Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.den Grundherrn -- was auch Fischer nicht klar wird. Denn jede der Jetzt kam das römische Recht. Für das römische Recht gibt es den Grundherrn — was auch Fiſcher nicht klar wird. Denn jede der Jetzt kam das römiſche Recht. Für das römiſche Recht gibt es <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0213" n="195"/> den Grundherrn — was auch Fiſcher nicht klar wird. Denn jede der<lb/> einzelnen Klaſſen der Geſellſchaft hatte daneben wieder ihr beſonderes<lb/> Gerichtsſyſtem. Das rein ſtändiſche, dem Gerichtsſyſtem des Grund-<lb/> beſitzes der Geſchlechterordnung zur Seite ſtehende Gerichtsſyſtem der<lb/> Geiſtlichkeit, der Univerſitäten und der Zünfte und Innungen laſſen<lb/> wir hier weg; auch gehen wir nicht weiter ein auf das Gerichtsſyſtem<lb/> der herrſchenden Klaſſe. Dagegen iſt dasjenige der beherrſchten Klaſſe<lb/> vom größten Intereſſe für das, was wir die „Agrarverfaſſung“ jener<lb/> Zeit nennen würden, und <hi rendition="#g">viel</hi> zu wenig für das Verſtändniß derſelben<lb/> benützt. Die Grundlage <hi rendition="#g">dieſes</hi> Theiles des früheren Gerichtsſyſtemes<lb/> des deutſchen Bauernſtandes war die Competenz für die Rechtsverhält-<lb/> niſſe der Mitglieder derſelben Klaſſe in ihren Streitigkeiten <hi rendition="#g">unterein-<lb/> ander</hi>. In der That hatte jede <hi rendition="#g">Bauernklaſſe</hi>, ihre Verſchiedenheit<lb/> mochte nun auf der beſonderen Art des Pachtcontractes oder auf<lb/> der Beſchaffenheit oder Benennung ihrer Abgaben beruhen, ihre eigen-<lb/> thümlichen Gerichte“ (§. 118). So gab es Meierdinge, Märkerdinge,<lb/> Hegegerichte, Zeidelgerichte, Laetgerichte, Hofgedinge, Dinghöfe, Erb-<lb/> fallgerichte, Cour-, Erb- und Leibgewinnsgerichte, und gewiß noch<lb/> eine Menge anderer Namen und Competenzen (§. 121—123). Da die<lb/> deutſche Rechtsgeſchichte mit dem dreißigjährigen Kriege ſchließt, ſo hat<lb/> ſie von dieſen Dingen keine Notiz genommen — hat doch nicht einmal<lb/> Runde ſie berückſichtigt, und Eichhorn ſogar die <hi rendition="#g">ganze</hi> Patrimonial-<lb/> gerichtsbarkeit weggelaſſen! Das große Princip jenes Syſtems von<lb/> Gerichten iſt aber, daß ſie die <hi rendition="#g">Rechtsunterſchiede</hi> der Klaſſen der<lb/> Geſellſchaft in ihren Namen, Formen und Competenzen zum Inhalt<lb/> des öffentlichen Rechts machen, obwohl ſie nur Unterſchiede des Eigen-<lb/> thums an Grund und Boden ſind, und ſomit das gemeinſame Rechts-<lb/> bewußtſein der Nation durch eine unüberſehbare Zerſtückelung der Rechts-<lb/> funktion tödteten. Der Begriff und das Weſen des Rechts ging in<lb/> lauter Rechten unter, und jede Verſchmelzung der Klaſſen wurde durch<lb/> dieſe Gerichte ſchon an und für ſich zu einem Unrecht.</p><lb/> <p>Jetzt kam das römiſche Recht. Für das römiſche Recht gibt es<lb/><hi rendition="#g">keinen</hi> Unterſchied des Rechts. Vor dem römiſchen Rechte ſind alle<lb/> Staatsangehrigen <hi rendition="#g">gleich</hi>. Die Unterſchiede in Laſten und Forderungen<lb/> begründen allerdings eine Verſchiedenheit der Rechtstitel, aber weder<lb/> einen Unterſchied in dem Perſonenrecht, noch in der Competenz. Vom<lb/> Standpunkt des römiſchen Rechts iſt es ein Unding, um eines beſondern<lb/> Anſpruches willen ein beſonderes Gericht für berechtigt zu halten. Die<lb/> neuen „Beamteten“ aber waren römiſche Juriſten. Sie waren daher<lb/> principiell die Vertreter der Gleichheit vor dem Recht, und daher auch<lb/> die natürlichen Vertreter des <hi rendition="#g">einfachen Gerichtsſyſtems</hi>, das <hi rendition="#g">ohne</hi><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [195/0213]
den Grundherrn — was auch Fiſcher nicht klar wird. Denn jede der
einzelnen Klaſſen der Geſellſchaft hatte daneben wieder ihr beſonderes
Gerichtsſyſtem. Das rein ſtändiſche, dem Gerichtsſyſtem des Grund-
beſitzes der Geſchlechterordnung zur Seite ſtehende Gerichtsſyſtem der
Geiſtlichkeit, der Univerſitäten und der Zünfte und Innungen laſſen
wir hier weg; auch gehen wir nicht weiter ein auf das Gerichtsſyſtem
der herrſchenden Klaſſe. Dagegen iſt dasjenige der beherrſchten Klaſſe
vom größten Intereſſe für das, was wir die „Agrarverfaſſung“ jener
Zeit nennen würden, und viel zu wenig für das Verſtändniß derſelben
benützt. Die Grundlage dieſes Theiles des früheren Gerichtsſyſtemes
des deutſchen Bauernſtandes war die Competenz für die Rechtsverhält-
niſſe der Mitglieder derſelben Klaſſe in ihren Streitigkeiten unterein-
ander. In der That hatte jede Bauernklaſſe, ihre Verſchiedenheit
mochte nun auf der beſonderen Art des Pachtcontractes oder auf
der Beſchaffenheit oder Benennung ihrer Abgaben beruhen, ihre eigen-
thümlichen Gerichte“ (§. 118). So gab es Meierdinge, Märkerdinge,
Hegegerichte, Zeidelgerichte, Laetgerichte, Hofgedinge, Dinghöfe, Erb-
fallgerichte, Cour-, Erb- und Leibgewinnsgerichte, und gewiß noch
eine Menge anderer Namen und Competenzen (§. 121—123). Da die
deutſche Rechtsgeſchichte mit dem dreißigjährigen Kriege ſchließt, ſo hat
ſie von dieſen Dingen keine Notiz genommen — hat doch nicht einmal
Runde ſie berückſichtigt, und Eichhorn ſogar die ganze Patrimonial-
gerichtsbarkeit weggelaſſen! Das große Princip jenes Syſtems von
Gerichten iſt aber, daß ſie die Rechtsunterſchiede der Klaſſen der
Geſellſchaft in ihren Namen, Formen und Competenzen zum Inhalt
des öffentlichen Rechts machen, obwohl ſie nur Unterſchiede des Eigen-
thums an Grund und Boden ſind, und ſomit das gemeinſame Rechts-
bewußtſein der Nation durch eine unüberſehbare Zerſtückelung der Rechts-
funktion tödteten. Der Begriff und das Weſen des Rechts ging in
lauter Rechten unter, und jede Verſchmelzung der Klaſſen wurde durch
dieſe Gerichte ſchon an und für ſich zu einem Unrecht.
Jetzt kam das römiſche Recht. Für das römiſche Recht gibt es
keinen Unterſchied des Rechts. Vor dem römiſchen Rechte ſind alle
Staatsangehrigen gleich. Die Unterſchiede in Laſten und Forderungen
begründen allerdings eine Verſchiedenheit der Rechtstitel, aber weder
einen Unterſchied in dem Perſonenrecht, noch in der Competenz. Vom
Standpunkt des römiſchen Rechts iſt es ein Unding, um eines beſondern
Anſpruches willen ein beſonderes Gericht für berechtigt zu halten. Die
neuen „Beamteten“ aber waren römiſche Juriſten. Sie waren daher
principiell die Vertreter der Gleichheit vor dem Recht, und daher auch
die natürlichen Vertreter des einfachen Gerichtsſyſtems, das ohne
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