Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.Willkür gehemmte Rechtsverwaltung die Garantie seines Eigenthums Willkür gehemmte Rechtsverwaltung die Garantie ſeines Eigenthums <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0099" n="83"/> Willkür gehemmte Rechtsverwaltung die Garantie ſeines Eigenthums<lb/> und die beruhigende Ausſicht gewährt, daß nie einer ſeiner Mitbürger<lb/><hi rendition="#g">mächtiger ſein wird, als die Geſetze</hi>; wenn billige, gleichförmige,<lb/> nach einfachen Grundſätzen geordnete, ohne Druck und Schikane er-<lb/> hobene Abgaben ihm nur ſo viel von ſeinen Einkünften entziehen, als<lb/> zur Erhaltung des Staats erforderlich iſt, und eine weiſe und gewiſſen-<lb/> hafte Adminiſtration die zweckmäßige Verwendung ſeiner Beiträge ver-<lb/> bürgt, wenn keine ungerechte oder übelverſtandene Einſchränkungen ihn<lb/> hindern, ſeine Fähigkeiten, ſeine Kenntniſſe, ſein Vermögen nach eigener<lb/> Neigung und Einſicht, nach der Idee die er ſelbſt von ſeinem Vortheil<lb/> hat, zu benutzen“ (Adam Smith!), „wenn er überdieß ſeine Gedanken<lb/> über alles, was ihn umgibt, vortragen und ſeinen Zeitgenoſſen ſogar<lb/> ſeine Irrthümer und ſeine Grillen mittheilen darf — dann iſt alles<lb/> erſchöpft, was der Menſch in der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft ſucht.<lb/> — <hi rendition="#g">Der Inbegriff dieſer Güter iſt die bürgerliche Freiheit,<lb/> die unter einer monarchiſchen Verfaſſung bis zu ihrer<lb/> höchſten Reife gedeihen kann!“ Das</hi> war der Kern der Forde-<lb/> rung nach Preßfreiheit; die letztere war nicht mehr Selbſtzweck, ſie<lb/> war nur noch Mittel dafür; wenn er jeden „Zwang“ gegen die Preſſe<lb/> bekämpft, ſo iſt das nur Conſequenz oder Vorausſetzung des Obigen,<lb/> trotz dem, daß er auch hier die Hauptangriffe gegen die Preßbeſchrän-<lb/> kung in die beiden kurzen Sätze zuſammenfaßt: „Was, ohne alle Rück-<lb/> ſicht auf andere Gründe, jedes Geſetz, welches Preßzwang gebietet,<lb/> ausſchließend und peremtoriſch verdammt, iſt der weſentliche Umſtand,<lb/> daß es nicht aufrecht gehalten werden kann. Wenn neben einem ſolchen<lb/> Geſetze nicht ein wahres Inquiſitionstribunal wacht, ſo iſt es in unſern<lb/> Tagen nicht möglich, ihm Anſehen zu verſchaffen.“ Das war ganz richtig,<lb/> aber das war nicht die Hauptſache. Das Gentziſche Sendſchreiben war<lb/> nicht weniger, als das <hi rendition="#g">ganze Programm der conſtitutionellen<lb/> Monarchie</hi>, und die Preßfreiheit war nur ein, wenn auch weſent-<lb/> liches Moment derſelben. Es iſt die Form, in der ſich das Princip<lb/> der franzöſiſchen Revolution für das deutſche Leben zuſammenfaßt; aber<lb/> für unſere Frage hat es die Bedeutung, daß es die Preßfreiheit unbe-<lb/> dingt mit dem Princip der ganzen ſtaatsbürgerlichen Freiheit verſchmolz;<lb/> dazu bedurfte man keiner Definition der erſteren und hat ſie auch nicht<lb/> geſucht. Sondern, da man noch zu einer verfaſſungsmäßigen Volks-<lb/> vertretung nicht gelangen konnte, ſo vertrat die Idee der <hi rendition="#g">Preßfreiheit<lb/> ihre Stelle</hi>, und die Beſten gaben ſich der Ueberzeugung hin, daß<lb/> ſie die erſtere theils erſetzen, theils erzeugen werde. Es war daher<lb/> natürlich, daß niemand daran dachte, von jetzt an die Preßfreiheit<lb/> zu bekämpfen; ſie ward gefordert, ohne nach ihren nothwendigen<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [83/0099]
Willkür gehemmte Rechtsverwaltung die Garantie ſeines Eigenthums
und die beruhigende Ausſicht gewährt, daß nie einer ſeiner Mitbürger
mächtiger ſein wird, als die Geſetze; wenn billige, gleichförmige,
nach einfachen Grundſätzen geordnete, ohne Druck und Schikane er-
hobene Abgaben ihm nur ſo viel von ſeinen Einkünften entziehen, als
zur Erhaltung des Staats erforderlich iſt, und eine weiſe und gewiſſen-
hafte Adminiſtration die zweckmäßige Verwendung ſeiner Beiträge ver-
bürgt, wenn keine ungerechte oder übelverſtandene Einſchränkungen ihn
hindern, ſeine Fähigkeiten, ſeine Kenntniſſe, ſein Vermögen nach eigener
Neigung und Einſicht, nach der Idee die er ſelbſt von ſeinem Vortheil
hat, zu benutzen“ (Adam Smith!), „wenn er überdieß ſeine Gedanken
über alles, was ihn umgibt, vortragen und ſeinen Zeitgenoſſen ſogar
ſeine Irrthümer und ſeine Grillen mittheilen darf — dann iſt alles
erſchöpft, was der Menſch in der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft ſucht.
— Der Inbegriff dieſer Güter iſt die bürgerliche Freiheit,
die unter einer monarchiſchen Verfaſſung bis zu ihrer
höchſten Reife gedeihen kann!“ Das war der Kern der Forde-
rung nach Preßfreiheit; die letztere war nicht mehr Selbſtzweck, ſie
war nur noch Mittel dafür; wenn er jeden „Zwang“ gegen die Preſſe
bekämpft, ſo iſt das nur Conſequenz oder Vorausſetzung des Obigen,
trotz dem, daß er auch hier die Hauptangriffe gegen die Preßbeſchrän-
kung in die beiden kurzen Sätze zuſammenfaßt: „Was, ohne alle Rück-
ſicht auf andere Gründe, jedes Geſetz, welches Preßzwang gebietet,
ausſchließend und peremtoriſch verdammt, iſt der weſentliche Umſtand,
daß es nicht aufrecht gehalten werden kann. Wenn neben einem ſolchen
Geſetze nicht ein wahres Inquiſitionstribunal wacht, ſo iſt es in unſern
Tagen nicht möglich, ihm Anſehen zu verſchaffen.“ Das war ganz richtig,
aber das war nicht die Hauptſache. Das Gentziſche Sendſchreiben war
nicht weniger, als das ganze Programm der conſtitutionellen
Monarchie, und die Preßfreiheit war nur ein, wenn auch weſent-
liches Moment derſelben. Es iſt die Form, in der ſich das Princip
der franzöſiſchen Revolution für das deutſche Leben zuſammenfaßt; aber
für unſere Frage hat es die Bedeutung, daß es die Preßfreiheit unbe-
dingt mit dem Princip der ganzen ſtaatsbürgerlichen Freiheit verſchmolz;
dazu bedurfte man keiner Definition der erſteren und hat ſie auch nicht
geſucht. Sondern, da man noch zu einer verfaſſungsmäßigen Volks-
vertretung nicht gelangen konnte, ſo vertrat die Idee der Preßfreiheit
ihre Stelle, und die Beſten gaben ſich der Ueberzeugung hin, daß
ſie die erſtere theils erſetzen, theils erzeugen werde. Es war daher
natürlich, daß niemand daran dachte, von jetzt an die Preßfreiheit
zu bekämpfen; ſie ward gefordert, ohne nach ihren nothwendigen
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