der
Form einer Schwertklinge herabhingen.

Auf dem Boden vor dem Mittelpföstchen, das die beiden Thüröffnungen
trennte, und ebenso rechts von dem Eingang, befanden sich zwei aus der Erde
aufgewölbte Hautreließ, Leguane darstellend, 1 m lang, 8 cm hoch. Diese zier-
lichsten aller Mounds waren im allgemeinen sehr gut modelliert, nur der Kopf
von ziemlich roher Ausführung. Gegenüber dem Eingang war auf dem Dorfplatz
vor kurzem Einer begraben worden; dort lag ein Reisighaufen, in dem es von
dicken Käfern und Fliegen wimmelte. Man sah auch in der Erde Oeffnungen
von Kanälen, aus denen die Tierchen von ihrem Gastmahl zurückkehrten.

Am nächsten Morgen wurde der Friede leider dadurch gestört, dass man
mir, als ich in den Hütten abwesend war, im Flötenhaus meine Gürteltasche ent-
leerte. Ich vermisste, was mir sehr schmerzlich war, den Kompass, ferner eine
chirurgische Scheere, ein kleines Jagdhörnchen, eine Schachtel mit Pfeffermünz-
plätzchen und dergleichen mehr. Zugleich war die Gesellschaft so habgierig und
bedrängte mich so gewaltsam, dass ich einsah, ich müsse ein Exempel statuieren
und dürfe mir den Diebstahl nicht gefallen lassen, wenn ich das in meiner Lage
unentbehrliche Ansehen behaupten wolle. Ich beklagte mich also, nannte sie
schlecht, »kurápa«, und verlangte meine Sachen zurück. Unter lebhaften Be-
teuerungen ihrer Unschuld entfernten sie sich; vielleicht sei ein Kamayurá, der
eben angekommen wäre, der Thäter.

Zwei Stunden vergingen. Alle fünf oder zehn Minuten kam einer herein-
gekrochen, wurde aber von mir sofort zur Thüre geleitet und bedeutet, zu
suchen; er stellte sich dann draussen hin und hielt in einem Tone, als könne er
kaum das Weinen unterdrücken, eine laute Ansprache über den Platz, die von
den Hütten aus, am erregtesten von Seiten der Weiber, mit vielem Geschrei
beantwortet wurde. Eine Schale Mandioka-Getränk wies ich finster zurück. Ganz
allmählich und in langen Zwischenpausen erschienen die fehlenden Gegenstände.

Einer brachte die Scheere, ein anderer das Jagdhörnchen und fünf oder
sechs ebenfalls in grossen Pausen je ein Pfeffermünzplätzchen, was ich alles auf
den Boden legen liess und nicht eher anzunehmen erklärte, als bis auch nicht
ein Stück mehr ausstehe.

Leider erschien das Wichtigste nicht, der Kompass. Nun ging ich gerade
hinüber nach der Hütte des dicken alten Häuptlings und klagte dort; er ent-

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[104/0136] Die beiden Bakaïrí richteten sich mit mir häuslich in der Festhütte ein. Wir blieben dort unbelästigt zur Nacht, nachdem ich noch einen inspizierenden Gang durch etliche Wohnungen gemacht hatte. Das Flötenhaus war 13 Schritte breit, 22 Schritte lang und 5 m hoch. Es hatte zwei Thüröffnungen nebeneinander, beide äusserst niedrig und jede vier Schritt lang; draussen lag ein langer Buritístamm. Drei mächtige Pfosten stützten das Dachgebälk; ihnen entlang war ein leiterartiges Gestell horizontal befestigt, an dessen senkrecht stehenden, angebundenen Sprossen zwanzig Masken, einige Stroh- behänge und ein 60 cm langes, schwarz und rot bemaltes Schwirrholz von der Form einer Schwertklinge herabhingen. Auf dem Boden vor dem Mittelpföstchen, das die beiden Thüröffnungen trennte, und ebenso rechts von dem Eingang, befanden sich zwei aus der Erde aufgewölbte Hautreließ, Leguane darstellend, 1 m lang, 8 cm hoch. Diese zier- lichsten aller Mounds waren im allgemeinen sehr gut modelliert, nur der Kopf von ziemlich roher Ausführung. Gegenüber dem Eingang war auf dem Dorfplatz vor kurzem Einer begraben worden; dort lag ein Reisighaufen, in dem es von dicken Käfern und Fliegen wimmelte. Man sah auch in der Erde Oeffnungen von Kanälen, aus denen die Tierchen von ihrem Gastmahl zurückkehrten. Am nächsten Morgen wurde der Friede leider dadurch gestört, dass man mir, als ich in den Hütten abwesend war, im Flötenhaus meine Gürteltasche ent- leerte. Ich vermisste, was mir sehr schmerzlich war, den Kompass, ferner eine chirurgische Scheere, ein kleines Jagdhörnchen, eine Schachtel mit Pfeffermünz- plätzchen und dergleichen mehr. Zugleich war die Gesellschaft so habgierig und bedrängte mich so gewaltsam, dass ich einsah, ich müsse ein Exempel statuieren und dürfe mir den Diebstahl nicht gefallen lassen, wenn ich das in meiner Lage unentbehrliche Ansehen behaupten wolle. Ich beklagte mich also, nannte sie schlecht, »kurápa«, und verlangte meine Sachen zurück. Unter lebhaften Be- teuerungen ihrer Unschuld entfernten sie sich; vielleicht sei ein Kamayurá, der eben angekommen wäre, der Thäter. Zwei Stunden vergingen. Alle fünf oder zehn Minuten kam einer herein- gekrochen, wurde aber von mir sofort zur Thüre geleitet und bedeutet, zu suchen; er stellte sich dann draussen hin und hielt in einem Tone, als könne er kaum das Weinen unterdrücken, eine laute Ansprache über den Platz, die von den Hütten aus, am erregtesten von Seiten der Weiber, mit vielem Geschrei beantwortet wurde. Eine Schale Mandioka-Getränk wies ich finster zurück. Ganz allmählich und in langen Zwischenpausen erschienen die fehlenden Gegenstände. Einer brachte die Scheere, ein anderer das Jagdhörnchen und fünf oder sechs ebenfalls in grossen Pausen je ein Pfeffermünzplätzchen, was ich alles auf den Boden legen liess und nicht eher anzunehmen erklärte, als bis auch nicht ein Stück mehr ausstehe. Leider erschien das Wichtigste nicht, der Kompass. Nun ging ich gerade hinüber nach der Hütte des dicken alten Häuptlings und klagte dort; er ent-

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/136>, abgerufen am 01.05.2024.