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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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sehr nahe liegenden Grunde niemals recht klar geworden. Während
man nämlich wenigstens zum Theil sehr gut wußte, was eigentlich die
Nationalökonomie sei, hatte man keinen klaren Begriff von der
Verwaltung
. Man vergaß, daß wenn die Gesetze der National-
ökonomie wirkliche Gesetze seien, sie sich durch eigene Kraft verwirk-
lichen müßten; man sah nicht, daß das, was erst des Staats bedarf
um ins Leben zu treten, dann kein Gesetz mehr ist. Man kam daher
zu der Vorstellung, daß eben nur das Nationalökonomie sei, was über-
haupt direkt oder indirekt durch die Thätigkeit des Staats vollzogen
werden könne. Natürlich war auch das wieder nicht durchführbar, denn
die Begriffe von Arbeit und Werth, die Gesetze des Angebots und der
Nachfrage waren denn doch ganz unabhängig vom Staate. Und so
beginnt diese Epoche der "Staatswirthschaftslehre" gleich anfangs mit
einer Richtung, welche die Frage nach dem Verhältniß der National-
ökonomie zur Staatswirthschaft und Wissenschaft zum Grunde legt,
während eine zweite Richtung, dieser Frage nicht Herr und sie daher
auch zur Seite liegen lassend, unbeirrt von ihr direkt auf die Staats-
wirthschaft eingeht. An der Spitze der ersten Richtung steht Soden,
der die Frage nach jenem Verhältniß als Einleitung seines ganzen
Werkes hin und her wirft. Bei ihm verschwindet aber der strenge Be-
griff der Nationalökonomie als der organischen Güterlehre in "das
höchste Sittengesetz des Wohlwollens, der Humanität, und demgemäß:
Beglückung der Nationalindividuen" (die Nationalökonomie, 1. Bd.
1805. §. 17) "aber im Princip der Staatsverwaltung liegt dazu
keine Pflicht, also auch kein Zwangsrecht. Das Princip der Staats-
verwaltung ist nur: Begründung, Sicherung und Bewährung der
staatsgesellschaftlichen Vortheile, in so weit sie aus der staatsgesellschaft-
lichen Verbindung unbedingt fließen." Dann fährt er fort, mit wenig
Worten die Hauptsache berührend: "In dieser Absonderung der Begriffe
liegt, bei dem unruhigen Geiste der Regierungen und nach der ihrem
Charakter eigenen Tendenz zur Ausdehnung der Macht, das Pal-
ladium der bürgerlichen Freiheit." Das war sehr wahr und ganz aus
Adam Smith, aus dessen Studium überhaupt Sodens Werk hervor-
ging; allein die Unklarheit seiner Vorstellung zeigt sich sofort wie er
weiter kommt; eben hat er das "Zwangsrecht" geläugnet, in §. 21
deducirt er wieder seine Nothwendigkeit; immer mit dem Gedanken, daß
die "Gesetze der Nationalökonomie die Grundsätze bestimmen" soll, nach
denen dieß Zwangsrecht ausgeübt wird (ebd). Die Nationalökonomie ist
ihm (§. 25) die "schöne Haushaltung der Natur"; die Staatswirthschaft
ist ihm dann wieder identisch mit der Staatsverwaltung (§. 17). Zu
einem rechten Abschluß gelangt er nicht. Chr. Schlözer, der Gründer

ſehr nahe liegenden Grunde niemals recht klar geworden. Während
man nämlich wenigſtens zum Theil ſehr gut wußte, was eigentlich die
Nationalökonomie ſei, hatte man keinen klaren Begriff von der
Verwaltung
. Man vergaß, daß wenn die Geſetze der National-
ökonomie wirkliche Geſetze ſeien, ſie ſich durch eigene Kraft verwirk-
lichen müßten; man ſah nicht, daß das, was erſt des Staats bedarf
um ins Leben zu treten, dann kein Geſetz mehr iſt. Man kam daher
zu der Vorſtellung, daß eben nur das Nationalökonomie ſei, was über-
haupt direkt oder indirekt durch die Thätigkeit des Staats vollzogen
werden könne. Natürlich war auch das wieder nicht durchführbar, denn
die Begriffe von Arbeit und Werth, die Geſetze des Angebots und der
Nachfrage waren denn doch ganz unabhängig vom Staate. Und ſo
beginnt dieſe Epoche der „Staatswirthſchaftslehre“ gleich anfangs mit
einer Richtung, welche die Frage nach dem Verhältniß der National-
ökonomie zur Staatswirthſchaft und Wiſſenſchaft zum Grunde legt,
während eine zweite Richtung, dieſer Frage nicht Herr und ſie daher
auch zur Seite liegen laſſend, unbeirrt von ihr direkt auf die Staats-
wirthſchaft eingeht. An der Spitze der erſten Richtung ſteht Soden,
der die Frage nach jenem Verhältniß als Einleitung ſeines ganzen
Werkes hin und her wirft. Bei ihm verſchwindet aber der ſtrenge Be-
griff der Nationalökonomie als der organiſchen Güterlehre in „das
höchſte Sittengeſetz des Wohlwollens, der Humanität, und demgemäß:
Beglückung der Nationalindividuen“ (die Nationalökonomie, 1. Bd.
1805. §. 17) „aber im Princip der Staatsverwaltung liegt dazu
keine Pflicht, alſo auch kein Zwangsrecht. Das Princip der Staats-
verwaltung iſt nur: Begründung, Sicherung und Bewährung der
ſtaatsgeſellſchaftlichen Vortheile, in ſo weit ſie aus der ſtaatsgeſellſchaft-
lichen Verbindung unbedingt fließen.“ Dann fährt er fort, mit wenig
Worten die Hauptſache berührend: „In dieſer Abſonderung der Begriffe
liegt, bei dem unruhigen Geiſte der Regierungen und nach der ihrem
Charakter eigenen Tendenz zur Ausdehnung der Macht, das Pal-
ladium der bürgerlichen Freiheit.“ Das war ſehr wahr und ganz aus
Adam Smith, aus deſſen Studium überhaupt Sodens Werk hervor-
ging; allein die Unklarheit ſeiner Vorſtellung zeigt ſich ſofort wie er
weiter kommt; eben hat er das „Zwangsrecht“ geläugnet, in §. 21
deducirt er wieder ſeine Nothwendigkeit; immer mit dem Gedanken, daß
die „Geſetze der Nationalökonomie die Grundſätze beſtimmen“ ſoll, nach
denen dieß Zwangsrecht ausgeübt wird (ebd). Die Nationalökonomie iſt
ihm (§. 25) die „ſchöne Haushaltung der Natur“; die Staatswirthſchaft
iſt ihm dann wieder identiſch mit der Staatsverwaltung (§. 17). Zu
einem rechten Abſchluß gelangt er nicht. Chr. Schlözer, der Gründer

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[42/0060] ſehr nahe liegenden Grunde niemals recht klar geworden. Während man nämlich wenigſtens zum Theil ſehr gut wußte, was eigentlich die Nationalökonomie ſei, hatte man keinen klaren Begriff von der Verwaltung. Man vergaß, daß wenn die Geſetze der National- ökonomie wirkliche Geſetze ſeien, ſie ſich durch eigene Kraft verwirk- lichen müßten; man ſah nicht, daß das, was erſt des Staats bedarf um ins Leben zu treten, dann kein Geſetz mehr iſt. Man kam daher zu der Vorſtellung, daß eben nur das Nationalökonomie ſei, was über- haupt direkt oder indirekt durch die Thätigkeit des Staats vollzogen werden könne. Natürlich war auch das wieder nicht durchführbar, denn die Begriffe von Arbeit und Werth, die Geſetze des Angebots und der Nachfrage waren denn doch ganz unabhängig vom Staate. Und ſo beginnt dieſe Epoche der „Staatswirthſchaftslehre“ gleich anfangs mit einer Richtung, welche die Frage nach dem Verhältniß der National- ökonomie zur Staatswirthſchaft und Wiſſenſchaft zum Grunde legt, während eine zweite Richtung, dieſer Frage nicht Herr und ſie daher auch zur Seite liegen laſſend, unbeirrt von ihr direkt auf die Staats- wirthſchaft eingeht. An der Spitze der erſten Richtung ſteht Soden, der die Frage nach jenem Verhältniß als Einleitung ſeines ganzen Werkes hin und her wirft. Bei ihm verſchwindet aber der ſtrenge Be- griff der Nationalökonomie als der organiſchen Güterlehre in „das höchſte Sittengeſetz des Wohlwollens, der Humanität, und demgemäß: Beglückung der Nationalindividuen“ (die Nationalökonomie, 1. Bd. 1805. §. 17) „aber im Princip der Staatsverwaltung liegt dazu keine Pflicht, alſo auch kein Zwangsrecht. Das Princip der Staats- verwaltung iſt nur: Begründung, Sicherung und Bewährung der ſtaatsgeſellſchaftlichen Vortheile, in ſo weit ſie aus der ſtaatsgeſellſchaft- lichen Verbindung unbedingt fließen.“ Dann fährt er fort, mit wenig Worten die Hauptſache berührend: „In dieſer Abſonderung der Begriffe liegt, bei dem unruhigen Geiſte der Regierungen und nach der ihrem Charakter eigenen Tendenz zur Ausdehnung der Macht, das Pal- ladium der bürgerlichen Freiheit.“ Das war ſehr wahr und ganz aus Adam Smith, aus deſſen Studium überhaupt Sodens Werk hervor- ging; allein die Unklarheit ſeiner Vorſtellung zeigt ſich ſofort wie er weiter kommt; eben hat er das „Zwangsrecht“ geläugnet, in §. 21 deducirt er wieder ſeine Nothwendigkeit; immer mit dem Gedanken, daß die „Geſetze der Nationalökonomie die Grundſätze beſtimmen“ ſoll, nach denen dieß Zwangsrecht ausgeübt wird (ebd). Die Nationalökonomie iſt ihm (§. 25) die „ſchöne Haushaltung der Natur“; die Staatswirthſchaft iſt ihm dann wieder identiſch mit der Staatsverwaltung (§. 17). Zu einem rechten Abſchluß gelangt er nicht. Chr. Schlözer, der Gründer

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/60>, abgerufen am 27.04.2024.