Die zweite große Kategorie der Unfreien ist diejenige, welche in persönlicher, und dadurch zugleich in wirthschaftlicher Unfreiheit standen. Diese Kategorie umfaßt der Name, der Begriff, und das Recht der Leibeigenen. Der Leibeigene ist niemals Eigenthümer irgend einer Sache, am wenigsten seines Grundstückes; er ist ein Theil des letzteren; er muß daher unbeschränkt leisten, was der Herr gebietet, und kann von ihm mit der Scholle verkauft werden; an sich ist dabei gleichgültig, in welcher Weise der Grundherr die Abgaben und Leistungen bestimmt; das Wesentliche ist, daß beide in Deutschland wie in Frank- reich für diese Klasse ungemessen sind (taillable de haut en bas); und daß es daher bei derselben auch gar nicht in Frage kommt, ob dieselben vom Gutsherrn als Lehnsherrn oder als Obrigkeit gefordert werden.
Offenbar nun sind diese beiden Kategorien an sich nicht bloß dem Maße der Leistungen, sondern eigentlich dem Princip nach verschieden; das Recht beider war ursprünglich nur ein wesentlich anderes. Allein mit dem Untergang der Reichsgewalt entsteht dann theils in der Wirk- lichkeit, theils aber auch in der ganzen gesellschaftlichen Auffassung der Gedanke, daß jene Kategorien nicht nach der Qualität, sondern nur nach der Quantität, dem Umfange ihrer Verpflichtungen nach verschieden seien. Und daran schloß sich dann der naturgemäße Proceß, der eben diese Verschiedenheit der, dem allgemeinen Rechtsprincip nach als gleich- stehend angenommenen Klassen auszugleichen, und alle Bauern in gleiche Abhängigkeit zu bringen trachtete. Die Coefficienten dieses Processes waren jetzt einfach. Der Grundherr hatte anerkannter Weise die niedere Polizei; er war die Ortsobrigkeit. Fast allenthalben hatte aber derselbe Grundherr auch die Erbgerichtsbarkeit; sie ward ihm noch im 18. Jahrhundert als ein adliches Recht anerkannt (Fischer, Ca- meral- und Polizeirecht I. §. 840--846); was Kamptz (Jahrbuch der preußischen Gesetzgebung, Heft 67, S. 236 und 271) darüber bemerkt, bezieht sich auf die spätere Zeit. Diese Gerichtsbarkeit umfaßte das ge- sammte Vermögen und das niedere Strafrecht; mithin auch alle die Fälle, in denen der Grundherr gegen die Bauern Gewalt gethan. Was daher der Grundherr als Obrigkeit forderte, das bestätigte er als Gerichts- herr. Was er im Eigeninteresse feststellte, das erkannte er selber im Gerichte als Recht. So schloß sich damit zunächst faktisch ein Cirkel, dessen Inhalt die Vollendung der Unfreiheit der Geschlechter- ordnung war. Was mit dem Auftreten der Herren begonnen, ist hier so ziemlich vollendet. Der Gedanke steht im Allgemeinen fest, daß sich die ganze Klasse der Grundbesitzer in die höhere und herrschende des Adels und die niedere fast in gleicher Rechtslosigkeit befindliche Masse
Die zweite große Kategorie der Unfreien iſt diejenige, welche in perſönlicher, und dadurch zugleich in wirthſchaftlicher Unfreiheit ſtanden. Dieſe Kategorie umfaßt der Name, der Begriff, und das Recht der Leibeigenen. Der Leibeigene iſt niemals Eigenthümer irgend einer Sache, am wenigſten ſeines Grundſtückes; er iſt ein Theil des letzteren; er muß daher unbeſchränkt leiſten, was der Herr gebietet, und kann von ihm mit der Scholle verkauft werden; an ſich iſt dabei gleichgültig, in welcher Weiſe der Grundherr die Abgaben und Leiſtungen beſtimmt; das Weſentliche iſt, daß beide in Deutſchland wie in Frank- reich für dieſe Klaſſe ungemeſſen ſind (taillable de haut en bas); und daß es daher bei derſelben auch gar nicht in Frage kommt, ob dieſelben vom Gutsherrn als Lehnsherrn oder als Obrigkeit gefordert werden.
Offenbar nun ſind dieſe beiden Kategorien an ſich nicht bloß dem Maße der Leiſtungen, ſondern eigentlich dem Princip nach verſchieden; das Recht beider war urſprünglich nur ein weſentlich anderes. Allein mit dem Untergang der Reichsgewalt entſteht dann theils in der Wirk- lichkeit, theils aber auch in der ganzen geſellſchaftlichen Auffaſſung der Gedanke, daß jene Kategorien nicht nach der Qualität, ſondern nur nach der Quantität, dem Umfange ihrer Verpflichtungen nach verſchieden ſeien. Und daran ſchloß ſich dann der naturgemäße Proceß, der eben dieſe Verſchiedenheit der, dem allgemeinen Rechtsprincip nach als gleich- ſtehend angenommenen Klaſſen auszugleichen, und alle Bauern in gleiche Abhängigkeit zu bringen trachtete. Die Coëfficienten dieſes Proceſſes waren jetzt einfach. Der Grundherr hatte anerkannter Weiſe die niedere Polizei; er war die Ortsobrigkeit. Faſt allenthalben hatte aber derſelbe Grundherr auch die Erbgerichtsbarkeit; ſie ward ihm noch im 18. Jahrhundert als ein adliches Recht anerkannt (Fiſcher, Ca- meral- und Polizeirecht I. §. 840—846); was Kamptz (Jahrbuch der preußiſchen Geſetzgebung, Heft 67, S. 236 und 271) darüber bemerkt, bezieht ſich auf die ſpätere Zeit. Dieſe Gerichtsbarkeit umfaßte das ge- ſammte Vermögen und das niedere Strafrecht; mithin auch alle die Fälle, in denen der Grundherr gegen die Bauern Gewalt gethan. Was daher der Grundherr als Obrigkeit forderte, das beſtätigte er als Gerichts- herr. Was er im Eigenintereſſe feſtſtellte, das erkannte er ſelber im Gerichte als Recht. So ſchloß ſich damit zunächſt faktiſch ein Cirkel, deſſen Inhalt die Vollendung der Unfreiheit der Geſchlechter- ordnung war. Was mit dem Auftreten der Herren begonnen, iſt hier ſo ziemlich vollendet. Der Gedanke ſteht im Allgemeinen feſt, daß ſich die ganze Klaſſe der Grundbeſitzer in die höhere und herrſchende des Adels und die niedere faſt in gleicher Rechtsloſigkeit befindliche Maſſe
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Die zweite große Kategorie der Unfreien iſt diejenige, welche in
perſönlicher, und dadurch zugleich in wirthſchaftlicher Unfreiheit
ſtanden. Dieſe Kategorie umfaßt der Name, der Begriff, und das
Recht der Leibeigenen. Der Leibeigene iſt niemals Eigenthümer
irgend einer Sache, am wenigſten ſeines Grundſtückes; er iſt ein Theil
des letzteren; er muß daher unbeſchränkt leiſten, was der Herr gebietet,
und kann von ihm mit der Scholle verkauft werden; an ſich iſt dabei
gleichgültig, in welcher Weiſe der Grundherr die Abgaben und Leiſtungen
beſtimmt; das Weſentliche iſt, daß beide in Deutſchland wie in Frank-
reich für dieſe Klaſſe ungemeſſen ſind (taillable de haut en bas);
und daß es daher bei derſelben auch gar nicht in Frage kommt, ob
dieſelben vom Gutsherrn als Lehnsherrn oder als Obrigkeit gefordert
werden.
Offenbar nun ſind dieſe beiden Kategorien an ſich nicht bloß dem
Maße der Leiſtungen, ſondern eigentlich dem Princip nach verſchieden;
das Recht beider war urſprünglich nur ein weſentlich anderes. Allein
mit dem Untergang der Reichsgewalt entſteht dann theils in der Wirk-
lichkeit, theils aber auch in der ganzen geſellſchaftlichen Auffaſſung der
Gedanke, daß jene Kategorien nicht nach der Qualität, ſondern nur
nach der Quantität, dem Umfange ihrer Verpflichtungen nach verſchieden
ſeien. Und daran ſchloß ſich dann der naturgemäße Proceß, der eben
dieſe Verſchiedenheit der, dem allgemeinen Rechtsprincip nach als gleich-
ſtehend angenommenen Klaſſen auszugleichen, und alle Bauern in
gleiche Abhängigkeit zu bringen trachtete. Die Coëfficienten dieſes
Proceſſes waren jetzt einfach. Der Grundherr hatte anerkannter Weiſe
die niedere Polizei; er war die Ortsobrigkeit. Faſt allenthalben hatte
aber derſelbe Grundherr auch die Erbgerichtsbarkeit; ſie ward ihm noch
im 18. Jahrhundert als ein adliches Recht anerkannt (Fiſcher, Ca-
meral- und Polizeirecht I. §. 840—846); was Kamptz (Jahrbuch der
preußiſchen Geſetzgebung, Heft 67, S. 236 und 271) darüber bemerkt,
bezieht ſich auf die ſpätere Zeit. Dieſe Gerichtsbarkeit umfaßte das ge-
ſammte Vermögen und das niedere Strafrecht; mithin auch alle die Fälle,
in denen der Grundherr gegen die Bauern Gewalt gethan. Was daher
der Grundherr als Obrigkeit forderte, das beſtätigte er als Gerichts-
herr. Was er im Eigenintereſſe feſtſtellte, das erkannte er ſelber im
Gerichte als Recht. So ſchloß ſich damit zunächſt faktiſch ein Cirkel,
deſſen Inhalt die Vollendung der Unfreiheit der Geſchlechter-
ordnung war. Was mit dem Auftreten der Herren begonnen, iſt hier
ſo ziemlich vollendet. Der Gedanke ſteht im Allgemeinen feſt, daß ſich
die ganze Klaſſe der Grundbeſitzer in die höhere und herrſchende des
Adels und die niedere faſt in gleicher Rechtsloſigkeit befindliche Maſſe
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/174>, abgerufen am 21.11.2024.
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