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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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Wir können keine historische Entwicklung dieses Gebietes als eines
Ganzen andeuten, weil es eben keine gibt. Der Charakter aller bis-
herigen Berührungen und Bearbeitungen der Frage besteht darin, die
drei Theile derselben, welche wir angedeutet haben, gesondert zu be-
handeln, und zwar ohne eine Vorstellung von dem inneren organischen
Zusammenhang derselben. Ausnahmslos ist die Sittenpolizei, oft als
eigene Kulturpolizei, selbstständig behandelt, die Anstalten für die all-
gemeine Bildung sind als Theile des Bildungswesens, als einfache Zu-
sätze zu demselben aufgefaßt, gelegentlich auch in die Kulturpolizei hinein-
gezogen; die Presse und ihr Recht haben eine späte, aber dann von jeder
administrativen Beziehung zum Bildungswesen abgesonderte Untersuchung
erfahren. Wohl sieht man, wie die vagen Vorstellungen von "Kultur"
oder "Aufklärung" im vorigen Jahrhundert und noch bis in das gegen-
wärtige herein ungefähr den Gedanken enthalten, das Ganze organisch
auffassen zu wollen, allein während die Rechts- und Staatsphilosophie
noch bis jetzt, z. B. bei Bluntschli und Held, bei allgemeinen
Redensarten stehen bleiben, ohne Nutzen für das praktische Leben, con-
densirt sich das Rechtsverhältniß in den Territorialrechten nach den
einzelnen Gesetzgebungen, und das allgemeine deutsche Staatsrecht hat
nicht einmal den Begriff der Kultur oder der Gesittung oder auch nur
den der Sittenpolizei aufgenommen. Wir müssen daher die Literatur-
geschichte auf das Einzelne verweisen. Formell steht aber wohl schon
hier fest, daß es die Frage nach der Auffassung der Presse und ihrer
organischen Stellung sein wird, welche über die Auffassung dieses ganzen
Gebietes entscheiden wird. Wird man daran festhalten, in der Presse
nur so weit einen Gegenstand der Verwaltung zu sehen als sie Gegen-
stand der Polizei ist, so ist dieser ganze Theil aufgelöst. Wir unser-
seits vertreten unbedingt die würdigere Ansicht von derselben, und werden
sie festhalten müssen.


Erster Abschnitt.
Die Sittenpolizei.
I. Begriff und Rechtsprincip und Elemente ihrer Geschichte.

Es ist allerdings Sache der freien Selbstbestimmung, die eigenen
Handlungen mit der Sittlichkeit in Harmonie zu bringen. Die Straf-
losigkeit derselben aber, so wie sie in die Oeffentlichkeit treten, enthält
eine Negation ihrer Strafbarkeit; durch sie wird das, was für den Ein-
zelnen unrecht ist, für alle als zulässig gesetzt. Die sittliche Ordnung

Wir können keine hiſtoriſche Entwicklung dieſes Gebietes als eines
Ganzen andeuten, weil es eben keine gibt. Der Charakter aller bis-
herigen Berührungen und Bearbeitungen der Frage beſteht darin, die
drei Theile derſelben, welche wir angedeutet haben, geſondert zu be-
handeln, und zwar ohne eine Vorſtellung von dem inneren organiſchen
Zuſammenhang derſelben. Ausnahmslos iſt die Sittenpolizei, oft als
eigene Kulturpolizei, ſelbſtſtändig behandelt, die Anſtalten für die all-
gemeine Bildung ſind als Theile des Bildungsweſens, als einfache Zu-
ſätze zu demſelben aufgefaßt, gelegentlich auch in die Kulturpolizei hinein-
gezogen; die Preſſe und ihr Recht haben eine ſpäte, aber dann von jeder
adminiſtrativen Beziehung zum Bildungsweſen abgeſonderte Unterſuchung
erfahren. Wohl ſieht man, wie die vagen Vorſtellungen von „Kultur“
oder „Aufklärung“ im vorigen Jahrhundert und noch bis in das gegen-
wärtige herein ungefähr den Gedanken enthalten, das Ganze organiſch
auffaſſen zu wollen, allein während die Rechts- und Staatsphiloſophie
noch bis jetzt, z. B. bei Bluntſchli und Held, bei allgemeinen
Redensarten ſtehen bleiben, ohne Nutzen für das praktiſche Leben, con-
denſirt ſich das Rechtsverhältniß in den Territorialrechten nach den
einzelnen Geſetzgebungen, und das allgemeine deutſche Staatsrecht hat
nicht einmal den Begriff der Kultur oder der Geſittung oder auch nur
den der Sittenpolizei aufgenommen. Wir müſſen daher die Literatur-
geſchichte auf das Einzelne verweiſen. Formell ſteht aber wohl ſchon
hier feſt, daß es die Frage nach der Auffaſſung der Preſſe und ihrer
organiſchen Stellung ſein wird, welche über die Auffaſſung dieſes ganzen
Gebietes entſcheiden wird. Wird man daran feſthalten, in der Preſſe
nur ſo weit einen Gegenſtand der Verwaltung zu ſehen als ſie Gegen-
ſtand der Polizei iſt, ſo iſt dieſer ganze Theil aufgelöst. Wir unſer-
ſeits vertreten unbedingt die würdigere Anſicht von derſelben, und werden
ſie feſthalten müſſen.


Erſter Abſchnitt.
Die Sittenpolizei.
I. Begriff und Rechtsprincip und Elemente ihrer Geſchichte.

Es iſt allerdings Sache der freien Selbſtbeſtimmung, die eigenen
Handlungen mit der Sittlichkeit in Harmonie zu bringen. Die Straf-
loſigkeit derſelben aber, ſo wie ſie in die Oeffentlichkeit treten, enthält
eine Negation ihrer Strafbarkeit; durch ſie wird das, was für den Ein-
zelnen unrecht iſt, für alle als zuläſſig geſetzt. Die ſittliche Ordnung

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[11/0027] Wir können keine hiſtoriſche Entwicklung dieſes Gebietes als eines Ganzen andeuten, weil es eben keine gibt. Der Charakter aller bis- herigen Berührungen und Bearbeitungen der Frage beſteht darin, die drei Theile derſelben, welche wir angedeutet haben, geſondert zu be- handeln, und zwar ohne eine Vorſtellung von dem inneren organiſchen Zuſammenhang derſelben. Ausnahmslos iſt die Sittenpolizei, oft als eigene Kulturpolizei, ſelbſtſtändig behandelt, die Anſtalten für die all- gemeine Bildung ſind als Theile des Bildungsweſens, als einfache Zu- ſätze zu demſelben aufgefaßt, gelegentlich auch in die Kulturpolizei hinein- gezogen; die Preſſe und ihr Recht haben eine ſpäte, aber dann von jeder adminiſtrativen Beziehung zum Bildungsweſen abgeſonderte Unterſuchung erfahren. Wohl ſieht man, wie die vagen Vorſtellungen von „Kultur“ oder „Aufklärung“ im vorigen Jahrhundert und noch bis in das gegen- wärtige herein ungefähr den Gedanken enthalten, das Ganze organiſch auffaſſen zu wollen, allein während die Rechts- und Staatsphiloſophie noch bis jetzt, z. B. bei Bluntſchli und Held, bei allgemeinen Redensarten ſtehen bleiben, ohne Nutzen für das praktiſche Leben, con- denſirt ſich das Rechtsverhältniß in den Territorialrechten nach den einzelnen Geſetzgebungen, und das allgemeine deutſche Staatsrecht hat nicht einmal den Begriff der Kultur oder der Geſittung oder auch nur den der Sittenpolizei aufgenommen. Wir müſſen daher die Literatur- geſchichte auf das Einzelne verweiſen. Formell ſteht aber wohl ſchon hier feſt, daß es die Frage nach der Auffaſſung der Preſſe und ihrer organiſchen Stellung ſein wird, welche über die Auffaſſung dieſes ganzen Gebietes entſcheiden wird. Wird man daran feſthalten, in der Preſſe nur ſo weit einen Gegenſtand der Verwaltung zu ſehen als ſie Gegen- ſtand der Polizei iſt, ſo iſt dieſer ganze Theil aufgelöst. Wir unſer- ſeits vertreten unbedingt die würdigere Anſicht von derſelben, und werden ſie feſthalten müſſen. Erſter Abſchnitt. Die Sittenpolizei. I. Begriff und Rechtsprincip und Elemente ihrer Geſchichte. Es iſt allerdings Sache der freien Selbſtbeſtimmung, die eigenen Handlungen mit der Sittlichkeit in Harmonie zu bringen. Die Straf- loſigkeit derſelben aber, ſo wie ſie in die Oeffentlichkeit treten, enthält eine Negation ihrer Strafbarkeit; durch ſie wird das, was für den Ein- zelnen unrecht iſt, für alle als zuläſſig geſetzt. Die ſittliche Ordnung

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/27>, abgerufen am 09.11.2024.