Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

wohl auch definitiv jetzt Stellung und Aufgabe des Gegenstandes ge-
sichert; die Sittenpolizei ist von da an ziemlich unbezweifelt ein Gebiet
des Verwaltungsrechts, und zwar des Bildungswesens, und mit rich-
tigem Instinct daher sowohl von der frühern großartigen, als der
jetzigen breiten und nicht mehr unbequemen Staatsphilosophie Bluntsch-
lis, Helds und anderer unberührt zur Seite geschoben.

II. Die Polizei der Unzucht.

Die Polizei der Unzucht ist in mehr als einer Beziehung der
schwierigste Theil der Sittenpolizei; denn bei ihr ist von jeher Princip,
Gränze und Ausführung am meisten streitig oder doch unbestimmt ge-
wesen. Die Elemente des Rechts- und Polizeiverhältnisses derselben
dürften aber im Wesentlichen folgende sein.

Die Beziehung der Geschlechter zu einander ist ein natürliches
Element des persönlichen Lebens, das aber die höhere ethische Bestim-
mung hat, durch die körperliche Vereinigung die innige Verschmelzung
des gesammten Lebens hervorzubringen, und damit das höchste Princip
aller menschlichen Entwicklung, die Einheit der selbständigen Persönlich-
keiten, auf ein materiell gegebenes Verhältniß zu basiren. Vor dieser
Idee erscheint daher jede physische Vermischung der Geschlechter als eine
Unsittlichkeit. Allein die Entwicklung dieser ethischen Unsittlichkeit zur
rechtlichen, auf die es hier ankommt, beruht auf ganz bestimmten
Gründen und hat daher auch in den verschiedenen Zeiten ganz bestimmte
Formen angenommen.

Alles Recht der Unzucht hat nämlich zwei Gebiete, welche ihrer-
seits in der Natur der leiblichen Vermischung selbst liegen. Das eine
beruht auf dem rein thierischen Element der Befriedigung des Geschlechts-
triebes, bei dem der Gegenstand selbst kein Mensch, oder kein Erwach-
sener, und dessen Form die des Thieres, die volle Oeffentlichkeit ist.
Hier ist das persönliche Element ganz dem natürlichen unterworfen, und
damit seines Wesens entkleidet. Daher haben wohl alle Nationen und
Zeiten die Sodomie, die Unzucht mit Unmündigen und das öffentliche
Aergerniß als Verbrechen und Vergehen anerkannt. Es ist das an und
für sich kein Gegenstand der Polizei, sondern des Strafrechts.

Wo es sich dagegen zweitens um die Befriedigung des Geschlechts-
triebes in ihrem natürlichen Wege handelt, beginnt das, was wir die
Rechtsgeschichte der Unzucht nennen möchten.

Der erste allgemeine Grundsatz dieses Rechts beruht darauf, daß
die Ehe heilig sein soll. Wo es sich dagegen nicht mehr um die Ehe
handelt, fehlt anfänglich der Begriff und somit auch das Recht der

Stein, die Verwaltungslehre. VI. 2

wohl auch definitiv jetzt Stellung und Aufgabe des Gegenſtandes ge-
ſichert; die Sittenpolizei iſt von da an ziemlich unbezweifelt ein Gebiet
des Verwaltungsrechts, und zwar des Bildungsweſens, und mit rich-
tigem Inſtinct daher ſowohl von der frühern großartigen, als der
jetzigen breiten und nicht mehr unbequemen Staatsphiloſophie Bluntſch-
lis, Helds und anderer unberührt zur Seite geſchoben.

II. Die Polizei der Unzucht.

Die Polizei der Unzucht iſt in mehr als einer Beziehung der
ſchwierigſte Theil der Sittenpolizei; denn bei ihr iſt von jeher Princip,
Gränze und Ausführung am meiſten ſtreitig oder doch unbeſtimmt ge-
weſen. Die Elemente des Rechts- und Polizeiverhältniſſes derſelben
dürften aber im Weſentlichen folgende ſein.

Die Beziehung der Geſchlechter zu einander iſt ein natürliches
Element des perſönlichen Lebens, das aber die höhere ethiſche Beſtim-
mung hat, durch die körperliche Vereinigung die innige Verſchmelzung
des geſammten Lebens hervorzubringen, und damit das höchſte Princip
aller menſchlichen Entwicklung, die Einheit der ſelbſtändigen Perſönlich-
keiten, auf ein materiell gegebenes Verhältniß zu baſiren. Vor dieſer
Idee erſcheint daher jede phyſiſche Vermiſchung der Geſchlechter als eine
Unſittlichkeit. Allein die Entwicklung dieſer ethiſchen Unſittlichkeit zur
rechtlichen, auf die es hier ankommt, beruht auf ganz beſtimmten
Gründen und hat daher auch in den verſchiedenen Zeiten ganz beſtimmte
Formen angenommen.

Alles Recht der Unzucht hat nämlich zwei Gebiete, welche ihrer-
ſeits in der Natur der leiblichen Vermiſchung ſelbſt liegen. Das eine
beruht auf dem rein thieriſchen Element der Befriedigung des Geſchlechts-
triebes, bei dem der Gegenſtand ſelbſt kein Menſch, oder kein Erwach-
ſener, und deſſen Form die des Thieres, die volle Oeffentlichkeit iſt.
Hier iſt das perſönliche Element ganz dem natürlichen unterworfen, und
damit ſeines Weſens entkleidet. Daher haben wohl alle Nationen und
Zeiten die Sodomie, die Unzucht mit Unmündigen und das öffentliche
Aergerniß als Verbrechen und Vergehen anerkannt. Es iſt das an und
für ſich kein Gegenſtand der Polizei, ſondern des Strafrechts.

Wo es ſich dagegen zweitens um die Befriedigung des Geſchlechts-
triebes in ihrem natürlichen Wege handelt, beginnt das, was wir die
Rechtsgeſchichte der Unzucht nennen möchten.

Der erſte allgemeine Grundſatz dieſes Rechts beruht darauf, daß
die Ehe heilig ſein ſoll. Wo es ſich dagegen nicht mehr um die Ehe
handelt, fehlt anfänglich der Begriff und ſomit auch das Recht der

Stein, die Verwaltungslehre. VI. 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0033" n="17"/>
wohl auch definitiv jetzt Stellung und Aufgabe des Gegen&#x017F;tandes ge-<lb/>
&#x017F;ichert; die Sittenpolizei i&#x017F;t von da an ziemlich unbezweifelt ein Gebiet<lb/>
des Verwaltungsrechts, und zwar des Bildungswe&#x017F;ens, und mit rich-<lb/>
tigem In&#x017F;tinct daher &#x017F;owohl von der frühern großartigen, als der<lb/>
jetzigen breiten und nicht mehr unbequemen Staatsphilo&#x017F;ophie Blunt&#x017F;ch-<lb/>
lis, Helds und anderer unberührt zur Seite ge&#x017F;choben.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II.</hi> Die Polizei der Unzucht.</hi> </head><lb/>
              <p>Die Polizei der Unzucht i&#x017F;t in mehr als einer Beziehung der<lb/>
&#x017F;chwierig&#x017F;te Theil der Sittenpolizei; denn bei ihr i&#x017F;t von jeher Princip,<lb/>
Gränze und Ausführung am mei&#x017F;ten &#x017F;treitig oder doch unbe&#x017F;timmt ge-<lb/>
we&#x017F;en. Die Elemente des Rechts- und Polizeiverhältni&#x017F;&#x017F;es der&#x017F;elben<lb/>
dürften aber im We&#x017F;entlichen folgende &#x017F;ein.</p><lb/>
              <p>Die Beziehung der Ge&#x017F;chlechter zu einander i&#x017F;t ein natürliches<lb/>
Element des per&#x017F;önlichen Lebens, das aber die höhere ethi&#x017F;che Be&#x017F;tim-<lb/>
mung hat, durch die körperliche Vereinigung die innige Ver&#x017F;chmelzung<lb/>
des ge&#x017F;ammten Lebens hervorzubringen, und damit das höch&#x017F;te Princip<lb/>
aller men&#x017F;chlichen Entwicklung, die Einheit der &#x017F;elb&#x017F;tändigen Per&#x017F;önlich-<lb/>
keiten, auf ein materiell gegebenes Verhältniß zu ba&#x017F;iren. Vor die&#x017F;er<lb/>
Idee er&#x017F;cheint daher jede phy&#x017F;i&#x017F;che Vermi&#x017F;chung der Ge&#x017F;chlechter als eine<lb/>
Un&#x017F;ittlichkeit. Allein die Entwicklung die&#x017F;er ethi&#x017F;chen Un&#x017F;ittlichkeit zur<lb/><hi rendition="#g">rechtlichen</hi>, auf die es hier ankommt, beruht auf ganz be&#x017F;timmten<lb/>
Gründen und hat daher auch in den ver&#x017F;chiedenen Zeiten ganz be&#x017F;timmte<lb/>
Formen angenommen.</p><lb/>
              <p>Alles Recht der Unzucht hat nämlich zwei Gebiete, welche ihrer-<lb/>
&#x017F;eits in der Natur der leiblichen Vermi&#x017F;chung &#x017F;elb&#x017F;t liegen. Das <hi rendition="#g">eine</hi><lb/>
beruht auf dem rein thieri&#x017F;chen Element der Befriedigung des Ge&#x017F;chlechts-<lb/>
triebes, bei dem der Gegen&#x017F;tand &#x017F;elb&#x017F;t kein Men&#x017F;ch, oder kein Erwach-<lb/>
&#x017F;ener, und de&#x017F;&#x017F;en Form die des Thieres, die volle Oeffentlichkeit i&#x017F;t.<lb/>
Hier i&#x017F;t das per&#x017F;önliche Element ganz dem natürlichen unterworfen, und<lb/>
damit &#x017F;eines We&#x017F;ens entkleidet. Daher haben wohl alle Nationen und<lb/>
Zeiten die Sodomie, die Unzucht mit Unmündigen und das öffentliche<lb/>
Aergerniß als Verbrechen und Vergehen anerkannt. Es i&#x017F;t das an und<lb/>
für &#x017F;ich kein Gegen&#x017F;tand der Polizei, &#x017F;ondern des Strafrechts.</p><lb/>
              <p>Wo es &#x017F;ich dagegen zweitens um die Befriedigung des Ge&#x017F;chlechts-<lb/>
triebes in ihrem natürlichen Wege handelt, beginnt das, was wir die<lb/>
Rechtsge&#x017F;chichte der Unzucht nennen möchten.</p><lb/>
              <p>Der <hi rendition="#g">er&#x017F;te</hi> allgemeine Grund&#x017F;atz die&#x017F;es Rechts beruht darauf, daß<lb/>
die Ehe heilig &#x017F;ein &#x017F;oll. Wo es &#x017F;ich dagegen nicht mehr um die Ehe<lb/>
handelt, <hi rendition="#g">fehlt</hi> anfänglich der Begriff und &#x017F;omit auch das Recht der<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Stein</hi>, die Verwaltungslehre. <hi rendition="#aq">VI.</hi> 2</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0033] wohl auch definitiv jetzt Stellung und Aufgabe des Gegenſtandes ge- ſichert; die Sittenpolizei iſt von da an ziemlich unbezweifelt ein Gebiet des Verwaltungsrechts, und zwar des Bildungsweſens, und mit rich- tigem Inſtinct daher ſowohl von der frühern großartigen, als der jetzigen breiten und nicht mehr unbequemen Staatsphiloſophie Bluntſch- lis, Helds und anderer unberührt zur Seite geſchoben. II. Die Polizei der Unzucht. Die Polizei der Unzucht iſt in mehr als einer Beziehung der ſchwierigſte Theil der Sittenpolizei; denn bei ihr iſt von jeher Princip, Gränze und Ausführung am meiſten ſtreitig oder doch unbeſtimmt ge- weſen. Die Elemente des Rechts- und Polizeiverhältniſſes derſelben dürften aber im Weſentlichen folgende ſein. Die Beziehung der Geſchlechter zu einander iſt ein natürliches Element des perſönlichen Lebens, das aber die höhere ethiſche Beſtim- mung hat, durch die körperliche Vereinigung die innige Verſchmelzung des geſammten Lebens hervorzubringen, und damit das höchſte Princip aller menſchlichen Entwicklung, die Einheit der ſelbſtändigen Perſönlich- keiten, auf ein materiell gegebenes Verhältniß zu baſiren. Vor dieſer Idee erſcheint daher jede phyſiſche Vermiſchung der Geſchlechter als eine Unſittlichkeit. Allein die Entwicklung dieſer ethiſchen Unſittlichkeit zur rechtlichen, auf die es hier ankommt, beruht auf ganz beſtimmten Gründen und hat daher auch in den verſchiedenen Zeiten ganz beſtimmte Formen angenommen. Alles Recht der Unzucht hat nämlich zwei Gebiete, welche ihrer- ſeits in der Natur der leiblichen Vermiſchung ſelbſt liegen. Das eine beruht auf dem rein thieriſchen Element der Befriedigung des Geſchlechts- triebes, bei dem der Gegenſtand ſelbſt kein Menſch, oder kein Erwach- ſener, und deſſen Form die des Thieres, die volle Oeffentlichkeit iſt. Hier iſt das perſönliche Element ganz dem natürlichen unterworfen, und damit ſeines Weſens entkleidet. Daher haben wohl alle Nationen und Zeiten die Sodomie, die Unzucht mit Unmündigen und das öffentliche Aergerniß als Verbrechen und Vergehen anerkannt. Es iſt das an und für ſich kein Gegenſtand der Polizei, ſondern des Strafrechts. Wo es ſich dagegen zweitens um die Befriedigung des Geſchlechts- triebes in ihrem natürlichen Wege handelt, beginnt das, was wir die Rechtsgeſchichte der Unzucht nennen möchten. Der erſte allgemeine Grundſatz dieſes Rechts beruht darauf, daß die Ehe heilig ſein ſoll. Wo es ſich dagegen nicht mehr um die Ehe handelt, fehlt anfänglich der Begriff und ſomit auch das Recht der Stein, die Verwaltungslehre. VI. 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/33
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/33>, abgerufen am 23.11.2024.