"L'expropriation s'opere par autorite de justice" mit dem Wesen der Enteignung in rechte Harmonie zu bringen, da auf allen Punkten die gesetzliche Funktion des Gerichts durch die unabweisbare der Verwal- tungsbehörden durchbrochen und vertreten wird. Eben so unvollkommen ist der englische Grundsatz, nach welchem die wirkliche Enteignung Sache des Einzelnen, und die Genehmigung durch die Private Bill, beziehungs- weise die Bestimmungen der Lands Clauses Act (s. unten) nur den Klagtitel des zur Enteignung Befugten gegen den Enteigneten bilden, so daß der Enteigner eventuell erst einen Proceß gegen den letzteren führen muß, um die Enteignung in Folge eines Rechtsspruches zu voll- ziehen. Denn damit steht das Wesen des öffentlichen Bedürfnisses im Widerspruch, das dem Enteignungsrecht zum Grunde liegt, und das die Vollziehung desselben von der Verwaltung fordert, selbst wenn man davon absehen wollte, daß damit den Chicanen und Kosten eines Pro- cesses Thor und Thür geöffnet würde. Der Grundsatz, daß die Ver- waltung die Enteignung auf dem Wege der Verordnung und Verfügung durchzuführen, und daß das Gericht die Rechte des Einzelnen gegen Rechtsverletzungen dabei zu schützen habe, ist daher der einzig richtige, und wir dürfen hinzufügen, daß er in Deutschland auch als der grund- sätzlich geltende dasteht; was uns in Deutschland fehlt, ist auch hier nicht das französische Princip des Rechts, sondern das des wohlgeord- neten Beschwerdeverfahrens.
Von diesem Standpunkt aus ergibt sich nun auch sehr leicht die richtige Beurtheilung der Frage nach der Natur des Enteignungsrechts. Das an sich achtungswerthe Streben, das Privatrecht des Einzelnen gegen die vollziehende Gewalt zu schützen, ist wohl der Grund, weßhalb man vielfach angenommen hat, daß die Enteignung ein Kaufgeschäft enthalte, eine Ansicht, die bekanntlich zunächst auf eine unglückliche Formulirung des preußischen allgemeinen Landrechts beruht. (Vgl. über diese Auffassung Häberlin, S. 200, mit den dortigen Angaben, und Thiel, S. 2. 3, welche beide diese Auffassung "das Zwangsenteignungs- geschäft (?) ist ein auf einem Gesetze beruhender nothwendiger Ver- kauf" Häberlin; ebenso Beseler, deutsches Privatrecht II. 101. Gründ- lich ist die Frage dagegen behandelt bei Koch, Eisenbahnen Deutschlands Bd. I. S. 45 ff., der uns ein klares Bild der Verwirrung gibt, die entstehen muß, wenn man durchaus den hier unmöglichen Begriff des Kaufs -- eventuell sogar als den logischen Unsinn eines "Zwangs- kaufes" gelten lassen will. Es ist nur durch den Mangel an einem richtigen Begriff des öffentlichen Rechts überhaupt zu erklären, daß man diese Ansicht hat vertreten können. Wie kann die Enteignung, -- ein Geschäft ist sie überhaupt nie, da sie grundsätzlich weder den
„L’expropriation s’opère par autorité de justice“ mit dem Weſen der Enteignung in rechte Harmonie zu bringen, da auf allen Punkten die geſetzliche Funktion des Gerichts durch die unabweisbare der Verwal- tungsbehörden durchbrochen und vertreten wird. Eben ſo unvollkommen iſt der engliſche Grundſatz, nach welchem die wirkliche Enteignung Sache des Einzelnen, und die Genehmigung durch die Private Bill, beziehungs- weiſe die Beſtimmungen der Lands Clauses Act (ſ. unten) nur den Klagtitel des zur Enteignung Befugten gegen den Enteigneten bilden, ſo daß der Enteigner eventuell erſt einen Proceß gegen den letzteren führen muß, um die Enteignung in Folge eines Rechtsſpruches zu voll- ziehen. Denn damit ſteht das Weſen des öffentlichen Bedürfniſſes im Widerſpruch, das dem Enteignungsrecht zum Grunde liegt, und das die Vollziehung deſſelben von der Verwaltung fordert, ſelbſt wenn man davon abſehen wollte, daß damit den Chicanen und Koſten eines Pro- ceſſes Thor und Thür geöffnet würde. Der Grundſatz, daß die Ver- waltung die Enteignung auf dem Wege der Verordnung und Verfügung durchzuführen, und daß das Gericht die Rechte des Einzelnen gegen Rechtsverletzungen dabei zu ſchützen habe, iſt daher der einzig richtige, und wir dürfen hinzufügen, daß er in Deutſchland auch als der grund- ſätzlich geltende daſteht; was uns in Deutſchland fehlt, iſt auch hier nicht das franzöſiſche Princip des Rechts, ſondern das des wohlgeord- neten Beſchwerdeverfahrens.
Von dieſem Standpunkt aus ergibt ſich nun auch ſehr leicht die richtige Beurtheilung der Frage nach der Natur des Enteignungsrechts. Das an ſich achtungswerthe Streben, das Privatrecht des Einzelnen gegen die vollziehende Gewalt zu ſchützen, iſt wohl der Grund, weßhalb man vielfach angenommen hat, daß die Enteignung ein Kaufgeſchäft enthalte, eine Anſicht, die bekanntlich zunächſt auf eine unglückliche Formulirung des preußiſchen allgemeinen Landrechts beruht. (Vgl. über dieſe Auffaſſung Häberlin, S. 200, mit den dortigen Angaben, und Thiel, S. 2. 3, welche beide dieſe Auffaſſung „das Zwangsenteignungs- geſchäft (?) iſt ein auf einem Geſetze beruhender nothwendiger Ver- kauf“ Häberlin; ebenſo Beſeler, deutſches Privatrecht II. 101. Gründ- lich iſt die Frage dagegen behandelt bei Koch, Eiſenbahnen Deutſchlands Bd. I. S. 45 ff., der uns ein klares Bild der Verwirrung gibt, die entſtehen muß, wenn man durchaus den hier unmöglichen Begriff des Kaufs — eventuell ſogar als den logiſchen Unſinn eines „Zwangs- kaufes“ gelten laſſen will. Es iſt nur durch den Mangel an einem richtigen Begriff des öffentlichen Rechts überhaupt zu erklären, daß man dieſe Anſicht hat vertreten können. Wie kann die Enteignung, — ein Geſchäft iſt ſie überhaupt nie, da ſie grundſätzlich weder den
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„L’expropriation s’opère par autorité de justice“ mit dem Weſen der
Enteignung in rechte Harmonie zu bringen, da auf allen Punkten die
geſetzliche Funktion des Gerichts durch die unabweisbare der Verwal-
tungsbehörden durchbrochen und vertreten wird. Eben ſo unvollkommen
iſt der engliſche Grundſatz, nach welchem die wirkliche Enteignung Sache
des Einzelnen, und die Genehmigung durch die Private Bill, beziehungs-
weiſe die Beſtimmungen der Lands Clauses Act (ſ. unten) nur den
Klagtitel des zur Enteignung Befugten gegen den Enteigneten bilden,
ſo daß der Enteigner eventuell erſt einen Proceß gegen den letzteren
führen muß, um die Enteignung in Folge eines Rechtsſpruches zu voll-
ziehen. Denn damit ſteht das Weſen des öffentlichen Bedürfniſſes im
Widerſpruch, das dem Enteignungsrecht zum Grunde liegt, und das
die Vollziehung deſſelben von der Verwaltung fordert, ſelbſt wenn man
davon abſehen wollte, daß damit den Chicanen und Koſten eines Pro-
ceſſes Thor und Thür geöffnet würde. Der Grundſatz, daß die Ver-
waltung die Enteignung auf dem Wege der Verordnung und Verfügung
durchzuführen, und daß das Gericht die Rechte des Einzelnen gegen
Rechtsverletzungen dabei zu ſchützen habe, iſt daher der einzig richtige,
und wir dürfen hinzufügen, daß er in Deutſchland auch als der grund-
ſätzlich geltende daſteht; was uns in Deutſchland fehlt, iſt auch hier
nicht das franzöſiſche Princip des Rechts, ſondern das des wohlgeord-
neten Beſchwerdeverfahrens.
Von dieſem Standpunkt aus ergibt ſich nun auch ſehr leicht die
richtige Beurtheilung der Frage nach der Natur des Enteignungsrechts.
Das an ſich achtungswerthe Streben, das Privatrecht des Einzelnen
gegen die vollziehende Gewalt zu ſchützen, iſt wohl der Grund, weßhalb
man vielfach angenommen hat, daß die Enteignung ein Kaufgeſchäft
enthalte, eine Anſicht, die bekanntlich zunächſt auf eine unglückliche
Formulirung des preußiſchen allgemeinen Landrechts beruht. (Vgl. über
dieſe Auffaſſung Häberlin, S. 200, mit den dortigen Angaben, und
Thiel, S. 2. 3, welche beide dieſe Auffaſſung „das Zwangsenteignungs-
geſchäft (?) iſt ein auf einem Geſetze beruhender nothwendiger Ver-
kauf“ Häberlin; ebenſo Beſeler, deutſches Privatrecht II. 101. Gründ-
lich iſt die Frage dagegen behandelt bei Koch, Eiſenbahnen Deutſchlands
Bd. I. S. 45 ff., der uns ein klares Bild der Verwirrung gibt, die
entſtehen muß, wenn man durchaus den hier unmöglichen Begriff des
Kaufs — eventuell ſogar als den logiſchen Unſinn eines „Zwangs-
kaufes“ gelten laſſen will. Es iſt nur durch den Mangel an einem
richtigen Begriff des öffentlichen Rechts überhaupt zu erklären, daß man
dieſe Anſicht hat vertreten können. Wie kann die Enteignung, —
ein Geſchäft iſt ſie überhaupt nie, da ſie grundſätzlich weder den
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/341>, abgerufen am 09.11.2024.
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