bleibt, sondern daß sie in Princip und Ausführung ganz und gar auf dem Standpunkt des vorigen Jahrhunderts steht. Einen merkwürdigen Eindruck macht es, wenn man in unserer Zeit den para- graphirten, sonst so hoch achtbaren Codex des deutschen Staats- und Bundesrechts von Klüber (1. Auflage 1822, 4. 1840) mit dem vergleicht, was Fischer 1785 über die Erbgerichtsbarkeit a. a. O. sagt. Da ist dieselbe bei dem ersteren wie bei dem letzteren "eine dingliche Be- fugniß, die der Gerichtsherr im eigenen Namen, bei gehöriger Quali- fikation auch in Person verwaltet, als eigenthümliches, immerwährendes Vorrecht; sie ist (auch noch nach 1840) veräußerlich; begränzt wird sie durch die höchste Aufsicht; jedoch derjenigen Gerichtsbarkeit, welche dem Standesherrn zusteht, sind meist wieder enge Gränzen gesetzt" (§. 368. 369). Den Patrimonialgerichtsherrn betrachtet man wie eine Art Orts- oder Unterobrigkeit, seine Dienstherrschaft als "Gerichts- und Orts- polizeiherrschaft" (§. 370). Die Quellen für die Competenz, die Klüber ziemlich ausführlich mittheilt, sind eben deßhalb ausschließlich aus der Literatur des vorigen Jahrhunderts gebildet (ebd.). Da darf uns dann freilich die Klage Sugenheims (S. 473--474) nicht wundern, daß sie es war, welche "einen sehr wesentlichen Theil der Schuld der Langsamkeit des Ablösungsverfahrens trug;" denn freilich konnte sie sich keinen Augenblick verhehlen, daß sie selbst durch die voll- zogene Ablösung sich selbst unmöglich machte. Denn nur die beschränkte rein nationalökonomische Ansicht konnte die naive Meinung erzeugen, die wir in den bedeutendsten Lehrbüchern wieder finden, daß es genüge, den wirthschaftlichen Vortheil der Entlastung auch für den Grundherrn nachzuweisen, um denselben für die freiwillige Ablösung zu bestimmen. Welchen Werth für den Herrschenden die Herrschaft als solche hat, das freilich ließ sich in keine volkswirthschaftliche Berechnung aufnehmen. Aber betrachtet man die Verhältnisse von diesem allgemeinen Stand- punkt, so erklärt sich nunmehr auch leicht die letzte Thatsache, daß nämlich Deutschland es bis zu 1848 zu keiner rechten Gemeinde- verfassung, ja nicht einmal zu einem formalen Begriff der Gemeinde bringen konnte (vgl. Vollziehende Gewalt: Selbstverwaltungskörper). In der That sind Gemeinden ohne Eigenthum der Bauern gar nicht möglich; wie viel weniger bei dem Fortbestand der Patrimonialjuris- diktion! Und wie konnte der Gedanke der Selbstverwaltung in einem Lande Raum finden, wo die Polizei und das Gericht nicht einmal dem Staate, geschweige denn dem freien Staatsbürgerthum gehörte!
Ueberblickt man nun von dieser Grundlage die Reste der Ge- schlechterordnung in Deutschland in der Zeit von 1800 bis 1848, so ist es ganz unmöglich, ein vollständiges und für alle Theile genügendes
bleibt, ſondern daß ſie in Princip und Ausführung ganz und gar auf dem Standpunkt des vorigen Jahrhunderts ſteht. Einen merkwürdigen Eindruck macht es, wenn man in unſerer Zeit den para- graphirten, ſonſt ſo hoch achtbaren Codex des deutſchen Staats- und Bundesrechts von Klüber (1. Auflage 1822, 4. 1840) mit dem vergleicht, was Fiſcher 1785 über die Erbgerichtsbarkeit a. a. O. ſagt. Da iſt dieſelbe bei dem erſteren wie bei dem letzteren „eine dingliche Be- fugniß, die der Gerichtsherr im eigenen Namen, bei gehöriger Quali- fikation auch in Perſon verwaltet, als eigenthümliches, immerwährendes Vorrecht; ſie iſt (auch noch nach 1840) veräußerlich; begränzt wird ſie durch die höchſte Aufſicht; jedoch derjenigen Gerichtsbarkeit, welche dem Standesherrn zuſteht, ſind meiſt wieder enge Gränzen geſetzt“ (§. 368. 369). Den Patrimonialgerichtsherrn betrachtet man wie eine Art Orts- oder Unterobrigkeit, ſeine Dienſtherrſchaft als „Gerichts- und Orts- polizeiherrſchaft“ (§. 370). Die Quellen für die Competenz, die Klüber ziemlich ausführlich mittheilt, ſind eben deßhalb ausſchließlich aus der Literatur des vorigen Jahrhunderts gebildet (ebd.). Da darf uns dann freilich die Klage Sugenheims (S. 473—474) nicht wundern, daß ſie es war, welche „einen ſehr weſentlichen Theil der Schuld der Langſamkeit des Ablöſungsverfahrens trug;“ denn freilich konnte ſie ſich keinen Augenblick verhehlen, daß ſie ſelbſt durch die voll- zogene Ablöſung ſich ſelbſt unmöglich machte. Denn nur die beſchränkte rein nationalökonomiſche Anſicht konnte die naive Meinung erzeugen, die wir in den bedeutendſten Lehrbüchern wieder finden, daß es genüge, den wirthſchaftlichen Vortheil der Entlaſtung auch für den Grundherrn nachzuweiſen, um denſelben für die freiwillige Ablöſung zu beſtimmen. Welchen Werth für den Herrſchenden die Herrſchaft als ſolche hat, das freilich ließ ſich in keine volkswirthſchaftliche Berechnung aufnehmen. Aber betrachtet man die Verhältniſſe von dieſem allgemeinen Stand- punkt, ſo erklärt ſich nunmehr auch leicht die letzte Thatſache, daß nämlich Deutſchland es bis zu 1848 zu keiner rechten Gemeinde- verfaſſung, ja nicht einmal zu einem formalen Begriff der Gemeinde bringen konnte (vgl. Vollziehende Gewalt: Selbſtverwaltungskörper). In der That ſind Gemeinden ohne Eigenthum der Bauern gar nicht möglich; wie viel weniger bei dem Fortbeſtand der Patrimonialjuris- diktion! Und wie konnte der Gedanke der Selbſtverwaltung in einem Lande Raum finden, wo die Polizei und das Gericht nicht einmal dem Staate, geſchweige denn dem freien Staatsbürgerthum gehörte!
Ueberblickt man nun von dieſer Grundlage die Reſte der Ge- ſchlechterordnung in Deutſchland in der Zeit von 1800 bis 1848, ſo iſt es ganz unmöglich, ein vollſtändiges und für alle Theile genügendes
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graphirten, ſonſt ſo hoch achtbaren Codex des deutſchen Staats- und
Bundesrechts von Klüber (1. Auflage 1822, 4. 1840) mit dem
vergleicht, was Fiſcher 1785 über die Erbgerichtsbarkeit a. a. O. ſagt.
Da iſt dieſelbe bei dem erſteren wie bei dem letzteren „eine dingliche Be-
fugniß, die der Gerichtsherr im eigenen Namen, bei gehöriger Quali-
fikation auch in Perſon verwaltet, als eigenthümliches, immerwährendes
Vorrecht; ſie iſt (auch noch nach 1840) veräußerlich; begränzt wird ſie
durch die höchſte Aufſicht; jedoch derjenigen Gerichtsbarkeit, welche dem
Standesherrn zuſteht, ſind meiſt wieder enge Gränzen geſetzt“ (§. 368.
369). Den Patrimonialgerichtsherrn betrachtet man wie eine Art Orts-
oder Unterobrigkeit, ſeine Dienſtherrſchaft als „Gerichts- und Orts-
polizeiherrſchaft“ (§. 370). Die Quellen für die Competenz, die
Klüber ziemlich ausführlich mittheilt, ſind eben deßhalb ausſchließlich
aus der Literatur des vorigen Jahrhunderts gebildet (ebd.).
Da darf uns dann freilich die Klage Sugenheims (S. 473—474)
nicht wundern, daß ſie es war, welche „einen ſehr weſentlichen Theil
der Schuld der Langſamkeit des Ablöſungsverfahrens trug;“ denn freilich
konnte ſie ſich keinen Augenblick verhehlen, daß ſie ſelbſt durch die voll-
zogene Ablöſung ſich ſelbſt unmöglich machte. Denn nur die beſchränkte
rein nationalökonomiſche Anſicht konnte die naive Meinung erzeugen,
die wir in den bedeutendſten Lehrbüchern wieder finden, daß es genüge,
den wirthſchaftlichen Vortheil der Entlaſtung auch für den Grundherrn
nachzuweiſen, um denſelben für die freiwillige Ablöſung zu beſtimmen.
Welchen Werth für den Herrſchenden die Herrſchaft als ſolche hat, das
freilich ließ ſich in keine volkswirthſchaftliche Berechnung aufnehmen.
Aber betrachtet man die Verhältniſſe von dieſem allgemeinen Stand-
punkt, ſo erklärt ſich nunmehr auch leicht die letzte Thatſache, daß
nämlich Deutſchland es bis zu 1848 zu keiner rechten Gemeinde-
verfaſſung, ja nicht einmal zu einem formalen Begriff der Gemeinde
bringen konnte (vgl. Vollziehende Gewalt: Selbſtverwaltungskörper).
In der That ſind Gemeinden ohne Eigenthum der Bauern gar nicht
möglich; wie viel weniger bei dem Fortbeſtand der Patrimonialjuris-
diktion! Und wie konnte der Gedanke der Selbſtverwaltung in einem
Lande Raum finden, wo die Polizei und das Gericht nicht einmal dem
Staate, geſchweige denn dem freien Staatsbürgerthum gehörte!
Ueberblickt man nun von dieſer Grundlage die Reſte der Ge-
ſchlechterordnung in Deutſchland in der Zeit von 1800 bis 1848, ſo
iſt es ganz unmöglich, ein vollſtändiges und für alle Theile genügendes
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/225>, abgerufen am 23.11.2024.
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