Das achtzehnte Jahrhundert ist im Guten wie im Bösen die Zeit der polizeilichen Bevormundung des Volks. Die ganze Theorie des Eudämonismus, wie sie Christian Wolf zuerst zu einem Systeme ver- arbeitet, ist zum Inhalt der ganzen innern Verwaltung, namentlich also auch der Volkswirthschaftspflege geworden. Die Absichten dabei waren meist vortrefflich, die Mittel oft sehr rationell, das Ziel ein großes. Allein das größere Element der persönlichen Selbständigkeit, der Drang nach Selbstthätigkeit im Volke, kurz das Bedürfniß nach staatsbürgerlicher Freiheit war bereits so groß, daß auch das Beste, was die Regierungen boten und gaben, unwillig oder gar nicht angenommen wurde, weil die Völker die Herren auch ihres eigenen Glücks sein wollten. So ent- stand jene tiefe Spaltung zwischen Volk und Staat, die sich bis auf den heutigen Tag fortsetzt, jenes tiefe Mißtrauen des ersteren gegen den letzteren, das bis zur entschiedensten Negation geht; und es war daher natürlich, daß jeder, der seine Ansichten auf diesen Gegensatz baute, als Bundesgenosse jener fast unwiderstehlichen Zeitrichtung be- grüßt wurde.
Da trat Adam Smith mit seiner Wealth of Nations auf. Er vertritt zwei Gedanken, die so tief in das Leben eingegriffen haben, wie wenig andere, nicht so sehr wegen ihrer Wahrheit, als wegen ihrer Harmonie mit dem ganzen Entwicklungsgange der staatlichen und gesell- schaftlichen Ideen jener Epoche. Der eine ist ein allerdings rein national- ökonomischer, der andere aber ist das verwaltungsrechtliche Princip der Smithschen Schule; und es ist schwer zu sagen, welches von beiden das historisch bedeutendste gewesen ist, obwohl man fast nur das erstere erkannt hat. Dieß nun war der Gedanke, daß die Quelle des Werthes und damit des Reichthums die Arbeit sei. Die Arbeit aber ist, im Gegensatze zum Besitze oder Kapital das nationalökonomische Lebensprincip der staatsbürgerlichen Gesellschaft; die Idee, daß der Reichthum aus der Arbeit als solcher hervorgehe, war zugleich die Idee, daß in ihr die Quelle der wirthschaftlichen Gleichheit und der einzigen möglichen Hebung der niederen Klasse liege. Es war nicht anders möglich, als daß dieser Grundsatz auf einen dankbaren Boden fiel und volles Verständniß fand; an ihn knüpft sich die ganze Nationalökonomie des Jahrhunderts, das Adam Smith folgt. Doch das zu verfolgen, ist nicht unsere Sache. Der zweite Grundgedanke Adam Smiths da- gegen war der, daß die wahre Quelle alles Gedeihens der Wirthschaft durch die Arbeit in dem freien Verständniß des Einzelnen von seinem eigenen Interesse liege. Jeder wird am besten selbst wissen, was ihm am nützlichsten ist; das ist das Smithsche "Selfintrest." Die Consequenz davon ist die entschiedene Verurtheilung der polizeilichen
Das achtzehnte Jahrhundert iſt im Guten wie im Böſen die Zeit der polizeilichen Bevormundung des Volks. Die ganze Theorie des Eudämonismus, wie ſie Chriſtian Wolf zuerſt zu einem Syſteme ver- arbeitet, iſt zum Inhalt der ganzen innern Verwaltung, namentlich alſo auch der Volkswirthſchaftspflege geworden. Die Abſichten dabei waren meiſt vortrefflich, die Mittel oft ſehr rationell, das Ziel ein großes. Allein das größere Element der perſönlichen Selbſtändigkeit, der Drang nach Selbſtthätigkeit im Volke, kurz das Bedürfniß nach ſtaatsbürgerlicher Freiheit war bereits ſo groß, daß auch das Beſte, was die Regierungen boten und gaben, unwillig oder gar nicht angenommen wurde, weil die Völker die Herren auch ihres eigenen Glücks ſein wollten. So ent- ſtand jene tiefe Spaltung zwiſchen Volk und Staat, die ſich bis auf den heutigen Tag fortſetzt, jenes tiefe Mißtrauen des erſteren gegen den letzteren, das bis zur entſchiedenſten Negation geht; und es war daher natürlich, daß jeder, der ſeine Anſichten auf dieſen Gegenſatz baute, als Bundesgenoſſe jener faſt unwiderſtehlichen Zeitrichtung be- grüßt wurde.
Da trat Adam Smith mit ſeiner Wealth of Nations auf. Er vertritt zwei Gedanken, die ſo tief in das Leben eingegriffen haben, wie wenig andere, nicht ſo ſehr wegen ihrer Wahrheit, als wegen ihrer Harmonie mit dem ganzen Entwicklungsgange der ſtaatlichen und geſell- ſchaftlichen Ideen jener Epoche. Der eine iſt ein allerdings rein national- ökonomiſcher, der andere aber iſt das verwaltungsrechtliche Princip der Smithſchen Schule; und es iſt ſchwer zu ſagen, welches von beiden das hiſtoriſch bedeutendſte geweſen iſt, obwohl man faſt nur das erſtere erkannt hat. Dieß nun war der Gedanke, daß die Quelle des Werthes und damit des Reichthums die Arbeit ſei. Die Arbeit aber iſt, im Gegenſatze zum Beſitze oder Kapital das nationalökonomiſche Lebensprincip der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft; die Idee, daß der Reichthum aus der Arbeit als ſolcher hervorgehe, war zugleich die Idee, daß in ihr die Quelle der wirthſchaftlichen Gleichheit und der einzigen möglichen Hebung der niederen Klaſſe liege. Es war nicht anders möglich, als daß dieſer Grundſatz auf einen dankbaren Boden fiel und volles Verſtändniß fand; an ihn knüpft ſich die ganze Nationalökonomie des Jahrhunderts, das Adam Smith folgt. Doch das zu verfolgen, iſt nicht unſere Sache. Der zweite Grundgedanke Adam Smiths da- gegen war der, daß die wahre Quelle alles Gedeihens der Wirthſchaft durch die Arbeit in dem freien Verſtändniß des Einzelnen von ſeinem eigenen Intereſſe liege. Jeder wird am beſten ſelbſt wiſſen, was ihm am nützlichſten iſt; das iſt das Smithſche „Selfintrest.“ Die Conſequenz davon iſt die entſchiedene Verurtheilung der polizeilichen
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Das achtzehnte Jahrhundert iſt im Guten wie im Böſen die Zeit
der polizeilichen Bevormundung des Volks. Die ganze Theorie des
Eudämonismus, wie ſie Chriſtian Wolf zuerſt zu einem Syſteme ver-
arbeitet, iſt zum Inhalt der ganzen innern Verwaltung, namentlich alſo
auch der Volkswirthſchaftspflege geworden. Die Abſichten dabei waren
meiſt vortrefflich, die Mittel oft ſehr rationell, das Ziel ein großes.
Allein das größere Element der perſönlichen Selbſtändigkeit, der Drang
nach Selbſtthätigkeit im Volke, kurz das Bedürfniß nach ſtaatsbürgerlicher
Freiheit war bereits ſo groß, daß auch das Beſte, was die Regierungen
boten und gaben, unwillig oder gar nicht angenommen wurde, weil
die Völker die Herren auch ihres eigenen Glücks ſein wollten. So ent-
ſtand jene tiefe Spaltung zwiſchen Volk und Staat, die ſich bis auf
den heutigen Tag fortſetzt, jenes tiefe Mißtrauen des erſteren gegen
den letzteren, das bis zur entſchiedenſten Negation geht; und es war
daher natürlich, daß jeder, der ſeine Anſichten auf dieſen Gegenſatz
baute, als Bundesgenoſſe jener faſt unwiderſtehlichen Zeitrichtung be-
grüßt wurde.
Da trat Adam Smith mit ſeiner Wealth of Nations auf. Er
vertritt zwei Gedanken, die ſo tief in das Leben eingegriffen haben,
wie wenig andere, nicht ſo ſehr wegen ihrer Wahrheit, als wegen ihrer
Harmonie mit dem ganzen Entwicklungsgange der ſtaatlichen und geſell-
ſchaftlichen Ideen jener Epoche. Der eine iſt ein allerdings rein national-
ökonomiſcher, der andere aber iſt das verwaltungsrechtliche Princip
der Smithſchen Schule; und es iſt ſchwer zu ſagen, welches von
beiden das hiſtoriſch bedeutendſte geweſen iſt, obwohl man faſt nur das
erſtere erkannt hat. Dieß nun war der Gedanke, daß die Quelle des
Werthes und damit des Reichthums die Arbeit ſei. Die Arbeit aber
iſt, im Gegenſatze zum Beſitze oder Kapital das nationalökonomiſche
Lebensprincip der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft; die Idee, daß der
Reichthum aus der Arbeit als ſolcher hervorgehe, war zugleich die Idee,
daß in ihr die Quelle der wirthſchaftlichen Gleichheit und der einzigen
möglichen Hebung der niederen Klaſſe liege. Es war nicht anders
möglich, als daß dieſer Grundſatz auf einen dankbaren Boden fiel und
volles Verſtändniß fand; an ihn knüpft ſich die ganze Nationalökonomie
des Jahrhunderts, das Adam Smith folgt. Doch das zu verfolgen,
iſt nicht unſere Sache. Der zweite Grundgedanke Adam Smiths da-
gegen war der, daß die wahre Quelle alles Gedeihens der Wirthſchaft
durch die Arbeit in dem freien Verſtändniß des Einzelnen von ſeinem
eigenen Intereſſe liege. Jeder wird am beſten ſelbſt wiſſen, was ihm
am nützlichſten iſt; das iſt das Smithſche „Selfintrest.“ Die Conſequenz
davon iſt die entſchiedene Verurtheilung der polizeilichen
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/56>, abgerufen am 24.11.2024.
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