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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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Frankreich durchgeführte Unterscheidung der "öffentlichen" und "nicht
öffentlichen" Bibliotheken. Das gesammte Bibliothekswesen wird dem
Ministerium des Unterrichts durch Verordnung vom 11. Oktober 1832
überwiesen. Die eigentliche Verwaltung desselben, speziell die Benützung
von Seiten des Publikums, ist durch die im Wesentlichen noch gültige
Verordnung vom 22. Februar 1839 geordnet. An dieß Bibliothekswesen
haben sich dann mehrere Einrichtungen angeschlossen, speziell die Thätig-
keit der Ecole des chartes (s. oben) und das Comite historique,
reorganisirt durch Verordnung vom 14. September 1852. -- Von be-
sonderem Interesse ist das System der örtlichen Bibliotheken, die
unter die Verwaltung der Municipalites gestellt werden (Erlaß vom
8. Pluv. an XI). Die Verordnung von 1839 bestimmte das Nähere über
die Verwaltung. Grundsatz ist, daß diese Bibliotheken auf Kosten
der Körperschaften erhalten werden, denen sie gehören, während jedoch
der Minister die Bibliothekare ernennt. Die Regierungsbibliotheken
(non ouvertes au public, wesentlich die Archive der Körperschaften) sind
als Eigenthum des Staats erklärt und ihre Verhältnisse durch mehrere
Erlässe geordnet (Erlaß vom 12. December 1852, vom 14. Februar
1853). Angeblich soll es mehr als 200 solcher örtlichen Bibliotheken
in Frankreich geben (A. Grün bei Block, art. Bibliotheques).

Auf diese Weise ist das französische Bibliothekswesen ein einheit-
licher
Verwaltungszweig, in welchem zwar einerseits die ständischen
Unterschiede weggefallen sind, aber auch die selbständige Bewegung
der Verwaltung der einzelnen Bibliotheken fehlt. Der Charakter des
deutschen Bibliothekswesens ist dem gegenüber ein wesentlich verschie-
dener. Dieselben waren bis zum achtzehnten Jahrhundert Eigenthum
der Universitäten und Stiftungen, und standen ganz unter der Ver-
waltung derselben. Erst mit der Mitte desselben nahmen sie den Cha-
rakter öffentlicher Anstalten an, mit freier Benützung in der Bibliothek;
auf derselben Grundlage werden die neuen Hofbibliotheken errichtet.
Jede derselben erscheint aber als etwas ganz selbständiges und hat da-
her meist ihre eigene Verwaltung; die Bibliothekare sind Staatsdiener
und sie erscheinen im Budget. Für Oesterreich besteht ein Reglement
von 1825, welches für die innere Ordnung und Verwaltung der öffent-
lichen Bibliotheken maßgebend ist; die Benützung derselben für das
ganze Publikum ist erst durch Erlaß vom 9. Februar 1854 gestattet
und geregelt (s. Stubenrauch II. 422). Das Eigenthumsrecht ist nur
bei einzelnen Bibliotheken überhaupt zur Sprache gekommen; das Recht
der einzelnen, noch bestehenden Corporationen auf ihre Bibliotheken ist
nirgends bezweifelt. Es gibt daher überhaupt kein allgemeines Biblio-
thekswesen in Deutschland, noch auch in seinen einzelnen Staaten. Jede

Frankreich durchgeführte Unterſcheidung der „öffentlichen“ und „nicht
öffentlichen“ Bibliotheken. Das geſammte Bibliotheksweſen wird dem
Miniſterium des Unterrichts durch Verordnung vom 11. Oktober 1832
überwieſen. Die eigentliche Verwaltung deſſelben, ſpeziell die Benützung
von Seiten des Publikums, iſt durch die im Weſentlichen noch gültige
Verordnung vom 22. Februar 1839 geordnet. An dieß Bibliotheksweſen
haben ſich dann mehrere Einrichtungen angeſchloſſen, ſpeziell die Thätig-
keit der École des chartes (ſ. oben) und das Comité historique,
reorganiſirt durch Verordnung vom 14. September 1852. — Von be-
ſonderem Intereſſe iſt das Syſtem der örtlichen Bibliotheken, die
unter die Verwaltung der Municipalités geſtellt werden (Erlaß vom
8. Pluv. an XI). Die Verordnung von 1839 beſtimmte das Nähere über
die Verwaltung. Grundſatz iſt, daß dieſe Bibliotheken auf Koſten
der Körperſchaften erhalten werden, denen ſie gehören, während jedoch
der Miniſter die Bibliothekare ernennt. Die Regierungsbibliotheken
(non ouvertes au public, weſentlich die Archive der Körperſchaften) ſind
als Eigenthum des Staats erklärt und ihre Verhältniſſe durch mehrere
Erläſſe geordnet (Erlaß vom 12. December 1852, vom 14. Februar
1853). Angeblich ſoll es mehr als 200 ſolcher örtlichen Bibliotheken
in Frankreich geben (A. Grün bei Block, art. Bibliothèques).

Auf dieſe Weiſe iſt das franzöſiſche Bibliotheksweſen ein einheit-
licher
Verwaltungszweig, in welchem zwar einerſeits die ſtändiſchen
Unterſchiede weggefallen ſind, aber auch die ſelbſtändige Bewegung
der Verwaltung der einzelnen Bibliotheken fehlt. Der Charakter des
deutſchen Bibliotheksweſens iſt dem gegenüber ein weſentlich verſchie-
dener. Dieſelben waren bis zum achtzehnten Jahrhundert Eigenthum
der Univerſitäten und Stiftungen, und ſtanden ganz unter der Ver-
waltung derſelben. Erſt mit der Mitte deſſelben nahmen ſie den Cha-
rakter öffentlicher Anſtalten an, mit freier Benützung in der Bibliothek;
auf derſelben Grundlage werden die neuen Hofbibliotheken errichtet.
Jede derſelben erſcheint aber als etwas ganz ſelbſtändiges und hat da-
her meiſt ihre eigene Verwaltung; die Bibliothekare ſind Staatsdiener
und ſie erſcheinen im Budget. Für Oeſterreich beſteht ein Reglement
von 1825, welches für die innere Ordnung und Verwaltung der öffent-
lichen Bibliotheken maßgebend iſt; die Benützung derſelben für das
ganze Publikum iſt erſt durch Erlaß vom 9. Februar 1854 geſtattet
und geregelt (ſ. Stubenrauch II. 422). Das Eigenthumsrecht iſt nur
bei einzelnen Bibliotheken überhaupt zur Sprache gekommen; das Recht
der einzelnen, noch beſtehenden Corporationen auf ihre Bibliotheken iſt
nirgends bezweifelt. Es gibt daher überhaupt kein allgemeines Biblio-
theksweſen in Deutſchland, noch auch in ſeinen einzelnen Staaten. Jede

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[38/0054] Frankreich durchgeführte Unterſcheidung der „öffentlichen“ und „nicht öffentlichen“ Bibliotheken. Das geſammte Bibliotheksweſen wird dem Miniſterium des Unterrichts durch Verordnung vom 11. Oktober 1832 überwieſen. Die eigentliche Verwaltung deſſelben, ſpeziell die Benützung von Seiten des Publikums, iſt durch die im Weſentlichen noch gültige Verordnung vom 22. Februar 1839 geordnet. An dieß Bibliotheksweſen haben ſich dann mehrere Einrichtungen angeſchloſſen, ſpeziell die Thätig- keit der École des chartes (ſ. oben) und das Comité historique, reorganiſirt durch Verordnung vom 14. September 1852. — Von be- ſonderem Intereſſe iſt das Syſtem der örtlichen Bibliotheken, die unter die Verwaltung der Municipalités geſtellt werden (Erlaß vom 8. Pluv. an XI). Die Verordnung von 1839 beſtimmte das Nähere über die Verwaltung. Grundſatz iſt, daß dieſe Bibliotheken auf Koſten der Körperſchaften erhalten werden, denen ſie gehören, während jedoch der Miniſter die Bibliothekare ernennt. Die Regierungsbibliotheken (non ouvertes au public, weſentlich die Archive der Körperſchaften) ſind als Eigenthum des Staats erklärt und ihre Verhältniſſe durch mehrere Erläſſe geordnet (Erlaß vom 12. December 1852, vom 14. Februar 1853). Angeblich ſoll es mehr als 200 ſolcher örtlichen Bibliotheken in Frankreich geben (A. Grün bei Block, art. Bibliothèques). Auf dieſe Weiſe iſt das franzöſiſche Bibliotheksweſen ein einheit- licher Verwaltungszweig, in welchem zwar einerſeits die ſtändiſchen Unterſchiede weggefallen ſind, aber auch die ſelbſtändige Bewegung der Verwaltung der einzelnen Bibliotheken fehlt. Der Charakter des deutſchen Bibliotheksweſens iſt dem gegenüber ein weſentlich verſchie- dener. Dieſelben waren bis zum achtzehnten Jahrhundert Eigenthum der Univerſitäten und Stiftungen, und ſtanden ganz unter der Ver- waltung derſelben. Erſt mit der Mitte deſſelben nahmen ſie den Cha- rakter öffentlicher Anſtalten an, mit freier Benützung in der Bibliothek; auf derſelben Grundlage werden die neuen Hofbibliotheken errichtet. Jede derſelben erſcheint aber als etwas ganz ſelbſtändiges und hat da- her meiſt ihre eigene Verwaltung; die Bibliothekare ſind Staatsdiener und ſie erſcheinen im Budget. Für Oeſterreich beſteht ein Reglement von 1825, welches für die innere Ordnung und Verwaltung der öffent- lichen Bibliotheken maßgebend iſt; die Benützung derſelben für das ganze Publikum iſt erſt durch Erlaß vom 9. Februar 1854 geſtattet und geregelt (ſ. Stubenrauch II. 422). Das Eigenthumsrecht iſt nur bei einzelnen Bibliotheken überhaupt zur Sprache gekommen; das Recht der einzelnen, noch beſtehenden Corporationen auf ihre Bibliotheken iſt nirgends bezweifelt. Es gibt daher überhaupt kein allgemeines Biblio- theksweſen in Deutſchland, noch auch in ſeinen einzelnen Staaten. Jede

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/54>, abgerufen am 25.11.2024.