tüchtigen Gemeindewesens erkannte. Wir kommen auf seine großen Maß- regeln zurück. So wie dieselben aber erscheinen, so beginnt auch wieder jene einerseits naive, andrerseits leicht erklärliche Angst, daß der ganze Zustand der deutschen Gesellschaft, den theils die Geschlechterordnung -- in den Städten, selbst in den Familien als Erziehungsprincip herr- schend, auf dem Lande aber die Grundlage der ganzen bäuerlichen Rechtsverhältnisse bildend -- theils die Ständeordnung und ihre Privi- legien beherrschte, darüber zu Grunde gehen müsse. Jetzt entsteht da- her ein Suchen und Streben darnach, jene Geschlechter- und ständische Beschränkung der freien Volksentwicklung, und namentlich die Opposition der Grundherrschaft gegen die Befreiung des Bauern zu motiviren, und die ganze sociale Bewegung jener Zeit wo möglich in enge Schranken zu bannen. Wir treffen dieses Streben nur zu oft da, wo wir es am wenig- sten vermuthen. Die allgemeine Grundlage ist das, was wir die Romantik der Staatswissenschaft nennen möchten, und das den Unterschied zwischen Stadt und Land, zwischen Bürger und Bauer, der zu verschwinden droht, wissenschaftlich festhält. Namentlich der sonst so großartige Fichte steht hier ganz auf dem Standpunkt des Mittelalters. Er will nicht weniger, als eine streng gesetzliche Privilegirung aller Arten der Produktion. "Es muß einer Anzahl Bürger ausschließend das Recht zugestanden werden, gewisse Gegenstände auf eine gewisse Weise zu be- arbeiten. Das nennt man eine Zunft. Die Mißbräuche bei denselben sollten nicht sein, aber sie selbst sollten sein -- denn "der Künstler muß von seiner Arbeit leben können, laut des (früher) geführten Be- weises." Welch eine eigenthümliche Vorahnung des droit au travail! (NaturrechtII. S. 57. 58. 1796, -- Gedanken, die Fichte in seiner 1800 erschienenen, in mehr als einer Beziehung höchst interessanten Ar- beit "Der geschlossene Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre und Probe einer künftig zu liefernden Politik." (Stuttgart, Cotta) in eigenthümlicher Weise ausführte; doch hat er das ganze Gebiet dann in seiner "Staatslehre" (1800 aus seinem Nachlaß) fallen lassen. In ganz ähnlicher Weise will selbst Arthur v. Schlözer (freilich nur der Sohn seines Vaters) in seiner Schrift: Anfangsgründe der Staatswissenschaft 1807, Thl. II. 67 noch eine gesetzliche Scheidewand zwischen den Gewerben von Stadt und Land ziehen, wie Möser mit seinen Phantasien aus Osnabrück, den contrat social in jenem Winkel Europas auf den Kopf stellend, den Grundsatz zurecht machte, "daß vermöge eines Originalcontracts die Städte gewisse Leistungen über- nommen hätten, für welche ihnen als Compensationsmittel der aus- schließliche Betrieb der Manufaktur- und Fabrikgewerbe und des Handels zugeführt worden sei" (Patriotische Phantasien I. Nr. 32. S. 201).
tüchtigen Gemeindeweſens erkannte. Wir kommen auf ſeine großen Maß- regeln zurück. So wie dieſelben aber erſcheinen, ſo beginnt auch wieder jene einerſeits naive, andrerſeits leicht erklärliche Angſt, daß der ganze Zuſtand der deutſchen Geſellſchaft, den theils die Geſchlechterordnung — in den Städten, ſelbſt in den Familien als Erziehungsprincip herr- ſchend, auf dem Lande aber die Grundlage der ganzen bäuerlichen Rechtsverhältniſſe bildend — theils die Ständeordnung und ihre Privi- legien beherrſchte, darüber zu Grunde gehen müſſe. Jetzt entſteht da- her ein Suchen und Streben darnach, jene Geſchlechter- und ſtändiſche Beſchränkung der freien Volksentwicklung, und namentlich die Oppoſition der Grundherrſchaft gegen die Befreiung des Bauern zu motiviren, und die ganze ſociale Bewegung jener Zeit wo möglich in enge Schranken zu bannen. Wir treffen dieſes Streben nur zu oft da, wo wir es am wenig- ſten vermuthen. Die allgemeine Grundlage iſt das, was wir die Romantik der Staatswiſſenſchaft nennen möchten, und das den Unterſchied zwiſchen Stadt und Land, zwiſchen Bürger und Bauer, der zu verſchwinden droht, wiſſenſchaftlich feſthält. Namentlich der ſonſt ſo großartige Fichte ſteht hier ganz auf dem Standpunkt des Mittelalters. Er will nicht weniger, als eine ſtreng geſetzliche Privilegirung aller Arten der Produktion. „Es muß einer Anzahl Bürger ausſchließend das Recht zugeſtanden werden, gewiſſe Gegenſtände auf eine gewiſſe Weiſe zu be- arbeiten. Das nennt man eine Zunft. Die Mißbräuche bei denſelben ſollten nicht ſein, aber ſie ſelbſt ſollten ſein — denn „der Künſtler muß von ſeiner Arbeit leben können, laut des (früher) geführten Be- weiſes.“ Welch eine eigenthümliche Vorahnung des droit au travail! (NaturrechtII. S. 57. 58. 1796, — Gedanken, die Fichte in ſeiner 1800 erſchienenen, in mehr als einer Beziehung höchſt intereſſanten Ar- beit „Der geſchloſſene Handelsſtaat. Ein philoſophiſcher Entwurf als Anhang zur Rechtslehre und Probe einer künftig zu liefernden Politik.“ (Stuttgart, Cotta) in eigenthümlicher Weiſe ausführte; doch hat er das ganze Gebiet dann in ſeiner „Staatslehre“ (1800 aus ſeinem Nachlaß) fallen laſſen. In ganz ähnlicher Weiſe will ſelbſt Arthur v. Schlözer (freilich nur der Sohn ſeines Vaters) in ſeiner Schrift: Anfangsgründe der Staatswiſſenſchaft 1807, Thl. II. 67 noch eine geſetzliche Scheidewand zwiſchen den Gewerben von Stadt und Land ziehen, wie Möſer mit ſeinen Phantaſien aus Osnabrück, den contrat social in jenem Winkel Europas auf den Kopf ſtellend, den Grundſatz zurecht machte, „daß vermöge eines Originalcontracts die Städte gewiſſe Leiſtungen über- nommen hätten, für welche ihnen als Compenſationsmittel der aus- ſchließliche Betrieb der Manufaktur- und Fabrikgewerbe und des Handels zugeführt worden ſei“ (Patriotiſche Phantaſien I. Nr. 32. S. 201).
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tüchtigen Gemeindeweſens erkannte. Wir kommen auf ſeine großen Maß-
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jene einerſeits naive, andrerſeits leicht erklärliche Angſt, daß der ganze
Zuſtand der deutſchen Geſellſchaft, den theils die Geſchlechterordnung
— in den Städten, ſelbſt in den Familien als Erziehungsprincip herr-
ſchend, auf dem Lande aber die Grundlage der ganzen bäuerlichen
Rechtsverhältniſſe bildend — theils die Ständeordnung und ihre Privi-
legien beherrſchte, darüber zu Grunde gehen müſſe. Jetzt entſteht da-
her ein Suchen und Streben darnach, jene Geſchlechter- und ſtändiſche
Beſchränkung der freien Volksentwicklung, und namentlich die Oppoſition
der Grundherrſchaft gegen die Befreiung des Bauern zu motiviren, und
die ganze ſociale Bewegung jener Zeit wo möglich in enge Schranken zu
bannen. Wir treffen dieſes Streben nur zu oft da, wo wir es am wenig-
ſten vermuthen. Die allgemeine Grundlage iſt das, was wir die Romantik
der Staatswiſſenſchaft nennen möchten, und das den Unterſchied zwiſchen
Stadt und Land, zwiſchen Bürger und Bauer, der zu verſchwinden
droht, wiſſenſchaftlich feſthält. Namentlich der ſonſt ſo großartige Fichte
ſteht hier ganz auf dem Standpunkt des Mittelalters. Er will nicht
weniger, als eine ſtreng geſetzliche Privilegirung aller Arten der
Produktion. „Es muß einer Anzahl Bürger ausſchließend das Recht
zugeſtanden werden, gewiſſe Gegenſtände auf eine gewiſſe Weiſe zu be-
arbeiten. Das nennt man eine Zunft. Die Mißbräuche bei denſelben
ſollten nicht ſein, aber ſie ſelbſt ſollten ſein — denn „der Künſtler
muß von ſeiner Arbeit leben können, laut des (früher) geführten Be-
weiſes.“ Welch eine eigenthümliche Vorahnung des droit au travail!
(Naturrecht II. S. 57. 58. 1796, — Gedanken, die Fichte in ſeiner
1800 erſchienenen, in mehr als einer Beziehung höchſt intereſſanten Ar-
beit „Der geſchloſſene Handelsſtaat. Ein philoſophiſcher Entwurf als
Anhang zur Rechtslehre und Probe einer künftig zu liefernden Politik.“
(Stuttgart, Cotta) in eigenthümlicher Weiſe ausführte; doch hat er das
ganze Gebiet dann in ſeiner „Staatslehre“ (1800 aus ſeinem Nachlaß)
fallen laſſen. In ganz ähnlicher Weiſe will ſelbſt Arthur v. Schlözer
(freilich nur der Sohn ſeines Vaters) in ſeiner Schrift: Anfangsgründe
der Staatswiſſenſchaft 1807, Thl. II. 67 noch eine geſetzliche Scheidewand
zwiſchen den Gewerben von Stadt und Land ziehen, wie Möſer mit
ſeinen Phantaſien aus Osnabrück, den contrat social in jenem Winkel
Europas auf den Kopf ſtellend, den Grundſatz zurecht machte, „daß
vermöge eines Originalcontracts die Städte gewiſſe Leiſtungen über-
nommen hätten, für welche ihnen als Compenſationsmittel der aus-
ſchließliche Betrieb der Manufaktur- und Fabrikgewerbe und des Handels
zugeführt worden ſei“ (Patriotiſche Phantaſien I. Nr. 32. S. 201).
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/201>, abgerufen am 25.11.2024.
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