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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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zur Cultur, jedoch nicht zum Eigenthum, unbedenklich eingeräumt
werden;" so hatte schon das bayrische Culturmandat von 1723 jeder-
mann eingeladen, die als "Staatseigenthum" erklärten öden Strecken
in Besitz zu nehmen und urbar zu machen (Roscher a. a. O. §. 81,
Note 1); ganz ähnlich die badische Gesetzgebung (Willich, Auszug VI.
604, 605. Berg, Polizeirecht 3. Bd. S. 267). Allein dabei galt denn
doch erstlich als Grundsatz, daß "wohlerworbene und hergebrachte Ge-
rechtsame, die die Unterthanen ohne wesentlichen Nachtheil ihres Wohl-
standes und Behuf ihres Haushaltes nicht wohl entrathen können,"
nicht einseitig aufgehoben werden sollen (kurbraunschweigische
Verordnung
, wie in Landesökonomie-Angelegenheiten zu verfahren,
vom 22. Nov. 1768, §. 2; hannover'scher Landtagsabschied Art. 18;
bei Berg a. a. O. S. 266--267). Wenn aber dennoch das Landes-
interesse eine solche Entziehung für öffentliche Zwecke nothwendig mache,
so soll "die Landesherrschaft der Sache selbst sich unterziehen und die
Eigenthümer verhältnißmäßig entschädigen" (Moser, die Landeshoheit
in Ansehung Erde und Wassers S. 165, 166). Offenbar war es nun
schwer, in diesem Gegensatz zwischen Einzelrecht und öffentlichem Interesse
die rechte Grenze zu finden, denn zu den Schwierigkeiten der Sache an
sich kam "nicht selten die zur andern Natur gewordene Gewohnheit des
Landmannes, solche Gemeindegüter auf eine unwirthschaftliche Art zu
gebrauchen" (Berg, Polizeirecht a. a. O. S. 266). Die Frage ent-
stand nun, ob die Landespolizei das Recht habe, durch ihre Maßregeln
den Widerstand der Bauernschaften zu brechen. Und hier kam man zu
dem juristisch eigenthümlichen Resultate, "daß kein Machtspruch des
Landesherrn bloß wegen der Gemeinnützigkeit der Aufhebung der Ge-
meinheit, und eben so wenig der Beifall, den er der Stimmenmehrheit,
die hier nicht gilt, etwa geben möchte, für die Aufhebung der Ge-
meinheit entscheiden," sondern nur "der wahre Nothstand als Erhaltung
des Staats" (Berg a. a. O. S. 272). Zugleich aber "kann, wenn
ein oder das andere Gemeindemitglied ohne erhebliche Ursache (?) seine
Einwilligung verweigert, diese nach vorgängiger Untersuchung aus
landesherrlicher Macht ergänzt werden." Dieser letzte Satz war das
Resultat eines längern juristischen Kampfes, den Runde in seinem
"Rechtsgutachten, im Namen des Göttingischen Spruch-Collegii, ab-
gefaßt im Jahr 1797," zum Abschluß brachte (s. Dessen Beiträge zur
Erläuterung rechtlicher Gegenstände Bd. I. N. 1), und daß daher "das
Amt der landwirthschaftlichen Polizei sich darauf beschränkt, die Vor-
theile der Gemeinheitstheilung allgemein bekannt zu machen, die Ge-
meinden dazu zu ermahnen und durch Belohnungen und zeitliche Befreiung
von Abgaben aufzumuntern (Berg a. a. O. S. 272). Offenbar war

zur Cultur, jedoch nicht zum Eigenthum, unbedenklich eingeräumt
werden;“ ſo hatte ſchon das bayriſche Culturmandat von 1723 jeder-
mann eingeladen, die als „Staatseigenthum“ erklärten öden Strecken
in Beſitz zu nehmen und urbar zu machen (Roſcher a. a. O. §. 81,
Note 1); ganz ähnlich die badiſche Geſetzgebung (Willich, Auszug VI.
604, 605. Berg, Polizeirecht 3. Bd. S. 267). Allein dabei galt denn
doch erſtlich als Grundſatz, daß „wohlerworbene und hergebrachte Ge-
rechtſame, die die Unterthanen ohne weſentlichen Nachtheil ihres Wohl-
ſtandes und Behuf ihres Haushaltes nicht wohl entrathen können,“
nicht einſeitig aufgehoben werden ſollen (kurbraunſchweigiſche
Verordnung
, wie in Landesökonomie-Angelegenheiten zu verfahren,
vom 22. Nov. 1768, §. 2; hannover’ſcher Landtagsabſchied Art. 18;
bei Berg a. a. O. S. 266—267). Wenn aber dennoch das Landes-
intereſſe eine ſolche Entziehung für öffentliche Zwecke nothwendig mache,
ſo ſoll „die Landesherrſchaft der Sache ſelbſt ſich unterziehen und die
Eigenthümer verhältnißmäßig entſchädigen“ (Moſer, die Landeshoheit
in Anſehung Erde und Waſſers S. 165, 166). Offenbar war es nun
ſchwer, in dieſem Gegenſatz zwiſchen Einzelrecht und öffentlichem Intereſſe
die rechte Grenze zu finden, denn zu den Schwierigkeiten der Sache an
ſich kam „nicht ſelten die zur andern Natur gewordene Gewohnheit des
Landmannes, ſolche Gemeindegüter auf eine unwirthſchaftliche Art zu
gebrauchen“ (Berg, Polizeirecht a. a. O. S. 266). Die Frage ent-
ſtand nun, ob die Landespolizei das Recht habe, durch ihre Maßregeln
den Widerſtand der Bauernſchaften zu brechen. Und hier kam man zu
dem juriſtiſch eigenthümlichen Reſultate, „daß kein Machtſpruch des
Landesherrn bloß wegen der Gemeinnützigkeit der Aufhebung der Ge-
meinheit, und eben ſo wenig der Beifall, den er der Stimmenmehrheit,
die hier nicht gilt, etwa geben möchte, für die Aufhebung der Ge-
meinheit entſcheiden,“ ſondern nur „der wahre Nothſtand als Erhaltung
des Staats“ (Berg a. a. O. S. 272). Zugleich aber „kann, wenn
ein oder das andere Gemeindemitglied ohne erhebliche Urſache (?) ſeine
Einwilligung verweigert, dieſe nach vorgängiger Unterſuchung aus
landesherrlicher Macht ergänzt werden.“ Dieſer letzte Satz war das
Reſultat eines längern juriſtiſchen Kampfes, den Runde in ſeinem
„Rechtsgutachten, im Namen des Göttingiſchen Spruch-Collegii, ab-
gefaßt im Jahr 1797,“ zum Abſchluß brachte (ſ. Deſſen Beiträge zur
Erläuterung rechtlicher Gegenſtände Bd. I. N. 1), und daß daher „das
Amt der landwirthſchaftlichen Polizei ſich darauf beſchränkt, die Vor-
theile der Gemeinheitstheilung allgemein bekannt zu machen, die Ge-
meinden dazu zu ermahnen und durch Belohnungen und zeitliche Befreiung
von Abgaben aufzumuntern (Berg a. a. O. S. 272). Offenbar war

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[283/0301] zur Cultur, jedoch nicht zum Eigenthum, unbedenklich eingeräumt werden;“ ſo hatte ſchon das bayriſche Culturmandat von 1723 jeder- mann eingeladen, die als „Staatseigenthum“ erklärten öden Strecken in Beſitz zu nehmen und urbar zu machen (Roſcher a. a. O. §. 81, Note 1); ganz ähnlich die badiſche Geſetzgebung (Willich, Auszug VI. 604, 605. Berg, Polizeirecht 3. Bd. S. 267). Allein dabei galt denn doch erſtlich als Grundſatz, daß „wohlerworbene und hergebrachte Ge- rechtſame, die die Unterthanen ohne weſentlichen Nachtheil ihres Wohl- ſtandes und Behuf ihres Haushaltes nicht wohl entrathen können,“ nicht einſeitig aufgehoben werden ſollen (kurbraunſchweigiſche Verordnung, wie in Landesökonomie-Angelegenheiten zu verfahren, vom 22. Nov. 1768, §. 2; hannover’ſcher Landtagsabſchied Art. 18; bei Berg a. a. O. S. 266—267). Wenn aber dennoch das Landes- intereſſe eine ſolche Entziehung für öffentliche Zwecke nothwendig mache, ſo ſoll „die Landesherrſchaft der Sache ſelbſt ſich unterziehen und die Eigenthümer verhältnißmäßig entſchädigen“ (Moſer, die Landeshoheit in Anſehung Erde und Waſſers S. 165, 166). Offenbar war es nun ſchwer, in dieſem Gegenſatz zwiſchen Einzelrecht und öffentlichem Intereſſe die rechte Grenze zu finden, denn zu den Schwierigkeiten der Sache an ſich kam „nicht ſelten die zur andern Natur gewordene Gewohnheit des Landmannes, ſolche Gemeindegüter auf eine unwirthſchaftliche Art zu gebrauchen“ (Berg, Polizeirecht a. a. O. S. 266). Die Frage ent- ſtand nun, ob die Landespolizei das Recht habe, durch ihre Maßregeln den Widerſtand der Bauernſchaften zu brechen. Und hier kam man zu dem juriſtiſch eigenthümlichen Reſultate, „daß kein Machtſpruch des Landesherrn bloß wegen der Gemeinnützigkeit der Aufhebung der Ge- meinheit, und eben ſo wenig der Beifall, den er der Stimmenmehrheit, die hier nicht gilt, etwa geben möchte, für die Aufhebung der Ge- meinheit entſcheiden,“ ſondern nur „der wahre Nothſtand als Erhaltung des Staats“ (Berg a. a. O. S. 272). Zugleich aber „kann, wenn ein oder das andere Gemeindemitglied ohne erhebliche Urſache (?) ſeine Einwilligung verweigert, dieſe nach vorgängiger Unterſuchung aus landesherrlicher Macht ergänzt werden.“ Dieſer letzte Satz war das Reſultat eines längern juriſtiſchen Kampfes, den Runde in ſeinem „Rechtsgutachten, im Namen des Göttingiſchen Spruch-Collegii, ab- gefaßt im Jahr 1797,“ zum Abſchluß brachte (ſ. Deſſen Beiträge zur Erläuterung rechtlicher Gegenſtände Bd. I. N. 1), und daß daher „das Amt der landwirthſchaftlichen Polizei ſich darauf beſchränkt, die Vor- theile der Gemeinheitstheilung allgemein bekannt zu machen, die Ge- meinden dazu zu ermahnen und durch Belohnungen und zeitliche Befreiung von Abgaben aufzumuntern (Berg a. a. O. S. 272). Offenbar war

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/301>, abgerufen am 21.11.2024.