des Vertrages und die Natur des ganz speciellen Gebrauches und bildet aus beiden das Recht der Servituten. Eben so folgt, daß jede einzelne und alle Servituten als Gesammtheit ohne irgend eine weitere Folge, die über die Rechtssphäre der Betheiligten hinausginge, aufgehoben oder geändert werden können. Es ist daher dem römischen Recht an und für sich undenkbar, daß die Gesetzgebung solche Servituten auf- heben oder verbieten sollte; sie sind eine einfache Erscheinung des freien Verkehrs zwischen freien und gleichen Individuen. Der Begriff der römischen servitus schließt daher jeden Begriff der Ablösung aus; weder der Gedanke noch das Wort können im corpus juris vor- kommen; ja man würde die "Ablösung" eben so wenig ins Lateinische übersetzen können, wie das "Lehen" oder die "Grundentlastung."
Die germanisch und deutsch-rechtliche Dienstbarkeit im weiteren Sinne ist dagegen ein Rechtsverhältniß zwischen Grundstücken und Per- sonen, das entweder durch die Klassenverhältnisse der Geschlechterordnung oder durch die Abtheilungen der Ständeordnung erzeugt wird, und daher ohne Zuthun des Einzelnen entweder aus dem bevorrechteten grundherrlichen Besitz oder der bevorrechteten ständischen Körperschaft (Kirche, Zunft etc.) hervorgeht. Der Grund und Inhalt dieser Dienstbar- keiten im weiteren Sinne ruhen daher nicht auf einem Vertrage, denn es gibt keinen Vertrag, aus dem die Grundherrlichkeit oder die Zunft hervorgegangen wäre, sondern auf der bestimmten Gestalt der Gesell- schaft, indem sie die Ober- und Unterordnung, den gesellschaftlichen Unterschied, im Gebiete des Besitzes und Erwerbes fortsetzen, und ihr damit Natur und Form eines Privatrechts, eventuell eines durch den Einzelnen gegen den Einzelnen geltend zu machenden Rechtes geben. Die Beseitigung dieser Rechte ist daher keineswegs eine Angelegenheit, die zwischen einzelnen Contrahenten abgeschlossen werden könnte, sondern sie ist eine Angelegenheit der ganzen Gesellschaftsordnung. Die Dienst- barkeit und das Bann- und Zunftrecht sind in diesem Sinne selbst- verständlich, denn sie sind mit der größeren Thatsache, der Gesellschafts- ordnung, von selbst gegeben. Ihr Rechtsgrund ist diese Ordnung selbst. Die Betheiligten können sie daher auch gar nicht auflösen, weil eine solche Auflösung das Princip der gesellschaftlichen Ordnung selbst er- schüttern, eine Verletzung oder Bedrohung der mit den Aufhebenden auf gleicher hoher socialer Stufe Stehenden sein würde. Es war gar nicht denkbar, daß die Zünfte die Arbeit Einzelner, oder daß die Geschlechter jede Dienstbarkeit des Bauern hätten beseitigen können; denn auch die socialen Ordnungen können nicht gegen die eigene Natur handeln. Das Juristenrecht dieser Dienstbarkeiten war daher nie die Untersuchung des Rechts- oder Entstehungstitels solcher Rechte, sondern
des Vertrages und die Natur des ganz ſpeciellen Gebrauches und bildet aus beiden das Recht der Servituten. Eben ſo folgt, daß jede einzelne und alle Servituten als Geſammtheit ohne irgend eine weitere Folge, die über die Rechtsſphäre der Betheiligten hinausginge, aufgehoben oder geändert werden können. Es iſt daher dem römiſchen Recht an und für ſich undenkbar, daß die Geſetzgebung ſolche Servituten auf- heben oder verbieten ſollte; ſie ſind eine einfache Erſcheinung des freien Verkehrs zwiſchen freien und gleichen Individuen. Der Begriff der römiſchen servitus ſchließt daher jeden Begriff der Ablöſung aus; weder der Gedanke noch das Wort können im corpus juris vor- kommen; ja man würde die „Ablöſung“ eben ſo wenig ins Lateiniſche überſetzen können, wie das „Lehen“ oder die „Grundentlaſtung.“
Die germaniſch und deutſch-rechtliche Dienſtbarkeit im weiteren Sinne iſt dagegen ein Rechtsverhältniß zwiſchen Grundſtücken und Per- ſonen, das entweder durch die Klaſſenverhältniſſe der Geſchlechterordnung oder durch die Abtheilungen der Ständeordnung erzeugt wird, und daher ohne Zuthun des Einzelnen entweder aus dem bevorrechteten grundherrlichen Beſitz oder der bevorrechteten ſtändiſchen Körperſchaft (Kirche, Zunft ꝛc.) hervorgeht. Der Grund und Inhalt dieſer Dienſtbar- keiten im weiteren Sinne ruhen daher nicht auf einem Vertrage, denn es gibt keinen Vertrag, aus dem die Grundherrlichkeit oder die Zunft hervorgegangen wäre, ſondern auf der beſtimmten Geſtalt der Geſell- ſchaft, indem ſie die Ober- und Unterordnung, den geſellſchaftlichen Unterſchied, im Gebiete des Beſitzes und Erwerbes fortſetzen, und ihr damit Natur und Form eines Privatrechts, eventuell eines durch den Einzelnen gegen den Einzelnen geltend zu machenden Rechtes geben. Die Beſeitigung dieſer Rechte iſt daher keineswegs eine Angelegenheit, die zwiſchen einzelnen Contrahenten abgeſchloſſen werden könnte, ſondern ſie iſt eine Angelegenheit der ganzen Geſellſchaftsordnung. Die Dienſt- barkeit und das Bann- und Zunftrecht ſind in dieſem Sinne ſelbſt- verſtändlich, denn ſie ſind mit der größeren Thatſache, der Geſellſchafts- ordnung, von ſelbſt gegeben. Ihr Rechtsgrund iſt dieſe Ordnung ſelbſt. Die Betheiligten können ſie daher auch gar nicht auflöſen, weil eine ſolche Auflöſung das Princip der geſellſchaftlichen Ordnung ſelbſt er- ſchüttern, eine Verletzung oder Bedrohung der mit den Aufhebenden auf gleicher hoher ſocialer Stufe Stehenden ſein würde. Es war gar nicht denkbar, daß die Zünfte die Arbeit Einzelner, oder daß die Geſchlechter jede Dienſtbarkeit des Bauern hätten beſeitigen können; denn auch die ſocialen Ordnungen können nicht gegen die eigene Natur handeln. Das Juriſtenrecht dieſer Dienſtbarkeiten war daher nie die Unterſuchung des Rechts- oder Entſtehungstitels ſolcher Rechte, ſondern
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des Vertrages und die Natur des ganz ſpeciellen Gebrauches und bildet
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und alle Servituten als Geſammtheit ohne irgend eine weitere Folge,
die über die Rechtsſphäre der Betheiligten hinausginge, aufgehoben
oder geändert werden können. Es iſt daher dem römiſchen Recht an
und für ſich undenkbar, daß die Geſetzgebung ſolche Servituten auf-
heben oder verbieten ſollte; ſie ſind eine einfache Erſcheinung des freien
Verkehrs zwiſchen freien und gleichen Individuen. Der Begriff der
römiſchen servitus ſchließt daher jeden Begriff der Ablöſung
aus; weder der Gedanke noch das Wort können im corpus juris vor-
kommen; ja man würde die „Ablöſung“ eben ſo wenig ins Lateiniſche
überſetzen können, wie das „Lehen“ oder die „Grundentlaſtung.“
Die germaniſch und deutſch-rechtliche Dienſtbarkeit im weiteren
Sinne iſt dagegen ein Rechtsverhältniß zwiſchen Grundſtücken und Per-
ſonen, das entweder durch die Klaſſenverhältniſſe der Geſchlechterordnung
oder durch die Abtheilungen der Ständeordnung erzeugt wird, und
daher ohne Zuthun des Einzelnen entweder aus dem bevorrechteten
grundherrlichen Beſitz oder der bevorrechteten ſtändiſchen Körperſchaft
(Kirche, Zunft ꝛc.) hervorgeht. Der Grund und Inhalt dieſer Dienſtbar-
keiten im weiteren Sinne ruhen daher nicht auf einem Vertrage, denn
es gibt keinen Vertrag, aus dem die Grundherrlichkeit oder die Zunft
hervorgegangen wäre, ſondern auf der beſtimmten Geſtalt der Geſell-
ſchaft, indem ſie die Ober- und Unterordnung, den geſellſchaftlichen
Unterſchied, im Gebiete des Beſitzes und Erwerbes fortſetzen, und ihr
damit Natur und Form eines Privatrechts, eventuell eines durch den
Einzelnen gegen den Einzelnen geltend zu machenden Rechtes geben.
Die Beſeitigung dieſer Rechte iſt daher keineswegs eine Angelegenheit,
die zwiſchen einzelnen Contrahenten abgeſchloſſen werden könnte, ſondern
ſie iſt eine Angelegenheit der ganzen Geſellſchaftsordnung. Die Dienſt-
barkeit und das Bann- und Zunftrecht ſind in dieſem Sinne ſelbſt-
verſtändlich, denn ſie ſind mit der größeren Thatſache, der Geſellſchafts-
ordnung, von ſelbſt gegeben. Ihr Rechtsgrund iſt dieſe Ordnung ſelbſt.
Die Betheiligten können ſie daher auch gar nicht auflöſen, weil eine
ſolche Auflöſung das Princip der geſellſchaftlichen Ordnung ſelbſt er-
ſchüttern, eine Verletzung oder Bedrohung der mit den Aufhebenden
auf gleicher hoher ſocialer Stufe Stehenden ſein würde. Es war
gar nicht denkbar, daß die Zünfte die Arbeit Einzelner, oder daß die
Geſchlechter jede Dienſtbarkeit des Bauern hätten beſeitigen können;
denn auch die ſocialen Ordnungen können nicht gegen die eigene Natur
handeln. Das Juriſtenrecht dieſer Dienſtbarkeiten war daher nie die
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/258>, abgerufen am 25.11.2024.
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