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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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ungenügender Weise bezieht. Erst das zweite Stadium, die gesetzliche
und eigentliche Grundentlastung vollendet den Befreiungsproceß der Ge-
schlechterordnung. Sie ist der Abschluß der ersten großen Epoche, und somit
der Beginn der zweiten; und diese zweite darf hier charakterisirt werden,
weil man sie noch zu vielfach in ihrer Bedeutung nicht anerkannt hat.

In der That sind nämlich alle jene vier Momente oder Stadien
der Auflösung der Geschlechterherrschaft mit ihrem Abschluß in der
Grundentlastung nur negativer Natur. Sie beseitigen Uebelstände und
Unfreiheiten. Sie sind eben deßhalb nur die Vorbereitung einer neuen
positiven Ordnung; und diese nun ist es, welche man als das wahre
und höhere Ziel jener ganzen Bewegung ins Auge fassen muß.

Im Allgemeinen ist es kein Zweifel, daß das Ergebniß dieser Be-
wegung im positiven Sinne die Herstellung der staatsbürgerlichen Ord-
nung an der Stelle der Geschlechterordnung ist. Es ist dieselbe der
Proceß, durch welchen die erstere, die innerhalb des Gebietes und der
Heimath des beweglichen Capitals und der geistigen Güter sich als
Berufs- und Gewerbefreiheit Bahn bricht, nunmehr auch auf dem Ge-
biete des unbeweglichen Capitals, des Grundbesitzes, zur völligen Herr-
schaft gelangt. Denn jede Gesellschaftsordnung ist erst dann eine fertige,
wenn sie das Recht des Grundbesitzes nach ihren Principien geordnet
hat. Nun bestand das Grundrecht der Geschlechterordnung eben in der
Grundherrlichkeit, das ist das Eigenthumsrecht des Grundherrn an
den öffentlichen Rechten und Funktionen des Staats. Indem nun die
Grundentlastung dieses Eigenthumsrecht aufhebt, fällt die öffentliche
Funktion in Finanzen, Rechtspflege und Innerem wieder an den Staat
zurück. Und damit ist denn das unmittelbare Verhältniß der ländlichen
Gemeinde zum Staat in Verfassung und Verwaltung hergestellt; die
alte grundherrliche Gemeinde ist jetzt eine Verwaltungs-
gemeinde geworden
.

So wie das feststeht, tritt nun die weitere für das gesammte
Staatsleben entscheidende Folge ein. Die Gemeinde ist jetzt ein organi-
scher Theil der vollziehenden Gewalt geworden, während unter der
Grundherrlichkeit diese örtliche vollziehende Gewalt ein Eigenthumsrecht
des Grundherrn war. Die Ordnung und das innere Recht der Ge-
meinde, bis dahin gesetzt und abhängig durch die historische Entwicklung
der Geschlechterherrschaft, werden mithin jetzt bestimmt durch den allge-
meinen Charakter des öffentlichen Rechts im Staat. Nun haben wir
in der Lehre von der vollziehenden Gewalt gezeigt, daß die Gemeinde
ihrem Wesen nach das Organ der örtlichen Selbstverwaltung ist, und
was dieselbe bedeutet. Es ist klar, daß unter der Grundherrlichkeit
keine freie Selbstverwaltung möglich ist. So wie dagegen die Grund-

ungenügender Weiſe bezieht. Erſt das zweite Stadium, die geſetzliche
und eigentliche Grundentlaſtung vollendet den Befreiungsproceß der Ge-
ſchlechterordnung. Sie iſt der Abſchluß der erſten großen Epoche, und ſomit
der Beginn der zweiten; und dieſe zweite darf hier charakteriſirt werden,
weil man ſie noch zu vielfach in ihrer Bedeutung nicht anerkannt hat.

In der That ſind nämlich alle jene vier Momente oder Stadien
der Auflöſung der Geſchlechterherrſchaft mit ihrem Abſchluß in der
Grundentlaſtung nur negativer Natur. Sie beſeitigen Uebelſtände und
Unfreiheiten. Sie ſind eben deßhalb nur die Vorbereitung einer neuen
poſitiven Ordnung; und dieſe nun iſt es, welche man als das wahre
und höhere Ziel jener ganzen Bewegung ins Auge faſſen muß.

Im Allgemeinen iſt es kein Zweifel, daß das Ergebniß dieſer Be-
wegung im poſitiven Sinne die Herſtellung der ſtaatsbürgerlichen Ord-
nung an der Stelle der Geſchlechterordnung iſt. Es iſt dieſelbe der
Proceß, durch welchen die erſtere, die innerhalb des Gebietes und der
Heimath des beweglichen Capitals und der geiſtigen Güter ſich als
Berufs- und Gewerbefreiheit Bahn bricht, nunmehr auch auf dem Ge-
biete des unbeweglichen Capitals, des Grundbeſitzes, zur völligen Herr-
ſchaft gelangt. Denn jede Geſellſchaftsordnung iſt erſt dann eine fertige,
wenn ſie das Recht des Grundbeſitzes nach ihren Principien geordnet
hat. Nun beſtand das Grundrecht der Geſchlechterordnung eben in der
Grundherrlichkeit, das iſt das Eigenthumsrecht des Grundherrn an
den öffentlichen Rechten und Funktionen des Staats. Indem nun die
Grundentlaſtung dieſes Eigenthumsrecht aufhebt, fällt die öffentliche
Funktion in Finanzen, Rechtspflege und Innerem wieder an den Staat
zurück. Und damit iſt denn das unmittelbare Verhältniß der ländlichen
Gemeinde zum Staat in Verfaſſung und Verwaltung hergeſtellt; die
alte grundherrliche Gemeinde iſt jetzt eine Verwaltungs-
gemeinde geworden
.

So wie das feſtſteht, tritt nun die weitere für das geſammte
Staatsleben entſcheidende Folge ein. Die Gemeinde iſt jetzt ein organi-
ſcher Theil der vollziehenden Gewalt geworden, während unter der
Grundherrlichkeit dieſe örtliche vollziehende Gewalt ein Eigenthumsrecht
des Grundherrn war. Die Ordnung und das innere Recht der Ge-
meinde, bis dahin geſetzt und abhängig durch die hiſtoriſche Entwicklung
der Geſchlechterherrſchaft, werden mithin jetzt beſtimmt durch den allge-
meinen Charakter des öffentlichen Rechts im Staat. Nun haben wir
in der Lehre von der vollziehenden Gewalt gezeigt, daß die Gemeinde
ihrem Weſen nach das Organ der örtlichen Selbſtverwaltung iſt, und
was dieſelbe bedeutet. Es iſt klar, daß unter der Grundherrlichkeit
keine freie Selbſtverwaltung möglich iſt. So wie dagegen die Grund-

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[105/0123] ungenügender Weiſe bezieht. Erſt das zweite Stadium, die geſetzliche und eigentliche Grundentlaſtung vollendet den Befreiungsproceß der Ge- ſchlechterordnung. Sie iſt der Abſchluß der erſten großen Epoche, und ſomit der Beginn der zweiten; und dieſe zweite darf hier charakteriſirt werden, weil man ſie noch zu vielfach in ihrer Bedeutung nicht anerkannt hat. In der That ſind nämlich alle jene vier Momente oder Stadien der Auflöſung der Geſchlechterherrſchaft mit ihrem Abſchluß in der Grundentlaſtung nur negativer Natur. Sie beſeitigen Uebelſtände und Unfreiheiten. Sie ſind eben deßhalb nur die Vorbereitung einer neuen poſitiven Ordnung; und dieſe nun iſt es, welche man als das wahre und höhere Ziel jener ganzen Bewegung ins Auge faſſen muß. Im Allgemeinen iſt es kein Zweifel, daß das Ergebniß dieſer Be- wegung im poſitiven Sinne die Herſtellung der ſtaatsbürgerlichen Ord- nung an der Stelle der Geſchlechterordnung iſt. Es iſt dieſelbe der Proceß, durch welchen die erſtere, die innerhalb des Gebietes und der Heimath des beweglichen Capitals und der geiſtigen Güter ſich als Berufs- und Gewerbefreiheit Bahn bricht, nunmehr auch auf dem Ge- biete des unbeweglichen Capitals, des Grundbeſitzes, zur völligen Herr- ſchaft gelangt. Denn jede Geſellſchaftsordnung iſt erſt dann eine fertige, wenn ſie das Recht des Grundbeſitzes nach ihren Principien geordnet hat. Nun beſtand das Grundrecht der Geſchlechterordnung eben in der Grundherrlichkeit, das iſt das Eigenthumsrecht des Grundherrn an den öffentlichen Rechten und Funktionen des Staats. Indem nun die Grundentlaſtung dieſes Eigenthumsrecht aufhebt, fällt die öffentliche Funktion in Finanzen, Rechtspflege und Innerem wieder an den Staat zurück. Und damit iſt denn das unmittelbare Verhältniß der ländlichen Gemeinde zum Staat in Verfaſſung und Verwaltung hergeſtellt; die alte grundherrliche Gemeinde iſt jetzt eine Verwaltungs- gemeinde geworden. So wie das feſtſteht, tritt nun die weitere für das geſammte Staatsleben entſcheidende Folge ein. Die Gemeinde iſt jetzt ein organi- ſcher Theil der vollziehenden Gewalt geworden, während unter der Grundherrlichkeit dieſe örtliche vollziehende Gewalt ein Eigenthumsrecht des Grundherrn war. Die Ordnung und das innere Recht der Ge- meinde, bis dahin geſetzt und abhängig durch die hiſtoriſche Entwicklung der Geſchlechterherrſchaft, werden mithin jetzt beſtimmt durch den allge- meinen Charakter des öffentlichen Rechts im Staat. Nun haben wir in der Lehre von der vollziehenden Gewalt gezeigt, daß die Gemeinde ihrem Weſen nach das Organ der örtlichen Selbſtverwaltung iſt, und was dieſelbe bedeutet. Es iſt klar, daß unter der Grundherrlichkeit keine freie Selbſtverwaltung möglich iſt. So wie dagegen die Grund-

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/123>, abgerufen am 28.04.2024.